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wundbaren Panzer «nzulegen, in dem eS später von Sieg zu Sieg schritt? Und wie hat Fürst Bismarck seine warnende Stimme erhoben, vor dem Loki, der den Völkerfrühling durch Hödur, den Blinden und Blöden, erschlagen läßt, vor Loki, dem alten deutschen Erbfeind, der in dynastischen und konfessionellen Streitereien, in Stammesverschiedenheiten und in den Fraktionskämpfen seine Nahrung findet Diesen Loki klagt er im März 1885 an vor Gott und der Geschichte, wenn das ganze herrliche Werk unserer Nation von 66—70 wieder in Verfall gerate und durch die Feder verdorben werde, was das Schwert geschaffen.
Nachdem Fürst Bismarck den Frühling der Völker Deutschlands herbeigeführt hatte, widmete er seine unverwüstliche Kraft der Niederwerfung jenes deutschen Erbfeindes. Als ein unversöhnlicher Feind der Schlagwörtcr, mit denen die Parteien regiert werden, und des Phrasentums der Parteiführer ließ er im Reichstag in mancher heißen Stund« seine gewaltige Stimme erschallen und wie manchen Gegner ließ er mit Schimpf und Schande bedeckt auf der unblutigen Wahlstatt. Mit welch beißendem Hohn hat er nicht im Februar 1885 jenen Vorwurf abgefertigt, der Wunder etwas zu leisten glaubte, als er den Fürsten eines Widerspruchs mit seinen eigenen Auslassungen aus früherer Zeit zu überführen vermochte. „Es gibt eine Menge Leute," rief er aus, „die haben ihr ganzes Leben hindurch nur einen Gedanken und mit dem kommen sie nie in Widerspruch. Ich gehöre nicht zu denen; ich lerne vom Leben, ich lerne so lange ich lebe, ich lerne noch heute. Wenn meine Feinde im Reichstage einen Triumf darüber empfinden, daß ich nicht jeden Tag dasselbe sage, so sollte ich doch meinen, es müßte ihnen auch wieder angenehm sein: ich wenigstens empfinde es mitunter peinlich, daß meine Gegner alle Tage dasselbe sagen." So ist der Mann beschaffen, der stets mit offenem Visier kämpfte, der sein Leben verzehrte im Dienst seiner Fürsten und seiner Mitbürger, und gegen den seinen Feinden als einzige Waffe die der Verläumdung und Verdächtigung übrig blieb, besten ehrlicher und gerader Sinn aber auch in solch ungleichem Kampfe schließlich den Erfolg davon trug.
Es ist einmal behauptet worden, wenn Fürst Bismarck inkognito reisen wollte, so würde er sich Herzog von Lauenburg nennen. Fürst Bismarck reist aber nicht inkognito, und wenn er es auch wollte, so könnte er es nicht thun. Dazu hat er sich selbst sein ganzes Wesen viel zu tief mit ehernem Griffel in die Geschichte der Gegenwart, in die Herzen der Deutschen, von Freund und Feind eingegraben. Und so halten auch wir an ihm fest und freuen uns darüber, daß ihm Gott das Leben bis heute gnädig erhalten hat. Erfüllt von Liebe und Dankbarkeit rufen wir: Fürst Bismarck, der 79jährige, das lebendige Angedenken an Deutschlands größte Zeit, er lebe hoch!
Nachdem die Versammlung kräftig in das ausgebrachte Hoch eingestimmt hatte, trug Herr Rektor vr. Weizsäcker noch ein in der „Zukunft" von Max Harden veröffentlichtes, von Scherenberg auf den gestrigen Tag verfaßtes Gedicht vor, das anknüpfend daran, daß Fürst Bismarck sich als junger Offizier für eine mutige That die Lebensrettungsmedaille erworben hatte, in markigen Tönen den Dank des deutschen Volkes an seinen ersten Kanzler „für Rettung aus Gefahr" darbringt.
Calw, 2. April. JmE». Männerverein, welcher gestern Sonntag abend im Bad. Hof versammelt war, hielt Hr. Mittelschullehrer Müller einen interessanten Vortrag, der über alte und neue Forschungen auf dem Gebiete der Astronomie reiche Belehrung bot. — Am Samstag abend '/-6 Uhr erlitt der Wagenwärter Zehender aus Rottweil bei der Einfahrt des Pforzheimer Zuges eine schwere Quetschung des linken Vorfußes. Z. wurde auf hiesiger Station verbunden und mit dem Abendzug in seine Heimat verbracht.
Stuttgart. Zwei jugendliche Verbrecher wurden in einem Geschäfte der Augusten- straß» durch die Polizei festgenommen (ein Lehrling und ein Hausknecht); dieselben hatten bereits vor mehreren Wochen an einem Hause der Silberburgstraße abends einen Schaukasten mit Inhalt (Elfenbeinschnitzereien) entwendet, den Kasten zertrümmert und verbrannt und den Inhalt im Werte von mehreren Hundert Mark als gute Beute unter sich geteilt.
Heilbronn, 39. März. Der im September v. Js. seitens der hiesigen Sozialdemokraten über die Neuffer'sche Bierbrauerei verhängte Boykott fand heute vor dem Schwurgericht ein Nachspiel. Angeklagt sind: Cigarrenmacher Haller von Reinach, Holzbildhauer Otto Nowack von Königsberg, Klaviermacher Wilhelm Schäffler von Stuttgart, Bierbrauer Gottlob Kübler von Großingersheim, wohnhaft in Stuttgart, wegen eines-Vergehens der versuchten Erpressung. 19 Zeugen sind erschienen. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, daß sie durch die Boykotterklärung den Bierbrauereibesitzer Neuster haben zwingen wollen, den entlassenen Bierbrauergehilfen Burgmaier wieder anzustellen. Darin liege die Absicht, einem dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Angeklagten bestreiten diese Absicht übereinstimmend; sie erklären, die von ihnen gebildete Kommission habe nur den Zweck verfolgt, die entstandenen Differenzen beizulegen, was aber an der beleidigenden Haltung Neuffers gescheitert sei. Es habe sich lediglich um dis Wahrung des Koalitionsrechts gehandelt, jedes Bewußtsein einer strafbaren Handlung habe ihnen gefehlt. Bierbrauereibesitzer Neuster erklärte auf seinen Eid, daß die Entlastung des Burgmaier nicht wegen dessen Zugehörigkeit zum Brauerverband, von dessen Existenz er keine Kenntnis gehabt habe, sondern aus dem Grunde erfolgt sei, weil derselbe gotteslästerliche Reden geführt habe, über welche sich die Nebenarbeiter beklagten, und weil er (Neuffer) ohnedies einen Verwandten in seinem Geschäft einstellen wollte. Der als Zeuge anwesende Burgmaier giebt zu, jene Reden, welche sich ihres rohen Inhalts wegen zur Wiedergabe nicht eignen, geführt zu haben. Die Zeugenvernehmung dauerte den ganzen Nachmittag. Der Gerichtshof erkannte gegen die beiden ersteren Angeklagten auf je 1 Monat 15 Tage, gegen die beiden letzteren auf je 3 Wochen Gefängnis.
Geislingen, 29. März. Heute morgen um
9'/« Uhr schreckte die Sturmglocke die Bewohner von ihrer Thätigkeit weg. Es brannte im Magazin des Kaufm. Neubronner beim BezirkSkrankenhaus. Der Brand, durch eine Menge feuergefährlicher Stoffe überreichlich genährt, machte in wenigen Minuten so reißende Fortschritte, daß das ganze Innere ein Feuermeer bildete, bis die Feuerwehr ihre volle Thätigkeit entfalten konnte. Ein leichter Südostwind hielt die Flammen von dem in der Nähe stehenden Wohnhaus etwas ab, so daß dieses mit großer Anstrengung gerettet werden konnte. In einer Stunde war das Gebäude ein rauchender Trümmerhaufen. Ueber die Entstehung herrscht noch Dunkel.
Ebingen, 30. März. In einer der letzten Nächte wurde eins ruchlose That am Fuß des Zellerhorns, das gegenüber der Zollernburg liegt, verübt. Dort besaß nämlich der Fürst von Hohen- zollern eine herrliche junge Tannenkultur, und diese ist vollständig abgcmäht worden, so daß circa 30 000 junge Pflänzchen zu Grunde gingen.
Mün singen, 30. März. Nachdem der Gemeindepfleger Gottlieb Weidenkeller in Magols- heim wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung schon am 21. ds. von dem Amtsgericht verhaftet worden ist, ist heute auch der dortige Schultheiß Leichtle wegen derselben Verbrechen in Haft genommen worden.
Pforzheim, 1.April. Einen bedeutenden Auftrag hat die Speer'sche Sägmühle hier erhalten und ist sie bereits in der Ausführung desselben begriffen. Es handelt sich um zwei für eine Stadt des RheinlandeS bestimmte Schuppen und zwar einen Güter- und einen Zollschuppen, die auf einem steinernen Unterbau errichtet werden sollen. Für den ersteren ist eine Länge von 180, für den letzteren eine solche von 90 Meter in Aussicht genommen. Die Schuppen werden hier verzimmert und die fertigen Teile nach Erfordernis in Partien per Bahn nach dem Bestimmungsorte verschickt. Es werden etwa 30 Waggonsendungen notwendig sein, bis das gesamte Material verladen ist.
Friedrichsruh, 30. März. Vierzehn Damen aus der Pfalz, Baden und Hessen trafen um 12'/, Uhr hier ein, wo sie Crysander im Bismarckwagen am Bahnhof abholte. Nachdem der Fürst die Damen bewillkommt und die Damen Rosenbouquets überreicht hatten, trug Fräulein Boecking (Frankenthal Pfalz) ein HuldigungSgedicht vor, welches den Fürsten sichtlich ergriff. Freifrau von Heyl (Worms) kredenzte dem Fürsten einen Ehrentrunk köstlicher Liebfrauenmilch und Frau Konsul Koelle (Karlsruhe) überreichte eine Kassette mit über 100,000 Unterschriften. Der Fürst dankte in längerer Rede, in welcher er hervorhob, es wäre einem preußischen Minister noch nicht passiert, daß eine Deputation nicht preußischer Damen zu seiner Begrüßung eine so weite Reise nicht gescheut hätte; eS sei dies ein Beweis, daß eS ein einiges Deutschland gäbe. Dann folgte die Vorstellung der Damen und das Frühstück, an welchem noch
Eveline lohnte ihm seine Worte mit einem dankbaren Blick.
