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Grund in der Kenntnis der deutschen Muttersprache gelegt wird. Bisher galt der bis zu einem gewiflen Grad und für gewisse Schüler berechtigte Grundsatz, daß man Deutsch am besten an einer fremden Sprache lerne. Allein wir haben lange genug die Erfahrung machen können, daß eben der fremdsprachliche Unter­richt selbst erschwert ist ohne eine solide Grundlage im Deutschen, namentlich ohne ein richtiges Verständ­nis des deutschen Satzbaues. Das wird nun, hoffen wir, durch die angeordnete Neuerung besser werden. Als eine sehr willkommene Einrichtung wird es, hoffen wir, begrüßt werden, daß in Zukunft die Schule in der I. Kl. eine Stunde später beginnt, als in den übrigen Klassen.

Der naturgeschichtliche Unterricht, der für die jungen Geister nicht nur äußerst anziehend, sondern auch für ihr späteres Leben höchst wichtig ist, wird, während er bisher nur in Kl. I. und II., V. und VI. getrieben wurde, künftig in systematischer Reihenfolge von Kl. I.VI. durchgeführt werden, um in Kl. VII. in der Physik, in der Lehre von den Naturkräften, zu gipfeln, während Chemie erst in der VIII. Kl. begonnen wird. Die Naturwissen­schaften haben in der Gegenwart eine Bedeutung er­langt, welche es unumgänglich notwendig macht, den Schüler frühzeitig mit dem Wissenswertesten aus der­selben bekannt zu machen, und es ist jetzt schon, bei den bescheidenen Anfängen, die seit einigen Jahren hierin gemacht worden sind, erfreulich zu sehen, mit welcher Lust die Jugend z. B. in Wald und Feld die Pflanzen sucht, nicht bloß um sie in Sträuße zu binden, sondern um sie erkennen und bestimmen zu lernen, um ihren Bau, ihre Verbreitung, ihre nütz­lichen und schädlichen Kräfte kennen zu lernen.

Wie schwer ist nicht für die meisten Eltern die Entscheidung darüber, ob sie ihre Söhne die huma­nistische oder die realistische Richtung einschlagen lassen, ob sie sie die gelehrte und Beamtenlaufbahn wählen oder einen praktischen Beruf ergreifen lassen sollen. Diese Entscheidung mußte seither beim Eintritt des Sohnes in die IV. Klasse, bei einem Alter von 11 bis 12 Jahren getroffen werden; von hier an gingen die Wege ich möchte sagen unbarmherzig aus­einander. Jene lernten Griechisch, diese Französisch, und stellte sich dann nach einiger Zeit heraus, daß die Wahl eine unrichtige war, daß etwa das Griech­ische der Neigung des Schülers nicht entsprach oder seine Fassungskraft überstieg, so war der Rücktritt in die andere Bahn mit Verlusten an Kraft und Zeit für Schüler und Lehrer, auch wohl mit Kosten ver­knüpft, und zwar mit um so größeren, je später die Erkenntnis eintrat, daß man nicht auf dem rechten Wege sei. Von jetzt an werden sämtliche Schüler in der IV. Klasse das Französische miteinander beginnen, und werden demselben 6 Wochenstunden ge­widmet. Das Griechische beginnt für die Humanisten erst in der V. Klasse, und der französische Unter­richt wird mit ihnen durch Klasse V. und VI. in je 2 Wochenstunden so weitergeführt, daß sie mit den übrigen Schülern der Anstalt möglichst gleichen Schritt halten. Dies ist dadurch ermöglicht, daß in der Regel nur die Bestbegabten sich der humanistischen Richtung zuwenden, denen, nachdem sie ein ganzes Jahr schon mit den übrigen Französisch gelernt haben, in diesem Fach größere Aufgaben zugemutet werden können, als den übrigen. Dazu kommt noch, daß die Griech­isch lernenden Schüler in einigen Fächern entlastet werden, daß sie z. B. in Kl. V. und VI. vom natur­geschichtlichen Unterricht und von Kl. VI. an auch vom Freihandzeichnen befreit sind.

Diese Bemerkung führt über zum Zeichen­unterricht. An diesem hatten die Humanisten bis­her gar keinen Anteil. In Zukunft werden alle Schüler von Kl. IV. an an dem in unserer Zeit so unentbehrlichen Unterricht im Freihandzeichnen, von Kl. VI. an am Unterricht im geometrischen Zeichnen teilnehmen.

