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zweijährigen Dienstzeit unter entsprechender Mehraushebung auf fünf Jahre festsetzt. Darauf könnten alle Teile sich einigen: die Anhänger der dreijährigen Dienstzeit, weil ihnen die Hoffnung bleibt, nach Ablauf der Probezeit mit ihren Bedenken durchzudringen, die Anhänger der zweijährigen, weil sie ihre Forderung, wenn auch nur vorläufig, durchsetzen und dafür nicht weiter Opfer bringen, als sie zu bringen sich schon bereit erklärt haben, und der Reichskanzler, weil er seinen bisherigen Erklärungen am wenigsten vergabt, wenn er eine Abschlagszahlung nimmt und die Einbringung der vollen Forderungen der Zukunft überläßt.
— Zu der Rede Rickerts bei der Etatsdebatte im Reichstag sagt die „Freist Ztg.": „Herr Rickerl sprach das Vertrauen zu dem Grafen Caprivi aus, daß derselbe nicht so brüsk handeln werde wie 1887 Fürst Bismarck bei der Auflösung des Reichstags. Gegen eine so weitgehende Vertrauenserklärung aber wurde auf der linken Seite starker Widerspruch laut. Der Reichskanzler dankte dem Abg.
Rickert für seinen wohlwollenden Ton gegen ihn und sprach die Hoffnung aus, Herrn Rickert von der Richtigkeit der Ansichten der Regierung soweit zu überzeugen, daß er seinen Standpunkt gegen die Militärvorlage aufgeben werde. Diese Aeußerung rief lebhaften Widerspruch auf der linken Seite hervor." Der Berichterstatter der „Allg. Ztg." erzählt:
Als Graf Eaprivi Herrn Rickert den erbetenen Dank zollte und die Hoffnung aussprach, der Abgeordnete werde in der Kommission die Argumente der Regierung anerkennen, rief Richter dröhnend dazwischen:
„Dazu gehören doch auch andere Leute!"
Berlin, 8. Dez. Etwa 400 Personen waren gestern der Aufforderung des Reichskanzlers Grafen Caprivi, den Abend bei ihm zuzubringen, gefolgt:
Minister, Mitglieder des Bundesrats und des Reichstags, sowie Vertreter der Presse: alle Parteien waren vertreten, mit Ausnahme der Sozialdemokratie. Graf Caprivi machte in liebenswürdigster Weise den Wirt.
Die Politik wurde wenig berührt. Der nationalliberale Abgeordnete Hastedt meinte scherzend zum Kanzler, es möchte gut sein, wenn die Regierung dem Reichstage etwas entgegenkomme bezüglich der Militärvorlage. Graf Caprivi erwiderte mit einer humoristischen Wendung, das sei leider nicht angängig.
Bemerkt wurde die Zurückhaltung der Zentrumsmitglieder.
Hannover,?. Dez. Kaiser und Kaiserin sind heute nachmittag um 3'/4 Uhr hier eingetroffen und von einem zahlreichen Publikum begeistert begrüßt worden. Ein offizieller Empfang fand nicht statt.
Um 5 Uhr war Tafel, wozu 50 Personen geladen waren. Um 7'/, Uhr wurde das Theater besucht.
Tages-Aeuigkeileri.
1:( Altensteig, 8. Dez. Der hies. Stadt ist in nächster Zeit Gelegenheit geboten, elektrische Beleuchtung einzuführen. Das Bruderhaus in Reutlingen hat für ihre Filiale, die hies. Wollspinnerei, für 36,000 die obere Kunstmühle erworben und will den dadurch gewonnenen Ueberschuß von Wasserkraft zur Erzeugung von elektrischem Licht verwenden,
ganzes Hab und Gut und ist im kräftigsten Mannesalter dahingerafft worden. Annie, meine frühere Freundin, wurde die zweite Frau des reichen Handelsherrn Mr. Albert Clark, wie ihr Vater es wünschte, und nun lebt sie im Überfluß in New-York. So viel ich weiß, hat Clark auch einen Sohn aus erster Ehe; Annie hatte keine Kinder!"
Längst war das junge Mädchen von seinem Sitze aufgesprungen, war vor der Mutter niedergekniet und lauschte, die verschlungenen Hände im Schoße der alten Dame, atemlos deren Worten. „Grace," fuhr dieselbe nach kurzer Pause fort, „in diesem Hause darfst du deinen Namen niemals nennen, hörst du, Grace?"
ES erfolgte keine Antwort. Dafür aber gewahrte MrS. Northland, ungeachtet der zunehmenden Dunkelheit, wie ein Herr und eine Dame sich langsam dem Hause Nr. 9 genähert hatten und nun leise zögernd die Stufen der hölzernen Tr eppe ewporstiegen.
Durch die GlaSthür der Veranda fiel ein Heller Lichtstrahl direkt auf das blaffe Gesicht einer stattlichen noch immer schönen Frau.
„Annie! Barmherziger Gott!"
„Mary!"
