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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
68. Iahrgallß.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die Einriickungsgebnhr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung g Psg. di- Zeile, sonst IS Psg.
Dienstag, den 1. August 1893.
Abonnementspreis viertel 20 Psg. Trägerlohn, durch die ganz Württemberg Mr. 1. 35.
lhrlich in der Stadt so Mg. -»» Post b-zag-n Mk. I. IS, sonst t»
Tages-Ueuigkeiten.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.s Seine Majestät der König haben am 27. Juli d. I. allergnädigst geruht, auf das erledigte Bezirksbauamt Ludwigsburg den Bezirksbauinspektor Bare iß von Hall seinem Ansuchen gemäß zu versetzen.
— Infolge der anfangs Juli abgehaltenen - Lehrerdienstprüfung wurde zur Versetzung von Schuldiensten für befähigt erklärt: Wolf, Karl, Schulamtsverweser in Oberreichenbach OA. Calw.
* Calw, 30. Juli. Das Reallyceum schloß gestern das Schuljahr 1892/93 mit einem feierlichen Schlußakt im Georgenäum ab. Eingeleitet wurde die Feier durch den Gesang des Dankliedes „O daß ich tausend Zungen hätte", worauf der Vorstand der Anstalt, Hr. Rektor vr. Weizsäcker, in einer warm empfundenen Ansprache die Schüler zu erneutem Fleiß und regem Streben aufforderte und die nun aus der Schule abgehenden Schüler mit ernsten Worten darauf' hinwies, daß sie in ihrer Weiterbildung ja nicht stille stehen, sondern immer vorwärts streben sollen, denn ein Stillstand bedeute nicht nur keinen Fortschritt, sondern einen entschiedenen Rückschritt. Besonders empfahl er das Studium der neueren Sprachen, der Geschichte und der Geographie, letztere unter dem Hinweis auf die imposante Gestalt des Kolumbus, der durch seine geographischen Kenntnisse auf den Gedanken gekommen sei, Indien müsse auch von Westen her zu erreichen sein, und somit der Entdecker eines neuen Erdteils geworden sei. Nun folgten verschiedene Gesänge und Deklamationen, worauf der Rektor zur Verteilung der Prämien und Belobungen, sowie der Zeugnisse für die wissenschaft
liche Befähigung zum Einjährig-freiwilligen Dienst schritt. Von 11 Schülern der VII. Klasse erhielten 10 die Qualifikation. Das Vaterlandslied „Stimmt an mit Hellem, hohem Klang" schloß die ebenso würdige als erhebende Feier. Das neue Schuljahr beginnt am Mittwoch den 6. Sept.
* Althengstett, 29. Juli. Heute Morgen ereignete sich hier ein höchst bedauerlicher Unglücks- fall. I. Schwarz, welcher den obersten Teil des Giebels eines Hauses zugemauert hatte, wollte die Verschalungsbretter entfernen, bekam dabei das Ueber- gewicht und stürzte etwa 15 Meter hoch herab. Seine Verletzungen sind sehr schwer, beide Arme sollen gebrochen sein, desgleichen die Füße mehrere Mal, dazu erhielt er Verwundungen am Kopf, weshalb er in das Krankenhaus nach Tübingen überführt werden mußte. Der Verunglückte war ein fleißiger, geordneter Mann und wird er und seine so schwer betroffene Familie, Frau mit 6 kleinen Kindern, allgemein bedauert.
Stuttgart, 27. Juli. Die Ehre, die deutsche Sprache um ein neues Wort bereichert zu haben, gebührt entschieden dem Professor der oberen Abteilung eines hiesigen Gymnasiums. Derselbe, ein glühender Hasser jeglichen Fremdwortes, verdeutscht den gefürchteten „Komma-Bacillus" in das fein klingende rein deutsche „Beistrich-Knirps".
Stuttgart, 29. Juli. Gestern abend 10'/« Uhr ist Herr Stadtpfarrer Josef Knapp, zweiter Stadtpfarrer an der Stiftskirche, ein Sohn des geistlichen Dichters Albert Knapp, nach mehrtägigem schwerem Leiden gestorben. Geboren zu Stuttgart 1839, hat er ein Alter von nur 54 Jahren erreicht. Nachdem er eine Reihe von Jahren in Crailsheim gewirkt hatte, war er in seiner Vater
stadt thätig, erst an der Leonhardskirche, seit zwei Jahren an der Stiftskirche. Er gehörte feinem geistlichen Berufe mit Leib und Seele an und entwickelte in der Seelsorge wie in der Predigt und in der Unterweisung der Jugend eine unermüdliche Tätigkeit, welche dazu beigetragen haben mag, seine körperlichen Kräfte früh zu erschöpfen. Er hat sich durch ernste Erfassung seines Berufes, durch aufopfernd« Hingebung in den Dienst der evangelischen Kirche, durch liebevolle Vertiefung und Versenkung in den ewigen Gehalt des Christentums, wie sich das in seinen gehaltvollen Predigten bekundete, im Kreise der Amtsbrüder wie bei den Gemeindegenoffen Liebe und Achtung erworben und manches Auge wird dem guten Menschen und treuen Seelsorger Thränen wehmütigen Abschieds nachweinen. Josef Knapp hat das Leben seines Vaters geschildert in jdem Buche: „Lebensbild von Albert Knapp, eigene Aufzeichnungen, fortgeführt und beendigt von Josef Knapp 1867".
