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lich der Bestimmungen über den Gebrauch der Schußwaffen seitens der Wachposten Aenderungen in Aussicht stehen, welche der Gefährdung des Lebens der Einwohner wirksam Vorbeugen. Am 15. Febr. habe der Reichstag einmütig die Abänderung der Instruktion für den Gebrauch der Schußwaffen verlangt, von den Behörden sei aber gar nichts geschehen. Ehrenposten sollten, wenn nicht ganz abgeschafft, keine scharfe Patronen haben dürfen. Kriegsminister v. Kaltenborn: Der erwähnte Vorfall habe keine Veranlassung zu besonderen Maßregeln gegeben, denn schon vorher war Auftrag gegeben, zu untersuchen, welche Posten als überflüssig eingezogen werden könnten. Die Resultate liegen noch nicht vor. Es soll Abhilfe dahin geschafft werden, daß in belebten Straßen die Posten nicht mit Munition versehen werden. Es sprachen hierüber noch Singer, Staatssekr. v. Bötticher, Gröber, Eberty und Hartmann. Damit wird der Gegenstand verlassen.
Tayes-Neuigkeiten.
* CaIw, 28. Nov. Wie alljährlich so bereitete auch am gestrigen Adventsfest der evang. Kirchengesangverein den Freunden kirchlicher Musik einen hohen Genuß durch Aufführung eines größeren Werkes und zwar diesmal durch das Oratorium „Israel in Aegypten" von G. F. Händel. Diese großartige Komposition ist zwar nur für große Chöre berechnet und verlangt dementsprechend eine starke Besetzung der einzelnen Stimmen, um damit eine volle Wirkung zu erzielen; der Kirchenchor verfügt aber gegenwärtig namentlich auch in den Männerstimmen über recht leistungsfähige Kräfte, so daß er sich schon an eine solch schwierige Arbeit wagen konnte. Die Einstudierung begann schon im Mai und wurde die ganze Zeit hindurch mit größtem Nachdruck fortgesetzt, was umsomehr notwendiger war, da dieses Oratorium dem Sologesang nicht viel Raum gewährt, den Chorgesang aber zu voller Geltung kommen läßt. Nicht weniger als 16mal trat der Chor auf, gewiß schon äußerlich betrachtet eine sehr respektable Leistung. Aber auch dem inneren Gehalt nach mußten die Chöre zur Bewunderung Hinreißen. Gewaltige Chorbilder stellen die Leiden des Volkes Israel in der ägyptischen Knechtschaft und die wunderbare Befreiung dar, herrliche Jubel- und Danklieder schildern das freudige Gefühl der Errettung und die Wunderthaten Gottes. In prächtiger Einfachheit und durchaus großartiger Nachahmung der Natur sind die Chöre über den Eintritt der 10 Plagen gehalten; ganz originell wird durch die Violinen das Fliegengewühl dargestellt; mächtig ergreifend wirkt der Chor „Aber die Fluten überwältigten". In begeisterter Erhebung singt der Chor die geradezu überwältigende Dankhymne „Ich will singen meinem Gott" und „Der Herr ist König auf immer und ewig". So konnte das besondere Vorrecht der menschlichen Stimme: das Menschengemüt zu finden und zu bewegen, ein Vorrecht, das bei derartigen Chören in höchster Potenz sich geltend macht,
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diesmal wieder ungehindert walten. Ein solcher wohlgelungener Gesang erregt in der Menschenbrust unbeschreibliche Empfindungen, welche erheben, indem sie beseligen, deren süße Lebensschläge noch lange im Herzen nachpulsieren. Der Chor erfüllte in der Gesamtleistung die gewohnten Erwartungen und läßt das Streben nach hohen Zielen stets erkennen; er verdient daher ungeschminktes Lob. Besonders anerkennender Erwähnung ist die vortreffliche Begleitung der Pr em'schen Kapelle wert; ebenso muß das vorzügliche Orgelspiel des Hrn. Organisten Vingon, welcher 2 Stunden lang sämtliche Stücke in exaktester Weise begleitete, rühmlich hervorgehoben werden. Die Solisten wurden ihrer meist kleinen Aufgabe aufs beste gerecht. Hr. Lehrer Staig er sang mit geschmeidiger wohlklingender und schöner Tenorstimme eine Arie und 2 Recitative, Frau Bauinspektor Bare iß mit feinem Verständnis 2 Altarien und Frl. Federhaff aus Stuttgart mit warmem Ausdruck einige Recitative und 1 Arie. Das berühmte Duett für 2 Bässe, „Der Herr ist der starke Held" hatten in gütiger Weise die Herren Fr. Gundert und Major v. Klett übernommen. Die Aufführung, welche sehr zahlreich besucht war, reiht sich an frühere des Gesangvereins ebenbürtig an und es geschieht gewiß im Sinne aller Zuhörer, wenn wir dem aufopferungsvollen Dirigenten, Hrn. Fr. Gundert, für seine sorgfältige Einstudierung und Leitung des hochinteressanten Werkes vollste Anerkennung zollen.