Wie durch einen Federdruck in die Höhe geschnellt, fuhr nun auch des jungen Mädchens Kopf aus dem Schoß der Mutter empor. Allein, Grace sah nicht, daß diese der eleganten Dame in die Arme sank, nicht, daß jene das vergrämte Gesicht der Wiedergefundenen mit heißen Küssen bedeckte — sie sah nur ihn — Anthony Clark und seine herzlich und liebevoll auf sie blickenden Augen.
„Annie, du kommst zu mir? Bringst mir Vergebung — bringst du deine so
Stuttgart. Am Montag erschoß ssich der Besitzer eines hies. Weiß- und Wollwarengeschäfts in der Friedrichsstraße mit einer gewöhnlichen Zimmerflinte. — Das Cafö Bechte! soll nach neueren Mitteilungen im Februar abgebrochen werden.
Ludwigsburg, 7. Dez. Diesen Morgen machte Messerschmied H. durch einen Schnitt in den Hals seinem Leben ein Ende. Das Motw zu der unglückseligen That ist jedenfalls in dessen unheilbarem Lungenleiden zu suchen. Derselbe hinterläßt eine Frau mit mehreren unmündigen Kindern.
Oberndorf, 5. Dez. Wegen des neuerlichen sehr bösartigen Auftretens der Diphtheritis in unserer Stadt wurden heute auf Anordnung des K. Oberamts sämtliche Schulen zunächst für die Dauer von 8 Tagen geschlossen. Von der Epidemie wurden bis jetzt Kinder und junge Leute im Alter von 3 bis 16 Jahren ergriffen.
Nürtingen, 5. Dezbr. Seit 1887 besteht hier ein kleiner Verein von Mitgliedern des evang. Bundes. Gestern nun trat derselbe zum 1. Mal an die Oeffentlichkeit mit einer Versammlung im Waldhornsaal. Nach einigen einleitenden Worten des Bezirksvertreters Oberlehrer Bopp über die Ursachen, die zur Gründung des ev. Bundes geführt haben, hielt der Vorstand des württ. Landesvereins, Evuard Elben von Stuttgart, einen etwa einstündigen Vortrag über die gegenwärtige kirchenpolitische Lage und die Aufgaben, die der evangel. Bund sich dabei stellt. Redner wies an der Hand geschichtlicher Thatsachen nach, welche Gefahren hauptsächlich seit Wiedereinführung des Jesuitenordens, der 1773 von Papst Clemens XIV. aufgehoben worden, der ev. Kirche drohen, und wie notwendig für alle ev. Christen es sei, offen einzutreten für Erhaltung der geistigen Güter, welche uns die Reformation gebracht. Rektor Beckh griff einzelne Punkte aus der Rede Eduard Elbens heraus, um sie noch näher zu beleuchten, so namentlich das Kapitel der Mönchsorden, der Mischehen rc. Stadtpfarrer Uhl wies aus seiner Erfahrung nach, daß die Evangelischen in dem aufrichtigen Bestreben, Friede mit unfern kathol. Mitchristen zu halten, mehr und mehr gehindert werden durch die immer weiter gehenden Ansprüche und Forderungen der kathol. Kirche. Er schloß mit einem Hoch auf Se. Maj. den König Wilhelm II., in das alles mit Ueberzeugung cinstimmte; ebenso freudige Aufnahme fand der Trinkspruch auf Kaiser Wilhelm II., der zur Beruhigung und Freude aller Evangelischen in Wittenberg so mannhafte Worte gesprochen. Als vorläufiger äußerer Erfolg der Versammlung ist der Beitritt von 50 neuen Mitgliedern zu verzeichnen, denen jedenfalls bei der nun in Aussicht stehenden Thätigkeit des Bezirksvereins noch weitere sich anreihen werden.
Marbach, 7. Dez. Bei dem heute auf hies. Markung durch eine Ludwigsburger Jagdgesellschaft gehaltenen Treibjagen kamen 63 Hasen zur Strecke.
Neckar st einach, 3. Dez. Die von hier aus gebrachte Mitteilung von einem Attentat auf den hier, stationierten Bahnwart Schrecker soll neueren Nachrichten zufolge nicht zutreffen. Der Mann hat
schmerzlicb vermißte Liebe mir zurück?" klang es schluchzend aus Mrs. Northlands Munde.
„Alles, alles, Mary. Aber ich bringe dir noch mehr: siehe hier, das ist Anthony Clark, der mir zu jeder Zeit ein lieber Sohn gewesen. Er hat eine Bitte an dich zu richten, die so groß und bedeutungsschwer ist, daß es meiner Fürsprache bei d>r bedarf!"
Der Genannte war rasch näher getreten und verneigte sich tief vor der überraschten Frau.
„Eine Bitte an mich?" stammelte MrS. Northland, während sie in fast scheuer Verwunderung von dem eleganten, hübschen Manne zu ihrer Tochter hinübersah. Was war denn hier geschehen? — DaS purpurglühende Gesichtchen mit den Händen bedeckend, lehnte das junge Mädchen in einem Sessel.
