38. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 69. Iahrßsvr.
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Amtliche Aeka»ntmach««ge».
Bekanntmachung des Vorstands der Württ. Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalt, betreffend die Bezahlung der Kosten des ersten ärztlichen Zeugnisses für Jnvaliden- rentenbewerber aus der Kaffe der Württ. Jnvaliditäts- und Altersversichernngsanstalt.
Die Württ. Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalt übernimmt freiwillig die Verpflichtung, den approbierten Aerzten für die Ausstellung des ersten ärztlichen Zeugnisses zum Zweck der Geltendmachung eines Jnvalidenrentenzesuches ein Honorar von 3 ^ unter folgenden Bedingungen zu gewähren:
1) Das Honorar aus der Anstaltskasse tritt ausschließlich an die Stelle der ärztlichen Honorarforderungen gegen Jnvalidenrentenbewerber (oder deren Angehörige und Rechtsnachfolger), so daß diese für Ausstellung des ersten Zeugnisses nichts zu bezahlen haben.
2) Das ärztliche Zeugnis darf nicht dem Rentenbewerber mitgeteilt werden, sondern ist baldmöglichst und spätestens binnen 14 Tagen verschlossen an das K. Oberamt (beziehungsweise die K. Stadtdirektion Stuttgart) einzusenden.
3) Das Zeugnis muß nach dem von der Versicherungsanstalt aufgestellten Formulare in objektiver und für die Bescheldserteilung ausreichender Weise abgefaßt sein. Die Formulare sind bei den K. Oberämtern vorrätig und können bei letzteren unentgeltlich bezogen werden.
4) Rückfragen, welche zur Ergänzung des Zeugnisses gestellt werden, sind unentgeltlich zu beantworten.
5) Solchen Versicherten, deren Anspruch auf Invalidenrente augenscheinlich und ohne weiteres aussichtslos ist, soll ein Zeugnis nicht ausgestellt werden.
6) In der Regel wird das Honorar zur Zahlung angewiesen, sobald das betreffende Rentengesuch bei der Anstalt einkommt. Der Vorlegung einer besonderen Rechnung bedarf es nicht. Ausnahmsweise «rfolgt frühere Bezahlung.
Dienstag, Len 3. April 1894.
Die Zusendung des Honorars geschieht mittelst Postanweisung auf Kosten der Anstalt. Als Empfangsbescheinigung dient der Postschein.
Die Anstalt behält sich den Widerruf dieser Bestimmungen vor und wird rechtzeitig geeignete Bekanntmachung erlassen, falls sie von dem Widerruf Gebrauch macht.
Die neue Einrichtung tritt mit dem 1. April 1894 in der Weise in Kraft, daß die von diesem Tage ab ausgestellten Zeugnisse der vorbezeichneteu Art aus der Anstallskasse honoriert werden.
Vorstehendes wird hiemit zur allgemeinen Kenntnis gebracht.
Stuttgart, den 14. März 1894.
Der Vorsitzende
des Vorstands der Württ. Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalt.
Regierungspräsident
Häberlen.
Tagesneuigkeiten.
Calw, 2. April. Gestern Abend versammelte sich eine größere Anzahl hiesiger Freunde des Fürsten Bismarck, um gemeinsam den Geburtstag desselben zu feiern. Hr. Eugen Stälin begrüßte in kurzer Ansprache die Versammlung und erteilte hierauf Hrn. Prof. Haug das Wort zum Toast auf den Gefeierten, den mir hier im Wortlaut folgen lassen.
Verehrte Anwesende!
Wenn wir heute den Geburtstag des Fürsten Bismarck festlich begehen, so stehen wir noch unter dem Eindrücke jener Nachricht, die sich am Vorabend des diesjährigen Geburtsfestes Sr. Maj. des Kaisers verbreitete, der Nachricht, die uns die freudige Gewißheit gab, daß Fürst Bismarck wenigstens im Herzen seines Fürsten die Stelle wieder einnehme, die er in den Herzen von Millionen Deutscher niemals verloren hatte und auch nie verlieren wird, denn, wenn
NbonnementSprei» vierteljährlich in der Stadt SO Pfg. und 20 Pfg. TrLgerlohn, durch die Post bezogen 4L L. 1k, sonst in ganz Württemberg Mr. 1. Sk.
