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t>eS Generalleutnants v. Freystett und Mutter des Hofmarschalls des Erbgroßherzogs, hat hier die leb­hafteste Teilnahme erregt. Wie erzählt wird, ereignete sich das Unglück dadurch, daß, als die alte Dame aus dem Aufzug des Gasthofs ausstieg, die Schleppe ihres Kleides sich im Aufzug festhakte, während Frau v. Freystett sich mit einer anderen Dame unterhielt. Bei der Weiterbewegung des Aufzugs erfolgte sodann der Sturz in das untere Stockwerk.

Karlsruhe, 11. Juni. Auf der hiesigen Messe produziert sich gegenwärtig ein Athlet. Tausend Mark demjenigen, der mich wirft!" ruft der Held von Beruf täglich in allen Tonarten hinaus auf den Markt undkeiner wagt's" ist sein stilles Denken. Doch da naht mit Riesenschritten eines Abends eine Hüne von Gestalt, prüfend betrachtete er sein Ebenbild, überlegt's, wagt's und gewinnt's! Hinter den Koulifsen wollte er dann feine redlich verdienten 1000 ^ erheben, allein der Besiegte hat nichts und bot dem Sieger 1 Proz. des ausbedungenen Preises 10 Der Sieger aber ging auf diesen Handel nicht ein, sondern zeigte den zahlungs- und muskelschwachen Herkules beim Bezirksamt wegen Betrugs an.

Mannheim, 11. Juni. Großes Unglück brachte das jüngste Gewitter der Familie Ullrich im Dorfe Dörrenbach (Pfalz). Der Familienvater, im Felde mit Pflügen beschäftigt, wurde nämlich samt einer Kuh vom Blitze erschlagen. Der Sohn, der nur einige Meter davon entfernt war, wurde nur betäubt und konnte sich bald wieder erholen. Der Erschlagene, der den Hals des Tieres krampfhaft umschlungen hatte, bot mit verkohlten und in Fetzen vom Körper hängenden Kleidern einen schrecklichen Anblick. Der unglücklichen Witwe mit 8 Waisen wird allgemeines Mitleid entgegengebracht.

Halle a. Saale, 11. Juni. Abermals ist hier ein Lustmord verübt worden. Auf der Feldflur von Beesen wurde die Arbeiterfrau Becker ermordet gefunden und in der gleichen Weise verstümmelt, wie die vor kurzem getöteten beiden Frauen. Anscheinend derselbe Verbrecher überfiel ferner die Kastellanfrau der Volksschule in der Liebenauerstraße in der Woh­nung. Er hat die Frau und die kranke Tochter furchtbar mit Beilhieben zugerichtet.

Leipzig, 11. Juni. Das Reichsgericht ver­warf die Revision des Eisenbahnschaffners Schuldt, sowie der sechzehn Viehhändler im Hamburger Fahr­kartenschwindelprozeß vom Dezember vorigen Hahres.

Hamburg, 10. Juni. Zwei gefährliche Noten­fälscher, denen man schon lange auf der Spur war, wurden heute in ihrer Werkstatt mitten in ihrem Treiben überrascht. Hier und auswärts, namentlich in England und Amerika, kamen in jüngster Zeit viele sehr geschickt nachgeahmte englische 5 Lstr.-Noten und amerikanische 5 Dollarnoten im Verkehr vor, ohne daß es gelingen wollte, ihren Ursprung zu entdecken.

Endlich leiteten die Spuren hieher und heute wurden die Falschmünzer dingfest gemacht. ES sind ein Litho­graph, der die Scheine herstellte, und ein Kaufmann, der sie vertrieb, beide in der Osterstraße in Eims­büttel wohnhaft. Bei dem Lithographen, der zu den angesehensten Persönlichkeiten im Vororte Eimsbüttel gehörte und dort Hausbesitzer war, wurden Pressen, Lithographieplatten, Zeichnungen, Farbe u. s. w. und in beider Wohnungen Stöße von brillant ausgeführten Noten, deren nomineller Wert sich auf mehrere Mil­lionen Mark beziffert, vorgefunden. Ein guter Fang, namentlich auch für die Beamten, da die Ver. Staaten eine Belohnung von 120,000 ^ auf die Ergreifung der Thäter ausgeschrieben haben.

