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gekauft hatte, feilte, weil die Patronen nicht recht paßten, am Laufe der Waffe. Nachdem die Patrone sicher saß, mußte natürlich das Schießen probiert werden und damit man höre und staune ja niemand das Feuer bemerke, hielt der Flaschner­büchsenmacher die Hand vor die Mündung und drückte dann los. Regelrecht drang dann auch die kleine Kugel durch den Handballen und blieb in der Hand stecken. Ohne sich weiter zu kümmern oder jemand etwas zu sagen, arbeitete der Bursche weiter, bis die Hand so anschwoll, daß er endlich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Die Kugel konnte bis jetzt noch nicht entfernt werden.

Straßburg, 22. Nov. Die amtliche Corre- spondenz veröffentlicht eine eingehende Darstellung des in den letzten Tagen von deutschen und fran­zösischen Blättern gleich viel besprochenen Zusammen­stoßes zwischen dem deutschen Förster Reiß und fünf französischen Wilderern. Die amtliche Darstellung liefert den Beweis, daß die Corre­spondenzen, welche wir seiner Zeit über den Fall ver­öffentlicht haben, den Sachverhalt und die Vorgänge ganz richtig geschildert haben. Wir können deshalb von einer Wiedergabe des amtlichen Berichts absehen. Nur sei den stellenweise sehr häßlich gefärbten Be­richten französischer Blätter gegenüber ausdrücklich festgestellt, daß nach dem übereinstimmenden Gutachten der Aerzte die Beschaffenheit der Schußwunden, wel­che Emil Binne und Franz Binne erhalten haben, keinen Zweifel darüber zuläßt, daß beide Wilderer von vorne angeschossen worden sind. Es kann auf Grund des gerichtlich festgestellten Thatbestandes keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß der Förster Reiß sich in der größten Lebensgefahr befunden und bei der Abgabe beider Schüsse in Notwehr gehandelt hat. Die Staatsanwaltschaft hat sich denn auch nach Ab­schluß der Untersuchung dahin schlüssig gemacht, daß auf Seite des Försters Notwehr Vorgelegen und da­her eine Strafverfolgung gegen denselben nicht ein­zutreten habe. Die Vorgesetzte Behörde des Försters Reiß hat dessen Versetzung auf eine von der fran­zösischen Grenze entfernt liegende Försterstelle verfügt, um ihn nicht etwaigen Racheakten der französischen be­freundeten Wilderer auszusetzen. Straßb. Post.

Berlin, 17. Nov. Von den vielen verhaf­teten Schaffnern der Stettiner Bahn standen gestern die beiden ersten, Karl Wolter und Gustav Wermuth, vor der 9. Strafkammer des Landgerichts I. Beide gaben den Inhalt der Anklage unumwunden zu. Am 22. September d. I. stand der Personenzug in Stralsund zur Abfahrt nach Berlin bereit, als sich an den Schaffner Wolter ein Mann in der Kleidung eines Viehhändlers wandte und ihn mit gedämpfter Stimme fragte, ob er einen Wagen 3. Klasse nach Berlin begleite und ob ein Kontrolleur sich im Zuge befinde. Wolter verstand, verneinte beide Fragen und rief den in der Nähe stehenden Wermuth herbei und fragte ihn, ob «"nicht eine Karte 3. Klaffe nach Berlin habe. Wermuth holte eine hervor und gab

sie dem Fremden, dieser reichte ihm ein Trinkgeld von 5 das beide Schaffner unter sich teilten. Der Fahrgast, dem nun ein Platz angewiesen wurde, war der Kriminalkommissar Zillmann, er hatte den Schaffnern eine Falle gestellt. Die Fahrkarte lautete auf die Strecke Lauterbach-Berlin, war als Rückfahr­karte in Berlin gelöst und hatte bis zum 25. Sept. Giltigkeit. Sie war aber bereits zweimal durchlocht, der Inhaber mußte also die Hin- und Rückfahrt be­reits zurückgelegt haben. Als der Zug in Berlin eingelaufen war, wurden die beiden Schaffner ver­haftet. Wermuth gab an, daß er die Karte in einem Abteil 3. Klaffe gefunden habe. Er habe versäumt, sie abzugeben, und sie unglücklicherweise noch bei sich gehabt, als Wolter ihn in Stralsund nach einer Karte nach Berlin fragte. Der Staatsanwalt beantragte 7 Monate Gefängnis. Der Verteidiger wies auf die bisherige tadellose Führung der Angeklagten hin, die doch eigentlich nur in eine ihnen gestellte Falle ge­gangen und der Verführung erlegen seien. Das Ge­richt verurteilte die Angeklagten zu 4 Monaten Ge­fängnis, sprach ihnen die Befähigung, ein öffentliches Amt zu bekleiden, für ein Jahr ab und verfügte die Einziehung der zur Bestechung verwendeten 5

Berlin, 23. Novbr. Die Gemahlin des Grafen Herbert Bismarck ist heute in Schön­hausen von einer Tochter entbunden worden.

