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Depesche von der Königin Viktoria an die Gräfin Hartenau ein, lautend: „Tief erschüttert durch die so traurige und unerwartete Nachricht von dem Hinscheiven Ihres geliebten Gatten, für den ich die höchste Verehrung hatte, bitte ich mein tiefstes Beileid zu empfangen." — Unter der überaus großen Anzahl von Kränzen, die am Sarge des Grafen Hartenau nieder- qelegt worden sind, befindet sich auch ein von dem Prinzen Friedrich Leopold von Preußen, dem Kommandeur des Regiments der Gardes du Corps, im Namen des Offiziercorps gesandter Kranz. Graf Hartenau gehörte bekanntlich als Lieutenant dem Regiment an. — Die Königin Viktoria von England und Kaiserin Friedrich ließen einen gemeinschaftlichen Kranz mit der Aufschrift „Viktoria und Kaiserin Friedrich" am Sarg des Grafen Hartenau niederlegen.
Petersburg, 20. Nov. Ueber den verstorbenen Grafen Hartenau liegen bis jetzt nur vereinzelte Artikel in Residenzblättern vor. Sie enthalten einen in ruhigem Ton gegebenen Ueberblick über die Thätigkeit des Verstorbenen und stellen ihn als einen Abenteurer dar, aber als einen Abenteurer durch die Schuld der russischen Diplomatie. Wie der Battenberger gehandelt habe, so würde mehr oder weniger in Sofia jeder Fürst gehandelt haben.
Warschau, 21. Nov. Vorgestern und gestern wurden gegen 80 Personen, meist aus litterarischen und studentischen Kreisen, wegen Verdachts, daß sie einer nihilistischen Verschwörung angehören, verhaftet und in der Citadelle interniert. Die Stadt ist in großer Aufregung.
Permischtes.
— Der Riesenprozeß gegen die der Durchstecherei beschuldigten Viehhändler und Schaffner — es sind gerade 50 Angeklagte — wird am 14. Dezember und folgende Tage vor dem Landgericht zu Hamburg stattfinden.
— Das in Fürth bei Nürnberg erscheinende fränkische Arbeiterblatt beantwortet die Frage, wie die circa 10 Millionen Mark, die von zwei Millionen deutscher Arbeiter für die Sozialdemokratie jährlich beigesteuert werden, Verwendung finden, folgendermaßen:
„Gehalt für 50 der oberen Führer jährlich L ^ 10,000 ----- ^ 500,000, desgleichen für 300 solcher zweiter Güte L 5000 -- 1,500,000 desgleichen 500 solcher, die zu Wanderpredigern und Reichstagsabgeordneten ausgebildet werden sollen L 3000 -- 1,500,000 350 Wahlbe
zirke jährlich zu bearbeiten ä ^ 10 0000 —
3,500,000, Taggelder an Reichstagsabgeordnete 1,200,000, insgemein zur Gründung von Zeitungen, Zuschuß zu Büchern, Broschüren, Flugblättern, Striks ^ 1,880,000. Summa 10 , 000,000
Wie man alt wird. Ein Rentner in Paris
hat ein recht schlaues Mittel ersonnen, sein Leben zu verlängern. Vor nunmehr zwölf Jahren ging er zu einem Notar und sicherte seinen zwei Mägden kontraktlich ein jährliches Einkommen von 600 Frcs. zu, das sich jedoch um 100 Frcs. für jedes Jahr, welches dem alten Herrn noch weiter beschicken wäre, vermehren sollte. Man kann sich denken, daß es nun die eifrigste Sorge der beiden Frauen war, ihren Gebieter so lange als möglich am Leben zu erhalten. Sie umgaben ihn mit einer geradezu rührenden Sorgfalt, pflegten und behüteten ihn wie Mütter, und der kluge Mann ist auch wirklich erst vor ein paar Tagen im Alter von 87 Jahren verschieden.
Ein gemütlicher Dieb. Als dieser Tage Morgens gegen halb 8 Uhr der Kaufmann W. in Berlin seinen Delikateßwarenladen öffnete, fand er in dem an den Geschäftsraum stoßenden Nebenzimmer einen etwa 26jährigen Menschen auf dem Sofa fest schlafend. Auf dem Tisch standen mehrere Bierflaschen, lagen ausgeschnittene Würste und Schinken — und ein Bund Dietriche. Die Ladenkasse war erbrochen und ihres Inhaltes beraubt, mehrere Packele, Delikatessen enthaltend, standen zusammengepackt auf dem Ladentisch. Der Geschäftsinhaber ließ den Eindringling, der ziemlich viel „Echtes" — nach den vorhandenen leeren Bierflaschen zu schließen — gekneipt haben mußte, ruhig ausschlafen, bis ein Schutzmann erschien, welcher den Einbrecher nach der zuständigen Polizeiwache schaffte. Der Verhaftete, ein Schlossergeselle, will lediglich, um eine Schlafstelle zu gewinnen, den Einbruch verübt haben. Das Oeffnen der Ladenkasse, Verzehren der Eßwaren gibt er an, in „nachtwandlerischem Zu stände" ausgeführt zu haben!
