93.

Amis- und Anzeigeblalt für den Bezirk (Lalw.

69. Jahrgang

<^rfcheittt Dienstag, Donnerckrag und SarnstaA. Die EinrückungSgedÄhr betrLgt im Bezirk und nächster Um­gebung 9 Pfß. di« sonst 18 Psg.

Samstag, den 11. August 1894.

ilb-nnemniUprei» «irrleljährltch in der Elast »o Pig. »»s »S Psg. LrSgerlohn, durch die Post bezogen Stk. l. lb, sonst t» ,»n, WÜMemberg Nr. 1 . Sb.

Tagesneuigkeiten.

Calw, 10. Aug. Gestern vermißte ein hies. Einwohner einen 100 -^-Schein. Er ließ den Ver­lust durch Ausschellen bekannt machen. Als er Abends seine Rohrstiefel auszog fiel ihm das gesuchte Papier in die Hände. Der Schein war von ihm statt in die Westentasche in das Hosenpreis gesteckt worden. In Stammheim wurde am Montag abend der Wirt Kober, der zu Hause alles kurz und klein geschlagen hatte, in den Ortsarrest gebracht und ihm dort die Zwangsjacke angezogen. Am andern Morgen fand man ihn tot im Arrest.

In Unterreichenbach wurden in der Nacht vom 8. auf S. Aug. 3 freche Einbruch- diebstähle verübt. Sowohl im Laden des Kauf­manns Beutler als auch in dem der Witwe Küster er wurde die Ladenkaffe erbrochen. Zum Glück enthielt dieselbe in beiden Fällen nur einige Mark. Im Laden des Metzgermeisters Weinmüller widerstand die Ladenkaffe den Diebsgelüsten, weshalb die Einbrecher sich mit Wurstwaren begnügten. Als vermutliche Thäter werden zwei Männer und eine Frauensperson bezeichnet, welche sich tagszuvor dort herumgeirieben haben. Eine Suche nach denselben in Pforzheim war von keinem Erfolg.

T Wildbad, S. Aug. Am 6. Aug. quar­tierte sich der auf einer Tour begriffene stuck, msck. R. W. aus Stuttgart (auf der Universität Straß­burg) im Gasthaus zum Lamm hier ein. Am 7. setzte er nach dem Mittagessen seine Tour nach Teinach fort, traf aber dort nicht ein. Abends wurde er von Holzmachern im Gütersbachthale bei dem Wasserfall tot aufgefunden. In der Nähe lag sein Sommer­überzieher, in demselben steckte ein geladener 6läufiger

Revolver in voller Sicherung, nicht weit davon Scherben eines Fläschchens. Gestern Morgen traf eine Gerichtskommission von Neuenbürg und Abends der Staatsanwalt von Tübingen hier ein. Wie man hört soll das Fläschchen Gift enthalten haben. Die Uhr und 60 ^ in Gold fanden sich in den Kleidern des Toten vor. Die Wildbader Kronik will wissen, daß der Arzt als Todesursache Hitzschlag konstatiert habe. Die Untersuchung dürfte bald Licht in das Dunkel bringen.

Markgröningen, 8. Aug. Von einem Akt roher Brutalität, der sich am vergangenen Sonn­tag abend auf freiem Felde bei dringenden Ernte­arbeiten ereignete, ist zu berichten. Beim Garben­führen gerieten die ledigen Bauern Fr. Raff und Herrn. Raff auf der Möglinger Straße mit dem Gemeinderat K. Walker und dessen Sohn zusammen; einem kurzen heftigen Wortwechsel folgten Thätlichkeiten, und der junge Walker erhielt einen Messerstich in den Oberschenkel, so daß derselbe bewußtlos zusammen­stürzte und schwer verletzt mit dem Wagen nach Hause gebracht werden mußte. Der Thäter, der 25 Jahre alte Bauer Hermann Raff wurde noch am nämlichen Abend auf dem Felde durch den Landjäger verhaftet und ans Amtsgericht Ludwigsburg eingeliefert.

Gmünd, 6. Aug. Dem heutigen Viehmarkt wurden zugeführt: 31 Paar Ochsen und Zugstiere, 332 Stück Kühe und Rinder, 57 Stück Saug- und Einstellschweine. Der Markt war wegen der gegen­wärtigen Getreideernte ziemlich schwach befahren, da­gegen von vielen auswärtigen Händlern besucht und ging der Handel mit erhöhten Preisen lebhaft von statten. Für 1 Paar fette Ochsen wurde bezahlt: ^ 800900, für 1 Paar geringere Ochsen 400700, für 1 bessere Kuh 300370, für 1 geringere Kuh

100200, für 1 Kalbel 100-250, für 1 Stück geringeres Vieh 80120, für 1 Paar Saug- und Einstellschweine 4856.

Mengen, 8. Aug. Einen recht hübschen Erlös erzielte dieser Tage der bestrenommierte Vieh» züchter Gerber PH. Hepp hier. Derselbe verkauft« zwei zweijährige, trächtige Kalbeln um die Summ« von 2300

Munderkingen,6. Aug. DerOberschwäb. Anz." meldet: Die hochbetagte Frau Sofie Schmid. Mutter des verstorbenen Staatsministers v. Schmid. ist gestern vormittag 11 Uhr im 85. Lebensjahre an Altersschwäche gestorben. Die Verewigte erfreute sich bis in ihr hohes Alter völliger Geistesklarheit.

