Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw
68. Jahrgang.
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Erscheint D i en S tag, DonnerLtag und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Lette, sonst 12 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen.
An die Ortsvorsteher.
Zur Linderung des herrschenden Futtermangels ist seitens des K. Ministeriums des Innern und der 'Forstdirektion (Abteilung für die Körperschafts- Waldungen) die Anorvnung ergangen, daß den . Wünschen der landwirtschaftlichen Bevölkerung um die Abgabe von Gras und in dringenden Fällen auch von Futterlaub/ (insbesondere Eschen-, Sahlen-, Buchen-, Hasel- und Eichenlaub), ferner um Anweisung von Waldstreu, in weitgehendster Weise entgegengekommen werde. Die Ortsvorsteher derjenigen -Gemeinden, welche einen Gemeinde-Waldbesitz haben, werden daher veranlaßt, sofort mit dem Gemeinderat zu beraten, welche der oben erwähnten Maßnahmen für ihre Gemeinden als zweckmäßig erscheinen und ihre Anträge dem auffichtsführenden Revieramt bezw. Körperschaftsförster zu übergeben. Von den Gemeindebehörden wird erwartet, daß sie in den vor- bezeichneten Beziehungen ihrerseits allem aufbieten, den Gemeinde-Einwohnern helfend und ratend zur Seite zu stehen, um dadurch dazu beizutragen, daß der Viehstand soviel als möglich vor Schaden und Abgang bewahrt bleibe. Insbesondere wäre das Futter und die Streu aus den Gemeinde-Waldungen zu einem mäßigen Preis abzugeben und etwaigen Preistreibereien oder Spekulationen entgegenzutreten.
In den Gemeinden, welche eine Gemeindeschafweide haben, wird ferner zu erwägen sein, ob die Schafweiden im laufenden Jahre nicht wesentlich eingeschränkt oder ganz eingestellt und das Weide- Areal den Rindvieh-Besitzern zur Abgrasung oder Ab- weidung überlassen werden könnte.
Calw, den 22. Mai 1893.
K. Oberamt.
L ang.
Donnerstag» den 25. Mai 1893.
Tages-Neuigkeiten.
sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.f Seine Majestät der König haben am 19. d. M. allergnädigst geruht, den Amtsrichter tit. Landgerichtsrat Freiherrn vonGültlingenin Stuttgart zum Landgerichtsrat bei dem Landgericht Stuttgart zu ernennen.
Calw, 23. Mai. In nicht geringe Aufregung wurde heute vormittag die hiesige Einwohnerschaft versetzt. Zum siebenten Mal in diesem Jahr läuteten die Sturmglocken. Ein mit „Rauchender Salpetersäure" beladener Eisenbahnwagen war hinter dem Gebäude des Eisenbahnbauamts in Brand geraten. Sofort ergoß sich die brennende Säure die Böschung hinunter und bedrohte das hart anliegende Gebäude. Schnell herbeigerilte Erdarbeiter sowie das Eisenbahnpsrsonal suchten den dicken Qualm zu ersticken; bald erschien auch die Feuerwehr, und den vereinigten Anstrengungen gelang es, durch heiße Wasserstrahlen aus einer Maschine, durch Ziehen von Gräben und Bedeckung des einer Lava gleich sich ergießenden verheerenden Elements mit Erde einem weiteren Vordringen Einhalt zu thun. Ein ungeheurer Rauch färbte die Luft rot, so daß die ganze Gegend rotgelb beleuchtet erschien. Infolge des atemraubenden Geruches waren die Löscharbeiten sehr erschwert. Die Salpetersäure floß bis auf die Straße und von da in die Nagold ab. Wegen der Verunreinigung und dadurch verursachten Schädlichkeit des Wassers wurde die Entnahme von Wasser aus der Nagold polizeilich verboten. Da Wasser allein die Zersetzung des Gesteins nicht verhindert und der unangenehme Geruch längere Zeit sich fühlbar machen würde, wurde der
AboonnnenlSpreii oirrtkljibrlich in der Stadt so Pkz. and so Psg. TrLgerlohn, durch die Post bezogen Mk. l. lb, sonst t» ganz Württemberg Mk. 1. 65.
Boden mit einer Sodalösung bespritzt, um die Säur« zu neutralisieren. Eine eigene Erscheinung boten die im Garten stehenden blauen, nun schön rot gefärbten Syringen. Leider haben Bäume und Pflanzen im Umkreis Schaden genommen. Ueber die Entstehung des Brandes sind verschiedene Ansichten im Umlauf.
