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Straßen den Weg zum Gotteshaus. Den Zug er« öffneten Mitglieder der Wildbader Kurcapelle, ihnen folgten Schüler und Schülerinnen der oberen Klaffen, der Gesangverein Höfen, der Kirchenchor von Wildbad, mehrere Geistliche im Ornat, die Bau- und Bezirksbeamten, der Kirchengemeinderat und die bürgerlichen Kollegien von Höfen und Calmbach. Die Ansprache an die versammelte Gemeinde hielt Herr Dekan Cranz von Neuenbürg, die Festpredigt der gemeinschaftl. Pfarrer von Höfen und . Calmbach, Herr Mayer, welcher auch einen Taufakt vornahm. Hienach folgte die Ansprache des Hrn.Generalsupperintendenten Prälat Dr. v. Witt ich. Den gesanglichen Teil hatte der Kirchenchor von Wildbad und der Höfener Männergesangverein übernommen. Nachmittags um 2 Uhr versammelten sich etwa 120 Festteilnehmer bei vortrefflichem Festmahl im Gasthof z. Ochsen. Zahlreiche Reden und Toaste, instrumentale und gesangliche Borträge erhöhten die Festfreude der Teilnehmer. Ueber die Ausführung des stattlichen Gotteshauses hört man nur Worte des Lobes, ebenso befriedigt die von der Firma Walker in Ludwigsburg erbaute Orgel und die von Perrot in Calw verfertigte Turmuhr. Möge die ansehnliche und einladende Kirche der Gemeinde zu reichem Segen gereichen.
Stuttgart, 27. April. In der Verfaffuygs^ kommission erklärten die Minister v. Mittnacht und Pischek, daß sie vorerst an dem Entwürfe der Regierung festhalten müßten, daß aber eine Verständigung auf Grund der Kommissionsbeschlüffe nicht ausgeschloffen sei. Einer reinen Volkskammer, wie Payer sie beantragt, könne die Regierung nicht zustimmen. Haußmann beantragte die Geheimhaltung der Kommissionsbeschlüffe aufzuheben, was angenommen wurde.
Cannstatt, 24. April. Heute wurde ein 16 Jahre alter Eisenbahnwärter und dessen Freund, ein 28 Jahre alter Schuhmachergeselle, verhaftet. Der erstere hatte sich durch Einbruchsdiebstahl in den hiesigen Güterschuppen Cigarren und Eier angeeignet und aus der Bahnhofkaffe Fahrkarten (Rundreisebillets) im Wert von über 200 ^ gestohlen. Die Fahrkarten hat er teils selbst verwendet, teils seinem Kameraden gegeben, welcher dann gemeinschaftlich mit dem Dieb Vergnügungsreisen per Bahn unternahm.
Ellwang en, 25. April. Viehmarkt. Die Zufuhr betrug nur gegen 600 Stück. Schuld daran trugen die letzten Niederschläge, wodurch die Hoffnung auf grünes Futter stieg, was den Bauern bewegt, seinen Viehstand zu halten. Gut genährte Ochsen erzielten den verlangten Preis nicht und blieben zum großen Teil unverkauft. Bezahlt wurden für dieselben pro Zentner lebendes Gewicht 31—35^; Kühe erzielten 180—350 Gut genährte Rinder fanden rasch an Metzgern und Händlern Liebhaber zum Preis von 200—300 Der Landmann hält mit dem Einkauf »och sehr zurück.
Ulm, 26. April. In der heutigen Sitzung der bürgerl. Kollegien wurde ein vor einigen Tagen
eingetroffener Erlaß des kaiserl. Festungsgouvernements veröffentlicht, nach dem die Errichtung der 32 Arbeit erwohn häuf er auf der der Stadt gehörigen unteren Bleiche ausnahmsweise ohne Revers, daß solche im Falle eines Krieges ohne Entschädigungsanspruch niedergelegt werden, genehmigt wurde. Die Kollegien beschlossen sodann, dem Festungsgouverneur, Generallieutenant v. Zingler, den Dank der Stadt für das hiebei an den Tag gelegte Entgegenkommen kund zu thun. Ein unmittelbar an den Wall zu stehen kommendes Polizei- und Steuerwachhaus wurde unter der Bedingung genehmigt, daß dasselbe sofort nach Ausbruch eines Krieges niedergelegt würde.