— Ein fideler Spitzbube ist Bartolo- meo Durili, einer der berühmtesten „Ritter vom Busch" auf Korsika. Das beweist der folgende Brief, den er an den Gensdarmerie-Kommandanten in Ajaccio gerichtet hat: „Herr Kommandant! Ich Unterzeichneter, Durili Bartolomeo, Bandit aus Plana, habe die Absicht, mich von Ihnen gefangen nehmen zu lassen; ich könnte dann schon im Monat November vor Gericht erscheinen. Wollen Sie die Güte haben, Herr Kommandant, meine Mutter Anna Maria Durili, Hausbesitzerin in Plana, den Tag anzugeben, an welchem ich mich bei Ihnen einfinden kann. Inzwischen bitte ich Sie, Herr Kommandant, die nötigen Anordnungen zu treffen, damit mich die Gensdarmen nicht während meiner Reise verhaften, und ich empfehle Ihnen, Ihren Untergebenen die Weisung zu geben, mich nicht zu belästigen, sonst könnten Sie und sie etwas erleben. Genehmigen Sie, Herr Kommandant u. s. w. Durili Bartolomeo, Bandit Hausbesitzer in Plana." Mehr Höflichkeit kann von einem Weglagerer doch sicherlich nicht erwartemM^
Der Musikverständige. Mann: „ÄW Junge macht mich noch rasend mit feinem Geschrei!" — Frau: „Ich werde ihm etwas Vorsingen!" — Mann: „Da laß ihn lieber schreien!"
Landwirtschaft!. Kezirksnereirr.
Mit dem 1. Januar 1894 beginnt ein neues Abonnement auf das landw. Wochenblatt. Da dessen kostenfreier Bezug mit dem Eintritt in den landw. Verein verbunden ist, und zum Zweck der Fertigstellung der Postlisten die Mitgliederliste spätestens bis 10. Dez. nach Stuttgart eingeschickt werden muß, so werden diejenigen, welche dem landw. Verein beitreten wollen, gebeten, sich spätestens bis 5. Dez. d. I. mündlich oder schriftlich bei dem mitunterzeichneten Sekr. Ansel anzumelden. Spätere Meldungen würden erst vom 1. Juli 1894 ab zum Bezug des landw. Wochenblatts berechtigen. Auch der Austritt aus dem Verein kann nur durch Abmeldung bis zum 5. Dez. erfolgen. Wer diesen Termin versäumt, erhält sein Blatt weiterhin zugeschickt, und hat seinen Beirrag für das Jahr 1894 fortzuentrichten. Die Herren Örtsvorsteher werden freundlich ersucht, ebenfalls bis zum 5. Dez. dem Sekr. Ansel anzuzeigen, welche Mitglieder wegen Todes oder Wegzugs zu streichen sind, oder im Versäumnisfall für einen Ersatzmann sorgen zu wollen.
Calw, den 17. November 1893.
Vereinsvorstand Sekretär
Lang. Ansel.
Landwirtschaft!. Kezirksrrerem.
Der Kalender „Fritz Möhr lins Schwäbischer Bauernfreund" kann von Vereinsmitgliedern zu dem ermäßigten Preis von 25 einzeln oder durch die Herren Ortsvorsteher in Partieen bei Sekr. Ansel nunmehr bezogen werden.
Ebenso können bei demselben von Vereinsmitgliedern auf das sehr empfehlenswerte und überaus billige von dem Württemb. Ob st bauverein herausgegebene Schriftchen: „Ter Obstbaumfreund"; Vierteljahrsschrift zu gemeinverständlicher Belehrung über den Obstbau des Landmannes (Jahrespreis nur 20 Pfg.) Bestellungen gemacht werden und werden die Herren Ortsvorsteher hiemit ersucht, diesbezügliche Meldungen entgegen nehmen und längstens bis zum 5. Dez. d. I. an Sekr. Ansel einsenden zu wollen.
Vereinsvorstand
Lang.
Zarte, schöne Haut, feinen Teint vermittelt Ooering's seif« mit der Eule, chemisch geprüft auf ihren Wert und begutachtet als eine in Qualität unübertreffliche hochfeine Toiletteseife, von dem besten Einflüsse auf die Schönheit und Reinheit der Haut. Wegen ihrer sparsamen Abnutzung beim Waschen verhältnismäßig billiger als die Kunstseifen, die man schon zu ganz niederem Preise einkaufen kann. Preis 40 Pfg. Käuflich in Calw bei I. C. Mayers Nachf., Emil Sänger a. Markt, A. Schaufler, Wieland Ü Pfleiderer (Federhaff'sche Apotheke). Ln-gros-Verkauf: vosring L Os», Frankfurt a. M.
