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Für Platzvorschristen kann keine Sewdhr übernommen werden
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. Nr. 163
Rml»- unö Rszeigeblalt für äen vberamlsbezirt (alrv.
Samstag, de« 16. Juli 1887
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verantwort!. Schriftleitung: Friedrich tzan» Scheel« Druck und Verlag der A. velschldgerschen Buchdrucker«!.
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101. Jahrgang
Blutige Unruhen in Wien
Schwere Straßenkämpfe
Bor der Ansrnsung einer Sozialdemokratischen Republik?
TU. Wien, 16. Juli. Das sreisprcchende Urteil gegen drei Frontkämpfer, die bei einer Schießerei in Schaltendorf einen Mann und ein Kind getötet hatten, hat gestern in Wie» zu schweren Arbeitcrunruhcn geführt, die viele Todesopfer gefordert haben.
Gestern früh erfolgte in zahlreichen Industriebetrieben eine teilweise Arbeitseinstellung. Biele Arbeiter marschierten ip langen Zügen zur Universität, zum Rathaus uud zum Parlamcntsgebäude. Das Wachaufgebot an den bedrohten Stellen war viel zu gering. Ein Sturm auf die Universität mißlang, sodaß sich die Demonstranten damit begnügen mußten, die Fensterscheiben einzuschlagen. Zu schweren Zusammenstößen kam es vor dem Parlamentsgebäude und am Rathaus. Schon nach 11 Uhr war die Situation so kritisch, daß die Wachmannschaften von der Waffe Gebrauch machen mußten. Sie feuerten zunächst Schreckschüsse ab, mußten dann aber scharf feuern, als die Menge nicht weichen wollte. Auf Intervention des Bürgermeisters hatte der Polizeipräsident die Wachen angewiesen, von der Waffe nur Gebrauch zu machen, wenn sie selbst bedroht sind. Gegen 2 Uhr ging die Polizei gegen das Rathaus und die umliegenden Straßen zum Angriff vor. Im Rathaus wurden ein Magistratsbeamter und ein Arbeiter erschossen und 5 weitere schwer verletzt. Die Polizei ging nach zwei Richtungen vor und feuerte Stunden lang.
Im Justizpalast auf dem Schmerlingplatz, der von den Demonstranten, und zwar hauptsächlich von Kommunisten, gestürmt und besetzt worden war, brach kurz nach Mittag ein Brand aus. Das Innere des Gebäudes war zunächst von den Demonstranten verwüstet worden, dann wurden die Möbel und vor allem Aktenstücke, darunter auch wichtiges Material, wie Grundbücher usw. in die Vorhalle geschleppt und in Brand gesteckt. Bald sah man Flammen und Ranch aus den Fenstern des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes ffhlagen. Eine starke Feuerwehrabteilung, die sich dem Gebäude nähern wollte, wurde von einer mehr als tausendköpfigen Dcmonstrantenmenge ausgehalten, beschimpft, bedroht und mußte unverrichteter Dinge wieder Abziehen.
An Stelle der Polizei, die vom Parlament zurückgezogen werden mußte, haben starke Abteilungen des Repnblikschutz- bundes den Ordnungsdienst in der Umgebung des Parlaments übernommen.
Nach einer Budapester Meldung wird ans Wien um 6.40 Uhr abends berichtet: Auf der Bellaria wird gegenwärtig noch geschossen. Die Polizei hat die Vorstädte geräumt, sodaß sich die Demonstranten dort breit zu machen beginnen. Die Automobile werden in den Vorstädten angehalten, ihre Insassen beraubt und verprügelt. Man fleht Automobile durch die Straßen fahren, aus deren Trittbretter Ordner der Sozialdemokraten mit weihen Taschentüchern stehen.
46 Tote in Wien?
Nach bisher amtlich noch nicht bestätigten Schätzungen ist bereits mit 40 Toten und 200 Verwundeten -« rechnen.
Der Ministcrrat ist zu einer Tagung zusammengetreten, die gegenwärtig noch andauert. Obgleich die Rettungsaktion im Justizpalast energisch in Angriff genommen wurde, ist damit zu rechnen, daß mindestens die Hälfte des Gebäudes ein Opfer der Flammen ist. Das Rathaus und das Parlament befinden sich zur Zeit in den Händen der Sozialdemokraten.
Die Sozialdemokraten »erhandeln mit -er Regiernng.
Gegen Abend hat man den Eindruck einer gewissen Entspannung. Zwischen dem Bundeskanzler Dr. Seipel und den beiden sozialdemokratischen Führern Dr. Seitz u. Dr. Bauer ist eine Besprechung im Gange. Ueber die Unterredung weiß man bisher nur, daß die beiden sozialistischen Führer den Rücktritt des Polizeipräsidenten Schober unbedingt gefordert haben, weil er gegen die Weisung des Bürgermeisters den Schießbefehl gegeben hat, durch welchen erst nach der Meinung der Sozialdemokraten der Aufruhr so unerhörte Dimensionen angenommen hat. In den Beratungen der Parlamentarier spielt das Wort Bürgerkrieg bereits eine große Rolle. Die Sozialdemokraten der scharfen Tonart gebrauchen es ganz offen, indem sie erklären, sich der Gewalt nicht länger beugen zu wollen, aber auch die gemäßigteren Elemente der Partei glauben, daß man ohne Proklamierung eines Generalstreiks nicht zu Ende kommen werde, zumal die feste Absicht besteht, die Regierung zur Demission zu zwingen.
