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man ihr, wenn auch erst nach einigem Mißtrauen Glauben schenkte, umsomehr als kurz nachher der Oberpräsidcnt vorsprach und die Angaben bestätigte. Der betreffende Urheber derMeldung" hatte sich mit einem Wagen nämlich sofort zum Oberpräsidenten be­geben und dort, in dessen Abwesenheit die gleiche Nach­richt hinterlaffen. Außerdem suchte er noch den Oberst des 13. Feldartillerieregiments auf, dessen Tochter, ebenfalls in Abwesenheit des Vaters, mit derselben Erklärung überrascht wurde. Inzwischen war auf dem Drahtwege in Köln angefragt worden, ob dort etwas von der Ankunft des Kaisers bekannt sei. Die Ant­wort fiel natürlich verneinend aus. Diese Anfrage verursachte jedoch eine gewisse Unruhe, die erst durch eine zweite Nachricht wieder beseitigt wurde. Schließ­lich stellte sich heraus, daß man es mit einem geistes­gestörten Menschen zu thun hatte, der sich nachher für den Herzog von Coburg ausgab und dadurch auf­fiel, daß er eine wertvolle goldene Uhr für 20 -rZ verkaufen wollte. Es ist anzunehmen, daß er früher in irgendwelchen Beziehungen zum Militär oder viel­leicht auch zu einem Hofe gestanden hat, die ihn auf seine eigentümlichen Pläne brachte.

Prag, 2. Mai. In der vergangenen Nacht entdeckte eine Polizeipatrouille an einem Fenster des ehemals Trautmannsdorf'schen, jetzt Hohenloheschen Palais eine mit Pulver und noch zu analysirenden, chemischen Präparaten gefüllte Bombe, welche recht­zeitig unschädlich gemacht wurde.

Graz, 2. Mai. Die feiernden Arbeiter zogen abends mit Standarte durch die Straßen. Die Poli­zei forderte die Entfernung der Standarte, die Ar­beiter bewarfen die Polizei mit Steinen, diese gebrauchte die Waffe, mehrere Exzedenten wurden verwundet, 10 Polizisten sind durch Steinwürfe verletzt. Das requirierte Militär zerstreute die Menge, 33 Personen find verhaftet.

Graz. Acht Mitglieder des Vereins zur Höhlenerforschung in Steiermark, darunter der Obmann Fasching, begaben sich Samstag zu den bekannten Höhlen Lugloch bei Semriach, um dieselben zu durchforschen. Sie kamen um 12 Uhr nachts am Lugloch an und machten sich am Morgen auf den Marsch durch die Höhle, das Lugloch hat zwei Eingänge, in jedem derselben fließt ein Bächlein. Etwa 70 Meter Himer den Eingängen verbinden sich die beiden Wasser und bilden einen Tümpel; gleich darauf fließt der Bach durch eine Verengung, welche man passieren muß, wenn man in die obere Höhle gelangen will. Die Passage ist so niedrig, daß man durch den Bach nach vorwärts kriechen muß; Hals und Kopf bleiben über dem Wasser, doch berührt man mit dem Kopfe die Decke der Wölbung. Die Höhlenforscher passierten diesen Teil der Höhle anstandslos und krochen durch den Kamin in die obere Höhle. Während sie in derselben weilten, stieg infolge des anhaltenden Regens das Wasser so hoch, daß ihnen der Rückweg abge­schnitten ist. Die Eingeschlossenen befinden sich in einer ernsten Situation, doch besteht vorläufig eine direkte Lebensgefahr für dieselben nicht, da die Höhle im Innern stark ansteigt und das Wasser in die Seitenräume nicht eindringen kann; der Luftzutritt ist durch Kamine ermöglicht. Die Leute haben jedoch nur wenig Proviant mitgenommen und eine Kom­munikation mit ihnen ist nicht möglich. Die Feuer­wehr von Semriach versuchte es, den Zufluß des Wassers vor der Höhle abzuleiten, und auf tele­graphisches Ansuchen von Semriach hat sich eine Ab­teilung der Grazer freiwilligen Feuerwehr zur Hilfe­leistung dahin begeben. Der Beamte hat die Er­richtung von Dämmen zur Ableitung des Wassers untersagt, da durch ein Reißen der Dämme die Gefahr noch bedeutend vergrößert würde. Es sollen unter Leitung der Bergverwalters Setz vom Märkisch­westfälischen Zentral - Verein in Deutsch-Feistritz Sprengungen vorgenommen werden. Nach Aus­sage von Sachverständigen dürsten mehrere Tage ver­gehen, bis diese Sprengungen vollführt werden. Außerdem besteht die Gefahr, daß durch die Spren­gungen die Höhle einstürzt.