Stuttgart, 29. Juli. Der „Staatsanz.* enthält eine Abhandlung über die diesjährigen Herb st Übungen. Danach wurden aus Rücksicht auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich« Aenderungen angeordnet über die Verlegung größerer Exerzitien auf die Exerzierplätze, sowie der Manöver in Gegenden, welche durch Futternot weniger berührt werden, über den Ausfall der Hebungen, besonders berittener Waffen, über Einschränkung der Beteiligung der Cavallerie und Artillerie, über eine Kürzung der der Dauer. Ferner sagt genanntes Blatt: „Diesen Maßnahmen — Verlegung der größeren Exerzitien auf die Exerzierplätze, der Manöver in Gegendeiz, welche durch die Futternot weniger berührt wurde», gänzlicher Ausfall von Hebungen insbesondere bei den berittenen Waffen, Einschränkung der Beteiligung von
Ikeuicteton.
—Nachdruck »erboten.
Karold Kharttons geheime Wege.
Aus dem Amerikanischen von Sophie Freiin v. Zech.
(Fortsetzung.)
„So war ich also Mitwisser eines schuldigen Geheimnisses geworden," fuhr -er alte Mann fort. „Der Besitz des Dokuments brannte mir auf der Seele, dennoch war ich zu feige zum Reden. Ich wußte, daß ich meinen Herrn zwingen konnte, Ihre Mutter als Tochter anzuerkennen, aber ich wußte auch, daß ich dann ffür immer aus seinen Augen verbannt wurde. Dann, Herr, war ich auch ein verheirateter Mann und hatte ein Kind. Was sollte aus meiner Frau und meiner Anna werden, wenn ich meine Stelle verlor? So schwieg ich denn Jahr um Jahr. Lord Arthur starb und Sir Kurt wurde Herr von Brackenburg. Advokat Scott war plötzlich sehr wohlhabend geworden, er kaufte sich ein HauS in der schönsten Lage Westringhams. — Als mein Herr tot war, litt es mich nicht länger in Brackenburg, doch hatte ich nicht nötig, mich um einen anderen Dienst umzusehen, denn meine selige Frau hatte durch den Tod eines Onkels dies Haus hier in Wien nebst einer Krämerei geerbt. Wir zogen hierher und nun als selbstständiger Mann hätte ich da- Trauzeugnis an das Gericht in England einschicken können, aber ich hätte aussagen und beschwören müssen, auf welche Weise ich dazu gekommen und dies würde meinen Wohlthäter noch im Grabe beschimpft und einen Makel an eine hochansehnliche Familie geheftet haben. Ich beschwichtigte mein Gewissen gleich Lord Arthur mit dem Gedanken: Curt ist ja auch ein rechtmäßiger Sohn und eS ist am Ende einerlei, wer das Gut für seine Nachkommen erbt, Sir Bernard oder Sir Eurt. i Jetzt, nach so langer Zeit, konnte ich auch nicht reden, man hätte mich als Hehler des Betrüge« zur Rechenschaft gezogen. Beatrice und ihre Söhne litten ja
keinen Mangel, das hatte mein Herr sich selbst gelobt un» ich kannte ihn dafür, vast er sein Wort hielt."
„Das that er auch, diese Ehre muß ich meinem Großvater lassen," antwortete Harold, „aber meine Mutter nahm seine Unterstützung nicht an, sie war nur ein niedrig geborenes Mädchen, das aber Stolz genug besaß, Gnaden zurückzuweisen, wo es Rechte beanspruchen konnte. Almosen begehrte meine Mutter nicht. Aber wie haben Sie in Erfahrung gebracht, Mc. Strong, daß ich in Westrinzham lebe?*
„Von dem Schicksale Ihres Bruders weiß ich nichts, aber von dem Ihrige» schon. Sie kamen ja nach England. Ich korrespondiere noch immer mit einem Freunde in England und dieser schrieb mir zufällig, daß er einen Prozeß habe, de» Mr. Baylis, der Nachfolger des Mr. Scott führe, aber eigentlich Mc. Harold Charl- ton, der erste und geschickte Clerk. Da wußte ich nun, was aus dem einen der Söhne Sir Bernards geworden. Jetzt, als Sie bei mir eintraten, ist der letzte Zweifel an Ihrer Identität geschwunden, denn Sie sind das leibhaftige Ebenbil» Sir Bernards. O, Mylord meine Tage sind gezählt, ich muß mein Gewissen frei machen, bevor ich vor meinen Schöpfer trete. Sind Sie edel genug, mir zu verzeihen ?"
Die Blicke des Greises hingen ängstlich an Harolds Gesicht.
„Von ganzem Herzen," erwiederte der junge Mann. Mc. Strong die H,^ hinreichend, die dieser an seine Lippen drückte.
„So sterbe ich mhig. Leben Sie wohl, Mylord, beeilen Sie sich, daß Sie nach Hause kommen und Ihr Erbe antreten, Lord Walgram ist ein unwürdig« Sprosse des edlen HauseS, er muß weichen von dem unrechtmäßigen Platze. Sollte» Sie mein Zeugnis brauchen, gut, man schicke mir einen G-richtsb-amten ins Hau» und ich will Alles wiederholen, w»S ich Ihnen erzählte. Gott befohlen, Mylords ich kann nicht mehr sprechen. Der Kopf des alten Mannes sank in die Kiffen zurück und seine Augen schloffen sich.