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kritisiert in scharfer Weise die württembergische Rechts­pflege. Der württembergische Bevollmächtigte, Direk­tor Stieglitz protestiert entschieden dagegen, daß die württembergische Justizpflege der Subjektivität und Parteilichkeit beschuldigt wird. Nach einer per­sönlichen Bemerkung Papers (Volkspariei) empfiehlt Schräder (frs.) betreffend der Regelung des Straf- vollzugsgesctzes dem Bundesrate etwas mehr Eifer an und bemerkt, die einzige Schwierigkeit sei der Kostenpunkt, welcher doch nicht ausschlaggebend sein könne. Abg. Kunert (Soz.) berührt die Jmmunitäts- frage der Abgeordneten, welche durch den Antrag Rintelen absolut nicht erledigt sei. Abg. Kroeber (Zentr.) wendet sich gegen die Ausführungen der Freiherrn Münch und Kunerts. An der Debatte beteiligen sich Bar (freist), Freiherr Münch (wild) und Stadthagen (Soz.) Letzterer bespricht die Fälle Peus, Schmidt, sowie Kunert und hält die Aemter des Staatssekretärs und der Vortragenden Räte für überflüssig. Er wünscht die Beseitigung der Spitzel und beantragt das Gehalt des Staats­sekretärs so lange zu verweigern, bis dieser erklärt, er habe Zeit die angeregten Fragen zu erledigen. Der Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt, eben­so der Rest des Etats.

Berlin, 26. Februar. Bei dem Festmahl, welches gestern abend aus Anlaß des Geburtsfestes Seiner Maje st ätdesKönigsvonWürttem- b erg bei den Kaiserlichen Majestäten stattfand, brachte der Kaiser folgenden Toast aus :Ich trinke auf das Wohl Seiner Majestät des Königs Wilhelm von Württemberg", worauf die Musik die Königshymne intonierte, welche stehend angehört wurde. Rechts vom Kaiser, welcher die Uniform seines württem- bergischen Infanterie-Regiments Kaiser Wilhem, König von Preußen Nr. 120 trug, dazu den Stern des württembergische» Kronen-Ordens, saß der württem­bergische Gesandte v. Moser, links vom Kaiser der württembergische Militärbevollmächtigte Oberst Frhr. v. Matter. Dem Kaiser gegenüber saß die Kaiserin, welche den Olga-Orden angelegt hatte, rechts von der­selben der Reichskanzler, links der General v. Alvens- leben, der frühere Kommandeur des 13. Armeekorps.

Tages-Neuiykeiten

-2 Calw, 25. Febr. Einer Einladung des Lehrervereins für Naturkunde Folge leistend, versammelten sich gestern eine Anzahl Lehrer aus den Bezirken Calw, Nagold und Böblingen im badischen Hof. Der Landesvorstand des genannten Vereins, K. G- Lutz aus Stuttgart, hatte in dankenswerter Weise zwei Vorträge übernommen. Im ersten der­selben, das Leben im Süßwasser, schilderte er in allgemein verständlicher Weise die Lebensver- hältnifse in einem Süßwassersee und teilte das Leben im Süßwasser in 3 Regionen ein: 1) die Littorale, d. h. die Region der Uferzone, in welcher sowohl phanerogamische als kryptogamische Gewächse gedeihen, und den zwischen ihnen wohnenden Wafsertieren den

nötigen Sauerstoff und teilweise auch eigentliche Nahr­ung liefern und hinwiederum die von Tieren aus­geatmete Kohlensäure als eigene Lebenslust aufnehmen. Von ihr völlig verschieden ist 2) die Tiefseeregion, die fast ausschließlich schwimmende Algen beherbergt und wegen des geringen Lichtes auch eine eigenartige Fauna aufweist. Was diese beiden Regionen übrig lassen nannte der Redner 3) die pelagische Region. Sie umfaßt einen Teil der Oberfläche des Süßwasser­sees bis zu einer gewissen Tiefe. Auch sie hat wieder eine durchaus eigenartige Flora und Fauna. Be­sonders leben in ihr zahlreiche Tiere kleinster Art, die, um den Nachstellungen ihrer Feinde zu entgehen, fast gänzlich durchsichtig, mit bloßem Auge kaum wahr­zunehmen sind. Redner kam dann auf die chemische Zusammensetzung des Wassers und auf den jährlichen Verlust, den z. B. der Genfer See an diesen Stoffen hat, zu sprechen. Nach einer Durchschnittsberechnung verliert genannter See jährlich 10 000 Mill. odw. Wasser, in welchem ca. 50 Mill. Liter Kohlensäure aufgelöst sind, durch den Abfluß der Rhone. Im zweiten Themas Behandlung des Schnee­glöckchens in der Schule, zeigte der Redner, wie man ganz entgegen der bisher geübten, trocken beschreibenden und daher äußerst ermüdenden Methode, den Kindern Interesse am Naturgeschichtsstoff ein­pflanzen kann. An der Hand einer prächtigen, mit Farbstiften in großem Maßstabe ausgeführten Zeich­nung des genannten Blümchens (es war leider lebend hier noch nicht zu bekommen) wies Lutz darauf hin, daß man den Kindern nicht bloß sagen oder mit ihnen entwickeln soll wie der Naturgegenstand be­schaffen ist, sondern daß man ihnen auch sagt, warum er so und nicht anders eingerichtet sein muß, wie man aus der Wurzel einen Schluß auf die Blatt­stellung und umgekehrt ziehen kann, warum die Blüte des Schneeglöckchens herabhängt, warum es eine weiße Farbe hat, warum es ein Zwiebelgewächs ist und dergl. mehr. Mit der Versammlung war eine Aus­stellung von Naturalien verbunden. Schullehrer Eßich von Oberkollbach hatte in 1012 Kästen mehr als 300 Schmetterlingsarten, Hermann von Neubulach einen Kasten mit seltenen ausländischen Käfern, Eisen-, Kupfer- und Silbererze, brennbare Mineralien, ausländische Früchte und Samen, Nutz- und Farbhölzer und Herr Häring z. bad. Hof einige Naturalien und Geräte aus Australien auf­gestellt. Auch eine Moossammlung mit ca. 200 Moosen aus unserer Gegend war zur Besichtigung aufgelegt.

j:f Von der oberen Nagold, 28. Febr. Gestern fiel in der Nähe der Neumühle der 50 I. alte Knecht Seeger von Lengenloch bei den Wässer­arbeiten in die Nagold und ertrank.

Eßlingen, 26. Febr. Heute nacht wurde in der Apotheke von Dr. Mauz eingebrochen, die Ladenkasse angebohrt und mit einem sogenannten Deichselnagel erbrochen und der Inhalt (gegen 70 ^) geraubt. Es scheint, da sämtliche Thüren am Abend

verschlossen waren, daß sich der Einbrecher schon vor Abend im Hause versteckt hat; nach demselben wird eifrigst gefahndet.

Wie im letzten Blatte bereits gemeldet, ist am Montag der Orientexpreßzug auf der Linie BietigheimMühlacker entgleist. Zum Glück wurden außer dem Lokomotivführer und 2 Köchen niemand verletzt und auch diese zum Glück nicht er­heblich. Die Entgleisung geschah durch Schienenbruch. Die Tafel- und Kochgeräte in einem der Wagen lagen durcheinander und das Küchengeschirr ging in Trümmer.

Lebensversicherungsbank fürDeutsch- land in Gotha. Stand am 1. Februar 1893.. Versichert: 79,640 Personen mit 634,400,000 Neu im Jahre 1892: 5750 Versicherungen mit 42,425,000 Neu im Jahr 1893: 428 Ver­sicherungen mit 3,006,400 -/A. Ausbezahlte Ver­sicherungs-Summen: 241,500,000 Bankfonds 184,730,000 Darunter Sicherheitsfonds ca.

31,000,000 Die Ueberschüsse werden voll und unverkürzt an die Versicherten als Dividende zurück­gewährt. In diesem Jahre beziffert sich der als Dividende zurückzugewährende Betrag auf 7,050,125-^ und zwar werden nach dem alten System mit Divi- dendennachgewährung auf die letzten fünf Jahre: 39"/o der Jahresprämie und nach dem gemischten System: 29'/«°/» der Jahresprämie, sowie 2,4°/» - der Prämienreserve gewährt. In Prozent der Jahrcs- prämie ausgedrückt, berechnet sich hiernach die Ge- samtdividende nach dem gemischten System für die ältesten dividendenberechtigten Versicherungen bis auf 129°/°, so daß also die betreffenden Versicherten nicht nur volle Beitragsfreiheit genießen, sondern sogar eine bare Herauszahlung erhalten. Die Ver­sicherungen Wehrpflichtiger bleiben ohne Zuschlagprämien auch im Kriegsfälle in Kraft.

Der schon früher angekündigte, aber wieder aufgeschobene

öffentliche Vortrag

des Herrn vr. Lbsrstsi'ck k'rsss

über Klicke in die Urwelt

wird Freitag, den 3. März, abends 8 Uhr im Georgenäum gehalten werden.

Aufstchtsrat des Heorgeriäums.

Landw. Consum-Verein Calw.

Den Mitgliedern zur Nachricht, daß in Folge späterer Uebereinkunft mit unseren Lieferanten der Preis für Superphosphat reduciert worden ist, so daß 8 ? 14 sich um 45 und 8 U 18 um 60 iZ billiger als in der ausgegebenen Preisliste berechnet werden.

Der geschäftsführende Vorstand L. Dingler.

munter." Ich bin heute nicht mit leeren Händen gekommen; da habe ich Pflanzen

mitgebracht und seltene Steme, alles in Madeira gesammelt, ein kleiner Schatz für mich, reich an Jugenderinnerungen."

