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Zur Militärvorlage. Die neulich gemeldete Darstellung der „Münch. Allg. Ztg." über neue Verhandlungen wegen der Militärvorlage, wonach die Regierung nötigenfalls zur Reichstags-Auflösung nicht fest entschlossen sei und gleichzeitig einen ehrlichen Rückzug scheue, wäre, wie man dem „ham- burgischen Korrespondenten" aus Berlin telegraphiert, unwahr und insofern in sich widerspruchsvoll, als auf die steigende Abneigung des Centrums vor den Neuwahlen verwiesen wurde. Der Auflösungsgedanke werde nur dann in den Hintergrund treten, wenn sich aus den weiteren Besprechungen die Aussicht auf ein Compromiß, unter voller Bewilligung aller Compen- sationen für die zweijährige Dienstzeit und ohne irgendwelche, übrigens auch nicht gewünschte, Gegenleistungen auf anderen Gebieten ergeben sollte.
— Am 27. sprach Ahlwardt in Stettin vor 3000 Personen. Die Versammlung wurde aufgelöst. Gleichzeitig fand in Berlin eine Ahlwardt- Versammlung ohne Ahlwardt statt, die, weil Ahlwardt die Beweise für seine Behauptungen im Reichstage vorzulegen in Aussicht gestellt hatte, zahlreich besucht war. Statt Ahlwardt sprach ein Anderer; er bezeichnet« Ahlwardt als einen Ehrenmann, dessen deutsches Wort genüge auch ohne Akten; diese werden nach Ostern vorgelegt. Ahlwardt sei der Bannerträger, dem zu folgen Ehrensache jedes braven Antisemiten sei!
Permischles.
Einfluß der Elektrizität auf das Wachstum der Pflanzen. Es ist vielfach schon die Rede davon gewesen, daß sowohl elektrische Beleuchtung als auch die Beeinflussung des Erdbodens durch galvanische Ströme ein erhöhtes Gedeihen und Wachsen der Pflanzen zur Folge haben soll. Ein Franzose, Lagrange, hat nun in den letzten Jahren den Einfluß der Elektrizität auf den Kartoffelbau genau studiert. Er teilte ein Ackerfeld, welches von durchaus gleichartiger Bodenbeschaffenheit und mit Kartoffeln bestellt war, in drei Teile; in den elfteren versenkte er Plattenpaare von Kupfer und Zink, die oberhalb der Erde durch Leitungsdrähte verbunden waren; die mittlere Partie blieb in gewöhnlichem Zustande, während das dritte Feld mit einer Art Zaun von metallischen Stangen umgeben wurde, die durch Influenz die atmosphärische Elektrizität, ähnlich wie Blitzableiter, anzogen und ausglichen. Die dritte Abteilung ergab, wie das Patentbureau von Richard Lüders in Görlitz berichtet, bei der Ernte das beste Resultat, nämlich im Vergleich zu den übrigen Feldern sehr große und viele Knollen, auch konnte die Ernte hier schon 2 Wochen eher erfolgen. Die erste Abteilung ergab 68 Kilo, die zweite 80 und die dritte als Ernte 103 Kilo. Bei der mit Kupfer- und Zinkplatten versehenen Abteilung war die üppige Entwicklung des Krautes und der Blüten sehr auffallend. Demnach werden in Zukunft diejenigen Bauern die größten Kartoffeln ernten, welche ihre Felder mit Blitzableitern versehen. (?)
Offener Brief an den Beobachter.*)
Werter Beobachter! Von jung auf gewöhnt, Gabel, Sense und Flegel zu handhaben, ist mir die Feder nicht so geläufig, nur weil mir deine bieder- männische Sprache Mut dazu macht, lasse ich mich auf einen Disput mit dir ein und wirst du mir das vertrauliche Du schon gestatten.
Es ist zwar ein etwas heikles Thema, das ich berühren möchte, allein weil du ein „Volksblatt" sein willst und stets nur das Volk im Mund führst, darf ich dir schon vertraulich meine Ansichten lagen. Es handelt sich um die dumme Geschichte von der notleidenden Landwirtschaft.
Es würde mich besonders interessieren, von dir zu erfahren, ob du unter Volk auch Menschen verstehst, die sich mit Landwirtschaft beschäftigen, oder ist es wahr, daß du nur den „Bürger", der Handel treibt oder den „Bürger", der in der Stadt sitzt, abends Bier trinkt und schimpft und den Arbeiter, dessen Stimme du bei Wahlen brauchst, für Volk ansiehst? Das wäre nicht schön, denn so wie der Bauer von früh bis nacht, schindet sich sonst kein Mensch, und ein Arbeiter in der Fabrik lebt oft besser, als bei uns ein begüterter Bauer. Wenn er aber trotz alles Schinden's nichts vor sich bringt, ja sogar rückwärts kommt, so müßtest du nicht der Biedermann sein, der du sein willst, wenn du nicht Mitleid fühltest.
Weil ich dein gutes Herz kenne, will ich dir reinen Wein einschenken.
Meines Zeichens bin ich ein armer Pächter, treibe einen Hof von 430 Morgen um und zahle vom Morgen 10 ^ Pacht.
Dem Besitzer bleibt, bis er Steuern und Abgaben entrichtet, Gebäude unterhält, weniger Rente als eine Bäckerei oder eine Bierwirtschaft in der Stadt abwirft; ich sage das, damit du nicht sagst, der Mann zahlt eben zu viel Pacht. — Der Besitzer thäte besser — trotzdem etwa 1500—2000 Zentner Getreide von dem Hof auf den Markt geliefert werden, — wenn er den Hof mit Wald einkultivieren und die Gebäude niederreißen würde; die 25 Menschen, die das ganze Jahr und die 50 Personen, die im Sommer ihr Brod auf dem Hof finden — können ja sehen, wo sie Unterkommen.
Man führt aber den Hof weiter und man sagt mir in der Gegend nach, ich treibe meine Sache gut um; letzteres sage ich nicht aus Eigenlob, sondern damit du nicht die Ausrede hast, ich verstehe nichts.
Manche Leute glauben, ich verdiene viel Gelv, weil ich nach einem Fruchtverkauf schon manchmal einen Schoppen Wein getrunken habe. Wir wollen die Leute auf dem Glauben lassen, aber dir, lieber Beobachter, darf ich schon sagen, wie es aussieht.
Von 1883—1887 ging Null von Null auf,
*) Von einem Landwirt des Calwer Bezirks, als im Interesse seiner Kollegen gelegen, „eingesandt." Der Verfasser des Aufsatzes unterzeichnet: „Der Manschettenbauer von der Geislinger Alb."
1887—1890 habe ich 13000 zugesetzt und fast allen Pächtern und vielen Bauern in Württemberg und wahrscheinlich ganz Deutschland ging's ähnlich. 1890 und 1891 habe ich bei den besseren Preisen wieder einen Teil des Verlust's eingebracht, Heuer wäre es mir wahrscheinlich gelungen, den anderen Teil wieder hereinzubringen, wenn der Preissturz des- Getreides nicht gekommen wäre.
Ich habe durch den Preisrückgang einen Verlust von gegen 4000 erlitten, das thut auf den Morgen fast so viel als was ich Pachtgeld zahle. 9 ^ pro Morgen. Bei einem Bauerngut von 60 Morgen, bei ähnlichem Betrieb, 540 ^ und bei einem Gute von 100 Morgen 900 und jetzt soll mir einer sagen, daß der kleine Mann gar nicht in Betracht bekommt, sondern nur der Junker und Großgrundbesitzer. Ja, lieber Beobachter, im ganzen Süden gibt es fast keine Großgrundbesitzer — ich würde es selbst gerne sehen, wenn es auch im Norden nur mittlere und kleine Güter geben würde; aber der größte Teil des Grund und Bodens ist doch in den Händen der Mittleren und Kleinen.
Daß es für die Pächter und Bauern kein Spaß ist, ein Gut zu bewirtschaften, wirst du aus dem bisherigen schon ersehen haben und wenn man glaubt^ man habe nach schrecklicher Mühe und Sorge das Geld schon in der Tasche, dann schlägts im letzten Moment ab und man hat ein Jahr umsonst gearbeitet oder ist oft noch rückwärts gekommen.
Die Not hat mich dazu getrieben, im Blättle meinem bedrängten Herzen Luft zu machen, weil es immer heißt: Rührt euch auch, ihr Bauern, wahret euer Interesse!
Es geht einem aber schlecht, ein Filsthäler hat mich einen Heißsporn geheißen und du gar einen rabiaten Manschettenbauer.
Mit den Manschetten verhält sichs aber so: Nur Sonntags, wenn ich meinen neuen Nock, der in den Aermeln zu kurz ist, anhabe, (ich mag ihn dem Schneider nicht, wie Herr von Münch, heimschlagen), trag ich Manschetten, damit man die kurzen Aermel nicht so sieht. Zu Haus und auswärts trage ich, obigen Fall abgerechnet, nie Manschetten. Du bist also mit den Manschetten falsch berichtet worden.
(Schluß folgt).
24. März.
27.
28. März.
Standesamt Kalo». /
Geborene:
Elisabeth Christine Luise, Tochter des Jakob Friedrich Protz, Maschinenstrickers hier.
August Friedrich, Sohn des Karl Lam- precht, Bahnhofaufsehers hier.
Christian Albert, Sohn des Wilhelm Kin- geter, Spezereihändlers hier.
Karl Christian Friedrich, Sohn des Georg Christian Schechinger, Sortierers hier.
Gestorbene:
Emil Dingler, Sohn des Ulrich Dirigier, Fabrikarbeiters hier, 6 Monate alt.
zu schleudern, so sei ihr und ihren Genoffen das Leben geschenkt. Es gilt, rief Cäcilie, und inbrünstig betend fiel sie zur Erde, Gott anflehend, ihre Hand zu lenken. Man reichte ihr eine schwere, pfeilähnliche Waffe, die nur von einem starken Mann gehoben werden konnte. Cäcilie ergriff sie, als sei sie federleicht, und abgewandten Antlitzes schleuderte sie das Wurfgeschoß von sich. Und siehe da — Gott that an dem schwachen Mädchen ein Wunder! Sausend durchschnitt die Waffe die Luft, glitt mitten durch den Kranz und fiel dann jenseits zu Boden. Laut betend sanken die geretteten Christen in die Knie. An der Stelle aber, wo sich das Wunder vollzogen, erhob sich bald darauf eine St. Cäcilien geweihte Kapelle, von der heute freilich kein Stein mehr übrig ist.
So die Legende.
Schon etliche Wochen vor St. Cäcilien üben sich die ledigen Burschen — kein Verheirateter darf sich beteiligen — mit ihren selbst geschnitzten Holzpfeilen im Kranzstechen. Trotzdem gelingt es nur wenigen, sich einen Kranz „abzufangen", denn das Kranzstechen ist nicht so leicht, wie man vielleicht zu glauben geneigt ist. Ehe das eigentliche Werfen beginnt, losen die Burschen untereinander, wem der erste Wurf zusteht. Ist dem Ausgelosten nun das Glück hold, gelingt es ihm, seinen Pfeil durch einen der aus Ähren und Gartenblumen gefertigten Kränze zu treiben, so bleibt er für den Rest des Abends „Kranzkönig", und diejenige, der er seinen Kranz giebt, „Kranzkönigin", und beide haben miteinander den ersten Tanz. Denn darin besteht der eigentliche Witz und Reiz des Kranzstechens, daß die Burschen da offen kund thun, mit wem sie „gehen", d. h. wen sie sich als Liebste erkoren haben. Jedem glücklichen Besitzer eines Kranzes steht nämlich das Recht, ja die Pflicht zu, ihn seinem Schatz auf den Kopf zu setzen und dar Mädchen gleichsam der Öffentlichkeit als Braut vorzustellen. In 100 Fällen wird 99 Meck aus Kranzler und Kranzlerin ein Paar. — Ist es nun für die Burschen keine geringe Ehre, sich einen Kranz ab- -efangen zu haben, so ist es für die Dirnen doch eine wett größere, einen solchen zu «tnpfangrn. Schlägt ihn dennoch — was jedoch nur höchst selten vorkommt — ein»
aus. so ist das ein tötlicher Schimpf für den Burschen. Man heißt ihn dann „Katzenkönig", und jeder hat das Recht, ihn zu foppen und Schabernack mit ihm zu treiben. Gewöhnlich liegt ihm am nächsten Morgen, wenn er noch schweren Hauptes erwacht, ein Korb voll miauender Kätzlein vor der Thür , oder die Burschen bringen ihm wohl auch eine abscheuliche Katzenmusik. Daß jeder sich da wohl vorsieht, Katzenkönig zu werden, versteht sich von selbst, und darum wird vor St. Cäcilien auch eifrig auf den Busch geklopft und der Sinn der Dirnen nach Möglichkeit ergründet.
Ein glänzend klarer Tag, war St. Cäcilien angebrochen. Das ganze Dorf nahm in nagelneuen Kleidern an der Prozession teil. Daß eines an diesem Tage einen asten Rock hätte anlegrn sollen, war undenkbar. Man sparte es sich am Munde ab, man fastete lieber dreimal die Woche und glich zu Pfingsten, das doch auch ein vornehmes Fest war, einem Hasen im alten Fell, nur um an St. Cäcilien prangen zu können.
Der kirchliche Akt war beendet. Draußen ouf der Cäcilienwiese strömte alles zusammen. Im blendenden Lichte der Sonne leuchteten die grellfarbigen Röcke der Weiber und Mädchen, die weißen Zwickelstrümpfe und roten Tuchwcsten der Männer noch einmal so hell. All' die sich hin und herbewegenden, oft im schreiendsten Gegensatz stehenden Farben mußten einem ungewohnten Auge geradezu wehe thun. In den Zelten ward'S lebendig. Körbe mit Eßwaren wurden ausgepackt, Teller klapperten, blanke Messer und Gabeln blitzten, dazwischen rollten und polterten die angestochenrn Bierfässer. Lieder und Hurrarufe ertönten. Schon bewegte sich drüben der Vorhang vom Kasperletheater, dazu setzte eine Drehorgel den „grünen Jungfernkranz" ein. Den letzten Bissen noch im Munde, ging's jetzt ans Schauen und Lachen, denn der Kasperle der im Grunde ein geschundener Raubritter war und mit dem Teufel in hoher, roter Mütze und pechschwarzem Gesichte auf dein Dutzfuß stand, fand immer sein Publikum.
(Fortsetzung folgt.)