Die Blätter melden aus Prag, daß sich nach Wiener Berichten das Präsidium der österreichischen Sozialdemokratischen Partei in Permanenz erklärt habe. Auch das ganze Plenum des Ausschusses der Gewerkschastszcntrale sei zur Mitarbeit etngeladen worden.
Wie aus Innsbruck gemeldet wird, ist in den übrigen Bundesländern vollständige Ruhe. Selbst wenn es zur Ausrufung einer sozialdemokratischen Republik käme, sei nicht anzunchmen, daß die übrigen Bundesländer dem Folge leisten würden. Der Landeshauptmann von Tirol, Dr. Stumpf, der sich in Urlaub befand, hat sich auf die Nachricht hin aus Wien sofort nach Innsbruck begeben. In Innsbruck, dem Sitz der Tiroler Landesregierung, tagt eine Konferenz, die sich mit den Vorgängen in Wien befaßt. Auch die Tiroler Heimatwehr hält eine Sitzung ab. In maßgebenden Kreisen Tirols ist man der festen Meinung, daß ein Uebergreifen der Unruhen auf Tirol unter allen Umständen verhindert werden müsse, wozu auch die befürchtete Intervention Italiens zwinge.
Einmischung der Kommintern in die Wiener Ereignisse?
TU Riga, 16. Juli. Aus Moskau wird gemeldet, daß dort die Wiener Ereignisse naturgemäß größtes Aufsehen erregt haben. Die Kommunistische Internationale soll einen Aufruf erlassen haben, in dem die Arbeitermassen in Wien auf- geforbert werden, gegen die bürgerlichen Klaffen in Oesterreich zu kämpfen. Außerdem soll das Vollzugskomitee der Komm. Internationale beabsichtigen, zur Unterstützung der österreichischen Arbeiter Geldspenden zur Verfügung zu stellen. In russischen Kominterkreisen bezeichne man die Wiener Ereignisse als einen Versuch -er Arbcitermassen, die bürgerliche Regierung vollkommen zu stürzen.
Der Entwurf des
Die amtliche Darstellung
TU Berlin, 16. Juli. Der Reichsschulgesetzentwurf liegt nunmehr im Wortlaut vor. Amtlich wird dazu mitgetcilt:
Der Gesetzentwurf verwirklicht unbeschadet der staatlichen Schulhoheit als leitender Gedanke die Berücksichtigung des Willens der Erziehungsberechtigten nach Art. 146 Abs. 2 der Reichsverfassung sowie die Grundsätze über Erhaltung des Religionsunterrichts nach Art. 140 der Reichsverfassung. In Ausführung dieses Leitgedankens enthält der Entwurf zunächst eine Umschreibung und Abgrenzung der drei Schulformen: der Gemeinschaftsschule, der Bekenntnisschule und der bekenntnisfreien Schule. Ausgehend von den Richtlinien znr Regierungsbildung ist dabei allen drei Schulformcn gleiche und freie Entwicklungsmöglichkeit gegeben morden. Entsprechend der Bestimmungen der Reichsversassung sowie in Anknüpfung an die langjährigen Verhandlungen über ein Reichsgesctz im Sinne des Art. 146 Abs. 2 der Neichs- verfassung stellt sich der Entwurf die Aufgabe, das Antragsrecht der Erziehungsberechtigten auszudehnen. Um hierbei die Gemeinschaftsschule in ihrer Zukunftsentwicklung den
Reichsschulgesetzes
beiden anderen Schularten gegenüber nicht zu benachteiligen, ist auch zugunsten der Gemeinschaftsschule das Antrags- rccht gegeben worden. Bon einer authentischen Interpretation -cs Art. 146 Abs. 1 der Reichsverfassung in Bezug auf die Frage einer Vorzugsstellung der Gemeinschaftsschule sieht der Entwurf ab. Durch eineu Hinweis ans Art. 146 Abs. 1 wird indessen ausdrücklich festgestellt, daß sein Inhalt durch den vorliegenden Gesetzentwurf völlig unberührt bleibt.
Nach einigen allgemeinen Bestimmungen und der Aufzählung der verschiedenen Schulformen werden diese im ersten Abschnitt nach ihrr besonderen Eigenart gekennzeichnet und gegeneinander abgegrenzt. Der Abschnitt 2 handelt von dem Antragsrecht. Erstens ist den Erziehungsbercchtigtn von im allgemeinen mindestens 40 Kinden grundsätzlich das Antragsrecht aus Einrichtung einer der drei Schulformen ein- geräumt. Zweitens ist ein Antarg auf Umwandlung einer Schulform in eine andere bei Vorhandensein einer Mehrheit der Erziehungsberechtigten von wenigstens zwei Drittel der die Schule besuchenden Kinder zu berücksichtigen.
