31 . Amts- und Anzeigeblalt für den Bezirk (Lalw. 68. IllhkM-.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die Einrnckungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Psg. die Zeile, sonst lS Pjg.
Dienstag, den 2. Mai 1893.
AbonnementSprei» ..
So Pfg. Trägerlohn, durch die ganz Württemberg Mr. 1. 35.
in der Stadt 90 Pfg. u»h kost bezogen Mk. 1. 15, sonst t»
Amtliche Hiekanntmachuirge«.
Die Ortsvorsteher
derjenigen Gemeinden, in welchen Ortsviehversicherungsvereine bestehen, erhalten mit heutiger Post Formulare von Uebersichten zugesandt, in welchen die Geschäftsergebnisse der Ortsviehversicherungsvereine in den Jahren 1888—1892 darzustellen sind. Für genaue Ausfüllung der Formulare ist Sorge zu tragen und sind letztere bis 8. Mai hierher einzusenden. Calw, den 28. April 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Deutsches Reich.
Aus der Ahlwardtkommrssion. Die bisherigen Verhandlungen der Ahlwardtkommission haben ein Resultat gezeitigt, das man eigentlich mit einer gewissen Sicherheit voraussehen konnte. Das Hauptinteresse drehte sich vornehmlich um den Brief des rumänischen Bahndirektors, den erst nach vielen Bemühungen des Vorsitzenden der Kommission, Graf Ballestrem, Ahlwardt in der Freitagssitzung vorgslegt hat. Dieser angebliche Brief Ka- linderos besteht aus zerrissenen Stücken, von denen nicht erkennbar ist, ob sie zusammengehörten. Das Datum fehlt und selbst Ahlwardt muhte zugeben, daß Unterschrift wie Brief gefälscht sein können. Die Berichterstatter Dr. Porsch, Dr. v. Cunr> und Bebel konstatierten in der Freitagsberatung, daß das Aktenmaterial weder bezüglich des Jnvalidenfonds noch be- Zügli y der sonstigen Behauptungen Ahlwardt's irgend Welchen Beweis erbringe. Das sogenannte Beweis
material bestehe zumeist aus Briefabschriften, die vielfach unorthographisch und nicht frei von Rasuren seien. Der Direktor im Reichsschatzamt, Aschenborn, gab ziffermäßige Auskunft über den Ankauf der Hannover-Altenbeckener Prioritäten, welche mit 241,600 wieder veräußert worden seien. Samstags setzte die Kommission ihre Arbeit fort. Wie der „Franks. Ztg." gemeldet wird, kam Ahlwardt zu dieser Sitzung mit derartig zerrissenen Beinkleidern, daß der Vorsitzende ihn öffentlich auffordern mußte, „seine Blöße an der bedenklichsten Stelle zu bedecken."
— Von dem Einzug der Herrscherpaare in Neapel (27.) meldet die „N. Fr. Pr.": Als die Ankunft des Zuges gemeldet wurde, malte sich Freude auf allen Zügen, und triumphierend erhob sich der eherne gewaltige Klang von hunderttausend Menschen- ftimmen, welche mit einemmale in den Ruf ausbrachen: „Hoch der Kaiser! Hoch Deutschland!" Auf die Herrscherinnen, auf den Kaiser und den König, welche im Bahnhofe vom Herzog von Genua und vom Sin- daco von Neapel empfangen worden waren, regnete es von allen Fenstern Blumen herab. Dem Kaiser bedeckten weiß-rote Azaleen den dunklen Waffenrock, er winkte freundlich mit der Hand, warnte einen allzu stürmischen Rufer, daß er sich nicht zu weit vordränge, lachte und begrüßte. Langsam bewegte sich der Zug durch die buntbcwimpelte Carriera Grande, mitten durch ein angsterregendes Gewühl von Männern, Weibern und Kindern. Erschreckt flogen die Tauben von den Giebeldächern der Kirchen in Schwärmen auf, von den Dächern warf man farbige Zettelchen, und die Luft flimmerte wie von Millionen zarter Frühlingsblüten. In der Foriostraße hatte man rot-weiße Bänder durch die hellgrünen Kronen der Akazienbäump« gezogen, die Balkone, auch die Kirchenfenster waren
mit roten Seidenteppichrn bedeckt. Die Toledostraße sah wie ein Palmen- und Rosengarten aus, hier warf man Mairosen und Maiglöckchen in Büscheln auf die Wagen herab, acht prächtige, aus Orchideen und Theerofen gewundene Sträuße wurden der Kaiserin an bebänderten Stäben in den Wagen gereicht. Das Gewühl war am Ausgange der Toledostraße so furchtbar, daß mehrere Frauen ohnmächtig und Kinder von Soldaten in die Arme genommen und hinweggetragen wurden. Aehnliches ereignete sich auf dem San- Ferdinando-Platze; Kopf an Kopf gedrängt standen da wohl mehr als 50000 Menschen und immer neue Massen fluteten von Toledo, von Chiaja, von S. Lucia herein. Gendarmen zu Fuß und zu Pferd versuchten wenigstens den Weg vor dem Hauptthore des Königsschlosses vor diesem ungeheuren Schwalle freizuhalten. Umsonst, der Strom drang mit Riesengewalt unaufhaltsam vor, alles vor sich niederwerfend. Die Tribünen waren bald im Sturm genommen, und ohne eine in aller Eile gebildete dreifache Hecke von '* Soldaten und Offizieren würde auch der innere Säulen- gang des Schlosses von schwarzen Massen besetzt worden sein. Sichtbar waltete ein gnädiges Geschick über der Stadt, denn es geschah in all dem schrecklichen Wirrwarr von Reitern, Wagen und hilflos zusammengepreßten Menschen niemandem auch das Geringste zu Leide. Fast eine halbe Stunde dauerte diese Art von Völkerwanderung nach dem weiten Schloßplatze. Endlich thaten sich die Flügelthüren der großen Balkons an Fontana's herrlichem Königsbaue auf, und es traten Königin Margarete und Kaiserin Auguste Viktoria, an ihrer Seite Kaiser Wilhelm, König Humbert und der Prinz von Neapel, an die Brüstung. Die Königin begrüßte, die Arms weit ausstreckend, und lachte unter Thränen; der
Jerricieton.