Graz, 4. Mai. Obgleich die Rettungsarbeiten günstig fortschreiten und eine Ableitung des Wassers gelungen ist, ist es bisher unmöglich gewesen, die in der Lugloch-Höhle eingeschlossenen Höhlenforscher zu erreichen. Ob die Eingeschlossenen noch leben, wird immer zweifelhafter, da der Proviant jedenfalls auf« gezehrt ist. Außerdem ist dir Höhle sehr kalt und die Wände derselben gewöhnlich mit Eis bedeckt.

Paris, 1. Mai. Das wahnwizige freche Selbstbewußtsein, mit dem der Anarchist Henry das Gericht und die Ordnung während seiner Aburteil­ung noch verhöhnte, hat natürlich in jenen Kreisen der Pariser Presse, denen die Sensation die oberste Gottheit bleibt, seines Eindrucks nicht verfehlt. Der­gleichen nennt man dort Heroismus. Es gehört gar nicht viel Seelenkenntnis dazu, um zu begreifen, daß die einfache Erklärung solcher Theaterposen in der Neigung begründet ist, ein armseliges verlottertes Da­sein mit bengalischer Beleuchtung und möglichst lauten Knalleffekten zu beschließen. Der Gewinn, im Munde von tont karib zu sein, reizt ein verwüstetes Gehirn lebhaft genug und wenn man sich einmal daran ge­wöhnen könnte, das Ende solcher Gesellen lautlos den Gerichten zu überlassen, nichts über sie zu drucken und zu sprechen, die statistischen Erfolge würden zweifellos für ein solches Verfahren sprechen.

Paris, 2. Mai. Die Meldung, daß Prinz Heinrich von Preußen während seiner An­wesenheit in Petersburg wegen einer Begegnung des Czaren mit Kaiser Wilhelm unterhandeln soll, hat in Paris eine allgemeine Bestürzung hervorge­rufen, besonders da dasJournal des Debats" einige Stunden vor Eintreffen dieser Nachricht einen schwungvollen Artikel über die eventuelle Solidarität Frankreichs und Rußlands veröffentlicht hatte.

Paris, 2. Mai. Nur ein geringer Teil der Pariser Arbeiterschaft hat gestern gefeiert. Die Stadt trug während des ganzen Tages ihr gewöhnliches Aus­sehen. Auch in der Provinz ist alles ziemlich ruhig verlaufen. In den meisten Kohlenbezirken des Pas- de-Calais wurde gearbeitet. Desgleichen wurde in Lille überall gearbeitet.

Dermischtes.

Wissentlicher Verkauf krankerTiere und verdorbenen Fleisches. Zur Warnung vor dem mit Strafe bedrohten wissentlichen Verkauf kranker Tiere, deren Fleisch gesundheitsgefährlich ist, an Fleischer, dient folgender vomLandwirt" mitge­teilte Fall: Zwei schlesische Bauerngutsbesitzer, in deren Gehöft die Maul- und Klauenseuche geherrscht, hatten, nachdem der Tierarzt die Seuche für erloschen erklärt und die Aufhebung der Gehöftssperre bean­tragt hatte, einige Kühe an einen Fleischermeister verkauft. Beim Schlachten ergab sich, daß die Tiere an einer Folgekrankheit der Seuche gelitten hatten, das Fleisch war unansehnlich, ging sofort in Ver­wesung über und wurde als gesundheitsschädlich von einem Tierarzt beschlagnahmt. Wegen Vergehens gegen das Nahrungsmittelgesetz hatte sich der Schläch­ter und der eine der Landwirte vor der Strafkammer in Breslau zu verantworten; ersterer wurde wegen wissentlichen Verkaufs verdorbener Nahrungsmittel zu 6 Monaten Gefängnis, letzterer wegen fahrlässigen Verkaufs zu 100 ^ Geldstrafe verurteilt. Daß beide Angeklagte den Zustand der Tiere gekannt haben mußten, schloß das Gericht aus dem auffallend bil­ligen Verkaufspreis 150 für 3 Kühe und aus dem üblen Aussehen des Fleisches, das dem Schlächter doch unmöglich entgangen sein kann.

