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lieds. Als starker, unerschütterlicher Mann, als ein treuer Sohn seines Landes, der unentwegt auf dem Plan gestanden sei, habe Luther sich jederzeit bewiesen, sein Andenken müsse daher immer für uns im Segen bleiben. Großer Beifall begleitete die trefflichen Worte. In herzlicher Weise verabschiedete sich sodann Hr. Stadtpfarrer Eytel von der Versammlung. Er habe mit Freuden an der hiesigen Gemeinde gewirkt und das Scheiden von hier falle ihm und seiner Familie sehr schwer, er werde nie vergessen, welche Liebe ihm hier entgegen gebracht worden und er werde stets der Nagoldstadt auch am fernen Donaustrand ein freundliches Andenken bewahren. Den Gefühlen der Versammlung gab Hr. Dekan Braun Ausdruck, indem er der scheidenden Stadtpfarrfamilie für ihre hiesige treue Thätigkeit und für ihr liebevolles Wirken den verdienten Dank aussprach. Herr Oberamtsrichter Deckinger dankte dem Scheidenden für seine verdienstvolle Thätigkeit in der evang. Gemeinde, namens dieser und des Ev. Bundes. Mit dem Gesang des Verses „das Wort sie sollen lassen stahn" fand die durch Vorträge des ev. Kirchengesangvereins noch verschönerte Feier ihren erhebenden Abschluß.
Stuttgart, 10. Nov. Seine Majestät der Kaiser ist heute vormittag 9 Uhr 35 Min. hier durchgefahren; es fand nur ein Maschinenwechsel statt.
Stuttgart, 11. Novbr. Der Polizeibericht meldet: „Gestern abend zwischen 6 und 7 Uhr wurde ein hiesiger Zuchthausaufseher von dem Zuchthaus- gefangenen Rebmann mittels eines Messers in die Seite gestochen, wodurch die Lunge verletzt wurde; auch erhielt derselbe starke Verletzungen durch Messerschnitte im Gesicht. Die Verletzung in der Seite ist eine lebensgefährliche. Der Verletzte wurde mittels des Sanitätswagens ins Katharinenhospital verbracht. Rebmann ist derjenige Zuchthausgefangene, welcher im Spätjahr 1892 mit dem Gefangenen Konrad im Zuchthaus hier ausgebrochen ist und in Fellbach verhaftet wurde." Zu der blutigen That erfährt man weiter, daß der Verbrecher sich zur Begehung derselben die Gelegenheit ausersehen hatte, als ihm der Gefangenenaufseher Kunzi gestern abend ein Bad verabreichen wollte. Obgleich die amtlichen Erhebungen noch nicht zum Abschluß gelangt sind, scheint sich die Blutthat als ein schon vorher mit voller Ueberlegung geplanter Racheakt zu kennzeichnen. Das Befinden des bedauernswerten Aufsehers, welcher Vater einer zahlreichen Familie ist, läßt nach eingezogenen Erkundigungen trotz der Schwere der Verletzungen die Hoffnung auf Wiederherstellung nicht ausgeschlossen erscheinen.
Fellbach, 10. Nov. Seit Bekanntwerden des Prozentsatzes der projektierten Weinsteuer ist in Weingärtnerkreisen die Erregung keine geringe. Nach diesem Satz würde die Steuer Heuer allein hier, wo sämtlicher Wein über 150 per Eimer galt und ein Gesamtumsatz von 425,000 sich ergab, die Weinsteuer 63,000 betragen, eine Summe, die allerdings der Käufer zu tragen hätte, indirekt aber doch der Weingärtner zu fühlen bekäme durch
den Niedergang der Preise. Die bürgerlichen Kollegien,. ebenso der Ausschuß der Weingärtnergesellschaft haben r sich deshalb auch bereits einer gegen die Weinsteuer gerichteten Petition angeschlossen.
