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Nr. 164

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Montag, den 18. Juli 19L7

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101. Jahrgang

Entspannung der Lage in Wien

Die Regierung Herrin der Lage

TU Berlin, 18. Juli. Die Berliner österreichische Ge­sandtschaft teilt mit:

Die Nachrichten, die anßcrhalb Oesterreichs über die Vorgänge in Wien verbreitet wnrden, stellen sich als sehr übertrieben dar. Seit Samstag früh herrscht vollkommene Ruhe. Es wurde der am Freitag abend, proklamierte Ge­neralstreik allgemein durchgeführt, doch ist er aus 24 Stun­den beschränkt, nur der Bcrkehrsstrcik dauert vorläufig un- besristet an. Die Regierung ist, gestützt auf Polizei und Militär in Wien, die sich als durchaus verläßlich erwiesen haben, vollkommen Herrin der Lage. Ruhestörungen sind nicht mehr vorgekommen und werden auch nicht mehr er­wartet. Alle Meldungen über den Sturz der Negierung entbehren der Begründung. Die Bewegung in Wien war in keiner Weise gegen die Fremden gerichtet, die vollkom­men ««belästigt geblieben sind. Die Unruhen scheine» zu Ende und die politische Lösung der Sitnation scheint be- vorzustchen.

Wie der Vertreter der Telunion erfährt, nimmt die Re­gierung den Standpunkt ein, daß die völlige Beendigung des Streiks unumgängliche Voraussetzung der Einberufung des Parlaments sei. Es scheint schon jetzt fcstzustehen, daß die Sozialdemokraten nachgeben werden. Die Formierung einer Gemeindcpolizei durch den Bürgermeister ist osfenbar ein Kompromiß zwischen Negierung und Sozialdemokratie. Ein Rcgiernngskommunigue deutet dies an, indem es von der Tatsache selbst Kenntnis gibt und auch die beiden Be­dingungen bekannt gibt, die offenbar vereinbart worden find, nämlich die ausdrückliche Bestimmung, daß die Ge­meindeschutzwache nur für die Tage der Gefahr bestehen soll und daß ihr Zusammenwirken mit der Bundespolizei sichergestellt ist. Im Vergleich zu den ersten Stunden nach den blutigen Zusammenstößen hat sich das politische Gesamt­bild in Oesterreich vollkommen gedreht. Während am Frei­tag nachmittag ein Verhandeln mit den Sozialdemokraten fast unmöglich blieb und jedenfalls allgemein von zu er­wartenden sozialistischen Forderungen gesprochen wurde, ist davon jetzt keine Rede mehr. Vielmehr wird angenommen, daß die Vorkommnisse des. Juli die Machtstellung der Sozialdemokratie in Oesterreich sehr zerrüttet haben.

Fortschreitende Beruhigung.

Nach weiteren aus Wien mittelbar cingctroffenen Mel­dungen wirkt die u. a. in der Wiederaufnahme des Straßen- bahnverkehrs zum Ausdruck kommende Beendigung des Ge­neralstreiks beruhigend auf die Gemüter. Zu Störungen ist es kaum noch gekommen. Die Gasthäuser sind wieder ge­öffnet: das Alkoholverbot besteht weiter. Immerhin ist die Stimmung auch weiterhin gedrückt. Auch die elektrische Stadtbahn hat den Betrieb wieder ausgenommen. Insgesamt sind bisher 252 Verhaftungen vorgcnommcn worden.

Vor den Besprechungen beim Bundeskanzelr Dr. Seipel fand eine Sitzung des Vorstandes der Sozialdemokratischen

Partei statt. Wie verlautet, sollen die Sozialdemokraten be­schlossen haben, vorzuschlagen, daß die Kompetenz des Haupt­ausschusses durch Uebertragung eines Teils der Regierungs- gewalt auf den Ausschuß erweitert werde, um alle parlamen­tarischen Parteien zur Mitarbeit heranzuziehen. Weiter heißt es, daß ein Verlangen auf Entfernuug hervorragender Persönlichkeiten nicht gestellt werden solle. Die Gemeinde­schutzwache, die Sonntag früh gebildet wurde, ist feierlich auf die Republik vereidigt worden. Bürgermeister Seitz machte es der Gemeindeschutzwache zur Pflicht, ihre Aufgabe in strengster Neutralität durchzuführen.

Die Opfer der Wiener Revolte.

Der Schaden, der durch die völlige Zerstörung des Justiz- palastes entstanden ist, wird auf viele Millionen österreichi­sche Schillinge geschätzt. Die Zahl der Toten dürfte etwa 150 betragen, die Zahl der Verwundeten 7VÜ. In einem ein­zigen Spital befinden sich mehr als 40 Tote. Im Ganzen wurden im Laufe des Samstag 88V Verletzte eingeliefert, von denen 44 gestorben sind. Die Spitäler sind mit Ver­wundeten überfüllt. /

Zurückhaltung in Bölkcrbunbskrciscu.

