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Gesamthaltunng der Partei nicht in Einklang zu bringen sei.

Berlin, 9. Mai. DieNorddeutsche Allge­meine Zeitung schreibt: Nach der heutigen Truppen- besichtigung auf dem Tempelhofer Felde sprach der Kaiser sein Lob den Generälen und den Stabs­offizieren aus und sagte:

Seitdem wir uns nicht gesehen, sind eigene Wandlungen mit der Militärvorlage vor sich ge­gangen. Ich habe nicht deren Ablehnung er­warten können und hoffte von dem patriotischen Sinne des Reichstags eine unbedingte Annahme. Ich habe mich leider darin getäuscht. Die Min­derheit der patriotisch gesinnten Männer ver­mochte gegen die Mehrheit nichts zu erreichen. Dabei sind leidenschaftliche Worte gefallen, welche unter gebildeten Männern ungern gehört werden. Ich mußte zur Auflösung des Reichstages schrei­ten, und hoffe von dem neuen Reichstage die Zu­stimmung zur Militärvorlage. Sollte aber auch diese Hoffnung täuschen, so bin ich gewillt, alles, was ich vermag, an die Erreichung derselben zu setzen, denn ich bin zu sehr von der Notwendigkeit der Militär-Vorlage, um den allgemeinen Frieden erhalten zu können, überzeugt. Man sprach von einer Aufregung der Massen; ich glaube nicht, daß sich das deutsche Volk von Unberufenen erregen lassen wird, im Gegenteil, ich weiß mich eins in dieser Militär­vorlage mit den Bundesfürsten, dem Volk und der Armee. Ich danke Ihnen, meine Herren, ich habe mich Ihnen gegenüber nur aussprechen wollen, wie ich es schon beim Entstehen der Vorlage gethan hatte.

Tayes-Ueuigkeiten.

(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Auf Grund der am Seminar in Nagold vorge­nommenen Präparandenprüfung sind nachstehende Zöglinge in das Seminar Nagold ausgenommen wor­den: Grimmer, Jakob, von Jgelsloch, Rent sch­ier, Jakob, von Würzbach, Sattler, Albert, von Deckenpfronn, Schwarz Wilhelm, von Gechingen, Weiß, Heinrich, von Gechingen.

Calw, 9. Mai. Gestern Abend hielt der Handels- und Gewerbeverein bei I. Dreiß seine jährliche Generalversammlung ab. Der Vor­stand. Herr Handelsschuldirektor Spöhrer berichtete auszugsweise über die Beratungen bei der vorjähri­gen Wanderversammlung in Reutlingen, während der umfassende Bericht mit den Zeitschriften in Zirkula­tion kommen soll. Aus diesem ist zu erwähnen, daß die alte Klage über Schädigung durch Consumver- eine und durch Hausieren etc. aufs Tapet gebracht wurde, und konnte Hr. Spöhrer den Beschluß Mit­teilen, daß die Consumvereine künftig keinerlei Mar­

ken oder Contremarken mehr ausgeben dürfen. Be­züglich der Gründung von besonderen Gewerbekam­mern, in welchen die gewerblichen Interessen besser vertreten sein sollen, war man bei der Wanderver­sammlung der Ansicht, daß es weiterer Kammern nicht bedürfe; in die bestehenden sollten künftig nicht nur Großindustrielle und Großkaufleute sondern auch Gewerbetreibende und selbst solche, die nicht im Han- gelsregister eingetragen sind, gewählt werden. Das Gesetz betreffend die Sonntagsruhe habe einige Ge­schäftszweige geschädigt, allein man dürfe über dieses den Stab nicht brechen, die Regierung werde sich stets bereit zeigen, das Gesetz zu mildern. Dem Kassier, Hrn. Kaufmann Herzog wurde Ent­lastung zuteil und dann zu den Neuwahlen geschritten. Als Vorstand wurde durch Acclamation wiedergewählt Hr. Handelsschuldirektor Spöhrer und in den Aus­schuß treten an Stelle der austretenden 5 neugewählte Mitglieder, nämlich die HH. Carl Bozenhardt jun., Gustav Schlatterer, E. Widmaier, Sattler, Lackier Jäger und Schreiner Serva. Der seitherigen Mühewaltung des Vorstands, die Schriften in Circulation zu bringen, hat sich Hr. Maler Jäger bereitwilligst unterzogen. Der Vorschlag von Hrn. Zilling im Winterhalbjahr 2 monatliche Zusammenkünfte zu haben, fand Zustimmung. Der Verein besitzt 130 mehr als im Vorjahre und zählt 113 Mitglieder.

Calw, 10. Mai. Der heutige Viehmarkt war mit 385 St. Rindvieh, 40 Körben Saugferkeln, 135 St. Läufer und 32 Pferden befahren. Handel flau bei zurückgehenden Preisen. Nur fette Ware fand Käufer. Höchster Preis für 1 Paar Ochsen 1000 ^ ; auch die Schweine gingen im Preise zurück.