Wenig bekannt in Volkskreisen ist es, daß die Ausgabe eines falschen Geldstückes, von dem man weiß, daß es nachgcmacht ist, ein Müuzverbrechen in­volviert, welches vor dem Schwurgericht gesühnt wird. Ein junger Arbeiter, der ein gefundenes falsches 10-Markstück einer Krämerin in Zahlung gab, er­hielt dieserhalb vom Schwurgericht zwei Monate Ge­fängnis.

Der höchste und schönste Kirchturm der Erde.

Mit dem hohen EhrentitelDer Turm der Türme" bezeichnet der verstarb. Kunsthistoriker W. Lübke den Ulmer Münsterturm wegen seiner ver­schwenderischen Dekoration und seines herrlichen Zu­sammengehens nach oben. Pflanzenartig schießt er auf, kräftig und schlank; als eine wundervolle, reich ent­faltete Krone erscheint der Abschluß in dem unver­gleichlichen Helme. Das Verhältnis der Teile ist von wirksamster Abstufung: Viereck vom Fuß bis zur Plattform, wo das Meisterzeichen Böblingers und die Jahreszahl 1494 noch erhalten ist, 70 w, Achteck 38 w, Pyramide 59 m, zusammen 161 m, 5m höher als die Kölner Türme. Es wird weithin die Nachricht als eine Freudenbotschaft wiederhallen, daß der Zu­gang zur Besteigung dieses höchsten Kirchturms der Erde eröffnet und vom 1. Mai ab für Fremde und Einheimische freigegeben ist.

Die Wanderung auf die Ulmer Turmspitze ge­

hört zu den bequemsten und sichersten dieser Art und ist jedenfalls die interessanteste aller. Sie führt vom Kirchenboden auf 389 Stufen zu der Vierecksplatt­form, auf welcher schon seit 4 Jahrhunderten Tau­sende gestanden sind, unter ihnen Kaiser Maximilian II. und der Dichter Fr. Dan. Schubart. Auch allen Ulmern ist diese Stätte wohl in Erinnerung. Von hier an beginnt das Neue. Wir treten in das Sockel­stockwerk des Achtecks mit freiem Durchgang und finden rechts einen Vorratsraum, links 3 hübsch hergerichtete, vertäferte Zimmer, in welche nun die Turmwächter ihren seitherigen Wohnsitz im südlichen Chorturm ver­legen werden. Auf 167 Stufen der Nordost-Wendel­treppe, deren Fenster den Blick in die hohe Halle des Achtecks freilaffen, erfolgt der Aufstieg zur Achtecks­plattform, wo der Rundgang schon eine imposante Schau nach allen Seiten gewährt, insbesondere aber abwärts auf die Chortürme, den Rücken des Daches und die Strebepfeiler.

Aber mit höchstem Staunen wendet sich der Blick von dieser Stelle gegen den Jnnenraum des Helms. Denn dieser ist nicht, wie sonst überall, leer und kahl sondern gleicht einer herrlichen hohen Halle, deren Boden 102 m über der Erde gelegen ist. In außerordentlicher Kühnheit der Konstruktion steigt mitten in dieser Halle, auf 8 Tragebogen ruhend, ein steinerner Zylinder empor und verliert sich in der verjüngten Spitze des Helms. Dieser Zylinder birgt eine Wendeltreppe. Von den Wänden desselben springen reich ornamentierte Verspannungsbögen her­über zu den Rippen der Pyramide, bestimmt, durch ihren Gegendruck den letzteren wie dem Treppen­zylinder zur Versteifung gegen die Wut des Sturms zu dienen, der hier oben gewaltig tost und drückt.

