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58.
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezrrk (Lalw.
68. Iahrgavs.
Er'ch-int Dienstag, Donnerstag und Samitag. Die EinrücknngSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg.- die Zeile, sonst 12 Psg.
Donnerstag» den 18.
i 1893.
Tayes-Neuigkeiten.
Herrenberg, 13. Mai. Nachdem sich unser seitheriger Stadtschultheiß Saut er in der gestrigen Sitzung von den Gemeinderatsmitgliedern mit bewegten Worten und sichtlicher Ergriffenheit verabschiedet hatte, fand heute vormittag die Amtsübergabe an den neugewählten Stadtschultheißen Haußer statt. Um r/,12 Uhr wurde durch Oberamtmann Voller in Anwesenheit der bürgerlichen und kirchlichen Kollegien vor versammelter Bürgerschaft die feierliche Beeidigung vorgenommen.
Schramberg, 15. Mai. In der gestern in den Lammsaal einberufenen Versammlung sprach der frühere Predigtamtskandidat Theodor v. Wächter über das Thema: „Kann ein Christ Sozialdemokrat sein?" Natürlich wurde von dem „Genossen" v. Wächter diese Frage bejaht, obgleich es ihm in seinen fast Lstündigen Ausführungen, die reich an Wiederholungen, hinkenden Beispielen und häufigen Widersprüchen waren, keineswegs gelungen ist, zu beweisen, daß man, sobald man die mannigfachen Mißstände unserer Zeit zugiebt und deren Abschaffung wünscht, notwendigerweise Sozialdemokrat werden muß. — Gestern Nachm, geriet in einem unbewachten Augenblick ein Kind einer Arbeiterfamilie von 1'/- Jahren aus dem Garten der Sonnenwirtschaft in den vorbeifließenden reißenden Kanal, wo es 5 Minuten später aufgefunden wurde. Nach einer Viertelstunde war das Kind tot.
Tübingen, 15. Mai. Am Freitag nacht wurde ein Ueverfall in der Nähe der Post auf zwei friedliche Studenten ausgeführt. Der eine erhielt nach der Tüb. Chronik eine tiefe Kopfwunde und
einen Schlag auf den Arm. Die Angreifer waren so in der Uebrrzahl, daß eine Verteidigung ausgeschlossen war.
Tübingen, 14. Mai. Gestern Nachmittag kam ein Kaufmann aus Reutlingen hier in einem Gasthof an und begab sich nach der Weisung» ihn um 7 Uhr zu wecken, in sein Zimmer. Nach vergeblichen Versuchen, da das Zimmer verschlossen war, drang man mittelst einer Leiter in das Zimmer des Gastes und fand ihn am Fenstsrkreuz erhängt. Außer einer Visitenkarte wurde ein Brief an seine Frau vorgefunden.
Riedlingen, 14. Mai. In Wilflingen brannte das Wohn- und Oekonomiegebäude des I. Zimmerer nieder. Der Brand entstand durch Kinder, welche ein „Feuerle" machten. — Nach und nach wird der Mangel an Futter drückend; man zahlt bereits für gutes altes Heu 7—8 ^ per Zentner, für schlechtes 5 ^5, und bald geht der Rest auf die Neige. Trotzdem aber stehen die Fleischpcsise so hoch (Rindfleisch 60 Ps. pro Pfund), als ob es Futter in Hülle und Fülle gäbe.
Stuttgart, 15. Mai. Eine alte in den weitesten Kreisen bekannte Stuttgarter Persönlichkeit Kaufmann Eduard Beisbarth ist heute vormittag im Alter von 81 Jahren an Hsrzlähmang verschieden. Der Entschlafene, welcher 1849/51 Mitglied des Gemeinderates war, ist der Begründer der renomierten Firma Eo. Beisbarth, Handlung in Hol; und Klavierbestandteilen. Ein Sohn des Entschlafenen hat sich am Donnerstag in Hamburg nach Chicago eingsschifft zum Besuch der dortigen Ausstellung.
Cannstatt, 15. Mai. In den letzten Monaten trieb ein raffinierter Schwindler hier uns in
der Umgebung sein Unwesen. Derselbe, im Alter von etwa 33 Jahren, war fein gekleidet und lebte auf großem Fuße, gab sich als Ingenieur aus, trat sicher auf und trug sich in die Nachtbücher dsrfWirte unter verschiedenen falschen Namen ein. Derselbe ist groß, von schlanker Statur, blasser Gesichtsfarbe und breitschulterig. Da er größere Geldsummen be» saß, ist er auch verdächtig, die in letzter Zeit hier vorgekommenen Einbruchsdiebstähle verübt zu haben. Seine baldige Habhaftwerdung wäre sehr zu wünschen.