Graz, 21. Nov. Das Leichenbegängnis des Grafen Hartenau fand unter großartiger Teilnahme statt. Vor demselben fand sich gestern um 12 Uhr mittags eine große bulgarische Deputation, den bulgarischen Minister des Aeußern Grekoff und den Kammerpräsidenten Petkoff an der Spitze, bei der Gräfin Hartenau ein. Diese befand sich zu Bette und ließ sich in den Empfangssalon tragen, wo sie die Bulgaren empfing. Auf die Ansprachen derselben erwiderte die Gräfin Hartenau folgendes: Ich kann Sie nur versichern, daß das bulgarische Volk und sein Schicksal dem Herzen des Verblichenen sehr nahe standen und daß er die treueste Erinnerung an dasselbe bewahrte." Der Adjutant des jetzigen Fürsten Ferdinand von Bulgarien überreichte so­dann einen Kranz aus Blumen, die Graf Hartenau einst selber gepflanzt hatte. Die Gräfin wollte noch sprechen, wurde aber derart von Schmerz überwältigt, daß man sie wieder in ihr Zimmer zurückführen mußte. Der strömende Regen konnte der Beteiligung der Bevölkerung an der Leichenfeier keinen Eintrag thun. Tausende zogen um 1 Uhr mittags vor das Trauerhaus. Der Leichenzug selbst war imposant. Am Grabe hielt der bulgarische Minister des Aeußern, Grekoff, einen Nachruf, in welchem er sagte: Die bulgarische Deputation müsse weinen über den uner­setzlichen Verlust jenes Mannes, welchem Bulgarien seine politische Existenz zu danken hat. Die junge bulgarische Armee erhielt durch ihn die Feuertaufe. Die Rede Grekoffs machte großen Eindruck; alle Bul­garen weinten.

Litterarisches.

Die Schriften des Calwer Verlagsvereins sind in aller Welt verbreitet und zum Teil in eine ganze Menge von Sprachen übersetzt. Für uns Calwer selbst aber haben nicht alle das gleiche Interesse. Einige freilich sind gerade wie für uns geschrieben. So die vor einigen Jahren erschienene Geschichte der Stadt Calw von Archivrat Staelin, und so auch das soeben herausgekommene BuchAus vr. H. Gunderts Leben" von I. Hesse, vr. Gundert war zwar von Geburt kein Calwer, sondern ein Stutt­garter gewesen, durch mehr als 30jährigen Aufent­halt in unserer Stadt aber war er wie zum Calwer geworden. Seine Lebensbeschreibung wird gewiß Manchem willkommen sein. Mit Interesse wird er daraus sehen was Gundert als Missionar, als Ge­lehrter, als Schriftsteller, als Christ und als Patriot gewesen ist und gewirkt hat. Das Buch ist bescheiden, geschrieben und angenehm zu lesen. X. X..

Landwirtschaft!. Bezirks verein.

Der KalenderFritz Möhrlins Schwä­bischer Bauernfreund" kann von Vereins­mitgliedern zu dem ermäßigten Preis von 25 einzeln oder durch die Herren Ortsvorsteher in Partieein bei Sekr. Ansel nunmehr bezogen werden.

Ebenso können bei demselben von Vereins­mitgliedern auf das sehr empfehlenswerte und über­aus billige von dem Württemb. Obstbauverein! herausgegebene Schriftchen :Der Obstbaum­freund"; Vierteljahrs schrift zu gemein­verständlicher Belehrung über den Obst­bau des Landmannes (Jahrespreis nur 20 Pfg.)- Bestellungen gemacht werden und werden die Herren. Ortsvorsteher hiemit ersucht, diesbezügliche Meldungen entgegen nehmen und längstens bis zum 5. Dez- d. I. an Sekr. Ansel einsenden zu wollen.

Vereinsvorstand

Lang.

Standesamt ßalw.

Geborene:

20. Nov. Helene Pauline, Tochter des Wilhelm Buck,.

Bäckermeisters hier.

21. Marie, Tochter des Eugen Häring, Gast-

Hofbesitzers hier.

Gestorbene:

17. Nov. Gottlieb Maier, Sohn des Karl Maier- Bahnwärters hier, 2 Tage alt.

21. . Christof Friedrich Mann, Tuchmacher hier,

78 Jahre alt.

22. . Georg Steinhilber, Tuchmacher hier, 68

Jahre alt.

22. Göttlich Emil Mailänder, S. d. Gottlieb

Mailänder, Bauschreibers hier, 1 M. a.

Gottesdienste

am Sonntag, den 26. November.

Vom Turm: 7. Predigtlied: 288.

