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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.

68. Jahrgang.

Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag, Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung S Psg. die Zeile. sonst >2 Psg.

Samstag, den 11. Jebruar 1893.

Abonnementspreis

ro Pfg. TrLgerlohn. durch die ganz Württemberg Ml. i..

, tn der Stadt 90 Pfg. ,und bezogen Mk. 1. LL, sonst im

Amtliche Bekanntmachungen.

Den Ortsvorstehern denn. Standes­beamten

gehen in den nächsten Tagen die Formulare zur Fertigung der nach Z 1 der Min.-Verfügung vom 29. Dezember 1891, betreffend die Erhebung einer Statistik der Todesursachen (Reg.-Bl. S. 333), vorgeschriebenen Übersichten und zwar zunächst wieder für den Bedarf eines Jahres (für jedes Vierteljahr je 2 Exemplare zur Fertigung von Konzept und Reinschrift) zu, wobei bemerkt wird, daß nur diese gedruckten Formulare zur Fertigung der Uebersicht zu verwenden sind. Weiter erforderlich werdende Formulare können vom Oberamt bezogen werden.

Calw, den 10. Februar 1893.

K. Oberamt. K. Oberamtsphysikat.

Lang. Dr. Müller.

Deutsches Reich.

Berlin, 7. Februar. Reichstag. Beim Etat des Reichsamts des Innern. Gehalt des Staats­sekretärs. Liebknecht (Soz.): Die vom Zaune ge­brochene Debatte habe keinen Sinn. Das Volk be­schäftige sich mit dem Notstand und der Militär­vorlage. Die Entscheidung werde absichtlich hinaus- -gezogen. Es sei viel vom Sparen die Rede. Einige Arbeiter sparen trotz des erbärmlichen Lohns, sie legen von dem Zuwenig noch etwas zurück und ver­kümmern dadurch, was für die Volkswirtschaft nicht günstig sei. Den Zukunftsstaat denke sich jeder nach seiner Fasson. Alle Debatten, die Sie jetzt führen, um uns zu vernichten, werden uns bei den Wahlen rin ausgezeichnetes Material bieten. Was Bebel

gestern gesagt, wer nicht arbeitet, soll verhungern, ist ganz richtig. Wer nicht arbeitet soll nicht ordent­lich essen. Heute essen gerade die Faullenzer am besten und die Arbeiter verhungern. Herr Bachem hat uus gefragt, ob wir die Revolution abschwören, hierauf haben wir ihm zu entgegnen, daß wir uns als Revolutionäre, aber nicht im polizeilichen Sinne bekennen. Eine solche Frage sollte so wenig an uns gerichtet werden als eine solche nach dem Zukunsts­staat. Man wolle die Aufmerksamkeit ablenken von der Milirärvorlage, namentlich das Zentrum. Wenn das Zentrum fest geblieben wäre, hätten wir die Militärvvrlage schon in den Papierkorb geworfen. Stöcker: Er könne auf seine Rede verzichten. Die Sozialdemokraten hätten ihr bestes Pferd vorgeführt und es habe sich als lahmer Renner erwiesen. Ohne gezwungen zu sein, werde er nicht antworten; dies habe er namens seiner Freunde zu erklären.

Berlin, Donnerstag 9. Febr. Reichstag. Etat des Reichsamts des Innern. Möller (nat.-lib.) spricht seine Befriedigung aus über die Vermehrung der Fabrilinspektoren. Die eigentliche Aufgabe der Inspektoren sei die Ueberwachung der Ausführung der Arbeilerschutzbestimmungen. Sie müssen das volle Vertrauen der Arbeiter besitzen. Es sei ungehörig, daß ein Fabrikinspektor, wie in Köln geschehen, nur das Sozialistenblatt zu amtlichen Mitteilungen an die Arbeiter benütze. Die Arbeiter-Fachvereine sollten sich von politischen Bestrebungen fernhalten. Bezüg­lich der Ausführungsbestimmungen zur Sonntagsruhe in industriellen Betrieben müßte nicht gewartet werden, bis das ganze Material vorliegt, sondern schrittweise vorgegangen werden. Bezüglich der Zunahme der Unfälle sei zu berücksichtigen, daß früher kleine Un­fälle nicht gemeldet wurden. Hartmann (kons.) legt gegenüber den Ausführungen Wurms (Soz.) in

der vorgestrigen Sitzung dar, daß die Arbeiter nirgends so gut aufgehoben seien, wie in Deutschland. Das Fabrikinspektorat habe sich durchaus bewährt. Die Uebertragung der Arbeitslosenstatistik an die Fabrik­inspektoren empfehle sich nicht. Es sei kein Unglück, wenn die Sonntagsruhe im industriellen Betriebe erst zu Jahresende eingeführt werde. Wünschenswert sei, daß die Fabrikinspektoren Sprechstunden für die Ar­beiter halten. Die Arbeitsfreudigkeit und Opfer­willigkeit der Inspektoren sei rühmenswert, v. Stumm (Reichsp.): Wenn die Inspektoren mit den Arbeiter­organisationen in direkte Verbindung treten, so über­schreiten sie ihre Aufgabe.