Z Bezirk Nagold. Die zur Ausstellung der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in München bestimmten Tiere aus dem Bezirk Nagold, sind seit 2. bezw. 5. d. M. in den Stall­ungen des Gutsbesitzers Link auf Tröllenshof bei Wildberg zu gemeinsamer Fütterung > .d Pflege bis zum Transport nach München (5. Juni) zusammen­gestellt. Es sind durchweg schöne Tiere und sämt­liche im Zuchtgenossenschaftsbezirk Nagold gezüchtet. Außer denselben kommt noch eine Kalbel von Herrn Bühler in Gültlingen als Einzelkonkurrenz zur Aus­stellung.

8.0. Wildbad. (Besitzwechsel.) Durch Kauf und Vermittlung der Gutsagentur Metzger in Pforzheim geht das Anwesen der Frau Rentschler Witwe hier, Gasthof z. Eisenbahn, samt Inventar für 72,250 auf Hrn. Oberkellner Ernst Schrempf in Emmendingen bei Freiburg i. B. über.

Oberndorf a. N., 8. Mai. Der starke Reif, der in der Nacht vom letzten Freitag fiel, hat in den Gärten und an den blühenden Obstbäumen man­nigfachen Schaden angerichtet. Gestern morgen fiel

mehrmals Schnee. Gegen 11 Uhp war die Gegend die reinste Winterlandschaft. Die Vegetation ist in­folge der großen Trockenheit weit zurückgeblieben.

Marienwahl, den 7. Mai. Die Konfir­mation Ihrer Königlichlichen Hoheit der Prinzessin Pauline hat heute vormittag 10'/, Uhr in der Gar­nisonskirche in Ludwigsburg stattgefunden. Ein ge­ladenes Publikum harrte derselben in der Kirche und füllte den unteren Raum und die Emporen. Außer den zur Zeit hier befindlichen Allerhöchsten Gästen wohnte die ganze in Stuttgart befindliche Königliche Familie der Feier an, zu der die K. Staatsminister, die Präsidenten der beiden Kammern, der komman­dierende General, die sämtlichen Hofstaaten mit Ge­mahlinnen, die Mitglieder des K. Geheimen Rats, und des evang. Konsistoriums, Vertreter der evange­lischen Kirche und des Hofpfarrgemeinderats, sowie der bürgerlichen Kollegien von Stuttgart, sodann von Ludwigsburg die Generale und Regimentskommandeure, die Vorstände der Königlichen Kreisregierung, die Bezirksbeamten, die Geistlichkeit, die Rektoren der höheren Lehranstalten, Vertreter der bürgerlichen Kollegien, der Pfarrgemeinderat der Garnisonskirche und der Stadtkirche, das Konnte der A. H. Werner'schen Kinderheilanstalt und das Maria-Marthastift mit seinen Zöglingen, ferner die Gespielinnen der hohen Konfir­mandin, sowie die früheren Bediensteten des prinzlichen Hauses, insbesondere die Pflegerinnen der Prinzessin und die Umgebung ihrer verewigten Mutter eingeladen wur­den. Punkt 10'/, Uhr erschienen Ihre Königlichen Ma­jestäten und Prinzessin Pauline mit Ihrer König!. Hoh. Prinzessin Friedrich v. Württemberg in der Kirche, worauf die heilige Handlung begann. Bei der Feier wirkten außer dem evangelischen Kirchenchor von Ludwigsburg unter Leitung des Musikdirektors Braun die frühere Gesangslehrerin des Königs, Fräulein Ferlesi von Stuttgart, mit zwölf ihrer Schülerinnen mit, welche den Psalm 121 nach Mendelssohn vor­trugen. Nach einer Rede des Garnisonspredigers Blum legte die Prinzessin das Glaubensbekenntnis mit deutlicher, überall vernehmbarer Stimme ab, worauf ihre Einsegung unter Auflegung der Hände stattfand. Nach Schluß der feierlichen Handlung be­gaben Sich Ihre Majestäten mit der Prinzessin nach Marienwahl zurück und empfingen daselbst die Glück­wünsche der Mitglieder der K. Familie. Hierauf fand Familienfrühstück statt, an dem auch Ihre Ma­jestäten die Königin und die Königin-Re gen­tin der Niederlande teilnahmen.

Zur Wahlbewegung schreibt dasN- Tagbl.": Bei der Kürze der Frist bis zu den Reichs­tagsneuwahlen am 15. Juni ist es begreiflich, daß. man in allen Parteien schon jetzt mit aller Kraft an die Agitation geht. Der Wahlkampf dürfte voraus­sichtlich in allen Wahlkreisen ein sehr heftiger werden, mit Ausnahme der oberschwäbischen, in denen die deutsche Partei von vornherein überhaupt ver-

Iseui ktet on.

Nachdruck verbot«-.