Calw, 28. Nov. Gestern fand in der „Kanne" hier unter schwacher Beteiligung die Generalversammlung der Bezirkskrankenkasse Calw statt. Der Antrag, die Kasse aufzulösen bezw. in 2. Teile zu teilen, ist seitens der Kreisregierung wiederholt abschlägig beschicken worden, es sollen jedoch Erhebungen angestellt werden, welche das hies. Kassenamt zu beantworten haben wird, wonach die Notwendigkeit der Auflösung bemessen werden soll. Das Statut wird nach der Novelle im Kranken-Vers.-Gesetz folgende nicht unwesentliche Aenderungen erfahren: Der Kasse sollen künftig beisteuern die niederen Gemeindebeamten (Notar>atsgehilfen, Polizeidiener, Amtsdiener, Feldhüter, Nachtwächter u. s. w., Leute, die ein Wartgeld bis herab zu 200 ^ jährlich beziehen). Die Versicherungs-Pflicht soll aufgehoben werden gegen Arbeiter, die infolge kränklichen Zustandes schwer Arbeit erhalten. Im Falle deren Erkrankung sorgt für sie die Armenbehörde. Die Klassen der Krankenversicherung und der Jnvaliditäts- und Altersversicherung sollen künftig gleichgestellt werden, die I. Klasse wird bei beiden die niederste sein. Mit der Einführung einer IV. Kl. erklären sich die Versammelten nicht einverstanden. Das Krankengeld soll künftig auch für die Sonntage ausbezahlt werden; hievon wird jedoch abgesehen, da der Kassenstand diese Ausdehnung nicht zuläßt. Wöchnerinnen erhalten statt bisher 3 Wochen 4 Wochen Unterstützung, da das Gesetz eine frühere Aufnahme der Arbeit, also vor 4 Wochen nicht gestattet. Dagegen müssen dieselben entgegen den früheren Bestimmungen,
vom Tage des Beitritts bezugsberechtigt zu sein, jetzt mindestens 6 Monate Beiträge geleistet haben. Wenn ein Kassenmitglied außerhalb des Kassenbezirks erkrankt, bekommt es künftighin sein Krankengeld von der dortigen Kasse ausbezahlt, welcher Betrag mit der Kasse, zu welcher es seither seine Beiträge leistete, verrechnet wird. Anträge aus der Versammlung bezügl. Aenderung resp. Anpassung dieser Bestimmungen an unsere Verhältnisse erschienen wertlos, solange seitens der K. Kreisregierung die Frage der Auflösung noch nicht endgiltig entschieden ist.
Calw. Seltenes Jagdglück. In vor. Woche gelang es einem Jagdteilnehmer, Ziegler in Liedelsberg, auf einen Schuß 2> Rehe zu strecken.
Stuttgart, 24. Oktbr. In dem Befinden des nach Winnenden verbrachten Oberbürgermeisters Dr. v. Hack ist erfreulicherweise eine Besserung eingetreten. Das Bewußtsein wird bei ihm zeitweilig wieder klar. Die bürgerlichen Kollegien wollen Hacks Verdienste um die Residenz dadurch ehren, daß sie eine neue Straße nach ihm benennen. — In den letzten Tagen hört man verschiedene Familien wieder über Krankheitserscheinungen klagen, welche sehr an die Influenza der beiden letzten Jahre erinnern. Hoffentlich bleibt Stuttgart aber von derselben so sehr als möglich verschont.
Feuerbach, 23. Nov. Heute stießen bei Tieferlegung der Dohle gegenüber dem Postamtsgebäude hier die Arbeiter ca. 3 Meter tief auf ein Backsteingemäuer, das allem Anschein nach römischen Ursprungs ist. Eine auf derselben Stelle aufgefundene, ziemlich gut erhaltene römische Münze bestätigt diese Annahme. Ebendaselbst wurden auch kleine Reste einer Röhrenleitung und ein gut erhaltenes Stück einer starken Weinrebe aufgefunden. Sachkundige halten die Mauerreste bei Vergleichung mit ander- wärtigen Ausgrabungen für Trümmer eines römischen Bades. Der Fundort liegt ganz in der Nähe der sogen. Römerstraße, die von Cannstatt über die Prag und Feuerbach nach der Hohenwarte ec. führte.
Biberach, 21. Nov. Forstwächter E. in Steinhaufen fand kürzlich im Hochwald den gut erhaltenen Schädel eines Rehes; derselbe ist weiß wie Alabaster und Marmor und hat einen prächtigen Sechser (Geweih) auf, so daß der Fund eine wahre Rarität für Jägdler ist.
Wangen, 23. Nov. Unter dem Vorsitz des Oberamtstierarzts Dentler wurden in den letzten Tagen zahlreich besuchte Versammlungen abgehalten in Kiß- legg, Jsny und Wangen zum Zweck der Gründung eines Viehversicherungsvereins gegen die Maul- und Klauenseuche. An demselben sollen sich alle Viehbesitzer des Bezirks mit ihrem Viehstand beteiligen gegen einen jährlichen Beitrag von 40 iZ für jedes über 4 Wochen alte Tier. Entschädigt werden für diese Tiere 75'/° des Schätzungswertes; für an der Seuche gefallene Kälber wird eine Entschädigung von
vermochte Mr. O'Reilly keine weitere Auskunft zu geben, als daß beide Domen sehr respektabel aussähen und gebildet schienen.
