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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
68. Iahrgau-.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr betragt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Donnerstag, Len 19. Januar 1893.
AbonnementspreiS vierteljährlich SO Pfg. Trägerlohn. durch die Post bezogen Mk. 1. sonst in ganz Württemberg Mk. I. 35.
Amtliche Bekanntmachungen.
An die Gemeindernte.
Feststellung des durchschnittlichen Jahres- arbeits-Verdiensts land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter.
In Gemäsheit des h. Min.-Erlasses vom 16. Febr. 1888, M.-A.-Bl. S. 57, hat die Kgl. Kreis- Regierung die Revision der zuletzt im Jahr 1889 festgesetzten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienste der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter eingeleitet.
Es werden nunmehr die Gemeinderäte aufgefordert, binnen <» Tagen sich darüber zu äußern, welchen Jahresarbeitsverdienst land- und forstwirtschaftliche Arbeiter in der Gemeinde durch land- und forstwirtschaftliche, sowie durch anderweitige Er- werbsthätigkeit durchschnittlich erzielen, und zwar gesondert
») erwachsene männliche, d) erwachsene weibliche, o) jugendliche männliche,
L) jugendliche weibliche.
Des Näheren und insbesondere bezüglich der ausschließlich in der Forstwirtschaft beschäftigten Arbeiter wird auf den Inhalt der oben erwähnten Min.- Verfügung verwiesen, außerdem aber darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hier keineswegs nur um Taglöhner, sondern insbesondere auch um die landwirtschaftlichen Dienstboten handelt
Bisher war der durchschnittliche Jahresarbeits- Verdienst für den hiesigen Bezirk, wie für den überwiegenden Teil der Nachbarbezirke festgesetzt
a) für erwachsene männliche Arbeiter auf 400 ^
b) für erwachsene weibliche „ , 250 „
e) für jugendliche männliche „ „ 250 „
ä) für jugendliche weibliche „ „ 150 „
Calw, den 17. Januar 1893.
K. Oberamt.
Lang.
Bekanntmachung.
In Ottenbronn ist die Maul- und Klauenseuche wieder erloschen.
Der Bezirk ist nunmehr wieder frei von Maul- und Klauenseuche.
Calw, 17. Januar 1893.
K. Oberarm.
Lang.
Deutsches Reich.
Berlin, 13. Jan. Reichstag. Fortsetzung der Beratung der Interpellation über den Notstand. Barth (freist) der Streik bei den Bergarbeitern sei als frivol bezeichnet worden, er sei der Ansicht, daß etwas nicht in Ordnung sein müsse, indem derselbe ohne äußere erkennbare Gründe begonnen habe. Um vem Notstand entgegenzutreten, könnten Reich und Staat Arbeiten vornehmen lassen, die aber mehr oder weniger unproduktiv sind. Das bedeutet nichts anderes als ungeheure Verschwendung. Auf der andern Seite liege Hrn. v. Stumm's Rat, möglichst viel Militär, Kanonen, Gewehre und Panzer» schiffe zu bewilligen, weil dadurch ein goldener Regen sich über das Land ergieße. Miquel habe ein Defizit
von 58 Millionen herausgerechnet und während man hier 45 Millionen Einkommenssteuer aufspeichert und großmütig die Grundsteuer den Herren Agrariern erlassen will. Dem Volke stellt man dafür 30,000 Lotterieloose mehr zur Verfügung und verlange noch obendrein von demselben Volke noch Dutzende von Millionen für neue Militärlasten. Graf Kanitz (kons.). Die Interpellation komme ihm nicht unerwünscht, er freue sich über jede Gelegenheit, wo er auf die Entwicklung des platten Landes und auf die Uebervölkerung in den Großstädten Hinweisen könne, wodurch wegen des überströmenden Angebots von Arbeitskräften die Verhältnisse unerträglich zu werden drohen. Nicht mangelhafte Arbeitsordnungen tragen die Schuld am Streik, vielmehr dir Bergbehörden, welche gegen die soz. Führer zu nachsichtig gewesen seien. Der Streik von 1889 war auch nicht durch mangelhafte Arbeitsordnungen, wie Hr. Barth sagte, hrrvorgerufen worden, sondern infolge des rapiden Steigens der Kohlenaktien durch den Wucher der Juden an der Berliner Börse. Wenn Liebknecht gestern auch den Grundbesitz erwähnte und von der Aufsaugung der kleinen Bauern durch die Großgrundbesitzer sprach, so hat er sich wohl gehütet? von den Gründen zu sprechen, weshalb die kleinen Bauern genötigt sind, ihre Höfe zu verkaufen. Er hat wohlweislich von den Güterschlächtern nichts gesagt. Auer (soz-)- In den Mmisterhotels wisse man freilich nichts von Notstand. Er sei aber tatsächlich vorhanden. Der Streik hätte durch mehr Geschicklichkeit der Behörde vermieden werden können. Auer hält besondere Gründe vorliegend, da sich auch die Frauen beteiligt hätten. Staatssekretär v. Bötticher: Ich
Jeuittet on.
MerföHnt.
Novelle von O. Otto.
(Schluß.)
Elftes Kapitel.
In dem kleinen Hause der Lootsenstraße zu Kopenhagen saß Gustav Bannert am Fenster und sah erwartungsvoll auf die lange Straße hinaus, ob Ulrich Svend- borg sich in derselben nicht zeigen würde. Seit zwei Tagen war er nicht mehr da gewesen und cs mußten besondere Gründe obwalten, welche ihn fernhielten. Sein unermüdliches Bestreben, den Oheim zu zerstreuen, die Langmut, mit der er dessen oft sehr barsches Wesen ertrug, hatten Bannert's Herz doch gerührt, und Ulrich war ihm so lieb geworden, wie es nur ein Sohn hätte sein können. Wenn dieser auch zu Thyra einmal gesagt hatte, daß ihr Vater sein Leid wie ein Held ertrüge, so war dies doch nur infowest richtig, als Bannert nie eine Klage auf seine Lippen treten ließ, diese untersagte ihm sein Mannesstolz; aber im Innern empfand er eS tief, den Gebrauch seiner Glieder entbehren' zu müssen und dabei zu einer Unthätigkeit verurteilt zu sein, die, wie er sich in seemännischer Derbheit ausdrückte, dem lieben Gott die Zeit stehlen hieß. Und da war es denn immer Ulrich, dessen Anwesenheit seinen Gedanken eine andere Richtung gab, der es verstand, ihn von den trostlosen Grübeleien abzuziehen, mü denen er sich stets quälte.
Endlich zeigte sich Ulrich in der Ferne, er kam näher, aber nicht allein, ein Fremder ging ihm zur Erste, dessen Gestalt ihn um Kopfeslänge überragte, wie auch seine Breite den neben ihm Schreckenden beschattete. Ulrich zeigte auf das Haus des Oheims und blieb dann zurück, der Fremde aber kam näher und bald erklang die Schelle der Hausthür.
»Axel Rosenlöw wünscht Herrn Bannert zu sprechen," meldete die Steenbeck.
Erstaunt sah Bannert den fremden Mann eintreten und bat ihn, sein Gesuch zu nennen.
»Ich komme," begann Rosenlöw, „um mir Ihre Verzeihung für ein Vergehen zu erbitten, welches ich zwar unabsichtlich gegen Sie begangen habe, dessen folgenschwere Wirkung sich aber nicht ableugnen läßt. Es ist zwar keine böse That, sondern nur eine Unterlassungssünde, deren ich mich anklagen muß, aber Sünde bleibt eS immer, weil aus ihr eine giftige Saat emporgeschossen ist, die noch giftigere Frucht getragen hat."
„Mein Herr, ich verstehe Sie nicht," unterbrach ihn Bannert, „Sie sprechen in Rätseln, die ich nicht lösen kann. Ich bitte, sagen Sie ohne Umschweife, was Sie zu mir führt."
„Zuerst gestatten Sie mir einige Fragen, die gewissermaßen die Einleitung zu meiner peinlichen Mitteilung bilden werden; ich hoffe, daß mir Ihre Güte eine aufrichtige Antwort erteilen wird. Es handelt sich um den B-griff von Recht und Unrecht. Halten Sie eS z. B. für recht, wenn ein todeskranker Vater vor seinem Hinscheiden seine Kinder an sein Sterbebett ruft, um ihnen ein ewiges Lebewohl zu sagen?"
„Gewiß hat ein Vater dies Recht," antwortete Bannert, „obwohl ich nicht verstehe, wie ich bei dieser Frage beteiligt sein kann."
„Lassen Sie dies noch «„erörtert,"'fuhr Rosenlöw fort. „Aber nennen Sie eS ein Unrecht, wenn ein Kind diesem Rufe folgt?" Er hielt inne und sah den vor ihm Sitzrnden scharf an.
„Wie sollte dies ein Unrecht sein, ich nenne es einfach Pflicht", erklang di« Antwort.
„Auch wmn eine Frau unter diesen Verhältnissen ihr Kind und ihr HauS verlassen muß?" schaltete der Frager ein, dessen große graue Augen dabei einen forschenden Ausdruck annahmen.
„Mein Herr," fuhr Bannert heftig auf. „Sie mißbrauchen meine unglücklich« Lage, die mich hier an den Stuhl fesselt, so daß ich ausharren und ihre mir unverständlichen Reden anhören muß, deren Sinn mir nur insoweit klar ist, daß Sie mich in meinem Zimmer beleidigen wollen. Sie mißbrauchen das Gastrecht und ich ersuche Sie, mich jetzt zu verlassen."