Vorm.-Predigt: H. Stadtpfarrverwcser vr. Hory. Abendmahlsfeier für Leidende im Vereinshaus, Vorm. 11 Uhr. Christenlehre mit den Söhnen. Um 5 Uhr Bibelstundc im Vereinshaus: Herr Dekan Braun­

geringer geworden und ich hegte im Grunde meine» Herzens die felsenfeste, uner­schütterliche Überzeugung von der Echtheit meines Talents, das endlich doch alle Hindernisse siegreich überwinden müsse. Wenn Sie mich trotzdem heute nicht als einen berühmten Bildhauer, sondern als einen kleinen, unbekannten Lithographen kennen gelernt haben, so darf ich Ihnen mit eigenem Stolz die Erklärung abgeben, daß nur mein eigener freiwilliger Entschluß diese Wendung in meinem äußeren Lebensschicksal herbeigeführt hat. Nicht der Zweifel an meinem Talent, sondern die zwingende Allgewalt der Liebe ist es gewesen, welche mich in eine Bahn gedrängt hat, die mit all meinen stolzen Hoffnungen und Träumen sehr wenig zu schaffen hatte. Eben wie ich mich anschickte, den großen Kampf um die Ruhmespalme mit frischen Kräften zu beginnen, lernt« ich auf einem Künfilerfeste mein Mütterchen kennen, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß sie damals nicht wie rin Mütterchen, sondern wie ein holdselige», frisch erblühende» Nöslein anzuschauen war. Daß ich hinfort ohne sie nicht mehr würde leben können, stand mir bei ihrem ersten Anblick fest, und da ich immer ein Mensch von raschen Entschlüssen gewesen bin, so hatte ich mir schon nach wenigen Stunden unserer Bekanntschaft die angenehme Gewißheit »«schafft, daß Mütterchen mein« Ansichten in diesem Punkt vollkommen teilte.

Ab« wir hatten auch festgestellt, daß die äußeren Verhältnisse unseren Wünschen nicht eben günstig waren. Mütterchen war nämlich «ine Waise und genau so reich od« so arm wie ich, da» heißt, sie lebte von ihrer Thätigkeit al» Klavierlehrerin, wie ich von der Arbeit mein« Hände leben sollte, und wenn wir unsere ganze Habe zusammenthaten, so war's imm« noch nicht genug, um auch nur das allrrkleinste Zimmer damit auszustatten. Zwischen höchster Seligkeit und tiefster Verzweiflung hin und hergeworfen, schlich ich ein paar Tage lang herum. Dann war d« schwere Kampf auSgerungen. Die Liebe und da« Bewußtsein der Pflicht, einem braven Mädchen ein gegebenes Wort zu Hallen, hatten über all mein« ehrgeizigen Träume amen glänzenden Sieg davongetragrn, und der Plan für mein« ««ändert« Zukunft

war bis in seine kleinsten Einzelheiten fix und fertig entworfen. Mit der großen Künstlerlaufbahn war es nichts. Da hatten Jahrzehnte vergehen müssen, ehe ich im Stande gewesen wäre, nur meinen eigenen Herd zu bauen und inzwischen wäre Mütterchen vielleicht eine vergrämte und verkümmerte alte Jungfer geworden. So mußte e» denn freilich mit bescheidenen Mitteln versucht werden. Ich hatte immer eine leidliche Geschicklichkeit zu allen möglichen Verrichtungen gehabt, das Zeichnen war mir flott von der Hand gegangen und hier und da hatte ich mich schon aus Liebhaberei mit der Feder und der Graviernadel versucht. So warf ich denn frisch und flott alle meine Vorurteile über Bord, ging trotz mein« dreiundzwanzig Jahre zu einem Lithographen in die Lehre und konnte zwei Jahre später ohne alle Ge­wissensbisse Mütterchen zum Traualtar führen. Dann gab rS eine lustige Arbeit um da» tägliche Brot, bei der nur wohl all« unnützen Gedanken vergehen mußten, denn der liebe Gott hat mich mit Familiensegen reichlich bedacht, Mütterchen hat mir im Lauf d« Jahre neun Kinder geschenkt, die als elterliches Erbteil zunächst einen recht gesunden Appetit mitgebracht hatten, und für deren hungrige Schnäbelchen unermüdlich gesorgt und geschafft werden mußte. Daß es mir gelungen ist, sie immer satt zu machen, danke ich allein meinem neuen Beruf, d« dafür hundertfach gesegnet ist. Mit ganzer Seele hatte ich mich ihm hingrgeben. Heute ist er mir so sehr ans Herz gewachsen, daß ich ihn um keinen Preis mit einem anderen vertauschen möchte; und ich sage Ihnen, mein jung« Freund, jeder, der von diesen angeblich minderwertigen Künsten mit einem geringschätzigen Achselzucken redet, ist ein Narr. Auch wenn man, wie ich, nicht im Stande ist, SrlbsterfundeneS hervorzubringen, sondern sich darauf beschränken muß, da» zu reproducieren, was ein frei schaffender Künstler erdacht und auSgeführt hat. auch dann, meine ich, könnte unsere Thätigkeit, soweit sie nicht gerade handwerksmäßig betrieben wird, mindesten» auf dieselbe Wertschätzung Anspruch erheben, die man d« gleichfalls reproducierenden Schauspiel^ kunst neben d«n Werke de« Dichter» zu teil werden läßt.

(Fortsetzung folgt.)