Er öffnete Pflanzenmappcn und ein kleines Mineralienkästchen, das er mühsam hierher in den Wald geschleppt hatte, vor Elisabeth. Er wollte diese seltenen Dinge erklären und das Staunen des Landmädchens damit erregen. Er geriet indessen selbst in die größte Verwunderung, als sie sich völlig vertraut mit den Namen und Eigen­schaften der Steine und Pflanzen zeigte. Doch mußte er seine neugierige Frage, wie sie zu solchen Kenntnissen gelangt sei, unterdrücken, indem es ihm gar zu unhöflich schien, darüber Befremdung zu äußern.

Von Pflanzen und Steinen ging das Gespräch auf die Menschen des Südens, ihre Sitten und Verhältnisse über. Elisabeth sprach ihre Gedanken offen und mit beredten Worten aus, lauschte aber dann wieder seinen Entgegnungen eben so auf­merksam. wie die heute völlig beseligte Katharine. Ohne daß sie es sich gestehen wollte, fühlte sie das reine Entzücken gegenseitigen Verhältnisses in hohen, großen Dingen, das sie so lang«, ja eigentlich immer hatte entbehren müssen, nur den Brief­wechsel mit ihrem vermeintlichen Bruder ausgenommen. In die Nachempfindung dieses ungewohnten Genusses versunken, ward ihr gar nicht bewußt, daß der Fremde sich ihr auf dem Heimwege angeschlossen hatte. Erst am Ausgange des Walde» errötete sie plötzlich, winkte ihm, zurück zu bleiben und zog Katharina hastig mit sich fort. Frau Anna erwartete die beiden Mädchen bereits vor der Hausthüre. Elisabeth umfaßte sie mit stürmischer Zärtlichkeit ; eS dünste ihr eine Pflicht zu sein, der Mutter von dem Fremden zu erzählen, den sie kennen gelernt hatte, aber sie wußte nicht, wie damit beginnen; -ine tiefe Scheu schloß ihr die Lippen und sie schwieg im selt­samen, unausgesprochenen Verständnis mit Katharine. die gleichfalls de« jungen Mannes mit keiner Silbe erwähnte.

Am nächsten Tage versagte sich Elisabeth den gewohnten Spaziergang, so oft Katharine mit Anpreisungen de» schönen Wetter» dazu in Versuchung führen mochte.

Als sie nach einigen folgenden Regentagen endlich die Waldlichtung wieder aufsuchte,, atmete sie wie erleichtert auf. da sie dieselbe leer fand.

Sie kam nun von neuem täglich, aber nie ohne Katharine. Nur zuweilen traf auch Graf Rudolf mit den Mädchen zusammen, er schien Elisabeth's stumme Andeutung verstanden zu haben, daß sie ihn nicht jeden Tag hier sehen wolle. Cie konnte vor sich selber den Gedanken nicht ertragen, als ginge sie seinetwegen in den Wald und gäbe ihm so das Recht, ihr Interesse für ihn vorauszusetzen.

Aber diese seltenen Zusammenkünfte gewannen für die drei jungen Menschen einen immer höheren zauberähnlichen Reiz. Katharine bildete sich mit erstaunlicher Raschheit, durch Gespräch und Unterricht, zu einem verständigen und dadurch doppelt liebenswürdigen Mädchen heran, und Elisabeth sagte sich oft zur Selbstentschuldigung, daß es von ihr unverantwortlich sein würde, ihrer Schwester eine so günstige Ge­legenheit zu ihrer Entfaltung zu entziehen.

Ihr eigenes Entzücken über das Wissen und den umfassenden Verstand des vermeintlichen Naturforschers, den seligen Schauer, der sie durchbebte, wenn er nun, sein freundliches Recht behauptend, ihre Hand zum Abschied ergriff, die Selbstver­gessenheit, mit welcher sie oft ihren Blick an seinem sympathischen Antlitz hasten ließ, das olles verhehlte sie sich so sorgsam, wie nur ein junges, unschuldiges Mädchen die ersten Keime einer aufsprofsenden Liebe ängstlich und erschrocken zudecken kann..

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land. Graf Rudolf trug plötzlich eine unbesiegbare Vorliebe für das Jagdvergnügen zur Schau. Tagelang durchstreifte er mit seiner Flinte den Wald. Freilich kehrte er abends meist ohne Beute heim, und der Verwalter lächelte unverholen über da» Mißgeschick des jungen Nimrod. Der alte Robert aber, der Graf Rudolf als einen guten Schützen kannte, der lächelte und spottete nicht, der schüttelte bedenklich sein graues Haupt und nahm sich endlich vor, zu erkundigen, was denn sein Gebieter gar so wichtiges im Walde zu thun habe.

(Fortsetzung folgt.)