LbonnementsprriS vierteljährlich in der Stadt SO Pfg. un» S0 Pfg. Trägerlohn. durch die Post bezogen Mt. L. LS, sonst 1» ganz Württemberg Mr. I. SS.
4.
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
68. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die EinrüclungSgebühr beträgt iln Bezirk und nächster Um- geburg 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Dienstag, den 10. Januar 1893
Tages-Neuigkeiten.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Am 4. Januar d. I. hat die evangelische Oberschulbehörde die Schulstelle in Aichelberg, Bez. Calw, dem Schulamtsverweser Wieland in Kapfenhardt, Bez. Neuenbürg, übertragen.
Stuttgart, 8. Jan. Seine Majestät der König nahmen heute vormittag zunächst die regelmäßigen Vorträge und Meldungen entgegen, hörten den Vortrag des Oberhofmarschalls und des Generaladjutanten und arbeiteten sodann mit dem Kabinets- chef, sowie mit dem Präsidenten des Königlichen Staatsministeriums und dem Staatsminister der Justiz. Nachmittags besichtigten Seine Majestät der König und Ihre Majestät die Königin die im Residenzschlosse ausgestellte, für die Weltausstellung in Chicago bestimmte Sammlung von Stickereien des Osiander'- schen Paramentengeschäfts in Ravensburg unter Führung des hier anwesenden Vertreters desselben. Abends fand im Speisesaal des Königlichen Schlosses zu Ehren Seiner Hoheit des Erbprinzen und Ihrer Königlichen Hoheit der Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen Hoftafel statt, zu der aucy Seine Hoheit der Prinz und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Hermann zu Sachsen-Weimar mit Ihren Hoheiten dem Prinzen Ernst und der Prinzessin Olga Maria, die Mitglieder der Königlich preußischen Gesandtschaft, die Oberhofchargen und der Dienst eingeladen waren.
Stutgart, 6. Jan. Die Feuerbestattung hat in einer der ersten Capacitäten, Professor Virchow, wieder einen gewichtigen Verteidiger gefunden. Auf eine von dem Berliner Verein für Feuerbestattung an diese Coryphae der Wissenschaft gerichtete Anfrage bezüglich seiner Ansicht über Feuerbestattung bezieht sich Professor v. Virchov auf seinen schon 1881 im
preuß. Landtag dargelegten Standpunkt, daß die Feuerbestattung vom sanitären wie volkswirtschaftlichen Standpunkte aus nur für durchaus nutzbringend zu erachten sei, zu Zeiten größerer Epidemien aber solle dieselbe als eine Notwendigkeit anerkannt werden. Vielleicht trägt diese Erklärung eines der ersten Gelehrten Deutschlands dazu bei, daß auch wir endlich ein Crematorium bekommen.
Stuttgart, 7. Jan. Oberlandesgericht. Am Donnerstag fand die Berufungsverhandlung in dem Zivilprozeß eines Frankfurter Kleidermachers gegen den R.T.Abg. Frh. v. Münch statt. M. hatte sich in Frankfurt mehrere Kleidunasstücke machen lasten und war über 300 dafür schrMig geworden. Er beanstandete den Rock und Paletot als schlecht sitzend und verweigerte Annahme wie Bezahlung. In Berlin gab ein Schneidermeister ein Gutachten Mber die Kleidungsstücke zu Gunsten des Freiherrn ab; auf dieses stiW derselbe seine Zahlungsverweigerung. Der Frankfurter hatte v. Münch bei dem Landgericht in Rottweil eingeklagt; kleine Mängel waren dort an den Kleidern festgestellt, die aber alsbald verbessert wurden. M. erhob Berufung gegen das Urteil des Landgerichts in Rottweil, so daß die Sache gestern vor das O.L.Ger. kam. Schneidermeister Chr. Müller hier gab als Sachverständiger den Kleidungsstücken das beste Lob, wie er es auch schon in Rottweil vor dem Landgericht gethan hatte; die kleinen Mängel seien durchaus beseitigt, die Kleider säßen tadellos. Der Bekl. bemängelte die Aermel, welche zu kurz seien und tadelte den Faltenwurf über der Brust. Der ^Sachverständige bestritt die Richtigkeit der Ausstellungen, die Aermellänge sei Liebhaberei, der Faltenwurf komme von der absichtlich schiefen Haltung des Hrn. Baron, der sich nach rechts neige. Dieser behauptete aber, so schief gewachsen zu sein (seine linke Schulter sei
2 Centim. höher, als die rechte), was der kundig« Kleiderkünstler bestritt. Der Vorsitzende des Gerichtshofes kam selbst herab, um sich von der Weite des Rockes zu überzeugen, die ebenfalls bemängelt wurde. Aehnlich ging es mit dem Paletot, dessen Taschen zu hoch sitzen sollten und der auf dem Rücken rechts Falten wirft, wenn der Besitzer sich absichtlich auf die rechte Seite neigt. Zum Schluß der Beweisaufnahme frug L.G-R. Stiegels, ob Rock und Paletot so gut und elegant sitzen, als man ihn bei dem Wüchse des Angekl. verlangen könne? Der Sachverständige bejaht diese Frage; bei militärisch 'vorgeschriebener Haltung sitze Alles gut. R.A. Löwenstein I. als Vertreter des Beklagten beantragt Abweisung der Klage und Verurteilung des Klägers zu den Kosten beider Instanzen; R.A. Scheurlen bittet um Verurteilung des Beklagten. Die Urteilsverkündigung findet Donnerstag 12. Jan. Vorm. 9 Uhr statt.