Nachdruck verboten.
Wozcrrenfcherze.
Novelle von Eduard Wilde aus dem russischen Leben.
(Fortsetzung.)
Ossip Petrowitsch' kleines graues Emauze funkelte. „Und wenn es so wäre, Bojar, wenn der Bauer bisher dümmer und schlechter zur Welt gekommen ist als der Eselmann, well, wie Du meinst, seine Eltern und Vorfahren dumm und schlecht waren — so frage ich Dich, Anatol Wassiljewitsch, wer hat diese Vorfahren verdorben und verdummt? Ihr Bojaren! Die Leibeigenschaft, die Knute und der Stock, die haben den armen Muschik zu Grunde gerichtet, seinen Leib und seinen Verstand schwach und blöd und lasterhaft gemacht. Aber nun der Muschik frei geworden, wird er erwachen, sich erholen und bessern. Langsam wird es gehen, denn er ist zu elend, der arme Muschik. aber es wird gehen. U ad das wollt Ihr nun auch hindern, Zhr stolzen Bojaren, aber schau, Kajas, eS wird Euch nicht gelingen*. . .
„Du scheinst schlechte Bücher gelesen zu haben, alter Schwätzer", spottete der Fürst seine Reitgerte schwingend. „Der Bauer ist glücklicher und besser gewesen, -als er mit Leib und Seele dem Edelmann angehörte, der für ihn sorgte, daß ihm Salz und Brot nie all' wurde, und daß er sein sicher Obdach hatte. Sieh' zu, alter Narr, wie es in der Freiheit geworden ist. Hörst Du nichts von Hungersnot, «on Landstreichen und Betteln? Und wie nehmen Raub und Diebstahl überhand, Trunksucht und alles Elend!.. . Die Freiheit schadet dem Muschik, wie ihm Wissen und Bildung schadet. Ec mißbraucht die Freiheit und Wissen und er geht darin unter. Denke an die Nihilisten, Ossip Petrowitsch, da« sind Söhne freier Muschiks, die Schule und Bildung dazu benutzen, dem von Gott gesalbten Zaren nach dem Leben zu trachten. Denke an alle die Mordthaten, die in großen Städten täglich geschehen, an alle die Laster, die sich furchtbar vermehren, seitdem die Freiheit
im heiligen Rußland grüß» geworden ist. Gieb Acht, alter Schwärmer, Du wirst an meine Worte gedenken: Dein Jungs und die Dirne, die kommen nimmer gesund von Moskau! Vielleicht sehe ich meinen Osnp als Greis betteln gehen, well ihm die Kinder sein Hab und Gut verbraßt haben*. . .
„Kolja und Lenuschka schänden ihren Vater nicht!* fährt der Gastvrt mit stolzer Entrüstung auf, „nie! Kolja und Lenulchka sollen dir zeigen, was auS Muschikkindern werden kann durch Freiheit und Bildung. Sie sollen D.c b-oeisen, daß der Bojar lügt, wenn er hochmütig meint, Gott habe den Muschik aus schle hierein Stoff gemacht als den Edelmann. Ich will Dir etwas verraten* —
Ossip Petrowitsch senkte die Stimme und mit spöttischem Lächeln fährt er fort: „Ich will Dich noch etwas mehr ärgern, Knjäs Anatol, mein alter Fnno und Freund! Höre! Du sprachst vorhin von meinem trüben Emanze. Da weißt, wer schuld daran ist, daß ich Gottes schöne Welt nur mit einem Auge schaue, kann. Es sind nun mehr als vierzig Jahre her, wo Du mir — wir waren Beide junge blühende Burschen — im jähen Zorn über rin kleines Vergehen das eine Äuge mit Deinem Stockdegen ausschlugst" —
„Dafür hast Du von meinem Vater hundert Rubel bekomnen," unterbricht ihn der Fürst, „obgleich —"
„Obgleich er's nicht zu thu« gebraucht hätte", vollend U O sip Petro oitsch; „das ist richtig, ich war ja sein Leibeigener und ich mußte dackbac uno stolz sein, mein wertloses Bauernauge für einm so hohen Preis loSgrworoen zu s-m. . . DaS stimmt alles, ich wollte auch gar nicht von den hundert Rubeln >p:ech m — unterbrich mich nicht. . . Dein Vater hatte Dir gesagt: „Anatolenkl, g;,e am zum kranken Ossip, de» Du geschlagen, bezahle ihm sein Auge uns sage De n: Entschuldigung, denn Reue über begangenes Unrecht geziemt auch dem Bojace,*. . . Und Du kamst, Anatol Wassiljewitsch. Aber weißt Du noch, was Du zu Seiner EntschUdigung, sagtest? „Ossip", sagtest Du, „armer Hund, heule nicht io — Alles nur im Scherz gewesen, Alles i« Scherz geschehen!" . . . Für diesen Bojar -,scherz