Reutlingen, 9. Novbr. Nachdem unser Nachbarort Betzingen mit einer elektrischen Beleuchtungsanlage vorangegangen ist, welche seit etwa i 8 Tagen im Betrieb ist, will nun auch Pfullingen- mit einem solchen Unternehmen folgen. Es sollen bereits über 20 Teilnehmer mit 400 Lanipen hiezu angemeldet sein; die vorhandene Kraft kann die doppelte Zahl Lampen speisen. Die Anlage wird durch den Elektrotechniker Reiser in Stuttgart erstellt.
Eglosheim bei Ludwigsburg, 10. Nov. Einem hiesigen Gutsbesitzer sind in den letzten Tagen drei wertvolle Kühe infolge Fütterung von bereiftem Grünfutter nacheinander verendet. Beim Ver-. füttern von Grünfutter ist in dieser Zeit, wie man daraus sieht, größte Vorsicht anzuraten.
Marbach, 10. Nov. Die heute früh init iier von den Deutschen in Moskau gestifteten Schillerglocke eingeläutete Feier zum Geburtstag des Dichters hat auch in diesem Jahr den Sammlungen des. Schillerhauses weitere ansehnliche Schätze zugeführt. Ein treuer und eifriger Förderer der Bestrebungen des Schillervereins hat, wie seit Jahren an dem Geburts- und Todestag des Dichters, so auch heute eine Anzahl von Briefen Schillers, seiner Gattin Charlotte, Danneckers und Herzog Karl Eugens , in das Schillerhaus gestiftet, dazu aber auch interessante und bedeutende Schriften und Briefe anderer schwäbischer Dichter (von Hölderlin, Uhland, Möricke u. s. w.) Durch die Zuwendungen der letzten Jahre haben die hiesigen Sammlungen immer mehr den-. Charakter eines Schillerarchivs und eines Archivs der schwäbischen Dichter überhaupt gewonnen und werden von Gelehrten und Forschern vielfach ausgesucht und- benützt.
Weinsberg, 9. Nov. Gestern nachmittag: ist beim Ausladen von 2 Eimer Wein auf hiesigem Bahnhof ein bedauerliches Mißgeschick passiert, indem beim Wegfahren des Fuhrwerks unter dem Krahnen dieser nicht beiseite geschoben wurde und infolgedessen der Haken das Faß packte und auf den Boden warf,, wodurch der edle Saft die Erde tränkte.
Oehringen, 6. Nov. Wohl selten hat ein Sterblicher eine bittere Ironie des Schicksals erfahren- als der Taglöhner Förnzler, welcher vor 5 Tagen die Nachricht erhielt, daß 100,000 Frcs., welche seine Frau von einer Schwester in Paris geerbt hat, parat - liegen, und der heute begraben wurde! Der 78- jährige Mann war schon seit längerer Zeit kränklich und lebte in dürftigen Verhältnissen. Von dem plötzlichen Wohlstand waren nun die Zukunftsträume sein, einziger Genuß.
Hohenzollern, 9. Nov. Der Sonderzug Sr. Maj. des Kaisers traf heute vormittag 10'/« Uhr auf der Station Zollern ein. Der Kaiser, em-
lags dürfte sich eine Mehrheit am ehesten bei der Stempelsteuer (wenigstens bei dem Teil, der als Börsensteuer bezeichnet wird) finden, obwohl das Einschneidendste bei den neuen Vorschlägen, die Frachtbrief- und Quittungssteuer, welche schon einmal im Reichstag, durchgefallen ist, jedenfalls großem Widerstand begegnen wird. Für die Besteuerung des Tabaks wird der Reichstag nicht so leicht zu haben sein, für die Weinsteuer wohl aber gar nicht. Das Schicksal der neuen Entwürfe, welche 100 Millionen Mark (Tabakfabrikatsteuer ca. 50, Stempelsteuer 36, Weinsteuer 14 Mill.) neue Reichssteuern schaffen sollen, ist in jeder Beziehung noch sehr ungewiß.