Eßlingen, 15. Mai. In der gestern iin Konzertsaal der Liederhalle in Stuttgart stattgehabteu Vertrauensmännerversammlung der deutschen Partei, die auch von hier zahlreich besucht war, wurde für den hiesigen V. Wahlkreis unser seitheriger Reichstagsabgeordneter Herr Kommerzienrat A. Weiß end- giltig als Kandidat aufgestellt. — Ferner hat sich Herr Kommerzienrat Ehni aus Stuttgart, aufgefordert von den Vertretern der Volksvereine Eßlingen, Kirch- heim, Nürtingen und Metzingen bereit erklärt, dis Kandidatur für den V. württ. Wahlkreis anzunehmen. Herr Ehni will, da im Gegensatz zur letzten Wahl seine geschäftlichen Verhältnisse jetzt geregelt seien, sich den Wählern persönlich vorstellen und im Falle seiner Erwählung den Reichstagsverhandlungen pünktlich anwohnen. — Von der sozialdemokratischen Partei ist Buchdruckereibesitzer Dietz in Stuttgart als Reichstagskandidat aufgestellt worden.
Eßlinger Berge, 16. Mai. Der „Tägl. Rundsch." schreibt man: Vor vier Wochen sproßte bei uns das erste Weiß der Kirschenblüte hervor. Heute liegt ein Strauß ausgereifter Frühkirschen vor mir. Sie kommen vom Wilflingshauser Berg. Man wird in einem Jahrhundert wenia Jahre finden, in
Iseuicieton.
- Nachdruck^oerboten.
Wojarenfcherze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
Es muß damals, als er dem armen leibeigenen Ossip das eine Aug ausschlug, ebenso zugegangen sein. Man sieht ihm an, er ist seiner Sinne nicht mehr mächtig; blitzartiges Zucken durchfährt ihn, man sieht die Bewegung des Armes kaum; Fürst Wolodja taumelt zurück, weniger von der Wacht des Schlages, der seine Wange berührt und auf die Schulter fällt, als vor namenloser Urbsrraschung, als vor Ent- fetzen . . .
„Vater!"
Ein Flehen, ein sterbenswehes Bedauern tönt aus dem matten Ausruf.
„Vater, das hättest Du nicht thun sollen! Ich bin ein Edelmann, kein leibeigener Bauer".
Gesenkten Hauptes verläßt der junge Mann das Gemach.
Schlaff, mit kaltem Schweiß auf der Stirne, sinkt Anatol Wassiljewitsch auf 'feinen Sitz. Seine zitternden Finger nesteln an den Westenknöpfen, die Augen irren umher. Ein paar Mal suchte er sich zu erheben, fällt aber zurück. Plötzlich richtet er seinen Blick starr auf einen Punkt und —
„Wolodja!" schreit er laut.
Er springt auf; etwas Innerliches scheint ihn gewaltsam zu drängen; er eist hinaus, durch dieselbe Thüre. „Wolodja! Komme zurück, Wolodja!"
Mehrere Gemächer durchschreitet er; sein Gang ist schleppend, der Nacken tiefer gebeugt als sonst. In keinem Zimmer findet er Wolodja, auch nicht in dessen Kabinet; die Thüre steht halbgeöffnet, wie wenn Jemand soeben hinausgeeilt. . . ^»Wolodja!" ruft er dringender. Ein Bedienter erscheint.
„Hast Du meinen Sohn nicht gesehen?"
„Zu Diensten, Durchlaucht; seine Erlaucht der junge Knjäs sind soeben die Freitreppe hinuntergeschritten".
„Ihm nache>len — zurückbitten, rasch !"
„Zu Befehl, Durchlaucht!"
Anatol Wassiljewitsch streckt die Arme aus wie Jemand, der den Boden unter sich schwanken fühlt. Er lehnt sich Mit dem Rücken gegen die Wand. —
* si
ch
Am Abend des folgenden Tages saßen im Popelnja'schen Wirtshaus mehrere zechende Bauern, darunter zwei Gutsarbsiter von Wolkonskje. Sie sprachen ziemlich erregt untereinander, aber mit gedämpften Stimmen, von Zeit zu Zeit verstohlen- neugierige Blicke nach dem Wirte werfend, der mürrisch hinter dem Ladentisch saß» den Kopf in beide Hände gestützt, finster grübelnd.
„Er maß es doch schon erfahren haben", raunte Maxim, einer der Gutsarbeiter, den Dörflern zu; „er muß es schon erfahren haben, wenn er auch thut, als wüßte er von nichts."
„Natürlich", nickte ein Bauer, nach Ossip P:tcowitsch hinüberschielend; „zwei Stunden nach dem Ereignis ging es schon durch das ganze Dorf; so was läßt sich nicht geheim halten".
„Möchte mit ihm aber doch ein Gespräch anfangen darüber", flüsterte Maxin» lächelnd; „wie gesagt, ich habe über die Sache das allerbeste erfahren, von Dmitry selbst, dem Bedienten; die Lenuschka soll ja dahinter stecken und viel ist auch vor» Kolja gesprochen worden. Ich möchte den alten Eisbär selbst fragen".
„Gieb Acht, er wirst Dich hinaus!"
Dummheit! Ich möchte den Griesgram etwas ärgern.
„Ossip Petrowitsch, Wirt —" wandte sich Maxim nach dem Alten.
„W«S willst Du?"
„Hat Dir Gevatter Matwei noch nichts erzählt? Wüst Du schon von dem