TU Genf, 18. Juli. In Völkerbundskreisen legt man sich in der Beurteilung der Vorgänge in Wien die grüßte Zurückhaltung auf, da man in ihnen zunächst lediglich Vor- gänge innenpolitischen Charakters steht, die außerhalb des Gebiets des Völkerbundes liegen. Die Schweizer Presse bringt fortlaufend in großem Umfange telegraphische Mel­dungen über die Wiener Ereignisse, ohne jedoch bisher hierzu Stellung zu nehmen. Nur das »Journal de Geneve" befaßt sich eingehend mit den Ereignissen in Wien, die es als ein charakteristisches Zeichen für die völlig ungesunde moralische Situation hinstellt. Oesterreich habe nach dem Krieg sein Gleichgewicht noch nicht wicdergcfunden. Man habe in Oesterreich das Gefühl, daß die Revolution dort noch nicht zum Abschluß gelangt sei. Oesterreich befinde sich in einem Zustand größter Unsicherheit, aus dem sich in jedem Moment neue ernste Komplikationen ergeben könn­ten. Würde man der Entwicklung in Oesterreich freien Laus lasten, so würde ohne Zweifel sofort der Anschluß Oester­reichs an Deutschland gefordert werben. Die blutigen Vor­gänge in Oesterreich zeigten, wie unsinnig die Entcnte- politik der Abrüstung gegenüber Oesterreich sei. Tie Entente habe die militärischen Kräfte des Landes auf rin derartiges Minimum reduziert, daß die Regierung nicht einmal die genügenden Polizeikräfte zur Aufrechterhaltnng der Ordnung zur Verfügung habe/ Wenn die Entente nicht die Absicht habe, Oesterreich die zur Erhaltung seines Gleichgewichts notwendigen Kräfte zu geben, so dürfte der Anschluß Oesterreichs an einen größeren Organismus nicht verhindert werden. Es heiße Oesterreich, das sich im Zen­trum Europas befinde, den Kräften der Revolution aus­liefern, wenn Oesterreich auch weiterhin im gegenwärtigen, völlig geschwächten Zustand aufrecht erhalten werde.

Die französisch-belgischen Beziehungen

Sine Rede Poincarcs in Brüssel.

TU. Brüssel, 18. Juli. Gestern mittag fand in Brüssel die Enthüllung des Denkmals für den Unbekannten fran­zösischen Soldaten statt. An den Feierlichkeiten nahmen teil der König und die Königin von Belgien und auch -er fran­zösische Ministerpräsident. Der König erklärte in sei­ner Ansprache u. a., die Tatsachen der Verletzung der Ver­träge und die Mißachtung des internationalen Rechts hätten dazu geführt, daß belgische und französische Soldaten Seite an Seite gefuchten hätten. Der König gab einen kurzen histo­rischen Ucbcrblick über die KriegSjahre, ^>ie eine tieke und nicht zu zerstörende Zuneigung zwischen Belgien und Frankreich geschaffen hätten. Beide Völker würden auch tm Frieden brüderlich vereinigt bleiben zu ihrer Sicherheit und ihrem gegenseitigen Wohlergehen. König Albert bezeichnet«: Poincarc als den sichersten und treuesten Freund Belgiens, dessen Anwesenheit am beste» die Festigkeit der belgisch-fran­zösischen Beziehungen kennzeichne.

In der Rede, die Poincare vor dem Denkmal hielt, führte er u. a. aus: Derartige Feierlichkeiten seien geeignet, die historische Wahrheit über den letzten Krieg zu verewigen und zu verhindern, daß die Wahrheit verdreht oder entstellt werde und daß die historischen Tatsachen allmählich als eine Legende abgelöst würden. Poincare nahm Bezug auf die Ereignisse, die der Kriegserklärung vorausgtnaen und ihr

folgten. Er fügte hinzu, daß es nie dazu gekommen wäre, daß ein französischer Soldat in Belgien gekämpft hätte, wenn die Neutralität nicht verletzt worden wäre. Dann kam er auf die Erklärungen Prof. Brcdts und auf die Antwort der belgischen Negierung zu sprechen und behauptete. Laß vor dem Kriege Deutschland die Befestigungen an der Maas ge­wünscht, befürwortet uud gutgcheißen habe. Eine entgegen­gesetzte Behauptung sei darauf gerichtet, die bestehenden Ver- träge zu revidieren. Poincare erklärte, daß es nicht sein? Aufgabe sei, eine Apologie des Friedens zu geben,- Frank­reich und Belgien wollten vielmehr ihre Politik der An­näherung der Völker sortsetzen und ihre Einstellung zur olitik von Genf und Locarno habe sich nicht geändert. Wenn wir/ sagte Poincare,sehen, daß Deutschland eine seiner Verpflichtungen erfüllt, wie z. B. bezüglich der- nigsberger Befestigungen, so begrüßen wir das als Zeichen der Entspannung und Pflicht, weil wir froh sind, daß wir gesiegt haben. Wir wünschen den Frieden nicht nur ans Gründen der Vernunft und der Menschlichkeit, sondern we­gen der Sorge um unsere Zukunft und weil wir arbeiten und ruhig leben wollen. Doch wollen wir andererseits auch eine geregelte Zahlung der Reparationen und Garantien für unsere Sicherheit. Unter diesen beiden Vorbehalte» neigen wir uns dem Frieden zu, ungeachtet alles Mißtrauens, alles Mißverstehens und aller persönlichen Angriffe.

