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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.

68. Jahrgang.

Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.

. i . ^ AbonnementSpretS vierteljährlich in der Sta

Dienstag, den 28. November 1893. ^

in der Stadt Sv Pfg. und "ik. 1 . 15, sonst 1»

Deutsches Reich.

Berlin, 24. Nov. Reichstag. Am Bundesratstisch Caprivi, Bötticher, Marschall, Posa- dowski. Paasche (nat.lib.) erklärt, auch seine Partei sei bereit, die Vorlage in einer Kommission zu be­raten, um dort ehrlich zu versuchen, zu einer Ver­ständigung zu gelangen. Auch die Nationalliberalen wollen der Landwirtschaft keine Opfer auferlegen; aber das thun diese Verträge auch nicht, sie bringen der Industrie mancherlei Vorteile, ohne die Landwirt­schaft zu schädigen. Auch die Nationalliberalen halten die früheren Verträge nicht für etwas Vollendetes, aber sie brachten das Erreichbare. Wenn überschuldete Großgrundbesitzer die Scholle verlassen müssen, so sei das kein nationales Unglück, wohl aber habe die Verdrängung ehrlich strebender Kleingrundbesitzer eine soziale Bedeutung. Dem Kleinbesitz müsse der un­entbehrliche Schutz gewährt werden. Andererseits müssen die maßlosen Uebertreibungen eines vom Bund der Landwirte verbreiteten Flugblatts bekämpft wer­den, welches einen selten dagewesenen Mißbrauch mit der Statistik treibe. Redner kritisiert die Behaupt­ungen des Flugblatts bezüglich der spanischen und rumänischen Getreideausfuhr kamen nur 3 Prozent nach Deutschland, nahezu 97 Prozent gingen nach England. Die vorliegenden Handelsverträge haben manche Schwächen, aber im großen Ganzen sind sie so, daß die große Mehrheit der Nationalliberalen sie annehmen wird. Durch die Zustimmung zu den vor­liegenden Verträgen binden die Nationalliberalen ihre Stellungnahme gegenüber dem russischen Handels­vertrag nicht. Dort liegen die Verhältnisse ganz anders, v. Plötz (Bund der Landw.) weist den Vorwurf übermäßiger Agitation zurück. Der Bund verursache keine Aufregung im Lande (Heiterkeit links).

sondern stelle die Lage dar, wie sie sei; aber die landwirtschaftliche Bevölkerung habe das Vertrauen zu der Reichsregierung verloren. (Große Unruhe links). Er müsse bestreiten, daß der Bund die land­wirtschaftlichen Notstände übertreibe, im Gegenteil, der Notstand sei noch ärger, als der Bund ihn schildere. Reichskanzler Graf Caprivi: Graf Limburg habe gestern der Reichsregierung Gleichgiltigkeit gegen die Interessen der Landwirtschaft vorgeworfen; er müsse diese Vorwürfe auf sich beziehen, da er schon seit Monaten in der dem Grafen Limburg befreundeten Presse direkt beständig angegriffen worden sei. v. Plötz erhob heute den Vorwurf, daß die Landbe­völkerung das Vertrauen zu der Regierung verloren habe. Solche Vorwürfe gegen die leitende Stelle müßten bewiesen werden. Seine Stellung zur Land­wirtschaft habe er vor zwei Jahren bezeichnet. Auf seine Thätigkeit als preuß. Ministerpräsident könnten die Vorwürfe sich nicht beziehen, während derselben sei das Rentengütergcsetz erlassen worden, welches er für das wichtigste Gesetz zur Hebung der Landwirt­schaft halte. Er schätze die Landwirtschaft hoch; sie gebe eine gesunde Bevölkerung und die brauchbarsten Soldaten. Die Negierung habe alles gethan, um die Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft zu erhalten. Wenn ein Staat nicht mehr durch den eigenen Körnerbau sich erhalten könne, so könne er unter Um­ständen zu Grunde gehen, ohne daß ein Schuß fiele. (Sehr richtig rechts.) Wenn man ihm jetzt zustimme, woher kommen dann die beständigen Angriffe gegen ihn? Er gebe zu, daß Ostpreußen heute noch durch den vielfachen Besitzwechsel leide. Dieser Provinz wolle gewiß Niemand den Schutz ver­sagen. Wenn das Opfer der Zollermäßigung auf 3'/s der Landwirtschaft zugemutet werde, so sei dies notwendig für die Erhaltung der Industrie und

damit indirekt auch für die Existenzfähigkeit der Land­wirtschaft. Früher haben auch die Landwirte selbst vor Uebertreibungen gewarnt, so in einer Petition vom Jahre 1887 an den Fürsten Bismarck, welche auch von Frhr. v. Mirbach unterzeichnet war. (Heiter­keit.) Die Zusammenschließung der Landwirte halte er für richtig, da auf genossenschaftlichem Wege viel zu erreichen sei; er müsse aber Bedenken gegenüber dem Verhalten des Bundes hegen. Ich erkenne an, was die Konservativen für die Militärvorlage gethan und würde mich freuen, weiter Schulter an Schulter mit ihnen zu gehen. Aber Sie machen mir das un­möglich; die agitatorische Betriebsweise des Bundes ist nicht mehr konservativ. Unter Stahl hieß es: Autorität, nicht Majorität. Jetzt drehen Sie den Grundsatz um und sagen: Majorität, nicht Autorität. Ich gebe zu, daß das allgemeine Stimmrecht dazu drängt. Betrübend ist, daß Sie die Interessen einer einzelnen Gruppe d§m Interesse der Allgemeinheit voranstellen.