„Wird Herr von Riesen noch län,«r« Zeit auf Garkau verweilen?" fragte Klara in den nächsten Tagen ihren Bruder einmal ziemlich lebhaft.
„Wieso?" fragte er halbverwundrrt.
„O, ich bekümmere mich nur um ihn, weil er doch EvelinenS Vetter ist, und eS Dir natürlich nicht gleichgültig sein kann, welche Personen sie umgeben und welchen sie sich nahe stellt."
„Und nun weiter?" fragte Dernburg.
„Ei, dieser Vetter ist eben kein Glied der Verwandtschaft, auf welche» man stolz sein dürste! Ich traf gestern mit einer Dame zusammen, die in K., seiner Garnisonstadt, zu Hause ist, und von ihr erfuhr ich, was man dort alles von ihm sagt."
„Was man sagt?" wiederholte Dernburg lächelnd.
„Nun, wahr pflegen solche unsaubere Geschichten immer zu sein!" entschied sie kurz. „Weißt Du, Edmund, daß er ein leidenschaftlicher Spieler sein und sein Vermögen schon nahezu durchgebracht haben fall?"
Dernburg zuckte die Achseln.
„O, und man erzählt sich noch schlimmere Dinge von ihm !" fuhr sie, von seiner scheinbaren Gleichgültigkeit offenbar gereizt, fort und schien ins Detail der vernommenen ebiontyas seanäaleuss eingehen zu wollen, al» der Bruder ihr sanft die Hand auf den Arm legte und sie mit den Worten unterbrach: „Laß nur, liebe Klara! Wir bessern den Sünder doch nicht. Und waS sein Verhältnis zu Eveline betrifft," fuhr er lächelnd fort, „so dürfen wir uns ganz über seinen Einfluß beruhigen, da dieser ihr nie gefährlich werden kann."
„Nun, ich meine aber doch. Du könntest sie bitten," erwiderte sie ein wenig empfindlich über die Zurückweisung, „ihre Gastfreundschaft etwa» zu beschränken, indem sie ihm zeigt, daß ihr seine länger« Anwesenheit nicht gerade erwünscht wäre."
„Es würde auch die» überflüssig sein," sagte Dernburg, den die Zumutung
verdroß, einigermaßen kühl; „denn der Urlaub des jungen Manne» läuft, wie ich heut« zufällig erfuhr, schon im Lauf der nächsten Woche, wenige Tage nach meinem eigenen, ab."
Hatte Dernburg nun aber auch jede Einmischung in die Sache abgelehnt, — angenehm war es ihm selbst gerade nicht, daß seine letzten Besuche auf Garkau mit der Anwesenheit de» Vetter», für den er auch bei näherer Bekanntschaft keine Sympathie fassen konnte, zusammenfielen. Doch störte der letzter« wenigsten» nicht immer da» Zusammensein mit Eveline, da er vielfach eigene Wege einschlug, indem er entweder dem Jagdvergnügen nachging, oder auch alte Bekannte aufsuchtr, wie z. B. einmal zufällig herauskam, daß er verschiedentlich im Hause de» alten Bauer gewesen war, was ihm denn ein Lob au» Eoelinens Munde eintrug, da diese sich der ihren Freunden erwiesenen Aufmerksamkeit freut».
Überhaupt aber war sie einmal freundlich gegen den Vetter gestimmt, den sie offenbar anders beurteilte als ihr Vater, der einst lachend zu dem letzteren sagte: „Ich habe Eduard gern um mich, denn er unterhält mich und weiß mir allerlei vom Leben zu erzählen, was freilich nicht alle Menschen zu hören brauchen. Das Beste aber ist, daß Eoy etwas von ihm hält; sie merkt nämlich garnicht, welch' ein Fuchs er eigentlich ist, wie sie denn immer ohne weiteres annimmt, die Menschen wären alle gerade so ehrlich wie sie selbst."
Dernburg schwieg auf die Worte des Alten, aber er dachte ihnen nach, und ohne daß der letztere es ahnte, war er ihm zum Erklärer eine» psychologischen Rätsels geworden; es erschien ihm nicht mehr so unbegreiflich wie bisher, daß Eveline an dem eberflächlichen, um nicht geradezu zu sagen zweideutigen Charakter de» Vetters Gefallen finden konnte. „Es liegt in ihrer großherzigen Natur," sagt« er sich, „daß sie niemand Handlungen zutraut, die sie selbst nicht begehen könnte, und ohne daß. sie es selbst weiß, borgt sie daher dem Vetter die eigene sittliche Grundlage."
(Fortsetzung folgt.)