Obwohl in leidenschaftlicher Erregung, aber doch in festem Tone, sagte nun Mr. Anthony: „Ich habe einmal die Äußerung gethan, daß eS, seit Sie, Grace Northland, die Schwelle unseres Hauses überschritten, Licht darin geworden ist. Allein damals wagte ich nicht, hinzuzusetzen, daß dieses Licht mit einer Kraft und Macht, die höheren Ursprung zeigten, auch mir ins Herz hineingedrungen ist! Wie ein Geblendeter bin ich seit Wochen umhergegangen — geblendet und beschämt über die eigentliche Erbärmlichkeit des sonst so hoch geschätzten eigenen Wertes. Erst Sie, nur Sie, Miß Northland, haben mich gelehrt, daß es noch Höheres giebt als das, was mir bis dahin als allein edel und erhaben vorgeschwebt! Wenn ich mir bisher einbildete ein guter Mensch zu sein, so erkannte ich mich jetzt als einen egoistischen, jämmerlichen Wicht, dessen ganzes Verdienst darin bestanden hatten, die Annehmlich-
zunächst allerdings nur zu eigenen Zwecken; ohne Zweifel wird aber die städtische Verwaltung auch Abnehmer werden, man spricht auch von der Bahnverwaltung, von einzelnen Geschäften und Sägereien, welche geneigt sind, elektrisches Licht einzuführen. — Die Gemeinde Bösingen, I V» Std. von hier, erhält nun auch Ouellwasserversorgung. Dieselbe ist zu 38,000 veranschlagt. Die Quelle liegt im Waldachthal und wird der Waldachbach als Wasserkraft benützt, um das Quellwaffer in das Reservoir zu heben.
Stuttgart, 7.Dez. Landgericht. Gestern wurde der 32jährige ledige Metzger Staib von Münster, OA. Cannstatt, wegen fahrlässiger Gefährdung eines Eisenbahntransports zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Er war am 24. August d. I., abends 8'/- Uhr, von Waiblingen nach Schorndorf mit einem Zweispänner gefahren; er kutschierte selbst und war zugestandenermaßen etwas angetrunken, wogegen er bestreitet, geschlafen zu haben. Als er sich der Eisenbahnbarriere näherte, rief ihn der Bahnwärter an, Staib knallte indes mit der Peitsche und die Pferde liefen im Trab auf die Barriere zu. Der Bahnwärter siel ihnen in die Zügel, konnte sie indes nicht aufhaltcn; die Pferde übersprangen die Barriere, die zerbrach, während schon Zug 49 heranbrauste. Nun konnte der Bahnwärter, um Zug und Gefährt zu retten, nur noch zum Galoppieren anfeuern, was der Angeklagte gleichfalls that, so daß er nur noch im letzten Moment über das Geleise hinwegkam und die Straße erreichte, wobei auch noch die Barriere dieser Seite niedergerissen wurde.
Stuttgart, 7. Dez. Eisenbahnunfall. Heute Vorm, ist, wie im M.Bl. schon kurz gemeldet, der Personenzug nach Calw Nr. 170, Stuttgart ab 9.23, im Tunnel bei Feuerbach auf die Hinteren Wagen eines Güterzuos aufgefahren. Von der Station Feuerbach wurde die übliche Meldung nach Stuttgart gegeben, daß der dem Personenzug vorausfahrende Güterzug in der Richtung nach Zuffenhausen abgefahren sei, ehe der letzte Wagen des langen Zuges den Tunnel vor Feuerbach verlassen hatte und an der Station vorübergesahren war. Der Güterzug konnte sich nur langsam in Bewegung setzen, da ein Wagen noch gebremst war. Während nun der Zug in Bewegung kam, lösten sich die 2 letzten leeren Wagen des Güterzugs ab und blieben stehen, ehe sie den Tunnel verlassen hatten. Kurz darauf folgte der inzwischen von Stuttgart 9 Uhr 23 Min. abgegangene Personenzug Nr. 170 und fuhr auf die stehenden Wagen auf. Da dieser Zug schon vor der Einfahrt in den Tunnel die Weisung bekam, langsam zu fahren, war der Stoß ein gelinder. Die 2 leeren Güterwagen wurden von dem Personenzug vorwärts gestoßen und aus dem Geleise geworfen und kamen dadurch quer über die Geleise zu liegen. Die Fahrgäste des Personenzugs verspürten nur einen kleinen Stoß und wurden von dem Unfall gar nicht weiter berührt, wie überhaupt eine Verletzung des Zugspersonals wie der Fahrgäste nicht vorkam. Die Vormittagszüge in der Richtung nach Zuffenhausen konnten von Stuttgart nicht obgelassen werden. Um 12'/- Uhr waren die Geleise wieder frei. Die Mittagsposten aus Frankfurt und Berlin gelangten mit etwa ein- stündiger Verspätung hier ein.