Tayes-Neuigkeiien.
sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Nach bestandener erster Forstdienstprüfung ist zum Forstreferendär II. Klasse bestellt worden: Paul Mezger von Naislach, Gemeinde Würzbach OA. Calw.
* Calw, 13. Nov. In überaus großer Anzahl hatten sich gestern abend wieder die evangel.
Familien der Stadt im „bad. Hof" eingefunden, um das Andenken an Luthers Geburtstag in würdiger Weise zu begehen. Nachdem Hr. Dekan Braun die Anwesenden begrüßt und das gemeinschaftlich gesungene Lied „Ein feste Burg ist unser Gott" erklungen war, hielt Hr. Rektor vr. Weizsäcker die Gedächtnisrede auf Luther. In gedrungenen Zügen entrollte der Redner das Leben des teuren Gottesmannes, indem er hiebei Folgendes ausführte. Wie Arminius der Befreier Deutschlands vom römischen Joche gewesen, so sei Luther der Befreier des Geistes und Gewissenszwangs geworden; Luther habe Deutschland vor der Gefahr des Untergangs des urdeutschen Lebens gerettet, er, der Bauernsohn, sei der einzig Freie in der Welt voll Unfreier gewesen; niemand habe etwas zur Herstellung der reinen evang. Wahrheit gethan. Wohl niemand hätte geglaubt, daß das Kind armer Leute, der lebenskräftige Student, der der Welt entrückte Mönch, der Doktor der Theologie es sein würde, der zu Höherem berufen und ausersehen sei. Zur Trennung mit der kathol. Kirche wurde Luther zunächst durch einen äußeren Anlaß, den damals schamlos betriebenen Ablaßhandel veranlaßt; dadurch wurde ihm die innere Unwahrheit der röm. Lehre klar; er fand, daß von Rom keine Besserung zu erwarten sei, denn der Papst belegte ihn mit dem Bannfluch und der Kaiser mit der Reichsacht.
Nachdem er aber so vom geistlichen und weltlichen Regiment verstoßen war, fand Luther sich selbst; er wurde immer mehr zur Erforschung der reinen ev.
Lehre angetrieben. Durch seine Schriften erregte Luther eine Bewegung und Spannung in Deutschland wie vielleicht in keiner anderen Zeit mehr. Die deutschen Fürsten, die Gelehrten, das Volk, fielen ihm zu.
Luther war aber nicht bloß kirchl. Reformator, er gab dem Volk auch die Bibel wieder, wurde der Gründer der Volksschule, der Reformator des deutschen Familienlebens, der Begründer einer einheitlichen deutschen Schriftsprache, der Begründer des deutschen Kirchen-
meistrn Berufsarten zurecht finden, und sollte es ja auf einen Kamelrücken geraten sein, dann wird eS eines Tages doch im Pferdesattel die Rennbahn durchjagen. Freilich geht'S dabei nicht ohne Leid und Kampf ab, und weil eS unsinnig ist, daß wir uns zu dem unvermeidlichen Leid noch künstlich etwas schaffen — schon deshalb muß man gegen jene Tendenz der Schule kämpfen. Sie ist aber auch zwecklos, es hat gar keinen Sinn, den Menschen schon frühzeitig für einen ganz bestimmten Beruf zu drillen. Auch das geht aus unserer Untersuchung über die geistige Begabung hervor. Entwickeln wir nur die Naturanlagen der jungen Leute ganz einheitlich, bis ste einen gewissen Reifegrad erlangt haben — die speciellen BerufS- kenntnifse werden sie sich dann leicht erwerben.