Wozarenscherze.

Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.

(Fortsetzung.)

So hat er noch nie auf seinem grünlackierten Sonntagswagen gesessen, der stolze Alte von Popelnja! Sein Antlitz gelblich-fahl, finster und zugleich traurig, ist greisenhafter geworden und der Blick hat einen mallen, trockenen Schimmer. Freilich, des Bojaren ansichtig werdend, kann es noch aufzucken in diesem Auge; es glüht darin plötzlich ganz gewaltig; aber eS ist etwas Scheues dabei, wie ohn­mächtige Wut und anstatt das Haupt stolz aufzurichten, senkt es Ossip Petrowitsch «och tiefer und schaut zur Seite.

Heda, alter Freund, was sehen meine Augen!' schreit der Fürst mit eigen­tümlich krächzender Stimme; zugleich sperrt er. sein Pferd anhaltend, mit dem langen- quer über die Landstraße gelenkten Jagdwagen dem Entgegenfahrenden die Passage. Tu, Ossip Petrowitsch, was hast Du Dir denn da für ein Täubchen aus Moskau mitgibrocht? Fürwahr, die Lenuschka ist es. Dem Töchtirlein, da« liebe brave Jüngserchen! Was, ist iS schon genug von Musik und sremden Zungen? In einem halben Jahr schon? Geht das bei Bauernkindern so rasch? Ei, ei und was weint denn die süße kleine Dirne so jämmerlich?"

Gieb den Weg frei, Knjäs!' grollte es drohend aus dem langen Bart. Na, na, warum so eilig und so brummig, Alter?" lachte Fürst Wolkonsky höhnisch. . .Also die liebe Jungfer! Oder ist die verdächtige Heimkehr wegen der

Brautschaft heh? Man redet ja von einem Bojaren, von einem jungen Fürsten

sieh', das kleine Torfvflänzchen, was eS für einen feinen Geschmack hat! . . . Aber Du, Alter, solltest Tu etwa Deine Einwilligung verweigern wollen? Woher denn die Thränen? ... Sei kein Narr, Ossip Petrowitsch, ein Fürst ist so leicht nicht wieder zu finden" .. .

Knjäs, gieb den Weg frei oder ich überfahre Dich!" donnert der Gastwirt zitternd vor Wut; seine Hand umspannt fester den Peitschenstiel, mit dem er zum Schlage ousholt. Der Fürst hält cs für ratsam, nun doch auszuweichen; er lenkt seinen Wagen ein wenig zur Seite.

Und wie geht es dem Kolja, Deinem braven Sohn, dem zukünftigen Minister?" Du wirst doch seine Schulden bezahlt haben, wie? . . . Was schaust Du mich denn so verblüfft an? Meinst wohl, ich habe Spione? Bin nicht neugierig auf Deine Geheimnisse, babe mich bloß von Matwei, Deinem Hausgeist etwas anschwätzen lassen" . . . Also der Junge hat Schulden gemacht; er besucht wohl auch lieben dos Trinkgelage als die Hochschule! Hehehe! Was habe ich Dir vor einiger Zeit gesagt, alter Narr? Habe ich's nicht gewußt? Wer hat Recht, ich oder Du?"

Ossip Petrowitsch versetzt seinem Pferde einen Hieb, daß eS sich hoch auf­bäumt ; dann geht es im Galopp die Straße hinab, dem Dorfe zu. In die Staub­wolken hinein, die hinter dem Wagen auswirbeln, schreit der Bojar noch eine Menge Hohnworte und lacht aus voller Kehle, bis das Geführt hinter Gebüsch und Acker­zäunen verschwindet.

Im Laufe d er folgenden Tage ging dem Bojaren von Wolkonskje eine Mitteilung zu. die ihm wieder unbändigen Spaß machte. Er erfuhr, daß sein Sieg über den bäuerlichen Feind gewissermaßen ein vollständiger sei in Folge eines Geschehnisses^, wovon er bisher nichts gewußt.

Der Fürst hatte Mitja, seinen Stallknecht, beauftragt, er solle schleunigst seine alte Mutter in Popelnja besuchen, dabei ober nicht versäumen hinzuhorchen, was die Dorfleut-Neues sprächen über Ossip Petrowitsch, und nicht vergessen, im Wirtshaus einzukehren und nachzusehen, wie -S dem Alten gehe, was er thue und rede. Da Mitja ein pfiffiger Bursche war, der den Kern seiner Mission voll erfaßte, konnte er seinem Brotherrn mit folgender Nachricht aufwarten:

Kolja, der Student in Moskau, sitze dort im Gefängnis, sonst hätte ihn der Vater gleich Lenuschka mit nach Hause gebracht, um ihn hier bei Wasser und Brod einzusperren oder an den Pflug zu binden und Bauer werden zu lassen. Er sitze in Hast wegen Auflehnung gegen die Gesetze deS Zaren. Der Vater habe ihn gar.'