K u i tt e t o tt.
Vaterlandsverrat.
Novelle von Lothar Brenken darf.
(Fortsetzung.)
„Guten Abend, Fräulein Erna!" sagte er, indem er zu ihr trat und ihr seine Hand reichte. „Wie leise müssen Sie hereingelomnnn sei», daß ich es gar nicht bemerkt habe!"
„Ich würde mich ja selber um ein Vergnügen gebracht haben, wenn ich Sie gestört hätte," gab sie freundlich zurück. „Mir ist, als halten Sie Siegmunds Lied niemals besser gesungen als eben jetzt."
Der kleine Musiker sprang auf und mit lebhaften Bewegungen seinrr unverhältnismäßig langen Arme rief er dazwischen:
„Das will ich meinen! — Noch etwas mehr Schule — etwas mehr Feuer — und er kann mit dem berühmtesten Wagnersänger in die Schranken treten.. — Ist es nicht ein Verbrechen, daß solche Schätze für alle Ewigkeit im Verborgenen bleiben sollen?"
Auch er begrüßte das jung« Mädchen mit großer Herzlichkeit, um dann unter wiederholtem Schütteln seiner widerspenstigen Löwenmähne sogleich wieder auf seine erste Aeußerung zurückzukommen.
„Glauben Sie nur um Gotteswillen nicht, daß es auch später noch Zeit sein wird, das Versäumte nachzuholen. Eine schöne Männerstimme ist rasch eingerostet, und ich habe in meinem Leben noch nicht gehört, daß aus einem verstaubten Rechnungsrat oder Kanzleidirektor ein großer Sänger geworden wäre. — Habe ich nicht Recht, Fräulein Erna?"
„Ich glaube wohl, daß Sie Recht haben, Herr Heimerdinger!" erwiderte die junge Dame.
„Um so schlimmer, daß die Würfel über mein Schicksal bereits gefallen sind," meinte Günther und sein Lächeln bewies, daß er dies alles nur von der scherzhaften Seite nahm. „Wenn ich auch wirklich so große Anlagen hätte, als Sie mir's ein- reden wollten, bester Freund, so habe ich doch leider nicht Geld genug, mich auf gefährliche Experimente einzulassen."
„Ja, das unglückselige Geld!" gestikulierte der kleine Heimerdinger mit tragischer Geberde. „Ich weiß ein Liedchen davon zu singen. — Und diese Erbschaft, die uns zu reichen Leuten macht, will noch immer nicht kommen."
„Rechnen denn Sie wirklich daraus?" fragte Günther mit einem kleinen Anstug von gutmütigem Spott. „Ist nicht der Großonkel schon vor undenklichen Zeiten in Amerika verschollen?"
„O nein, er ist durchaus nicht verschollen," mischte sich nun auch Frau Heimerdinger in das Gespräch. „Es sind noch nicht zehn Jahre vergangen, seitdem ich Einen gesprochen habe, der ihn kurz vorher selber gesehen hatte. Und mein armer Oheim litt bereits an einer unheilbaren Krankheit."
„Haben Sie denn übrigens niemals einen Versuch gemacht, sich mit diesem amerikanischen Krösus in Verbindung zu setzen?"
„Freilich! — Ich habe wiederholt an ihn geschrieben. Aber eS ist nie eine Antwort gekommen. Und das ist kein Wunder; denn er wird durch die Verwaltung seines großen Vermögens gewiß lehr stark in Anspruch genommen — und dann hat er uns ja auch nie mit leiblichen Augen gesehen. — Wenn er die Zeit gekommen glaubt, sein Testament zu machen, wird er indessen schon an uns denken."
Es klang eine so felsenfeste Zuversicht aus den Worten der alternden Frau, daß Günther nicht das Herz hatte, einen weiteren Zweifel zu äußern. Fritz Heimerdinger aber, obwohl er unverkennbar das Vertrauen seiner Mutter teilte, konnte sich doch nicht enthalten, zu sagen:
„Viel hübscher wäre es allerdings, wenn er sich schon zu Lebzeiten unserer erinnert hätte. Wir könnten es so gut gebrauchen. Denn mit dem Komponieren wird es nichts — das sehe ich nachgerade ein. Fünf große Theater haben meine Oper „Harald" schon abgelehnt, und bei dem sechsten liegt sie nun seit zwei Jahren, ohne daß ich nur eine Antwort erhalten kann. Nach meinem Tode wird sie wohl aufgeführt werden, und dann wird die Welt erstaunen, welch' einen großen Künstler sie kalten Mutes hat verhungern lasten. — Oder ist cs b-sser als ein langsamer Hungertod, wenn man Klavierstunden für 75 Pfennige geben muß? — Ja, wenn mir die Bühne nicht verschlossen wäre — wenn ich eine andere Figur hätte —!"