Da» ist jedoch nur eine der „zeitgemäßen" Seiten dieser Betrachtungen — die andere betrifft die zuletzt noch besonders hervorgehobene Eigenschaft, welche das Talent haben muß, die geistige Triebkraft, die Energie, den Arbeitsdrang. Alle geistigen Anlagen werden durch die Erziehung erst entwickelt, sie können gehemmt werden, unterdrückt und gesteigert. Nun hat man früher ohnedies mehr Wert auf die Ansammlung von Kenntnissen, auf die Entwicklung des Gedächtnisses u. s. w. gelegt, als auf diese nötigste aller geistigen Eigenschaften, auf diesen eigentlichen LebenSquell deS Talents, und in unserer Zeü ist überdies ein unseliges Etwas lebendig geworden, das sich gegen die Ardeü auflehnt. Man sieht vielfach in der Arbeit nicht mehr das frohe Spiel der eigenen Kraft, die Befriedigung eine« Naturtriebes, die ebenso nötig ist und ebenso erquickend sein müßte, wie die Befriedigung des Hungers und Durstes, man stellt sie als eine Last hin, als ein Übel, da» uns nur der schreckliche Kampf um'S Dasein auferlegt. Die wenigsten sind noch imstande, Leute zu begreifen, die viel arbeiten, und zwar nur deshalb arbeiten, weil ihnen die Arbeit Bedürfnis ist, das halb« Leben, weil sie dabei gesund und froh werden, und Neid und Scheelsucht heften sich gar oft an die Fersen solcher ArbeitS- «enfchen. E» ist eine geradezu komisch« Furcht vor Überanstrengung in unserer
Zeit, die meisten aber von denen, die sich wirklich überanstrengen, thun es nicht mit Arbeit, sondern mit sogenanntem Vergnügen. Auch da» Jammern über „verfehlten Beruf" entspringt gar oft nur dem mangelnden Arbeitstrieb, und das höchst bedenklich gewordene Herumnaschen an künstlerischen Berufen, die Sehnsucht so vieler unserer jungen Leute nach dem Theater, nach der Litteratur u. s. w. kommt zumeist nur daher, daß sich die Betreffenden in vem Wahne wiegen, da gäbe es eben keine Rackerei, da genüge das „Talent". Papier, Feder und das Talent (das der junge Mann oder die junge Dame natürlich hat) und der Schriftsteller ist fertig. Und doch giebt eS keinen Beruf, der so viel rastlose Energie, so viel eisernen Fleiß, so viel nimmermüde Arbeitslust erfordert, als dm des Künstlers oder Schriftstellers. DaS Publikum sieht freilich nichts davon, aber wer auf irgend einem dieser Gebiete etwas Erhebliches leistet, der weiß, daß eS ihm kein Gott geschenkt hat, daß er eiserner Fäuste bedurfte, um's zu erringen, daß er'S nicht erreicht hätte, gäbe es in seinem Leben nur einen einzigen Sonntag, nur einen einzigen Achtstunden-Arbeitstag!
Pflanzen wir also in die jungen Seelen, so weit, als es im einzelnen Falle gehm mag, diese Lust an der Arbeit, diesm Drang zur Thätigkeit! Öffnen wir ihnen daS Herz dafür, daß Arbeit keine Last ist, sondern ein Vergnügen, das Glück deS Lebens. Daß man mü der Arbeit nicht blos sein Brot erwirbt, daß sie uns empor- hedt, unser Talent erst lebendig macht, unser Menschentum steigert, und daß sie uns nebenbei gesund erhält und uns allein die Fähigkeit schenkt, das Üble der Welt zu überwinden und das Schöne recht zu genießen. Menschen aber, in denen dieser Arbeitstrieb lebendig ist, die sind auch immer gut, Menschen, die von ihrer Arbeit erfüllt sind, haben keine Zeit, an Erbärmlichkeiten ;u denken, und so giebt es gerade in unseren Tagen vielleicht keine bessere Medizin für die Well, keine bessere Heillehre,, als daS eine Wort: „Arbeitet — lernt die Arbeü lieben!"
(Aus .Unsere Zeit", SalonauSgabe von Schorers Familienblatt.).