Kiel, 23. Novbr. Der Kaiser ist gestern Abend hier eingetroffen und hat heute Vormittag der Vereidigung der bei der Marine neu eingestellten Mannschaften beigewohnt, dabei auch einige Worte der Ermahnung an dieselben gerichtet. Nach dieser, im Exerzierhause der Marine stattgehabten Feierlichkeit, begab sich der Monarch an Bord der neuen Panzer­fregatte Brandenburg, die erst seit einigen Tagen in Dienst gestellt worden ist, um dieselbe einer Inspektion zu unterwerfen. Auf dem genannten Schiff erwartete eine Deputation des Prvvinziallandtages der Provinz Brandenburg den Monarchen, um dessen Einladung folgend, der Hissung der Brandenburgischcn Flagge am Mast der Fregatte beizuwohnen. Diese Flagge hat die Provinz dem Fahrzeug, das ihren Namen trägt, geschenkt. Zugleich mit der Kaiserstandarle

Jeuitketorr.

- Nachdruck »ertöten.

Auf falschen Mahnen.

Eine Künstlergeschichte von Reinhold Ortmann.

(Fortsetzung.)

Daß sich ein genialer Graveur oder Kupferstecher getrost neben die ersten Meister vom Pinsel oder vom Meißel stellen darf, fuhr der Alte fort, ist ja selbstverständ­lich, aber auch derjenige, dem durch eine Begabung bescheidenere Grenzen gesteckt sind, vermag sich in meinem Beruf künstlerische Verdienste zu erwerben, die darum nicht geringer anzuschlagen sind, vermag sich in meinem Beruf künstlerische Verdienste zu «werben, die darum nicht geringer anzuschlagen sind, weil der Natur der Sache nach nicht viel Aufhebens von ihnen gemacht werden kann. Das große Publikum -dankt ja die Mehrzahl seiner ästhetischen Genüsse auslchießlich den graphischen Künsten, -ohne die gar vieles Schöne und Erhabene der Menge niemals zugänglich weiden Würde, und ich mache mich keiner Übertreibung schuldig, wenn ich sage, daß wir eifrige Mitarbeiter sind an einer großen Culturaufgabe, deren teilweise Erfüllung dereitS herrlichste Früchte gezeitigt hat."

Martin hatte den letzten, fast begeisterten Worten de« alten Lithographen nur -noch mit einer gewissen Zerstreutheit zugehört; irgend ein ganz bestimmter Gedanke schien ihn seit einigen Minuten ausschließlich zu beschäftigen.

Und dennoch sind Sie zu Ihrer Bildhauerkunst rurückgekehrt?" fragte er, «och einmal mit einem raschen Blick seine Umgebung überfliegend.

Aber der Alte machte eine halb verneinende Bewegung.

Nicht aus Verzweiflung oder unwiderstehlicher Herzenssehnsucht, wie sie an- gunehmen scheinen," sagte er,sondern nur zur Erholung und Zerstreuung, wir sich ander« Leute in meinem Aster dem Kegelschieben oder dem Scatspielen zu ergeben

pflegen. Vor einigen Jahren erst habe ich mit den ersten schüchternen Versuchen begonnen, und außer den beiden Figuren draußen neben der Thür hat keine meiner plastischen Schöpfungen die Schwelle dieses Hauses überschritten."

Und niemals ist Ihnen eine Stunde der Mutlosigkeit, der Reue gekommen?"

Niemals! Wie ungeheuerlich groß hätten auch der Ruhm und die Ehre sein müssen, welche mir Mütterchens Ersatz und den Besitz meiner gesunden, liebevollen und wohl gearteten Kinder hätten ersetzen sollen!"

Sie haben recht!" wollte Martin sagen, und eS sah aus, als ob er die Ab­sicht hätte, noch etwas anderes. Bedeutsame« hinzuzufügen. Aber da ging die Thür auf, und eine liebe, weiche Mädchenstimme rief frisch und lustig in die ernste Stimm­ung der beiden Männer hinein:

Ich bitte, meine Herrschaften, eS ist angerichtet!"

Und in diesem Augenblick ging eS wie ein sonniges Aufleuchten über di« Züge des jungen Malers. Auch er hatte einen großen Entschluß gefaßt; auch über seine Zukunft waren die Würfel gefallen.

Bei dem einfachen Abendessen hatte Martin seinen Platz neben Helenen er­halten, und er zeigte sich jetzt so aufgeräumt und liebenswürdig gesprächig, daß Mutter und Tochter Mühe hatten, ihr Erstaunen über die Veränderung zu verberge«, welche während der letzten Viertelstunde mit ihm vorgegangen war. Winterfeld aber lächelte mit dem Ausdruck innigen Behagen« still vor sich hin.

Winterfcld empfand die glückliche Befriedigung eines guten Menschen, der die Gewißheit hat, daß ihm rin wackeres Vorhaben voll und ganz gelungen ist. Er wußte, daß sich an diesem Abend noch etwas Bedeutsames und Überraschendes ereignen würde, und seine Ahnung hatte ihn nicht getäuscht. Als eS für Marti« Zeit geworden war, an dm Aufbruch zu denkm, näherte er sich dem asten Lckho- graphrn rkrd sagte mit einem gewissen feierlichen Nachdruck, der jeden Verdacht, als > ob eS sich ihm um einen Scherz handeln könne, von vornherein erstickte: