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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw

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Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag. Die EiurückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.

Samstag, den 29. April 1893

AbonnementHrreiS vierteljährlich in der Stadt 90 Pfg.

20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen ML. 1. IS, sonst t» ganz Württemberg Mk. 1. 35.

Deutsches Reich.

Durch die Nachrichten, welche über die Diens­tags sitz ung des Reichstags bekannt geworden sind, weiß man, daß Herr Ahlwardt sich wiederum von Neuem schwer geschadet hat. Im Verlaufe sei­ner Ausführungen wurde er wiederholt unterbrochen, von den Rednern verschiedener Parteien der Ver- läumdung, der gewissenlosen Ehrabschneiderei, der bewußten Lüge und der Infamie beschuldigt. Wie weit die Sache noch gedeihen wird, muß abgewartet werden. Geradezu unerhört werden die Verdächti­gungen, die er gegen den Finanzminister Miguel und den Führer der Nationalliberalen von Bennigsen ausgesprochen. Kein Parlament der Welt befindet sich in der Lage, ein solches Mitglied besitzen zu müssen.

Die Militärkommission des Reichs­tags hat am 24. ds. nach dreistündiger Sitzung den Bericht festgestellt, der sich wohl heute schon in den Händen der Rcichstagsmitglieder befinden wird. Der Reichskanzler wohnte dieser Sitzung nicht an. Der Präsident des Reichstags hat die Absicht, näch­sten Dienstag die zweite Lesung der Militärvorlage im Plenum vorzunehmen. Es ist demnach nicht aus­geschlossen, daß schon anfangs nächster Woche die Entscheidung über diesen wichtigen Gesetzentwurf er­folgen wird. Die Meinungen, wie die Regierung im Falle der Ablehnung sich verhalten wird, gehen noch immer auseinander. Von der einen Seite glaubt man an alsbaldige Auflösung, während andere wieder

wissen wollen, daß in der nächsten Tagung des Reichstags die Regierung, jedoch ohne Caprivi, einen neuen Entwurf einbringen werde.

Bezüglich der Stellung des Centrums zur Militärvorlage war zwischen demKuryer Poznanski" und derGermania" eine Polemik ent­standen, in deren Verlauf das letztere Blatt folgen­des schrieb:Eine Berliner Zuschrift desKurier" hat u. A. folgenden Satz enthalten:Je näher der entscheidende Augenblick herannaht, desto mehr ergreift verschiedene Parteien eine gewisse Furcht vor den Folgen einer bedingungslosen Opposition. Das Zen­trum hält fast täglich Froktionssitzungen ab, und heute unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß die Aristokraten" dieser Partei den Forderungen der Regierung geneigt sind." Bezüglich des Zentrums, so meint dieGermania" sind das Unwahrheiten. Das Zentrum steht nicht in der bedingungslosen Opposition, sondern bietet reichlich die Compensationen für die zweijährige Dienstzeit, indem sie unter Bei­behaltung der Friedenspräsenz eine jährliche Vermeh­rung von 25,000 Mann bewilligen will. Diese Stellung hat das Zentrum nach reiflicher gewissen­hafter Erwägung genommen, und dann lasten pflicht­treue und gewissenhafte Männer sich von Furcht nicht beeinflussen. Was die Aristokraten des Zen­trums angeht, so ist unwahr, was der Korrespondent desKuryer" sagt. Wir können ihm aristokratische Herren im Zentrum nennen, die unbedingt an dem bisherigen Angebot festyalten; für das aber, was sogar er der Aristokratie zutraut, wird er keinen Namen nennen können, denn es giebt keinen. Nur

zwischen diesen beiden Grenzen ist ein Herr thätig, etwas zu finden; ob es gelingt, ist fraglich, ob die Regierung zustimmt, fraglicher, daß keine nennens­werte Zahl von Zentrumsmitgliedern dafür sein wird, sicher. Wahrscheinlich tritt übrigens die Frage nicht einmal an dieselben heran." In Bezug auf ^die Schlußausführungen des Germania-Artikels kann man auch sagen:Dunkel ist der Rede Sinn."

Wie aus verschiedenen Ländern, so aus Oesterreich, der Schweiz, Italien, Spanien und Frankreich, gemeldet wird, beabsichtigen die Sozial­demokraten eine Maifeier in großem Stile. Daß es dabei nicht ohne Konflikte abgehen wird, ist zwei­fellos. So werden beispielsweise in Oesterreich die Arbeiter der Staatswerkstätten, welche am 1. Mai dem Geschäfte fernbleiben, entlasten werden. Ob in Deutschland größere Feiern abgehalten werden, weiß man heute noch nicht; bekanntlich hat der jüngste so­zialdemokratische Parteitag in Berlin beschlossen, von einer Arbeitseinstellung am 1. Mai Abstand zu nehmen.

Berlin, 26. April. Die Kommission zur Prüfung der Ahlwardt-Akten hat sich heute gebildet. Vorsitzender ist Abg. Graf Ballestrem, Stellvertreter Abg. Dr. v. Marquardsen. Schriftführer die Abg. Porsch und Funck. Der Kommission gehören u. a. die Abgeordneten Pickenbach und Bebel an. Die Kommission tritt am Donnerstag 10'/, Uhr zur Bera­tung zusammen.

Aus Metz wird von einem neuen Grenz­zwischenfall berichtet. Vier Handlungsreisend« hatten am Montag zu Wagen von Metz aus einen

(Lolumbische Weltausstellung.

Die Ausstellung;stM Chicago.

Von Otto Schröder.

Chicago, den 10. April 1893.

