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Stunden 105 St. In einem Neste wurden 20 alte, in einem andern 2 alte und 20 junge Mäuse gefangen; meistens finden sich in den Nestern größere Vorräte von Getreide und Erbsen. Die getöteten Mäuse werden von den Raben und Saatkrähen gefressen. Insbesondere erweisen sich die gemeinen oder Mäusebussarde als sehr nützliche Raubvögel, indem sie den schädlichen Nagern emsig nachstellen. Die Schwänze der getöteten Mäuse werden von den Knaben abgeschnitten und gesammelt; gestern Nachmittag erhielten sie für das Stück von der Gemeindepflege 1 Pfg. ausbezahlt. Einer der Knaben erhielt 6 M. 10 Pfg.
Ulm, 18. Sept. Die „Ulm. Ztg." brachte dieser Tage die Meldung, daß sich bei der Ueber- nahme der Aemter des verstorbenen Stadt- und Hospitalpflegers Geiger eine beispiellose Unordnung in der Führung derselben ergeben habe; allein an Biersteuer sollten etwa 60000 ^ rückständig sein. Auf dem Rathaus fand infolgedessen heute vormittag eine Sitzung des Gemeinderats mit dem Bürgerausschuß statt, in welcher der Obmann des Bürgerausschusses, Rechtsanwalt Teich mann, namens des Bürgerausschusses an den stellv. Vorsitzenden, Stadtrat S chefold, die Anfrage stellte, ob amtlich von solchen Unregelmäßigkeiten etwas bekannt sei. Der Vorsitzende hatte, in Erwartung dieser Anfrage, sich in dieser Richtung aufs genaueste unterrichtet und erwiderte: Die unvermuteten Kassenstürze, die seit längerer Zeit vorgenommen werden, haben immer die vollständige Ordnung und Richtigkeit in der Amtsführung der'Stadt- und Hospitalpflege ergeben. Am vergangenen Dienstag erst habe der Stadtpflegeverw. Waas den Kassenbericht vorgetragen, aus welchem sich nichts von einer Unordnung ergeben habe, während das Vorhandensein einer solchen selbstverständlicherweise festgestellt worden wäre. Waas selbst habe auf Befragen erklärt, daß an der Behauptung von einer Unordnung oder ungebührlichen Stundung kein wahres Wort sei. Es sei im höchsten Grad bedauerlich, daß «ine derartige unbegründete Zeitungsnotiz veröffentlicht worden sei. Die Entscheidung über die Schritte, welche von seiten der Stadtverwaltung gegen die Urheber und Verbreiter derselben einzuleiten seien, überlaffe er dem morgen aus den Ferien wieder eintreffenden Hrn. Stadtvorstand. — Gemeinderat Mayser bedauert aufs tiefste, daß eine derartige Nachricht in die „U. Ztg." gekommen sei. Er seinerseits habe, was seinen Einfluß au^ das Blatt betreffe, alles gellend gemacht, um derartiges inskünftig zu verhindern. Er bedaure die Leichtfertigkeit der „Ulmer Zeitung" aufrichtig. — Der stellv. Stadtpflegebuchhalter Waas bestätigte die Darstellung des Vorsitzenden betreffs der Geiger'schen Kassenführung in jeder Hinsicht. — Bürgerausschußmitglied Heiß forderte unnachsichtliche Verfolgung eines Blattes, das die Amtsehre eines verstorbenen Beamten in solch unverantwortlicher Weise verunglimpfe. — Der Vor
sitzende bedauerte, daß durch die inzwischen von der „Ulmer Ztg." vorgebrachten Entschuldigungen ein ganzer Kreis von Beamten der Verdächtigung ausgesetzt werde, Urheber der verläumderischen Notiz zu sein; sollte es ein städt. Beamter sein, so erwarte er, auf das Ehrgefühl desselben bauend, daß er sich beim Stadtvorstand nenne.
N Pforzheim, 22. Sept. Am Sonntag, den 16. d. M. abends kam es bei Langenbrand auf der Straße nach Schömberg zwischen jungen Bewohnern aus letzterem Orte und solchen von Langenbrand zu einer Schlägerei, wobei eS auf beiden Seiten schwere und leichte Verletzungen gab. Der Metzger Nothaker von Schömberg brach auf dem Platze bewußtlos zusammen und verschied am Donnerstag abend ohne wieder zum vollen Bewußtsein gekommen zu sein. Nothaker ist 25 Jahre alt und führte das Geschäft seiner kränklichen Eltern, die nun ihrer Stütze beraubt sind.