Er reckte sich, als ob er damit seine verkrüppelte Gestalt gerade strecken könnte, seine Mutter aber, deren blasses Gesicht noch wehmütiger geworden war, mahnte leise:
„Hast Du nicht um sieben eine Lektion bei dem Schlächtermeister Baumann? Es ist wohl an der Zeit, Dich zurecht zu machen, mein Sohn!"
Mit einem tiefen Seufzer schüttelte der Kleine seine Mähne.
„Das ist das Loos eines Künstlers! — Mein ganzes Herz schwelgt noch in Wagnerischen Offenbarungen und dabei soll ich eine Stunde lang geduldig die falschen Griffs eines Bengels anhören, der unmusikalischer ist als die Hammel, denen, sein Vater den Garaus macht. Aber der Schlächter ist mein bester Kunde. Er bezahlt sogar eine Mark für die Lektion, und ich habe ihm versprochen, daß sein hoffnungsvoller Sprößling am nächsten Geburtstag der Mutter das „Gebet einer Jungfrau" spielen werde. — Sehen Sie Harmening — bis zu solchen Niederträchtigkeiten kann sich ein Mensch um des schnöden Mammons willen versteigen."
Während dieser Stoßseufzer, die sehr drollig klangen, obwohl sie augenscheinlich recht ernst gemeint waren, hatte Fritz Heimerdinger seine unansehnliche Gestalt in einen weiten Havelock gehüllt, wie ihn Künstler von genialischen Allüren zu tragen pflegen, und verwegen stülpte er nun einen mächtigen weichen Filzhut auf das lockenumwallte Haupt.
Cr war schon in der Thür, als seine Mutter ihm ganz erschrocken nacheilte.
„Aber das H.:?sluch, Fntz — um Go,t>sw>Uen daS Halstuch! — Willst Du Dir denn den Tod holen in der kalten Abendlust? Warte nur, ich s.lbst weide es Dir binden; den» Du knotest cs immer so leichtfertig um, daß es gar kein Schutz mehr ist."
Sie hastete mit ihm zugleich aus der-Stube, und die beiden jungen Leute sahen sich plötzlich allein. Günther begann verlegen in einem Notenhefte zu blättern, und er sah überrascht auf, als das junge Mädchen ihn mit ruhig klingender Stimme fragte:
„Ist es ihnen denn in der That ganz unmöglich, den Rat Ihres Freundes zu befolgen?"
„Seinen Rat, ein Sänger zu werden? — Ja Fräulein Erna, das ist unmöglich. Sie misten ja selbst, daß ich Beamter bin und daß mir mein Lebensweg somit ziemlich klar und bestimmt vorgezeichnet ist."
Die Art, wie sie den schönen Kopf zuwarf, war sehr anmutig, aber es lag doch etwas in der Bewegung, das b.inahe wie Geringschätzung aussah.
„Ihren Platz als Beamter wird leicht genug auch ein Anderer aussüllen können; damit aber, daß Sie Ihr schönes Talent ungenützt verkümmern lasten, begehen Sie einen Raub an sich selbst wie an d>r Allgemeinheit."
Die Bestimmtheit, mit der sie das sagte, machte sein Erstaunen wachsen. Nie zuvor halte sie in solcher Weise zu ihm gesprochen.
„Wenn ich nur dem Zuge meines Herzens folgen dürste," erwiderte er, „wer weiß, ob ich nicht in Wahrheit noch thäte, was mir Fritz Heimerdinger empfiehlt. Aber ich habe Rücksichten zu nehmen, die jeden Gedanken an ein solches Wagnis aMchhießsn."
*'^Rücksichten?" Ihre feine Oberlippe schürzte sich ein wenig. „Kann es für einen Mann zwingendere Rücksichten geben, als die auf seine eigene Zukunst? Wenn man wie Sie alle Arwartschast darauf hat, ein großer Künstler zu werden, sollte man wahrlich nicht um kleinlicher Bedenken willen den rechten Augenblick versäumen."
„Sie werden meine Bedenken nicht länger für kleinlich halten, Fräulein Erna, "wenn ich Ihnen gesagt habe, worin sie bestehen. Mein Vater verlor vor Jahren bei einem Bankbruch mehr als die Hälfte des kleinen Vermögens, das ihm aus einer Erbschaft zügefallen war. Trotzdem mußte er für die Ausbildung meines älteren Stiefbruders, eines Sohnes aus seiner ersten Ehe fortgesetzt Opfer bringen, die fast über seine Kräfte gingen. Da war für mich ans Studieren oder gar an eine Künstlerlausbahn nicht mehr zu denken und weil er sich's einmal in den Kopf gesetzt hatte, daß ich die sichere Karriere eines Subalternbeamten Anschlägen sollte, mußte ich mich wohl fügen, wie wenig freudig es auch geschah. Es ist eine mühselige und langsame Karriere, das wird Ihnen vielleicht bekannt sein, und man muß viel Geduld aufwenden bis die schlimmen Jahre überstanden sind. Nun aber liegen sie hinter mir, und seit acht Monaten bin ich Geheimsckretär und Kalkulator im Kriegsministerium. Mein Vater ist glücklich, mich an dem langersehnten Ziele zu sehen, und ich könnte ihm sicherlich keinen größeren Kummer bereiten, als wenn ich jetzt einer ganz ungewissen Hoffnung zuliebe alle meine Aussichten opfern wollte."
Ernas schlanke Finger spielten mit einem Buche und ihre Lider waren gesenkt. Nach einem kleinen Schweigen fragte sie:
„Und bis zu welcher Stufe werden Sie es nun auf dieser Beamtenlaufbahn bringen können?"
„Ich bin bereits an ihrem Ende angelangt," erwiderte er offenherzig. Außer einigen Gehaltszulagen und dem Titel eines Nechnungsrats nach einer langen Reihe von Dienstjahren habe ich nichts mehr zu erwarten."
. Wieder zuckte es etwas geringschätzig um die Lippen des jungen Mädchens; aber gleich darauf erhob sie mit einer raschen Bewegung den Kopf und sagte:
„Uebrigens wird Ihnen alles das vielleicht sehr indiskret erscheinen. Ich hätte mir auch nicht herausgenommen, so zu Ihnen zu sprechen, wenn es nicht aller Voraussicht nach das letzte mal wäre, daß wir uns über solche Dinge unterhalten. Spätestens übermorgen gehe ich ja fort."
Eine grenzenlose Bestürzung malte sich auf dem Antlitz des jungen Mannes.
„Wie? — Sie wollen fort? — Vermutlich doch nur aus eine ganz kurze Zeit?"
„Nein! — Auf eine Reihe von Jahren. Vielleicht auf immer."
„Aber, mein Gott, wie ist das nur möglich? — Was hat man ihnen gethan, daß Sie einen solchen Entschluß fasten konnten?"
„Nichts! — Ich trenne mich vielmehr nur ungern von den lieben Menschen, die mir soviel Freundliches erwiesen haben. Aber die Unterrichtsstunden, die ich hier und da erteile, gewähren mir keine Befriedigung mehr; ich sehne mich nach einer anderen Thätigkeit, und so habe ich mich denn heute verpflichtet, als Gouvernannte nach Paris zu gehen."
„Und warum gerade nach Paris, das für uns nicht viel weniger ist als daS andere Ende der Welt? — Wenn Sie durchaus eine solche Stellung annehmen wollten, weshalb konnte es denn nicht hier sein oder doch irgendwo in der Nähe?"
„ES steht nicht mehr in meiner Macht, etwas daran zu ändern," erwiederte sie, „und ein freundliches Erinnern können wir einander ja auch in der Ferne bewahren." —
„Ein freundliches Erinnern!" wiederholte er bitter. „Und das sollte alles sein, was von dieser schönen Zeit für uns bliebe?"
„Ich sagte Ihnen schon, daß ich Frau Heimerdinger und ihren braven Sohn nur mit schwerem Herzen verloste."
„Und nur diese Beiden sind es, an die Sie denken? — Nicht einen Augenblick ist es Ihnen in den Sinn gekommen, daß Ihre Abreise einen anderen noch viel härter treffen könnte als sie?"
(Fortsetzung folgt.)