141. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 68. Iahr-aug.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr betragt im Bezirk und nächster Um- Hebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg. *
Donnerstag, den 3V. November 1893.
AbonnementSpreiS vierteljährlich in der Stcdt 90 Pfg. »Ich 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 15, sonst 1» ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Amtliche Bekanntmachungen.
An die Ortsvorltehcr.
Die Bezirks-Notstandskommission ist bereit, auch fernerhin den Bezug von Futtermitteln seitens der Gemeinden zu vermitteln.
Insbesondere werden noch Mais, Biertreber, Malzkeime, Palmkuchen, Heu und Stroh bezogen werden. Die Preise sind jederzeit von den Rechnern des landwirtschaftl. Konsumvereins zu erfahren.
Bestellungen sind binnen vierzehn Tagen an Herrn Adlerwirt Dingler zu richten.
Bemerkt wird übrigens, daß auf einen Zuschuß der Amtskörperschaft nicht gerechnet werden darf.
Calw, den 28. November. 1893.
Bezirks-Notstandskommission.
Oberamtmann Lang.
An dir Ortsnorsteher.
Dieselben werden daran erinnert, daß im Lauf des Monats Dezember die Gemeinderatswahlen vorzunehmen sind. Die nach Sporteltarif Nr. 18 Z. 3 «nzusetzenden Sporteln sind nicht zu übersehen.
Calw, den 29. November 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Deutsches Reich.
Berlin, 27. Novbr. Der Reichstag trat Heute in die erste Lesung des Reichshaushalts «in. Staatssekretär Graf Posadowsky giebt die Übliche Uebersicht über den Etat. Der Ueberschuß des laufenden Etatsjahres wird voraussichtlich 1'/-
Millionen Mark betragen, wovon Million Mark für die Schutzgebiete in Anspruch genommen werden. Der Zucker dürfte 3'/s Millionen, Salz 1^/s Millionen, die Brausteuer 1 Million, die Wechselstempelsteuer einige Hunderttausend Mark, Post- und Telegraphenwesen 2^,/t Millionen, die Reichseisenbahnen 2 Millionen und verschiedene andere Verwaltungszweige 1-/o Millionen über den Voranschlag ergeben. Dagegen betragen die Mehrausgaben beim Heer 10'/< Millionen, bei der Marine Millionen. Die Ueber- weisungen an die Einzelstaaten werden um 4 Millionen hinter dem Etatsanschlag Zurückbleiben. Der Staatssekretär führt aus, wie vorsichtig und sparsam der Etat für 1894/95 aufgestellt sei. Die Forderungen für neue Schiffsbauten seien aufs Aeußerste reduziert und betragen nur 3'/- Millionen. Trotz dieser sorgfältigen Veranschlagung aller Einnahmen ergebe aber der Etat ein starkes Anwachsen der Matrikularbeiträge gegenüber den Ueber- weisungen. Für 1894/95 seien 39'/, Mill. Mark Matrikularbeiträge mehr zu erheben. Die Einzelstaaten stehen gegen 1892/93 um 109 Millionen schlechter. Dies zeige die Notwendigkeit, neue Steuerquellen zu erschließen. Wenn die Mittel, die das Reich brauche, nicht aufgebracht werden, so muffen die Einzelstaaten zur Erhöhung der Kopfsteuern schreiten. Der Reichsschuld von 2 Milliarden stehe nur in den Reichseisenbahnen ein werbendes Vermögen gegenüber. Darauf spricht Fritzen vom Zentrum. Er geht sogleich auf Einzelnheiten des Etats ein, verlangt erneute Prüfung der Alterszulagen der Postbeamten und will den neuen Unterstaatssekretärsposten nicht bewilligen. Dann begrüßt Redner das Abkomnien mit England bezüglich des Hinterlands von Kamerun
und kommt auf den Spielerprozeß in Hannover zu reden. Zur Reichssteuerreform könne seine Partei noch keine Stellung einnehmen. Das Zentrum könnte allerdings sagen: Wer die Militärvorlage bewilligt hat, soll nun auch für die Deckungsmittel sorgen. Allein seine Partei werde es an ernstlicher Mitarbeit nicht fehlen lassen. Bebel: Die deutschen Wähler haben mit einer Mehrheit von einer Million gegen die Militärvorlage votiert. Wenn gleichwohl im Reichstag eine Majorität für dieselbe zustande gekommen sei, so beweise das, daß das Wahlsystem falsch sei. Redner will Proportionalwahlen einführen. Bebel kommt auch auf den Hannov. Prozeß zu reden und sagt, nach diesen Vorgängen sei es fraglich, ob der Offiziersstand noch imstande sei, keine Pflicht zu thun. Präsident v. Levetzow fordert den Redner auf, den deutschen Offizierstand nicht zu beleidigen. Bebel fährt fort, den Zustand der Armee und Marine zu kritisieren. In den letzten Manövern habe man Kavallerie gegen gedeckte Infanterie anstürmen lassen. Das lege die Frage nahe, ob bei einem Krieg die deutsche Führung in solchen Händen sein werde, daß man dem Ausgange vertrauensvoll entgegensetzen könne. Ebenso bedenkliche Vorkommnisse geb« es in der Marine. Die Notwendigkeit, dem Militarismus in Europa ein Ende zu machen, werde immer dringlicher. Preußischer Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf legt energische Verwahrung ein gegen die Herabsetzung des ganzen Offizierstandes durch Bebel. Das Offizierkorps werde seine Aufgabe im Kriege heute wie früher erfüllen; etwas anderes werde man nie erleben. Die Armee bedürfe keiner Vorschläge von außen, sie könne sich selbst helfen. Preußischer Finanzminister Miquel bespricht den
Ile »ritte ton.