Ludwigshafen, 21. Sept. Der „Neue Pfälzische Kurier" erhält aus bestinformierter Berliner Quelle die Nachricht, daß die Mitteilung des Herrn Lucke in der Heßlacher Bauernversammlung, die Regierung plane die Einführung einer Tabakverbrauchsabgabe, vollständig erfunden ist. Die Regierung werde dem Reichstage im Gegenteil den abgeänderten Entwurf eines Tabakfabrikatsteuergesetzes vorlegen. Derselbe enthalte gegenüber dem alten bedeutende Erleichterungen in den Kontrolmaßregeln, auch seien die Sätze auf Nauchrabak und Cigarren erheblich ermäßigt, und der Zoll auf ausländischen Tabak dürfte auf 50 ^ festgesetzt werden. Die Regierung hoffe auf Entgegenkommen beim Reichstage, umsomehr, als die Mehrheit des Centrums für die Vorlage gewonnen werden dürste. Im entgegengesetzten Falle werde es die Regierung diesmal auf eine Auflösung des Reichstags ankommen lassen.
Aschaffenburg, 23. Sept. Unter großer Beteiligung tagt seit gestern dahier die Deutsche VolkSpartei. In der gestern abend im Schützenhof stattgehabten Volksversammlung sprachen als Hauptredner: Haußmann-Stuttgart, Or. Konrad- München und G a l l e r - Stuttgart. Unter großem Beifall wurde folgende Resolution angenommen: Die heutige zahlreich besuchte Volksversammlung spricht die Ueberzeugung aus, daß der beste Schutz gegen die Umsturzbestrebungen in der Entwicklung freiheitlicher Einrichtungen und in gesunden politischen und sozialen Reformen besteht und fordert alle unabhängigen Leute auf, gegen jedes, die Freiheit einschränkende Gesetz auf's entschiedenste einzutreten.
Bitterfeld, 20. Sept. In dem benachbarten Orte Petersroda ereignete sich ein schreckliches U n - glück. Auf der Grube „Beharrlichkeit" ging plötzlich kurz vor Schichtschluß Gestein nieder und verschüttete eine ganze sogenannte Kameradschaft, bestehend aus 8 Mann. Man machte sich sofort daran, die zu
Bruche gegangenen Kohlenmassen zu beseitigen, um' zu den Verschütteten zu gelangen, was denn auch nach vieler Mühe gelang. Von den 8 Verschütteten wurden 6 mehr oder minder schwer verletzt und 2 tot hervorgezogen. Die Untersuchung ist sofort eingeleitet worden.
Berlin, 21. Sept. Wie der Reichsanz. mitteilt, hat die Witwe des Baurats Wentzel der königl. Akademie der Wissenschaften die Summe vow 1'/, Millionen Mark gestiftet zur Förderung umfassender, größere Aufwendung erfordernder wissenschaftlicher Unternehmungen aller Art. Jedem ordentlichen Mitglied der Akademie steht das Vorschlagsrecht für die Verwendung der Stiftung zu.
Varzin, 23. Sept. Zwei Sonderzüge brachten heute Vormittag ca. 1500 Westpreußen nach Hammermühle, wo zunächst eine Erfrischung eingenommen und dann unter Führung des Hrn. vom Fournier der Marsch nach Varzin angetreten wurde. Die Ankunft dortselbst erfolgte gegen Mittag. Unter Vorantritt einer Musikkapelle wurde in den Schloßhof eingezogen und Aufstellung genommen. Nachdem- das Lied „Die Ostwacht" mit Begeisterung gesungew war, erschien von brausenden Hochs begrüßt, Fürst Bismarck auf der Veranda des Schlosses, worauf Hr. v. Fournier eine Ansprache hielt und ein mit Jubel aufgenommenes Hoch auf den Fürsten ausbrachte. In seiner Erwiederung dankte dieser zunächst den Erschienenen und führte sodann aus, Niemand habe von ihm etwas zu fürchten, zu hoffen und zu erwarten. „Die gemeinsame Liebe zum Vaterlande hat uns zusammengeführt. (Bravo.) Eine solche Auszeichnung ist keinem preußischen Minister vor mir zu teil geworden. Seit 8 Tagen ist selbst in der gegnerischen Presse bei der Besprechung der Fahrt der Posener das Nationalgesühl zum Durchbruch gekommen." Auf die Polenfrage übergehend betonte der Fürst, die polnischen Bestrebungen seien nur Kastcnbestrebungen des Adels. „Westpreußen gehört seit 1816 zu uns, hoffentlich besitzen wir es auch noch m einigen Jahrhunderten. (Brausendes Hurrah.)- Ich bin heut« um so mehr davon überzeugt, wenn ich mich der Königsberger Kaiserrede und der gestrigen Thorner erinnere. (Lebhaftes Bravo.) Dank des nationalen Einklangs in der Polenfrage ist nunmehr keinerlei Gefahr mehr vorhanden. Ich bezweifle sehr, daß in des Kaisers Aufruf auch die polnischen Junker inbegriffen sind. Der polnische Adel gehört auch mit zu den Umsturzparteien. Aber eS kommt zu keinem Kampf, so lange wir mit unserem Kaiser einig sind. Gott möge dem Kaiser Räte geben, die ihn im Sinne seines kaiserlichen Programms beraten! Der Kaiser lebe hoch!" Die Rede wurde mit stürmischem Beifall ausgenommen. Dem Fürsten und der ebenfalls erschienenen Fürstin wurden sodann seitens der an der Huldigung teilnehmenden Damen Blumenspenden sowie Produkte Westpreußens überreicht. Nachdem der Fürst mehrere Festteilnehmer mit Ansprachen beehrt
tummelten. ES waren ein blondgelockter Knabe von zehn Jahren, ihr einziger Sohn, und ihr siebzehnjähriger Neffe, der die Uniform der Kadetten trug und augenblicklich die Pfingstferien im Hause seiner Tante zubrachte.