Die Genehmigung der Anträge wird bis zu einem ge-
Tages-Spiegel
In Wie« find gestern schwere Straßenkämpfe mit revoluti»- närcm Lharakter ausgcbrochen.
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Rach nichtamtliche« Meldungen sind 46 Tote «nd 266 Verwundete den Unruhen zum Opfer gefallen.
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Die Sozialdemokraten haben Verhandlungen mit der Regiernng Seipel ausgenommen. Man rechnet mit dem Rücktritt der Bundesregierung.
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Der Reichsschulgesetzcntwnrf ist gestern mit einem amtlichen Kommentar veröffentlicht worden.
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Der Gesetzentwurf hat die allerdings nicht vorbehaltlose Zustimmung -er Regierungsparteien gesunde«.
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Das französische Außenamt sucht die Frage der Besatzungs- Verminderung im Rheinland bis zum Oktober z« verschieben.
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Der bekannte Kampf- «nd Knnstflieger Bänmer ist gestern bei Kopenhagen tödlich abgcstürzt.
wissen Grade durch die Erfordernisse eines geordneten Schttk- betriebes bedingt. Der schwierigen Definition des geordneten Schulbetriebes legt das Gesetz im allgemeinen die Anf- rechtcrhaltung der heute für eine solche geltenden Norm zu Grunde. Gegen Entscheidungen, durch welche Rechte von Erziehungsberechtigten berührt werden, ist ein Rechtsmittel- verfahren vorgesehen.
Ueber den Religionsunterricht in den Volksschulen handelt der 4. Abschnitt. Es wird hier der Grundsatz des Art. 140 der Reichsversassung, nämlich das der Religionsunterricht in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen der bctr. Religtonsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt wird, im einzelnen näher umschrieben. Der Religionsunterricht soll von einem Angehörigen der Religionsgesellschaft erteilt werden. Hierbei kommen in evangelischen Schulen in erster Linie dem Bekenntnis ange, hörende Lehrer in Betracht. Selbstverständlich soll dadurch nicht ausgeschlossen werden, daß der Religionsunterricht auch von Geistlichen erteilt wird, wie dies insbesondere in katholischen Schulen häufig der Fall ist. Auch eine diesbezügliche allgemeine Regelung in einzelnen Landesteilen wird hierdurch nicht berührt.
Für bieBesttmmungenüberLehrpläne,Lchr- und Lernbücher sowie für die Festsetzung der Zahl der Reltgionsstunden ist eine sachliche Mitwirkung der Rcli- gionsgesellschaften vorgesehen und zur Einsichtnahme in den Religionsunterricht bestellt, statt aus Vorschlag der Religionsgesellschaften im Schulwesen erfahrener Beauftragter. Die Definition des Begriffes „Beauftragter" ist für die evangelische und katholische Kirche naturgemäß verschieden. Für den katholischen Religionsunterricht muß der betreffende Beauftragte die Missio canonica besitzen. Für den evangelischen Religionsunterricht wird diese Einsichtnahme gemäß der Stellungnahme des evangelischen Kirchenrats sowie des evangelischen Kirchentages in der Regel durch Schulmänner ausgeübt, welche auf Vorschlag der kirchlichen Provinzialunterrichtsbeiräte dem Staate benannt werden. Eine Wiedereinführung -er geistlichen Lokalschulinspektion ist in keiner Weise beabsichtigt.
Der Abschnitt 6 knüpft in seinen Uebergangsbestimmnn- gen an die geschichtliche Entwicklung an. Die verschiedenen vorhandenen Schularten gelten als im Sinne dieses Gesetzes beantragt, falls keine neuen zu berücksichtigenden Anträge erfolgen. Die hiernach bestehen bleibenden Schulformen der einzelnen Länder sind mit den für die verschiedenen Schularten dieses Gesetzes aufgestellten Grundsätzen in Ileber- einstimmung zu bringen.
Im letzten Absatz wird die sogenannte christliche S i m u l- tanschule des Sttdwestens behandelt, deren Geltungsgebiet nach Art. 174 der Reichsversassung besonders zu berücksichtigen ist. Während auf der einen Seite der Wunsch besteht, diese Berücksichtigung so weit auszudehnen, daß die Einführung dieses Gesetzes in den fraglichen Gebieten bis auf weiteres ausgesetzt werden und der Landesgesetzgcbung Vorbehalten bleiben soll, geht der Entwurf nicht zu soweit. Er sucht vielmehr den Gesichtspunkt der besonderen Berücksichtigung durch Gewährung einer Sperrfrist von 5 Jahren gerecht zu werden, zu der die allgemeine Einsührungssrist von weiteren 2 Jahren noch htnzutritt.