Nachdruck »erboten.
Auf falschen Mahnen.
Eine Künstlergeschichte von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
Die unerwartete Wiederbegegnung mit dem treuen und erprobten Freunde, Hem Martin von ganzem Herzen zugethan war, und dessen er während der letzten Wochen oft mit einer Regung der Sehnsucht gedacht hatte, war denn doch von mächtiger Wirkung auf das Gemüt deS jungen Mannes. Nicht, daß ihm eine Anwandlung der Reue gekommen wäre über seinen raschen Entschluß oder ein sehnsüchtiges Verlangen nach Rückkehr zu dem ungebundenen, freien und fröhlichen Äünstlerleben, welches in Gerdinger so verkörpert schien! Sein Charakter war stark -genug, ihn gegen solche Versuchungen rin für allemal zu schützen. Aber e» drängte ihn, dem Freunde, vor dem er bis dahin nie ein Geheimnis gehabt, auch jetzt sein Herz auszuschütten und ihm anzuvertrauen, was er selber sich noch kaum einzuge- Pehen gewagt. Mit warmen, beredten Worten pries er die wackere Ehrenhaftigkeit Meister WinterfeldS und sein musterhaft glückliches Familienleben; und wenn er «uch bei der Erwähnung seiner Gefühle für Helene nicht über einige schüchterne Andeutungen hinauikam, so war Gerdinger doch Menschenkenner genug, alle« Wettere -sofort mit Sicherheit zu erraten.
»Nun wird mir freilich manches verständlicher", sagte er, indem er Martin wie zum Dank für sein Vertrauen die Hand schüttelte, .und.mir scheint, Du bist da wirklich auf dem rechten Weg zum Glück. Aber Du mußt mir'S schon verzeihen, wenn ich mich mit Deiner Schilderung, so anschaulich sie auch gewesen ist, nicht 'ganz zufrieden gebe. Die wackeren Menschen sind heutzutage so dünn gesäet, daß man keine Gelegenheit vorübergrhen lassen soll, einige von ihnen kennen zu lerne». Wirst Du mir also erlauben Dich nächsten« einmal bei Deiner Arbeit zu überraschen?"
»Du wirst mir damit eine Freude machen, Lorenz, — und Meister Winterfell»
wird sich gewiß nicht wenig geehrt fühlen, einen so berühmten Künstler in seinem Hause zu sehen. Wir haben schon machmal von Dir gesprochen und Du bist ihnen ein alter Bekannter, denn nicht nur der Alle, sondern auch seine Tochter sind sehr warme Bewunderer Deiner Werke."
.Nun, ich hoffe, Du hegst keine Furcht, daß ich Dir dadurch gefährlich werden könnte!" sagte Gerdinger lachend. „Sehen aber muß ich diese Musterfamilie — daS unterliegt keinem Zweifel!"
Damit gingen sie auseinander. —
Wenig- Tage später erschien der Maler wirklich in dem kleinen GartenhäuS» chen der Lithographen. Die Herzen Meister Winterfelds und Mütterchens hatte er sich durch seine bezaubernde Liebenswürdigkeit im Fluge erobert, und die Kinder umdrängten und umschmeichelten ihn nach Ablauf der ersten zehn Minuten wie einer» alten Freund des Hauses. Helene aber hielt sich gegen ihre Gewohnheit zaghaft und schüchtern abseits und gab verlegene Antworten, wenn Gerdinger einmal dreist das Wort an sie richtete.
Martin hatte eben angefangen den Entwurf seines letzten, von der Kunstkritik mit so vernichtendem Hohne verurteilten Bildes auf Stein zu zeichnen, und mit aufrichtigem Interesse musterte der Freund die Arbeit, mit seiner Anerkennung so wenig zurückhaltend wie mit seinem Tadel, der allerdings noch durch manche klein« Unbeholfenheü herauSgefordrrt wurde.
„ES handelt sich da natürlich nur um eine Studie zu meiner Übung", sagt« Martin, wie zur Entschuldigung dieser Mängel. „An «ine Publication de« Blatte» ist nicht zu denken — schon deshalb nicht, wett ich gar keine Lust habe, eine Kritik» gleich jener, die man über mein unglückselige« Gemälde fällte, noch einmal herauszufordern !"
Mit liebenswürdigster Bestimmtheit hatte Gerdinger die Aufforderung Winter» seid« zu längerem Verwetten abgrlehnt, aber er hatte sich die Erlaubnis erbeten^ seinen Besuch zu wiederholen. In besonder« zuvorkommender Weise verabschiedet« er sich von Helene, und der femigr Blick, welchen er dabei auf ihrer lieblichen Ge«