Saulgau, 26. April. (Freud und Leid.) Die heute hier stattgefundene Hochzeit der Tochter des früheren Bachwirts Rich. Martini sollte leider durch ein tragisches Ereignis tief gestört werden. Nach dem auf die kirchliche Feier folgenden üblichen Frühschoppen begaben sich die Schwiegereltern, das Hochzeitspaar und verschiedene Anverwandte vor dem Festesten noch in das elterliche Haus der Braut. Als nach einigen Minuten der Hochzeitsvater in das anstoßende Schlafzimmer ging, um die entbehrliche Garderobe der Anwesenden dort abzulegen, fand er seine Frau am ^Boden liegend. Der rasch herbeigerufene Arzt konnte leider nur den eingetretenen Tod der Gattin und Mutter konstatieren.
Baden-Baden, 26. April. Auf Veranlassung des Ministeriums des Innern läßt die Großh. Domänendirektion im hiesigen Quellengebiet Untersuchungen zur Aufdeckung neuer Quellen vornehmen. Augenblicklich wird auf dem Marktplatz ein 18 Meter langer Schlitz aufgegraben.
Mannheim, 26. April. In dem Konkurse Salomon Maas sollen bis jetzt 800,000 in dem Konkurse Nadenheim ca. 250000 ^ eingegangen sein. Da bei Nadenheim die Passiven etwa 330 000 betragen und die meisten Differenzen mit den Schuldem durch Vergleich beglichen sind, so wird alsbald nach dem Anfangs Mai stattfindenden Prüfungstermine eine erhebliche Quote an die Gläubiger zur Auszahlung gelangen.
Frankfurt a. M., 27. April. Als zweites Opfer der Kesselexplosion in der Henninger'schen Brauerei ist der 21 Jahre alte Kupferschmied Joh. Dröll aus Langen heute seinen Verletzungen erlegen.
Frankfurt a. M., 27. April. Die hiesigen Sozialdemokraten halten am 1. Mai Vormittags 2 und am Abend 6 Versammlungen ab.
Wilhelmshaven, 25. April. Der englische Fischdampfer Blue Jacket wurde beim Fischen auf deutschem Grunde bei Norderney betroffen, von zwei Torpedobooten hier eingeschleppt und mit Arrest belegt.
Hamburg, 27. April. Zwei Jahre von den Bewohnern einer Südsee-Jnsel gefangen gehalten worden ist ein Hamburger Seemann, der nach vier
jähriger Abwesenheit seine Vaterstadt wieder erblickte. Der Betreffende verließ, wie der „Hamb. Korr." berichtet, im Jahre 1890 mit einem nach Brasilien bestimmten Papenburger Segelschiff den hiesigen Hafen. Zwei Jahre ließ er nicht« von sich hören, bis zwei Jahre später von einem Konsulat in Brasilien bei den Angehörigen ein Schreiben einlief, demzufolge der Seemann gestorben sei. Dem Totenschein lagen eine Abrechnung der Rhederei und eine Hospitalrechnung bei. Am 13. d. M. ist der Totgeglaubte wohl und munter mit einem englischen Dampfer hier wieder angekommen. Der Mann giebt an, daß sein Schiff den Bestimmungsort nicht erreicht habe. Es wurde nach der Südsee verschlagen und strandete dort an einer der vielen Inseln. Er und ein Landsmann wurden von den Bewohnern des Eilandes gefangen genommen und zu allen möglichen Arbeiten gezwungen. Zweimal haben die beiden vergebliche Fluchtversuche gemacht; erst beim dritten Male war ihnen das Glück günstig. Der hier eingetroffene Matrose, der von den Insulanern fast am ganzen Körper mit Tätowirungen bedeckt worden ist, lebt jetzt in Moorwärder. Er hat die Schiffahrt mit der ruhigeren Landarbeit vertauscht.
Berlin, 27. April. Nach der „Nordd. Allg. Ztg." soll mit der feierlichen Einweihung des neuen Reichstagsgebäudes am l8. Oktober die durch den Kaiser zu vollziehende Schlußsteinlegung verbunden werden.
Berlin, 27. April. Nach der „Nordd. Allgem. Ztg." wird der Kaiser auch in diesem Jahre wieder eine Seefahrt nach Norwegen unternehmen und die Reise wahrscheinlich in den letzten Tagen des Juni antreten.
Berlin, 27. April. Die „Berl. Neuesten Nachr." behaupten, der Kaiser habe dem auswärtigen Amt auf das Bestimmteste seine Willensmeinung dahin kundgegeben, daß Samoa nicht preisgegeben werden dürfe.
Berlin^ 27. April. Die „Nationalztg." teilt zur Affaire des Hauptmanns (Majors?) von Seel, der in Marseille wegen Verdachts der Spionage verhaftet worden ist, mit, Seel sei schon seit einem Jahre nicht mehr Platzmajor von Bitsch, er sei inaktiv und und habe sich auf einer Erholungreise befunden. Ueber die Einzelheiten der Angelegenheit sei an hiesiger amtlicher Stelle bisher nichts bekannt.
Berlin, 28. April. Aus Athen wird von einem neuen Erdbeben gemeldet, das gestern Abend um 9'/- Uhr stattgefunden hat und 15 Sekunden dauerte. Zahlreiche Häuser sollen eingestürzt sein und auch in Athen einige Häuser Risse bekommen haben. Nähere Nachrichten fehlen noch.
Breslau, 26. April. Gestern wurde die Grafschaft Glatz von einem furchtbaren Gewitter heimgesucht. In Rückers wurde eine Frau nebst ihren zwei Töchtern vom Blitz getötet. Viele Häuser wurden in Brand gesetzt.
Stimme klang ihr selbst fremd, daß ihr fast war, als habe ein anderer statt ihrer geredet.
Über das Gesicht der Kranken flog ein glückliche« Lächeln. „Ich danke Dir, Eoy, — o. wie mich das floh macht! Und sage Eduard auch, daß ich noch seiner gedacht habe, und daß ich ihm gut gewesen sei alle Tage meines Lebens bis heute, ihm und Dir, Evy! O, wie gut war es, daß Du noch zu mir gekommen bist!"
Eveline streichelte die Wangen ihres Lieblings; sprechen konnte sie in diesem Augenblick nicht.
„Ich bin jetzt so müde," fuhr Hannchen fort, „daß ich einschlafen könnte; vorher aber — lächle nicht, Evy! — vorher möchte ich noch einmal beten, wie wir beide es als Kinder zusammen gethan haben, weißt Du noch? Ich habe seither oft versucht, wieder so zu beten, aber es kamen dann immer andere Gedanken dazwischen; jetzt, glaube ich, wird es wieder gehen. Willst Du?
Eveline nickte; sie kniete neben dem Stuhle Hannchens nieder, faltete ihre Hände, wie auch die Kranke ihre abgezehrten weißen Finger andächtig verschlungen hatte, und begann ihr die Worte vorzusprechen, in die Hannchen mit schwächerer Stimme, gleich einem Kinde, das man zum Beten anleitet, einstimmte:
„Ich bin müde, bleib bei mir.
All mein Hoffen steht zu Dir,
Daß, wenn dunkel wird die Nacht,
Über mir Dem Luge wacht.
Müden Seelen schenke Ruh,
Kranke Herzen heile Du,
Und mich selber, Vater mein,
Laß in Deinen Himmel »in!"
Die letzten Worte kamen fast tonlos von Hannchens Lippen und als Eveline schwieg und ihr ins Gesicht sah, bemerkt« sie, daß sie eingeschlafrn war.
Sie selbst blieb noch eine Weile auf ihren Knieen und blickte stumm in die bleichen Züge, denen die Krankheit ihre Lieblichkeit noch nicht geraubt hatte. Ein unendlicher Jammer erfaßte sie, und sie griff nach ihrem Herzen, als ob sie es vor dem Zerspringen schützen muffe.
ES fiel ihr endlich auf, baß die leisen Atemzüge der Kranken allmählich ganz unhörbar geworden waren; sie faßte nach Hannchens Hand; — dieselbe war eiskalt. Erschrocken sprang sie empor, tastete nach der Stirn der Kranken, horchte auf den Schlag des Herzen»: umsonst — nirgends Leben mehr. Das Antlitz war kalt wie die Hand, und wie der Atem, so stand auch das Herz still, das so viel gelitten hatte. Hannchen war tot!
Früh am andern Tage war Eveline wieder in der Stadt und trat zu ihrem Gatten in das Zimmer.
„Du wieder hier. Eveline?" rief er. „Das nenne ich aber eine freudige Überraschung !"
Sie machte ein Zeichen mit der Hand, als wollte sie etwas Überflüssiges oder gar Unangenehmes von sich abwehren, und sagt« mit trockener, harter Stimme: „Ich komme von einer Leiche: Hannchen Bauer ist gestern Abend gestorben."
Ein Wechsel ging in seinen Zügen vor, und seine Finger faßten den Rand- deS Tisches, als suche er sich zu halten.
„Die kleine Jugendfreundin?" rntgrgnete er. „Das — daS thut mir wirklich leiv; aber sie war immer zart."
Er hatte offenbar gesucht, eine gewisse Unbefangenheit in den Ton zu legen; Eveline sah ihn aber nur scharf an und sagte dann: „Gieb Dir keine Mühe, mir zu verhehlen, daß noch ein Rest von Gefühl und Gewissen in Dir schlummert, — wüßte ich doch nicht, wie es mir sonst möglich wäre, Deinen Anblick zu ertragen!"
„Aber, Eveline!" rief er, einen Schritt zurücktretend.
(Fortsetzung folgt.)
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