Berlin, 10. Juni. Der kugelsichere Panzer im vorigen Jahrhundert. In den I>ettre8 blstoriguss, xolitiguos kt eritigues, London 1788, findet sich Band 1, Seite 107, folgende aus Ver­sailles, 2. Mai, mitgetheilte Erzählung: Vor unge­fähr vier Monaten erhielt ein hiesiger Einwohner den Auftrag, einen Panzer von eigentümlicher Art an­fertigen zu lassen. Er sollte aus 100 Lagen Taffet, eine auf die andere genäht, hergestellt werden und die Probe vor jedem Schuß halten (die Kanone selbst­verständlich ausgenommen). Man machte mehrere Versuche, die vollständig gelangen: man schoß mit der Pistole, mit dem Karabiner, mit dem Gewehr auf die gewöhnlichen Entfernungen, und keine Kugel konnte den Panzer durchdringen. Da die Proben öffentlich gemacht wurden, war man neugierig, zu erfahren, für wen der Panzer bestimmt sei. Derjenige, der den Auftrag erhalten und dem kein Stillschweigen auf­erlegt worden war, sagte, er glaube, er sei für den König von Preußen oder einen seiner Generale.

Berlin, 11. Juni. Der Kaiser hat gestern Abend den Staatssekretär v. Marschall zu längerem Vortrage empfangen. Gegenstand des Vortrages soll das Abkommen Englands mit dem Congostaat ge­wesen sein.

Berlin, 11. Juni. Die Berl. N. Nachr. melden über die Disziplinaruntersuchung gegen den Kanzler Leist: Obwohl dieselbe nur langsam fortschreite, stehe bereits fest, daß seit längerer Zeit in Kamerun unhaltbare Zustände herrschten, die dem auswärtigen Amt aus Berichten des Leutnants Hering bekannt gewesen seien, die den Aufstand der Dahomey- Leute vorhergesagt hätten.

Berlin, 11. Juni. Nach Mitteilung einer hiesigen Korrespondenz darf als sicher betrachtet wer­den, daß in der nächsten Reichstagssession die Reichs­finanzreform nicht wieder zur Verhandlung gelangt. DasBerl. Tagebl." erfährt hierzu, die Weinsteuer werde jedenfalls nicht wiederkommen, Miquel halte jedoch an der Tabaksteuervorlage fest. In welcher Form die letztere wieder eingebracht werden solle, stehe noch nicht fest.

Berlin, 12. Juni. Die Voss. Ztg. wendet sich in einem Leitartikeldie Uneinigkeit der Regier­

ung" betitelt, gegen Minister Miquel, welcher den, Bund der Landwirte betreffs des Spiritusmonopols,, und durch Sicherung hohe» Liebesgaben und aus» giebiger Renten Entgegenkommen zeige. Es frage sich, ob Miquel die Zustimmung der Reichsregierung besitze oder ob er Sonderpolitik verfolge. Jedenfalls sei er mit der Haltung der Reichsverwaltung un» zufrieden.

Berlin, 12. Juni. Die Eröffnung des Testaments Emin Pascha' s fand vor dem Konsulats» Gericht in Sansibar statt. Das Testament befindet sich auf dem Wege nach Deutschland. Wie dar Berl. Tagebl. erfährt, will Emms erste Frau die Giltig­keit des Testaments anfechtrn und Feridas Erbteil streitig machen.

Antwerpen, 11. Juni. Während der Uebungen englischer und anderer fremder Feuerwehren. stürzte heute Nachmittag auf dem St. Johannplatze eine Zuschauertribüne ein und begrub zahlreiche Per­sonen unter sich. Während der Rettungsarbeiten stürzte eine zweite Tribüne zusammen. Die Panik / war unbeschreiblich. Die Zahl der Opfer ist bisher noch unbekannt, jedenfalls aber bedeutend.

Antwerpen, 11. Juni. Der Organisations» auSschuß der Weltausstellung hat beschlossen,, von allen Ausstellern, welche in der Ausstellung ver» kaufen, 300 Franken Taxe zu erheben. Da diese einheitliche Taxe von den kleinen Verkäufern als un» gerecht, von allen Verkäufern jedoch als zu hoch an­gesehen wird, so ist gestern beschlossen worden, alle Verkaufsbuden zu schließen, falls die Taxe nicht ver» mindert würde.

Paris, 11. Juni. Aus Anlaß des Todes des Sultans von Marokko erhielt ein Schiff des französischen Mittelmeergeschwaders den Befehl, in die Gewässer von Mer-el-Kebir abzugehen.

Madrid, 12. Juni. Das Gerücht von der Vergiftung des Sultans von Marokko ist bisher noch unbestätigt.

London, 11. Juni. Die Daily News schreibt bezüglich des Zwischenfalls in Siam (ein Mandarin wurde wegen Ermordung des französischen Inspektors Grosquerin verfolgt und rettete sich auf einen siamesischen Dampfer), die Angelegenheit gehe Eng­land nichts an. Frankreich halte die Hafenstadt^ Phantaboom so lange besetzt, bis der Mandarin ausgeliefert werde.