Berlin, 8. Februar. Die Militär­kommission des Reichstags setzte heute die Be­ratung des Berichts der Subkommission fort. Buhl (nat.-lib.) weist darauf hin, daß der vom Reichs­schatzamt im Etat für 1893/94 infolge der Handels­verträge mit 27 Will, angenommene Ausfall an Zöllen bei weiterer Erstreckung der Meistbegünstigung auf 36 Mill. steigen würde. Die infolge der Zollherab­setzung eingetretene Entlastung der Konsumenten be­trage dagegen insgesamt 225 Millionen, v. Hammer­stein (kons.) widerspricht für sich und seine Freunde, daß sie Erstreckung der Meistbegünstigung auf Ruß­land wünschenswert sei. Fortsetzung am Samstag.

Berlin, 9. Febr. Kaiser und Kaiserin besuchten heute vorm, das Rathaus, wo sie von dem Oberbürgermeister Zelle und dem Vorsitzenden des Komites für das Augusta-Denkmal, Stryck, empfangen und durch die Räume geleitet wurden. Die Maje­stäten besichtigten die im Festsaale aufgestellten Modelle für das Augustadenkmal und besuchten dann den Sitzungssaal der Stadtverordneten, den Magistrats­saal und die Bibliothekräume.

Jeuitket orr.

Die Adoptivtochter.

Erzählung von K. Labacher.

(Fortsetzung.)

Josef Will kam den Erwartungsvollen zu Hilfe hob den Deckel vollend» empor. Ein vielstimmiger Schrei der Überraschung und Freude folgte diesem Momente. Denn da bot sich ein gar einladender, freundlicher Anblick. Schöne, weiße Brötchens Kuchen, Obst und gebratene Hühner lagen ganz oben auf und als das alles ge­würdigt und auf den großen Eichentisch gelegt war, der mitten im Zimmer stand, zeigten sich viel andere und gediegenere Schätze, Zuckerhüte und ein Säckchen duftender Kaffee, ein Korb voll Eier. In der zwecken Kiste aber befanden sich fertige Ge­wänder für Wilk und seine Frau und Kleiderstoffe in allen Farben und Qualitäten für die freudig erregten Kinder, und ganz unten, am Grunde der Kiste, lag der Beutel mit den hundert Thalern, dem die Gräfin noch zwei glänzende Goldstücke, «inen kostbaren Ring und eine Locke vom Haupte der kleinen Elisabeth beigefügt hatte.

Fort waren nun aus der niederen Lehmhütte die Gespenster der Not und deS Hungers gescheucht. Bald lachten die gesättigten Kinder wieder und neckten einander, ihre lustigen Stimmen schwirrten wie in früheren Zecken durch das kleine HauS- Der wackelige Schrank war gefüllt mit köstlichem Überfluß aber Wilk und sein« Frau berührten nichts von den lockenden Speisen; sie hätten keinen Bissen hinunter­gebracht von dem, was sie, trotz den freundlichen Worten der Gräfin, doch als eine Art Kaufsprcis ansahen für ihr geliebtes, kleines Lieschen.

Gegen Mittag wurde Wilk nach dem Schlosse gerufen, um die ihm zugesicherte Aufseherstelle von dem Grafen selbst übertragen zu erhalten. Der Graf mochte seinem Perwalter in dergleichen Dingen kein rechtes Vertrauen schenken, umsomehr

als d'eser wußte, daß sein Herr wohl nicht so bald wieder hieher kommen und Rechenschaft von ihm verlangen würde.

Und als die Schatten de» Abends tiefer sanken, wandrrte Frau Anna, am Arme ihres Mannes, hinaus auf die Landstraße, an dieselbe Stelle, wo sie am Tage vorher noch ihr liebes Lieschen am Herzen gehalten hatte. Die Erinnerung überfiel sie hier überwältigend; sie setzte sich wieder auf dem Meilensteine nieder und verbarg ihr Antlitz in den Händen, bis sie den Wagen Heranrollen hörte und Josef Wilk sanft zu ihr sagte:

»Sie kommen, sei stark, mein liebes Weib! Denke, Du hast unser Lieschen doch glücklich durch Dein Opfer gemacht."

Einige Minuten später stand Frau Anna mit ihrem Manne wieder allein auf der stillen, dunkel gewordenen Landstraße. Eine Art Betäubung, tief und wohlthätig, hielt ihre gequälten Sinne umfangen. Sie wußte eS kaunch daß sie ihr LieblingSkmd noch einmal im Arme gehalten, geherzt und geküßt hatte; sie wußte kaum, daß man ihr das kleine Wesen fast mit Gewalt hatte entreißen müssen. Stumm und bleich lehnte sie an der Schulter ihres tiefergnffenen Gatten, der sie langsam heimführte, in die Mitte ihrer anderen Kinder.

Die Gräfin aber, von der erlebten Szene und dem Schmerze der unglücklichen Mutter bis in's Innerste erschüttert, preßte die beiden fest aneinander geschmiegten Kinder an ihr heftig klopfendes Herz und erneuerte das Gelöbnis, keinen Unterschied zwischen ihnen zu machen, zwischen dem edelgeborenen Sprossen eines alten Adels- geschlechteS und dem Kinde eines armen Schuhmacher».

Und die kleine Elisabeth erleichterte der Gräfin die Erfüllung diese» Schwure». Ünter der sorgsamen Pflege und Erziehung, welche ihr zu teil ward, erblühte sie in dem fernen, fremden Lande, unter dem müderen Himm/l Neapels ru einem so hold» seligen Geschöpfe, daß die Gräfin nur selten daran dachte, es sei nicht ihr eigen Fleisch und Blut, was da heranwachse zu einer so unbeschreiblichen Lieblichkeit und