Lieber Freund! Bist Du ein Amerikaner und ein Bewohner der Stadt der Essen, der Ulmenstadt oder der Stadt des heiligen Ludwig, so ist Dir der Schienenweg nach Chicago bekannt. Der Deutsche, Oesterreicher oder Schweizer hat ein schwierigeres Problem vor sich. Aber nur Mut und Hoffnung, Ich bin Dein treuer Mentor, und in sechs Wochen bist Du wiederbei Muttern".

Eine herrliche Frühlingsmoche ist Dir auf dem Meere beschieden, das Du auf einem schwimmenden Hotel einer der beiden deutschen Passagiertransport- Gesellschaften kreuzest. Wenn auch Vater Poseidon zuweilen wütig seine Locken schüttelt und den Ozean in seinen Tiefen aufrüttelt, bald ist die Fahrt wieder still und angenehm. Ein schöner Traum und Du bist nicht mehr in Deiner Vaterstadt Leipzig sondern in New-Jork, dem Thore der neuen Welt. Dieser schöne Traum kostet Dich bei Benutzung der 2. Cajüte, Vermeidung von Sect u.s.w. rund 425 Mark oder 100 Dollars. Die ersehnte Landung erfolgt in Hoboken, wo ein Beamter des Deutschen Quartier-BureausComfort" Dich in Empfang nimmt. Dein Gepäck durch die Zollstation lanciert und Dich nach dem Hotel Meier, Busch oder Nägeli führt, wo Du ein preiswürdiges Unterkommen findest. Am nächsten Tag geht es westwärts nach Chicago: Beköstigt wirst Du auf dem Zuge selbst. In 24 Stunden bringt Dich das Dampfroß derGrand Trunk Railway" nach der Ausstellungsstadt, und wenn Du einen Blitzzug er­wischt hast, so dauert Dein fahrender Arrest nur 19 Stunden. Deine Kaste hat inzwischen wieder 40 Doll, eingebüßt. Auf dem Bahnhof erwartet Dich aber­mals ein Vertreter des Deutschen Quartier-BureausComfort", das sich in den Zimmern 1005 und 1006 des Schillergebäudes befindet. Laste Dich getrost nach dem Schillergebäude bringen, woselbst man in angemessener Weise für Dich Sorge tragen wird. Ist Dir daselbst Deine Quartier-Anweisung behändigt worden, so bist Du immatrikulierter Ausstellungsgast und dann kann's losgehen.

' Du entwirfst Dir einen Feldzugsplan und machst die erfreuliche Entdeckung, daß die Eiffelturmartig«, Preise, von denen Dir ein Unkundiger erzählt hat, rucht die Ziegel , sondern -die Ausnahme sind. Von Deinem Urlaub sind 10

Tage verstrichen, und da Du denselben Zeitraum für die Rückreise brauchst, so bleiben Dir 32 Tage für den Aufenthalt in Chicago. An möblierten Zimmern und Essen und Trinken ist kein Mangel. In der Nähe des Ausstellungsplatzes sind 278 neue Hotels erbaut, um Dich und Deine Reisegenoffen aufzunehmen. Von diesen Schnellbauten, die zumeist nicht gegen Feuersgefahr versichert sind, weil das Baumaterial weniger aus Stein, denn aus Holz besteht und die Prä­mie unerschwinglich sein würde, sind 70 erst am 15. Februar in Angriff genom­men worden; aber nichtsdestoweniger stehen sie jetzt fix und fertig da. Wenn Dich der Tumult, der nahe den Ausstellungspforten an der 57. bis 63. Straße herrscht, nicht stört, dann findest Du hier unter 30,000 Zimmern Auswahl. Ziehst Du ein ruhiges Leben unter Deutsch Amerikanern vor, so mietest Du Dlch im Nord-Viertel ein, um täglich per Eisenbahn, Straßenbahn oder Dampfschiff in einem Stündchen nach dem auf der Südseite liegenden Festplatze zu fahren. Bei schlechtem Wetter bleibst Du im Stadtcentrum, trinkst Deine Tasse Mocca oder speisest zu Mittag in dem seiner vorzüglichen, echt deutschen Küche wegen bestbekannten und vielbesuchten Cafs-Restaurant von E. Pomy u. Co. im Schiller- Gebäude, und genießest dazu die Lektüre derJllinois-Staats-Zeitung", welche Dir jeden Morgen zahlreiche Kabelnachrichten übermittelt. Am Abend besuchst Du sodann das deutsche Theater, das zu Ehren Schiller's an der Randolph- firaße erbaut wurde, oder bist bei einem deutschen Gesang- oder Turnverein zu Gaste.

Dieses Chicago imponiert Dir! Du fühlst Dich hier völlig zu Hausen denn es giebt 400,000 Menschen, welche Dich ganz genau verstehen, wenn Dl» ein Glas Bier forderst oder nach der nächsten Hochbahnstation fragst. Di« Wege sind hier entsetzlich weit, da die Millionenstadt eine Ausdehnung von 182 englischen Meilen hat. Welch' ein gewaltiger Handel und Verkehr. Das Engroß­geschäft erzielt in einem Jahre einen Umsatz von Doll. 517,166,100. An Pro­dukten werden fabriziert Doll. 567,012,300. Die Arbeitslöhne in den Fabriken betragen jährlich Doll. 104,904,000, während das Anlagekapital Doll. 210,302,000 beträgt. Unsere öffentlichen Schulen kosten uns jährlich Doll. 5,013,435. DaS Kapital der Nationalbanken beziffert sich auf Doll. 21,241,680, der Ueberschuß und Gewinn auf Doll. 12,495,143. Für Bauten wurden in einem Jahre Doll. 54,010,500 verausgabt. Der Gesammthandel beläuft sich auf Doll. 1,459,000,000. Und das Alles in einer Stadt, die im Jahre 1837 nur 4170 Einwohner hatte!