Vier Tage später war die kleine Villa von den neuen Bewohnern bezogen. „Wer mag das wohl sein? Weshalb kommen Leute, die solch eine Masse von eleganten Möbeln mit sich führen, hier heraus? Die Geschichte gefällt uns nicht — das bat sicher noch einen Haken!" So flüsterte man sich gegenseitig zu nach dem Eintreffen von Mrs. Northland und ihrer selten schönen Tochter auf Dolly Ward. Nachdem jedoch zwei und drei Monate ins Land gegangen und die beiden Damen trotz ihrer großen Zurückhaltung bekannter geworden waren, fing man an, sie gerade um ihrer Zurückhaltung und vornehmen Würde willen mit anderen Augen anzusehen, und nun sagten die Nachbarn von rechts und links unter sich: „Feine Leute sind cs offenbar, das bezeugt ihr ganzes Auftreten, allein wovon leben sie?"
Nach amerikanischen Begriffen hat das Wort „Arbeit" die höchste und ehrendste Bedeutung und nur der gilt als angesehen, welcher auf irgend welche ehrliche Weise durch eigene Arbeit sein Brot erwirbt. Die reichen Leute arbeiten aus angeborener und anerrogener Lust am Schaffen, die Unbemittelten, um reich zu werden — Müßiggang gicbt es in den Vereinigten Staaten nicht und wer sich ihm hingiebt, hat Mißtrauen zu fürchten über die Art, durch die er sich seinen Lebensunterhalt erwirbt. Da nun Mrs. Northland und ihre Tochter, außer einer gelegentlichen Fahrt nach Newyork, keine besondere Beschäftigung zu haben schienen, so war dos selbstverständlich auch ein Grund, sich über die seltsame Lebensweise der beiden Damen aufzuhalten. Dessen ungeachtet hatten die Fremden cs verstanden sich bald die Achtung und Teilnahme der Bewohner von Dolly Ward zu erwerben. Wer auch hätte dem freundlich sanften Wesen der Mutter, wer dem bezaubernden Augenaufschlag der Tochter zu widerstehen vermocht? So schroff und absprechend auch anfangs über die beiden Frauen geurteilt worden war, jetzt bemühte sich jeder, ihnen Gefälligkeiten zu erweisen, wenn auch ein näherer Verkehr nicht in den Wünschen der Damen zu liegen schien.
Außer Mr. O'Reilly, dem jungen Advokaten, welcher in Goldsmith's Office
in Brooklin arbeitete, und hier bei der alten Miß Colnay Pensionär war, außer diesem hotte noch keiner der Bewohner von Dolly Ward ^rs. Northlands Schwelle überschritten, und auch sein Verkehr mit den beiden Damen beschränkte sich nur aus einige geschäftliche Besuche, die O'Reilly der neuen Mieterin als Verwalter des Hol- steinschen Grundstücks zu machen hatte. Es schien auch durchaus nicht in deren Absicht zu liegen, mit irgend jemand näher bekannt zu werden. Bei Begegnung grüßte man untereinander, sprach gelegentlich einige Worte über den Gartenzaun, daswarAlles,
Im allgemeinen galt Mr. O'Reilly als wortkarger Mann; seit er jedoch die Bekanntschaft gemacht, gab es dennoch einen Punkt, der seinen Mund überfließen machte: das war, wenn er von MrS. Northland und deren Tochter sprach und in Lob und offener Bewunderung über beide sich erging. Durch ihn wußte es auch bald jedermann in Dolly Ward, daß diese Damen eine ganz ungewöhnliche Bildung, sowie die feinsten Umgangsformen besäßen und daß, obwohl Miß Grace Northland alltäglich mit einem Körbchen am Arm die Einkäufe bei Fleischer und Kaufmann selbst machte, die jetzige Einrichtung von No. 9 derjenigen einer Lady der V. Avenue von Newyork gleichgestellt werden konnte.
An einem regnerischen Junitage, um die sechste Abendstunde, trat Miß Grace, eine schlank gewachsene Brünette, mit kühn geschwungenen Augenbraunen und herb- geschlossenem ausdrucksvollem Munde, dessen Linien sowohl starke Willenskraft wie auch Unerschrockenheit bekundeten nach einem Ausgange durch die Verandathür in das vordere der beiden Parlours und schaute sich sichtlich befremdet darin um:
„Ma! Mama!"
Keine Antwort erfolgte — dos junge Mädchen stellte daher den Regenschirm rasch beiseite und eilte nach dem zweiten, nach der Rückseite des Häuschens gelegenen, kleinen Salon, welcher vrn dem ersten nur durch eine schwere, moosgrüne Portiere getrennt war.
(Fortsetzung folgt.)