zehn und die jüngste kaum sechs Jahre zählen mochten, hingen sich ohne Rücksicht auf die Gegenwart des Fremden an seine Hände, seine Schultern und seine Rockschöße, um ihrer Freude über seine Heimkehr lustigsten und übermütigsten Ausdruck zu geben. Auf d«r Schwelle eines Nebengemachs aber erschien die schlanke, wohlgebildete Gestalt eines vielleicht achtzehnjährigen Mädchens, das mit einiger Verwunderung zu Martin hinübersah, und dessen Wangen sich mit einem allerliebsten Rot überzogen, als die Blick« des jungen Malers zufällig den ihrigen begegneten. Martin konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Anmut und Lieblichkeit in einem einzigen Wesen vereinigt gesehen zu haben. Die junge Dame erschien ihm kotz ihrer einfachen Kleidung in dem Schmuck der schweren, goldblonden Flechten, welche das feine Köpfchen umrahmten, und mit ihren sammetschwarzen, in seltsam feuchtem Glanze schimmernden Augen als der lebendige Inbegriff aller weiblichen Schönheit, — und wenn ihm in diesem Augenblick die Erfüllung eines beliebigen Wunsche» freigestellt worden wäre, so würde er vielleicht nicht anders begehrt haben, als das holdselige Gegenüber immerfort in stummer anbetender Bewunderung betrachten zu dürfen. Dieser schweigenden Verehrung wurde indessen sehr bald ein Ende gemacht; denn nachdem Herr Nikolaus Winterfeld mit Hülfe einiger sehr energischen Armbewegungen endlich dahin gekommen war, seine jüngeren Sprößling« samt und sonders von sich abzuschütteln, nahm er seinm Gast mit jener herzlichen Vertraulichkeit, die den liebenswürdigen Grundzug seiner ganzen Wesen« bildete, bei der Hand und führte ihn zu dem jungen Mädchen, das jetzt noch tiefer errötete als vorhin.
„Sehen Sie, mein lieber Herr Martin Heise," sagt« er, „da haben Sir gleich «ms den ersten Blick die ganze Familie kennen gelernt, — Mütterchen allein ausgenommen. Das hier ist meine Tochter Helene, eine eifrige Kunstfreundin! Heiße den Herrn nur getrost willkommen, liebe» Kind. Ich habe durch einen Zufall seine Bekanntschaft gemacht und habe ihn nicht wieder loSgelassen, bis er mir versprach, Mich zu begleiten. Er ist nämlich ein wirklich« Maler!"
Die letzten, mit scherzhaster Wichtigkeit gesprochenen Worte schienen in der
That für Fräulein Helene eine sehr wirksame Empfehlung zu bedeuten, denn sie streckte dem jungen Manne, den sie zum ersten Rial sah, wie einem guten Kameraden die Hand entgegen und sagte mit einer ungemein weichen und wohltönei - den Stimme, welche auf das vortrefflichste mit ihrer ganzen, liebreizenden Erscheinung harmonierte:
„Es war sehr freundlich, mein Herr, daß Sie dem Wunsche meines Papa Folge geleistet haben. Ich weiß ja, wie glücklich es ihn macht, mit einem wirklichen Sachverständigen von seinem Lieblingstema plaudern zu dürfen."
Wie ein Glutstrom war es unter der Berührung ihrer weichen, warmen Finger durch Martin'« Glieder gerieselt. Er fühlte sich m t einemmal in eine ganz fremde, glückliche Welt versetzt, und er dachte nicht einmal daran, daß eS wohl seine Pflicht gewesen sei, die freundliche Begrüßung mit irgend einem art-gen Woit zu erwidern. Ohne einen Blick von ihrer zierlichen Elfengestalt zu wenden, folgte er der voraufschreitenden Helene in das Wohnzimmer. wo er mit der Frau deS HauseS — von jedermann, ihren Gatten einbegriffen, kurzweg Mütterchen genannt — bekannt gemacht werden sollte. Madame Winterfell» war eine stattliche Frau mit milden, freundlichen Zügen, denen cs noch jetzt gut genug anzumerken war, daß sie einst eine auffallende Aehnlichkeit mit dem schönen Antlitz Helenen'S gehabt haben mußten. Auch sie war von derselben herzgewinnenden Zutraulichkeit gegen den Fremden, welche ihr Mann und ihre Tochter an den Tag gelegt hatten, so daß Martin schon nach Verlauf von wenigen Minuten die Empfindung hatte, in dieser Familie seit langer Zeit bekannt und heimisch zu sein. Der heitere und zugleich gemütvolle Ton, welcher auch im gegenseitigen Verkehr der einzelnen Familienmitglieder herrschte, übte einen wahrhaft wohlthuenden Einfluß auf sein wundes Gemüt aus, und vielleicht hätte er im Verkehr mit diesen ausgezeichneten Menschen, an der Seite deS schönsten und liebenswürdigsten Mädchens, das er je kennen gelernt, siin eigenes Leid für ein paar Stunden ganz vergessen können, wenn nicht Winterfcld selbst ihn wieder daran erinnert hätte. (Fortsetzung folgt.)