Tages-Spiegel

In Wien ist am Sonntag eine starke politische Entspani «ng eingetretcn.

Die Regierung Ist durchaus Herrin der Lage. Die Gezen- fätzc mit der Sozialdemokratie werde« nunmehr ans par lamentarischem Gebiet ausgefochten werden.

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Während der Generalstreik in Oesterreich nur 24 Stunden dauerte, konnte der Streik im Verkehrswesen noch nicht behoben werden. Der Güterverkehr ist zum größten Teil gesperrt.

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Poincarc hat in Brüssel am Grab des unbekannten belgi> schon Soldaten eine seiner bekannten Hetzreden gef alte»

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Amtlich wird mitgetcilt, daß der litauische Gouverneur für das Mcmclgebiet eine Verordnung »nterzeichnet hat, «»> nach die Wahlen znm memelländischen Landtag am SL August stattsindcn sollen.

Rcichsaußenministcr Dr. Stresemann ist am Gonntag nach Bad Wildlingen abgcrcist, wo er seine» Urlaub verbringen wird.

Ein deutscher Militärattache für Paris?

TU Paris, 18. Juli. In einer Richtigstellung seines Berichtes über die Rebe de Margeries in der Berliner fran­zösischen Kolonie erklärt der »Matin", Frankreich habe schon bei Auflösung der Kontrollkommission im letzten De­zember den Obersten Tournes zum Berliner Militärattache ernannt. Das Blatt meint dann, es sei nicht zweifelhaft, daß in einer mehr oder weniger nahen Zukunft und wahr­scheinlich nachdem das Reich allen übrigen Verpflichtungen genügt habe, die deutsche Regierung auf Grund des Prin- zipes der Gegenseitigkeit ihrerseits den Posten einet Militärattaches der Pariser Botschaft wieder erneuern werde.

Deutsche Volkspariei und Reichsschulgesetz

Berlin, 18 . Juli. Der deutsch-volksparteiliche Abgeordnete Dr. Runkel, der im Auftrag seiner Partei die interfraktio­nellen Besprechungen wegen des Schulgesetzes geführt hat, nimmt in derNationalliberalen Korrespondenz" zu dem Entwurf Stellung. Er stellt fest, daß die Vertreter der Deut­schen Volkspartci bei den Verhandlungen sich stets einer geschlossenen Mehrheit der übrigen Regierungsparteien gegenübersahen, wobei das größere Verständnis für die libe­ralen Forderungen nicht die Deutschnationaleu, sondern die Vertreter des Zentrums gezeigt hätten. In manchen Punk­ten sei man den deutsch-volksparteilichen Forderungen ent- gegengekommrn, aber nicht immer seien sie voll berücksichtigt worben, teilweise sogar unberücksichtigt geblieben. Im Ge­samtergebnis bezeichnet Dr. Runkel den Entwurf als eine wertvolle Grundlage für eine weitere und hoffentlich er- sprießlichere Ausschußberatung. Die Deutsche Volkspartei muß sich ihre Stellung zu allen kritischen Problemen bei den Ausschubberatungen Vorbehalten, wie es ihre Vertretung bei den Verhandlungen getan und bei den Schlnßberatnngen im Kabinett auch zu Protokoll gegeben habe.

Sonderbeihilfen für Kleinrentner

TU Berlin, 18. Juli. Halbamtlich wird mitgeteilt: Der Reichstag hat im Haushalt des Rcichsarbeitsministeriums für 1927 für die Kleinrentnerfürsorge einen Betrag von 25 Millionen .4l zur Verfügung gestellt. Durch das bedauer­liche, zum Teil allerdings auf Anregung von Rentnerver- tretuugen selbst zurückzuführcndc Verhalten einer größeren Anzahl von BezirkSfürsorgevcrbänden sind die Klein­rentner bisher nicht in den Genuß der Beihilfen gekom­men. Um eine weitere Verzögerung zu vermeiden, haben das Reichsarbeitsministerium und das Reichsinncnminlstc- rium jetzt über die Verwendung der Mittel neue Bestim­mungen getroffen. Danach erhalten Kleinrentner die be­reits am 1. April 1922 in Fürsorge standen, eine einmalige Unterstützung in Höhe des für den Monat Jult 1927 gel- tenten Betrages der Kleinrentnerunterstützung, mindestens jedoch für Alleinstehende SV für Ehepaare 50 für zu» fchlagSberechtigte Kinder je 10