Frau Dreßlcr erhob sich, als sie den Gatten durch die Kastanienallee schreiten sah. Die männliche Krastgestalt de« reichen Kaufhenn, seine schönen, regelmäßigen und intelligenten Gesichtszüge, die klaren, blauen Augen, aus denen unverkennbar Menschenfreundlichkeit und HerzenSgüte strahlten, ließen die tiefe Verehrung der Gattin für diesen Mann wohl begreiflich erscheinen.
Herr Dreßler umarmte seine Frau und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Dann reichte er ihr den Arm und schritt an ihrer Seite dem Pavillon zu. Der kleine Willibald schleuderte Federball und Schlagnetz fort, als er seinen Vater kommen sah, und sprang chm entgegen. Leopold von Bartenstein folgte seinem kleinen Vetter langsamer nach. Herr Dreßler begrüßte seinen Sohn zärtlich, winkte dem Neffen seiner Frau freundlich zu und forderte Beide auf, sich in ihrer Ballbelustigung nicht stören zu lassen. Dann stieg er mit seiner Frau in den Pavillon hinauf.
Sein Blick schweifte über die blühende Frühlingspracht des Gartens und blieb zuletzt auf dem blondgelockten Knabm haften, welcher der Stolz seines Vaterherzens war.
„Du sagst mir kein Wort, mein Freund ?" — unterbrach Leonore das Schweigen ihres Gatten.
„Das größte Glück ist stumm." — Mit diesen Worten schlang er seinen Arm um die Taille seiner Frau, nickte »hr zu und wandt« dann seine» Blick wieder nach seinem kleinen Sohne.
Welch' eine Zukunft lächelte diesem Kinde, daS hier unter dem Schutze liebender Estern einem glanzvollen Leben entgegen wuchst
Dreßler schauerte zusammen, ein leiser Seufzer entfloh seinen Lippen. Leonore richtete sich aus und sah den Gatten fragend an.
Er verstand ihren Blick.
„Das Übermaß des Glücks läßt mich erbeben," flüsterte er ihr zu. „ich denk«
an den Ring des Polykrates. Das Schicksal hat mir so viel, hat mir Alles gegeben, eine Steigerung meines Glücks ist kaum mehr möglich! Soll mir da nicht der Gedanke kommen, daß mir auch einmal von meinem Glücke wieder etwas genommen werden könnte?"
„Schwärmer!" erwiderte sie und zuckte leise mit den Schustern.
„Es ist wirklich unglaublich," fuhr er halblaut fort, „wie mir Alles gelingt. Heute Vormittag kamen Depeschen aus London, welche mir meldeten, daß meine letzte Getreidespekulation glänzend emgeschlagen ist. Der mir gewordene Gewinn beträgt io viel, daß ich mich von heute ab zu den Millionären zählen darf."
Leonore richtete das Auge wieder auf ihren Knaben, unendlicher Stolz erfüllte ihr Mutterherz, als sie sich ihren Liebling als den Erben einer Million dachte.
„Da kommt Jordan," sagte der Handelsherr, „er bringt mir Hut und Stock."
Bei diesen Worten war er aufgestanden. Seine Frau erhob sich ebenfalls.
„Du willst mich schon wieder verlassen?"
„Aber Liebe," sagte er, „vergißst Du, daß ich jetzt zur Börse muß?"
„Um neue Geschäfte abzuschließen und mit vollen Segeln auf die zweite Million loszusteuern," scherzte sie. „Du hast den Ring des Polykrates, wie eS scheint, sehr schnell vergessen."
Er drohte ihr lächelnd mit dem Finger, der leise Houch von Schwermut, welcher vorher wie eine bange Ahnung sein Herz einen Augenblick beunruhigt hatte, war bei Jordans Annäherung sogleich verschwunden. Bei dem Anblicke dieses Mannes dachte er nur an Zahlen und Geschäfte. Jordan war sein erster Buchhalter und wurde wegen seiner langjährigen Dienste im Comptoir von Herrn und Frau Dreßler mit einer gew sien Vertraulichkeit behändest. Dies konnte auch nur wegen seiner Ancienmtät im Dienst geschehen, denn seine äußere Persönlichkeit war nichts weniger als sympathisch. Es war ein großer, magerer Mann mit tiefliegenden Augen und dünnen Appen, der ungefähr vierzig Jahre alt zu sein schien. Er verneigte sich, als er die Stufen des Pavillons erstiegen hatte, tief vor der Gemahlin seines Prinzipals und überreichte dann letzterem Hut und Stock. (Forts, folgt.) -