Wir gelangen vom Achteckskranz auf 19 Vor­stufen zu der Thüre der Wendeltreppe, welche der anwesende Wächter öffnet. Der Aufstieg über die 186 steinernen Stufen hat nirgendwo seinesgleichen. Durch die kleinen Fensteröffnungen des Zylinders blickt man hinaus in die sich immer mehr verengende Pyramide mit ihren dreimal acht sich übereinander türmenden Jnnenbögen und hinab aus die tief unten liegende Stadt und Gegend. Die letzte Strecke wird dunkler; die zusammenrückenden Helmrippen scheinen die kleine Treppe, auf der wir uns emporwinden zerdrücken zu wollen. Doch sie leistet sicheren Wider» stand. Endlich grüßt uns wieder das volle Tages­licht durch die kleine Pforte, der wir entsteigen. Wir befinden uns auf dem schmalen, den obersten Gipfel umgebenden Kranz, 143 m über dem Boden die höchste besteigbare Spitze eines Kirchturms, die es gibt, lieber uns haben sich die Rippen der Pyramide zu einem starken, mächtigen Stamm vereinigt, an dem die kleine untere und die größere obere Kreuzblume herauswächst, bis er 18 m über unserem Haupte im obersten Turmknopf ausläuft. Jene obere große Kreuzblume, die jetzt verhältnismäßig leicht hier oben aussieht, hat doch 3 m Durchmesser und ein Gewicht von 700 Zentner. Und wer, der dabei gewesen, er­innert sich nicht des 30. Mai 1890, wo ein kleiner Kreis von Männern dort oben auf dem riesig auf­strebenden Gerüste stand, als der Schlußstein des Turms unter dem Geläute aller Glocken langsam auf die große Kreuzblume herabgelassen und damit das- Werk gekrönt und vollendet wurde?

Die Kranzgalerie faßt nicht zu viele Personen und erfordert also eine entsprechende Verteilung der Besucher. Der Einblick in die gewundenen Straßen der Stadt, die Höfe und Hintergärtchen ihrer alten Häuser ist ein Stück Mittelalter im 19. Jahrhundert- Die Rundschau befaßt das Iller- und Donauthal, die Höhen der Alb über der Wilhelmsburg und die Verge des Blauthals, ja sie reicht noch über dieselben hin­über. An Hellen Tagen grüßen im Hintergründe die Alpen vom Säntis bis zur Zugspitze. Daß der Rückweg vom Fuß des Helms an durch andere Wendel­treppen, als der Aufstieg, genommen wird, ist eine weise Fürsorge der Bauleitung und wird dazu bei­tragen, daß kein Gedränge den Genuß der herrlichen Wanderung stört. Ehe man aber sich zum Abstieg wendet, versäume niemand, am Eingang der Treppe, die von der Höhe des Achtecks herabführt, den Blick nocheinmal an der Außenseite der Pyramide hinauf schweifen zu lassen, deren unerreichter Reichtum an schmückender Zier, Kreuzblumen, Krabben, Wimpergen­kränzen, hier in überwältigender Pracht sich offenbart.

_ (Ulm. Tagbl.)

Gottesdienste

am Sonntag Hraudi, den 6. Mai.

Vom Turm: 272. Predigtlied: 188.

9 UhrVorm.-Predigt: Herr Stadtpfarrer Schmid. 1 Uhr Christenlehre mit den Söhnen.

Montag, den 7. Mai.

9'/- Uhr Predigt zum Beginn der Diöcesan- Synode- Herr Stadtpfarrer Hornberger von Zavelstein. ^ .

Areitag, den 11. Mai.

10 Uhr Vorbereitung und Beichte: Herr Stadts- Pfarrer Schmid.