z- Altburg, 23. Mai. Am gestrigen Pfingstmontag wurde hier die Fahnenweihe des „Lieder- kranzes" in gelungener und würdiger Weise vollzogen. Der Ort hatte aus diesem Anlaß reichen Flaggenschmuck angelegt; auch waren sämtliche Straßen mit Ehrenpforten und Tannenbäumen aufs schönste geschmückt und sogar mit Tannenreis bestreut. Von auswärts waren die Gesangvereine von Calw (Liederkranz und Konkordia), Althengstett, Hirsau, Liebenzell und Unterreichenbach erschienen. Der Zug sammelte sich um 2 Uhr beim Hirsch und bewegte sich durch die Straßen des Orts nach dem Festplatz. Die neu« Fahne trugen 15 in Nationaltracht gekleidete Festjungfrauen. Nach einer warmen Begrüßungsansprache seitens des Ortsvorstandes an die auswärtigen und den festgebenden Verein wurde von letzterem der Chor „Auf ihr Brüder, laßt uns wallen" angestimmt und sodann von dem Dirigenten des Vereins Hrn. Schullehrer Hertter die Festrede gehalten, welche m gebührender Weise den hohen Wert des Gesangs und des Gesangslebens überhaupt heroorhob und mit einem Hoch auf die edle Gesangskunst schloß. Die Fahne wurde hierauf von einer Festjungfrau (Wünsch) enthüllt und mit einem passenden Spruch dem Liederkranz übergeben. Es folgte wieder ein Chor „Im Pokale klaren Wein" worauf der Festordner Kaufmann Zilling von Calw in schneidiger Rede den Liederkranz beglückwünschte, die versammelten Sänger auf die deutsche und schwäbische Treue hinwies und
Isuitkelon.
- Nachdruck verboten.
HSojarenfcherze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
„Was giebt's, Knjäs?"
Fürst Wolkonsky schaute auf. „Du bist's Alter?" sagte er überrascht; er -schüttelte sich, dann nef er mit rauher, krächzender Stimme: „Warum hast Du denn -meine Bitte nicht erfüllt, Du steinerster Kerl Du?"
„So bist Du selber gekommen — wegen derselben Sache?" fragte Ossip Petrowitsch.
Der Fürst starrte ihn an. „Wärest Du nicht gekommen?" forschte er eindringlich, „wärest Du nicht gekommen — an meiner Statt, wie?"
„Wenn ich im voraus wüßte, daß es vergeblich — nein," sagte Ossip Petro- mitsch; plötzlich fuhr er auf, sein Einauge funkette: „Was willst Du denn eigentlich -von mir, KnjäS, was war das für eine sinnlose Bitte? Beleidigend, beschimpfend war Dein Verlangen, hörst Du! Du meinst wohl, daß Ihr Edelleute allein eine -Ehre besitzet; aber ich will eS Dir beweisen, daß unsereiner, wenn er auch nicht gleich mit Säbel und Pistole aufrückt, ich will Dir sagen — na was ist D:r denn, -Fürst, was schaust Du mich so entsetzt an?"
„Du weißt also, was meinem Wolodja — ?" stotterte Anatol Wassiljewitsch.
^ch habe über Deinen Sohn noch nichts gesagt."
„Er ist schwerkrank, Ossip, beleidig« ihn nicht; er — er liegt — nein, nein —
im Sterben liegt er nicht, aber-willst Du Deine Lenuschka schicken oder nicht?"
brach er jäh ab; sein Kinn und sein« Augenlieder zitterten dabei.
„Was ist Dir, Anatol Wassiljewitsch. bist Du nicht selber auch krank?" Ossip -fragte das langsam, mit gedämpfter Stimm«.
„Ich bin nicht krank!" schrie der Fürst. „Wirst Du Deine Tochter schicken oder nicht?"
„Schreie nicht so, Anatol Wassiljewitsch," antwortete der Gastwirt, „wir wollen nun einmal vernünftig sprechen, wie Männer, wie Väter — ja, wie Vätern Sage mir Knjäs, vor Allem, was hast Du für eine Meinung von meinem Kinde, wie denkst Du über meine Lenuschka?"
„Die allerbeste Meinung, ich schwöre Dir, die allerbeste —"
„Gut, — und Dein Sohn?"
„Eine noch bessere, glaube mir, denn siehst Du, sonst würde er im Fieberkampfe nicht von ihr sprechen, immer nur von ihr. und nach ihr rufen — er bittet^ er fleht, er flüstert — er sieht nur Helena Ossipowna; nur mit ihr beschäftigt sich sein kranker Geist ... Ist das nicht genug? Soll man da nicht verstehen, wa> ihm gut thut? Selbst Rodio Mattzew, der Kreisarzt, er sagt, es wäre heilsam für den Kranken, wenn er sähe und fühle, daß sie um ihn sei, denn eS ist nicht nur e« physisches Leiden, nein, eS verbindet damit ein seelisches; und siehst Du, das ein« muß das andere unbedingt verschlimmern".
„So thäte also für Deinen Sohn eine Krankenpflegerin not?"
„DaS ist wahr, eine Krankenpflegerin. Und siehst Du, giebt eS denn eine» heiligeren, christlicheren Beruf, als der einer Krankenpflegerin. Warum willst Da also der Lenuschka nicht gestatten — ja wohl", unterbricht er sich, „freilich wir sind alte Gegner, Du magst mich nicht leiden, Ossip Petrowitsch; aber steht es nicht scho» in der heiligen Schrift: „Du sollst Deine Feind« Ueben! — Und stehe, ich bin y» Dir gekommen, ich selber —"
„Findest Du das erniedrigend für Dich?"
„Nein, nein, Ossip Petrowitsch" — er streckte die Arme au» — „im Gegea» teil, ich bitte Dich, ich bitte Dich, ich bin Dein Freund, Dein Bruder, «S sei alle» vergessen ... Siehst Du, wen« er stürbe, mein einziger Sohn, ich würde dm Verstand verlieren . . .