Michelfeld, OA. Hall. Von dem Holz» Hauer Müller von Bubenorbis wurde am Samstag im Beisein des Forstwarts Göltenboth in dem Spital» wald ein Fund gemacht, bestehend in Kirchengeräten: Monstranz, Kelchen, Kreuz, Weihrauchkeffel. Auf letzterem ist der Name des Ciseleurs L. Frölich ein» graviert. Auch eine Krone, vielleicht von einem Marienbild stammend, ist dabei. Die gefundenen Geräte, die mit Edelsteinen besetzt sind, 10 an der Zahl, haben ein Gewicht von ca. 9 Pfd. Da der Fund nur oberflächlich von Erde bedeckt war, ist an» zunehmen, daß er erst vor kurzer Zeit dort verborge» wurde und von einem Kirchenraub stammt.

Aus dem Oberamt Hall. In einem auf der Hochebene des Bezirks gelegenen Ort werden der­zeit zwei junge Eichhörnchen von einer Katze ernährt und aufgezogen. Knaben fanden sie im Wald und brachten sie zur Hauskatze. In sorgfältigster Weis« ernährt die Katze ihre Pflegebefohlenen. Munter springen sie der Pflegemutter entgegen, diese beleckt

^ E 14 j l. l.6 f O 14. ^Nachdruck »rrb°tkn->

Wom Wccurne der Erkenntnis.

Roman von Georg Hoecker.

(Fortsetzung.)

Aber noch mehr durchzuckte das überhitzte Gehirn des jungen Weibes, während dieses in bänglicher Erwartung neben dem Lager des Gatten saß.

War denn solch große, unüberbrückbare Kluft zwischen ihrem Seelenleben vom verwichencn Nachmittag und dieser bangen Stunde, daß sie nun sich selbst nicht mehr begriff, nimmer sich nachfühlen konnte, was doch mit solch verheerender Leiden­schaftlichkeit sie vor Stunden noch zu bewegen gewußt hatte? Ihr war's nun plötz­lich, as ob sie schamrot werden müsse. Was reizte sie an diesem Adam denn? Wohl er war ein hübscher junger Kerl und sie ein sauberes, lebensfrohes Weib; aber was band sie sonst an den Burschen, der so plötzlich in ihr Leben herein­geschneit gekommen war und von ihrem Werden kam etwas hatte wissen wollen. War's nicht ungleich mehr, was ihr der Gatte zu bieten hatte, dem sie so unwert bisher gewesen war. Und dann: ihre Pflicht! Hilf Gott, sie wollte nimmer zum zweiten Male vor ihrem Kinde erröten müssen; mehr noch, sie wollte diesem in Zukunft eine bessere Mutter sein und ihm lehren, was sie bisher versäumt hatte: den guten Vater ehren und lieben!

Da war's d r jungen Frau, als ob das Zimmer sich in einen schattenspen- denden und doch sonnenbeschienenen Garten verwandelte; in diesem sah sie sich selbst und ihr Kind, ihr treuer Mann stand ihr zur Seite, alt und gebrechlich zwar, aber mit seinem goldgetreuen Herzen. War sie nicht beglückt und reich, in diesem fruchtspendenden Lebensgarten wandeln zu dürfen, vereint mit einem Kinde, das sie zärtlich liebte, beschirmt von einem Manne, der sie wahrhaft lieb hatte? Was sie für Schicksalsdrang in den Stunden der Versuchung gehalten hatte, war nichts ge­

wesen als das selbstsüchtige Verlangen ihres kindisch begehrenden Herzens, jener uralte Evasdrang der sich dem Menschengeschlecht« zu seinem Verderb mrtgeteilt hat, sich selbst an den Freuden des Paradieses nicht genügen zu lassen, sondern nimmer zu ruhen, bis vom verbotenen Erkenntaisbaume die Frucht geraubt und verkostet worden «st. Wie ein Kind mit übersättigem Magen gleichwohl noch nach neuem Kuchen weint und jammert, wenns andere noch nnt vollen Backen schmausen sieht, so war ihr's auch gegangen, nur mit dem Unterschiede, daß das Schicksal keine gütig« nachsichtige Mutter ist, sondern ehern züchtigt. Nach einem Glücke tastend, das nur ihre Einbildungskraft ihr so begehrenswert ausgemalt, hatte sie eS glücklich so weit gebracht, ihr festgezimmert Heim niederzureißen, den Frieden zu zerstören, der sie bis dahin geschirmt.

Da hielt's die junge Frau plötzlich nicht mehr. Die heißen Zähren rannen ihr über die Wangen, ein wehes Schluchzen brach über ihre Lippen und die Hände zusammenfaltend sank sie auf die Kmee nieder.

Nun vermochte sie plötzlich Gebetsworte zu stammeln, einen unverbiüchlichen Eidschwur zu uni'rcs Herrgotts Ohr hinauszusenden: anders und besser fortan sei» und das thun zu wollen, was der Inbegriff menschlicher Vollkommenheit ist: ihr« Pflicht. Nicht jene laue Beamtenpflicht, die sich zufrieden aiebt, wenn sie ein kärglich Tagewerk abgehaspelt bat; jene Pflicht, welche Liebe und Treue in sich vereint, di« mmmer Ruhe und Rast kennt, weil sie das einzig und wahrhaftig Göttliche ist, jener Promctheussunke, der dem irrenden und strauchelnden Menschen den schmalen, dornen­reichen Pfad durchs Leben erhellt!

Das Röcheln des Kranken wmde ein immer bedrohlicheres und die Erstickung«» ansälle mehrten sich. Mit Schauder nahm es Eva wahr, wie sich des Manne« Hinterkopf immer tiefer in die Kiffen bohrte und seine Atemzüge immer unregel­mäßiger und undeutlicher wurden.

(Fortsetzung folgt.)