auch, wie vorauszusehen war, mit jenem Schritte deS Kaisers keine Aenderung in der äußeren Stellung des einstigen Reichskanzlers eingetreten ist, so ist doch mit demselben jenes Bild verschwunden, das vorher unseren Augen so wehe that, das Bild des grollenden Alten vom Sachsenwalde, und wir dürfen von jetzt ab der trostreichen Ueberzeugung leben, daß so manches ernste Wort des Fürsten, wenn er sich mit der Gegenwart und der Zukunft seines Volkes beschäftigt, auch im Kaiserpalast zu Berlin nicht un- gehört verhallt. Müssen wir uns denn nicht darüber freuen, wenn wir uns auch blos eines Teils alles besten erinnern, was er für die deutsche Nation erreicht und gewollt hat? Blättern wir auch nur einige Seiten in der Geschichte des deutschen Reiches zurück, welch ein Gemälde entrollt sich uns da. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht weniger als 314 reichsständische Gebiete, jeder Fürst nur darauf bedacht, sein Land auf Kosten des Nachbars zu vergrößern. Und dazu 15 bis 1800 Reichsritter, von denen jeder in seinen Grenzen so souverän war, als irgend ein Herzog oder Kurfürst auf dem Boden seines Landes, und zehnmal mächtiger als der deutsche Kaiser, und wenn er auch nur» wie der Kavalier, von dem I. I. Moser berichtet, über 11 Untrrthanen und einen Juden gebot. Das waren die Zeiten, wo man mit Recht fragen konnte: „Das liebe, heil'ge röm'sche Reich, Wie hält's nur noch zusammen?" Danken wir es nicht dem Fürsten Bismarck, daß uns heute eine Wiederkehr solcher Zeiten einfach undenkbar er» scheint? Hat er nicht seine ganze Kraft daran gesetzt, für uns jenen Völkerfrühling Heraufziehen zu lasten, in welchem „die Deutschen alle als ein einig Volk von Brüdern den Angriffen des Auslandes entgegen treten konnten, in dem wir die lange betrauerten alten Grenzländer wieder eroberten, die nationale Einheit des Reichs begründeten, einen deutschen Reichstag und einen deutschen Kaiser wieder erstehen sahen? Hat er nicht für dieses sein Ideal schon gekämpft in den Jahren 62 bis 65, in denen Preußen wider seinen Willen gezwungen wurde, den schweren unver-
2 1 1 ^ 6 1 O . ^Nachdruck verboten. I
Auf eigenen Iüßen.
Novelle von F. L. Reimar.
(Fortsetzung.)
„Ei, ich habe ja weder gegen ihr Gesicht noch gegen ihr Gemüt etwas," scherzte der Lieutenant leichthin; „eS interessiert mich sogar ernstlich zu hören, was sie macht."
„Sie selbst ist wohl," entgegnet« Eoelinr; „ihr alter Vater aber hatte neul-ch das Unglück, von einer Leiter zu fallen und sich in schlimmer Weise Hand und Fuß zu verletzen. Zum Glück war ich gerade bei Hannchen, um ihr Bücher zu bringen, — sie erbaut sich nämlich leidenschaftlich gern an unseren Dichtern, — und konnte meinem armen Mäuschen beistehen, das in dem Schrecken ganz die Besinnung verloren hatte."
Die Teilnahme des Lieutenants für das Geschick des alten Bauer schien nicht sehr lebhaft zu sein, denn er sprang schnell auf emen anderen Gegenstand über, indem er sich nach dem vorhin schon erwähnten Bruder der einstigen Spielgefährtin erkundigte.
„Ach, Franz!" sagte Eoeline; „er macht mir viele Sorge."
„Wieso?' ftagte der Lieutenant. „Ist rin Mistethäter auS ihm geworden?"
„DaS nicht!" war die halblaute Antwort, „er ist ein grundguter, ehrlicher Mensch, aber leider ist so etwas wie Verbitterung in ihn gekommen. Du weist sicher noch, Eduard, daß er rin anschlägiger Kopf und im Lernen weit vorgeschritten war. So lange er die Schule besuchte, brachte ihm dies natürlich nur Gewinn, nachher^ aber ward eine Art Elend daraus; denn er hatte das Streben nach höherer
Ausbildung in sich ausgenommen, wollte wohl auch in der Welt einmal etwas vor- stcllen, und die Verhältnisse hielten ihn doch zurück und drückten ihn nieder."
„Nun, wenn er wirklich begabt und dabei innerlich tüchtig war," meinte der Landrat, „hätte er diese Hindernisse wohl besiegt, denn im Grunde wird der Mensch ja nur durch und aus sich selbst etwas. — Was ist denn nun mit ihm geworden?"
„Ich hatte immer die Idee, ihn für die Landwirtschaft zu gewinnen," sagt« Eoeline, „was auch seinem Körper zu gute gekommen wäre, denn er ist schwächlich, und dachte mir eine Art Inspektor in ihm heranzubilden; aber er behauptet, es hier nicht aushalten zu können," — sie errötete leicht bei den Worten, — „und so ist er jetzt Schreiber bei einem Advokaten geworden."
„Nun, da ist er ja gut untergebracht! sagte der Lieutenant, dem das Gespräch über den jungen Menschen offenbar langweilig wurde, „und die Federn, die er führt, können ihn als Schwingen emportragen, — es hat manches Genie auf diese Weis« seine Luftfahrt begonnen!"
Eoeline hatte durchaus kein Verständnis für diese Art des Scherzes; der witzelnde Spott in Eduards Worten entging ihr völlig, und ganz ernsthaft erwidert« sie: „Daran hindert ihn aber sein Mißmut, der wohl keinen anderen Nrmen verdient als Schwäche und von dem ich doch besorge, daß er ihn noch einmal zu einer verzweifelten Thorheit hinreiben kann; denn er hat Momente, wo ihm das Blut so heftig ins Gehirn steigt, daß er geradezu unvernünftig wird."
„Hu, das lautet ja gefährlich, — so sollte man wohl gar einen kleinen Catilina in ihm sehen?" lachte Eduard und trällerte dann eine Opernarie, während Dernburg Eoeline noch einmal ftagte: „Bei alledem ist sein Charakter zuoerlästig?"
„Er ist. wie ich schon sagte, treu und rein wie Gold!" versetzte sie warm.
„Da möchte er immerhin verdienen, daß man ihn im Auge behielte," meint« er. „und versuchte, ob sich etwa« für ihn thun ließe.