— Auf der' Landesversammlung der Volks Partei am 6. ds. stellte der Land- und Reichstagsabgeordnete Conrad Haußmann folgenden Standpunkt der Volkspartei fest: Wir acceptieren das Zugeständnis: Der Mann kann in zwei Jahren kriegstüchtig ausgebilvet werden. Wir freuen uns nachträglich der Anstrengungen, die gerade auch die Volkspartei in Süddeutschland gemacht hat, diesem Grundsatz die allzulang vorenthaltene Anerkennung zu verschaffen. Wir lassen es zu, daß die durch die Entlassung des dritten Jahrgangs erwachsenden that- sächlichen Lücken durch Neueinstellung der bisher überzähligen Mannschaften kompletiert werden; wir willigen damit für den Zeitpunkt von heute in eine vollkommene Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Friedenspräsenz und Nüstungsbereitschaft und mittelbar durch die Mehrausbildung jener ca. 25,000 Neu - eingestellter in eine thatsächliche Erhöhung
Jeuitteton.
Werföhnt.
Novelle von O. Otto.
(Fortsetzung.)
„Er liest und schreibt viel, da ihm der Gebrauch der rechten Hand geblieben ist, erwiderte Ulrich. „An eine Rückkehr nach St. Thomas und eine Wiederaufnahme seiner dortigen Thätigkeit ist freilich nicht mehr zu denken; anfangs schien ihn dies sehr zu bewegen, doch bald fand er sich in das unabänderliche, und als er den Missionär aufgeben mußte, suchte er mit einer gewissen Beflissenheit den Seemann wieder hervor. Er legte Seemannskleidung an, liest nautische Werke, ordnet jetzt die Tagebücher seiner Seereisen, und lebt sich wieder in die frühere Zeit ein, als ob er den Abschnitt in der Negerkolonie auf Thomas aus seinem Leben auslöschen wollte. Er läßt sich täglich zum Hafen fahren, ein Flaggenbuch ruht auf seinen Knien, und dann schaut er durch das Fernglas nach den einlaufenden und absegelnden Schiffen. Das füllt den Tag aus."
„Und hat er ausreichende Mittel zu seiner Verpflegung?" sagte Thyra wieder, die nicht müde wurde, von dem Vater zu sprechen und von ihm zu hören. „Sorgt die alte Steenbeck auch gehörig für Pflege und Bedienung?"
Ulrich schien zu zögern, — dann sagte er: „Das Kapital, welches der Oheim früher gesammelt, ist freilich nicht bedeutend und eS verlangt eine genaue Einteilung der Zinsen, um damit den'kleinen Haushalt zu führen und für alle Bedürstriffe de« Kranken zu sorgen. Die Steenbeck erfüllt redlich ihre Pflicht und ich kann Dir die Vtrsicheiung geben, daß Dein Vater nie einen Mangel erleidet."
Ulrich und Thyra hatten unter einem mit rosenroten Blüten bedeckten Apfel
baum Platz genommen, das Mädchen schlug ihren Schleier zurück und schaute nachdenklich in die sie umgebende Frühlingspracht.
„Das Leben ist doch schön, möchte ich mit einem deutschen Dichter ausrufen," sagte Thy>a mit einem wehmütigen Klang der Stimme. „Doch warum muß so viel Schmerz das Leben einhüllen, so viel Leid einen schwarzen Flor über dies« Blüten breiten? Warum müssen so viele Thränen auf Erden geweint werden?"
„Ich werde Dir mit einem väterlichen Dichter antworten," erwiderte Ulrich; „Baggesen sagt:
„Im Glück ist sich der Mensch genug,
Kennt keine Pflicht, fühlt lauter Rechte;
Das Unglück lehrt ihn erst den Flug Zu Euch hinauf, ihr himmlischen Mächte."
„Ja der Schmerz muß uns erst den Weg zum Himmel bahnen, das heißt zu dem Glauben an die Allgütigkeit Gottes! — Aber Thyra, Du hängst in nrer so traurigen Gedanken nach, fühlst Du Dich denn wirklich so tief unglücklich in der Voraussetzung, Deine Stimme nicht mehr zu erlangen und der Theatcrlaufbahn dann entsagen zu müssen? Giebt eS außer den Brettern der Bühne keinen Boden für Dich, auf dem Dein Lebensglück gedeihen könnte?"
Ulrich hatte Thyra's Hand erfaßt und sah ihr tief in die dunkelglänzenden Augen.
Er fühlte wie die kleine Hand in der seinen bebte, doch Thyra's Stimme klang fest, als sie erwiederte: „Ja, Ulrich, ich würde mich tief unglücklich fühlm, wenn die Lieder mir versagt bleiben sollten, welche so oft jubelnd den Menschen entgegen klangen und von diesen immer mit Wohlwollen und Nachsicht angehört worden sind. Mein inneres und mein äußere» Leben war in diesen Tönen aufgr- gangen, es war durch sie mit dem Bedanken gefestigt, nun einen sichern Haltepunkt