London, 13. Juni. Aus Hongkong wirk» gemeldet, daß dort die Hälfte der Bevölkerung, etwa 100,000 Personen, die Stadt verlassen habe, da die Pest schrecklich wüte und täglich gegen 100 Opfer fordere. Verschiedene Europäer sind erkrankt, einer gestorben.

New-Jork, 11. Juni. Im Kohlenrevier Omaha hat die Polizei mehrere Anarchisten ver­haftet, die Gebäude in die Luft zu sprengen ver«

aber nicht Schemel umgaben ihn nach der Ortssitte, sondern Rohrstühle mit hohen Lehnen umstanden den Tisch.

Auf einem der Stühle saß ein Knabe, ebenfalls halb städtisch mit einem Sammetkittel bekleidet. Der blickte kaum beim Eintritt Adams auf, sondern be­schäftigte sich mit einer Schiefertafel, die er vor sich auf dem Tische liegen hatte und mit einem Holzgriffel wacker bearbeitete. Es war ein hübsches, aufgewegteS Kind, der Mutter nach geartet; schwarze Löckchen fielen in die weiße Stirn, die Augen blickten tiefdunkel, aber sanfter und ruhiger, wie die der Tölzbacherin.

Dir Magd hatte die Thür hinter Adam geschloffen; dieser war mit dem Knaben allein im Zimmer. Von draußen drang durch die festverwahrten Fenster­läden das dumpfe Donnergrollen; im Raume selbst tickte eine mächtige Standuhr.

Sonst war alles still-und diese« Schweigen legte sich Adam beklemmend auf

die Brust. Das war so ganz anders, wie in der Sägmühle; ihm fehlte ordentlich in diesem Augenblicke das dröhnende, herzliche Lachen Stichlings» die ganze herzliche Art und Weise der biederen, wohlmeinenden Leute.

Unschlüssig drehte Adam den Hut zwischen den Händen; am liebsten wäre er wieder gegangen. Ein Groll stieg in seinem Herzen auf; er wußte selbst nicht, worüber eigentlich.

Dann schaute der Knabe plötzlich von seiner Schiefertafel auf.

Du, komm 'mal her!' sagte er und blickte den neben der Thür stehen Ge­bliebenen mit großen Augen an.

WaS soll's?" frug Adam in wenig freundlichem Tone, ohne sich von der Stelle zu rühren.Erst diet' mir die Zeit, wie'S Brauch ist. Hast'S nicht von mir vorhin gehört?"

Du bist doch der neue Oberknecht?" frug der Knabe verwundert darauf.

Der bin ich freilich."

Und ich bin Willi Tölzbacher!" sagte das kaum vierjährige Kind mit viel Selbstbewußtsein in Haltung und Miene.

Deswegen ist man doch artig und bietet die Zeit!" sagte Adam; er ging aber doch näher an das Kind heran und bot diesem die Hand.

Willi schaute ihn verständnißlos und wie in ansteigendem Trotze an. Aber er gab ihm keine Hand.

Kannst Du ein Pferd zeichnen?" frug er mit feiner Stimme; seine Sprache war dabei gänzlich dialektfrei.

Nun mußte Adam lächeln.Ich denke wohl," sagte er und setzte sich neben das Kind, da« kraus», sich wirr kreuzende Linien auf die Tafel gemalt hatte.Aber ich hab's nur mit artigen Kindern gem zu thun, das merk' Dir . . jetzt gi«b mir 'mal erst eine Hand!"

Der Knabe sah ihm trotzig in die Augen; dann aber legte er rasch die zier» liche Rechte in Adams Hand.

.Nun mal' mir aber auch ein Pferd!" begehrte er ungeduldig.

Andächtig verfolgte er dann den Zeichenstift in Adams Hand; dieser war ein leidlicher Zeichner und eS gelang ihm darum, die Zufriedenheit seines kleinen Auf­traggebers zu erwerben.

Wie geht'S Deinem Vater?" frug er während des Malen-.Ist schon ein Arzt im Haus gewesen?"

Weiß nicht!" sagte Willi kurz darauf.

Erstaunt blickte ihn Adam von der Teste an. War eS möglich, baß sich wirklich so viel herzlose Gleichgiltigkeit hinter der so anziehend erscheinenden Gestalt de- KindrS verbarg? Unwillkürlich mußt« Adam an den verflossenen Nachmittag denken; ihn schauerte es noch, wenn er die selbstbewußte, kühle und gefaßte Haltung der Mutter des KnabenS überdachte.

Du weißt doch, daß Dein armer Vater gestürzt ist?" frug Adam darauf. Du hast ihn doch lieb?"

Das Kind schaute ihn nur verständnißlos an; eS war, als ob solche Frage, ihm noch niemals gestellt worden sei. (Forts, folgt.)