Eine dringende Forderung unserer Zeit ist es sodann, den mathematischen Unterricht auf eine höhere Stufe zu heben. Zu diesem Zweck werden schon in der ersten Klasse diesem Fach mehr Stunden eingeräumt als bisher, und es sollen bis zum Schluß der V. Klasse die bürgerlichen Rechnungsarten zum Abschluß gebracht werden. Die VI. Klasse soll das hierin Erreichte befestigen und vertiefen, aber zugleich mit der Algebra oder Buchstabenrechnung beginnen. Dieser Einrichtung kann sich unsere Anstalt nicht ent­

ziehen, da sie an allen übrigen Schulanstalten auch getroffen worden ist, und wir in keinem Stück Zurück­bleiben dürfen, wenn wir konkurrenzfähig bleiben wollen. Auch die Humanisten werden hieran teil­nehmen. Ebenso wird es ihnen künftig, und daß es nicht so war, das war bisher ein Mangel, der vielfach empfunden wurde, ermöglicht, auch am Unterricht in Geometrie und geometrischem Zeichnen teilzunehmen, so daß sie, selbst wenn sie im Land­examen oder beim Versuch des Eintritts in ein huma­nistisches Gymnasium scheitern, ohne Anstand und ohne mühsames Nachlernen im Reallyceum in Klasse VII. weitermachen können. So ist diese Einrichtung als ein großer Gewinn für die humanistische Abteilung zu begrüßen.

Ich komme nun noch auf das Schmerzenskind unserer Anstalt, die sogenannte Nealabteilung, oder die Nicht late iner. Seitdem die Realschule im Reallyceum aufgegangen ist, hat es Eltern gegeben und gibt es noch, welche den Zwang zum Lateinischen für ihre Kinder als eine Ueberlast oder zum mindesten als etwas Unnötiges empfanden und empfinden. Diesen gebe ich so viel zu, daß es allerdings für ihre Kinder vielleicht bequemer wäre, wenn sie nicht Latein lernen müßten, muß aber zugleich betonen, daß sie im Reallyceum nicht weniger in den realistischen Fächern lernen, als in der ehemaligen Realschule, sondern daß im Gegenteil der Unterricht im Reallyceum ein strafferer ist, da auf ein höheres Ziel hingearbeitet wird. Es gibt eben viele Schüler, die sich zu weich sind, die nicht ihre volle Kraft einsetzcn wollen, auch wo sie könnten, und die dabei vielfach von ihren Eltern Unterstützung finden, weil diese selbst das Latein für etwas Ueberflüssiges halten. Aber selbst zugegeben, daß das Latein für Schüler, die mit der Confirmation aus der Schule treten, nicht notwendig ist, so kann doch gewiß niemand behaupten, daß es den Lernenden irgend etwas schade. Da man jedoch die Erfahrung gemacht hat, daß diese Sprache wirklich für manche Köpfe eine zu harte Nuß ist, so ist seit Jahren die Einrichtung getroffen, daß solche Schüler vom Latei­nischen befreit werden können und dafür Ersatzunter­richt in realistischen Fächern erhalten. So lange der verdiente Herr Professor Ploch er im Amte war, hat dieser mit einer Hingebung und Aufopferung, die ihres Gleichen sucht, sich dieser Nichtlateiner ange­nommen und über seine Verpflichtung hinaus ihnen seine Kraft und seine Freistunden gewidmet. Niemand, der einigen Einblick in meine Amtsführung hat, wird mir oie Anerkennung versagen, daß ich seit Plocher's Rücktritt alles gethan habe, was irgend möglich war, um den Ersatzunterricht der Nichtlateiner so nutz­bringend als möglich zu gestalten. Eher habe ich von mancher Seite den Vorwurf zu fürchten, daß ich auf diese außerordentlichen Schüler zu viel Rücksicht nehme. Ich habe insbesondere die Einrichtung getroffen, daß diese Schüler schon in der V. Klasse Geometrieunter­richt gemeinsam mit der VI., in der VI. gemeinsam mit der VII. Klasse haben. Mit welchen Schwierig­keiten dies verbunden war, werden mir diejenigen be­zeugen, welche bei der Herstellung des entsprechenden Stundenplans beteiligt waren. Es soll nun aber in Zukunft für die Nichtlateiner.noch besser gesorgt wer­den, als bisher. Da das Englische im Reallyceum erst in Klasse VII. begonnen wird, so traten die Nicht­lateiner bisher ohne jede Kenntnis dieser Sprache aus der Anstalt aus. Künftig wird in Klasse V. und VI. gemeinsam für die Nichtlateiner ein 4slündiger eng­lischer Kurs, zunächst versuchsweise, eingeführt werden. Man hofft dadurch den Eltern aller derer, die im Lateinischen nicht mitkommen, einen Dienst zu erweisen.

Aber diese Einrichtung soll keineswegs eine Einladung sein, daß recht viele Eltern nun um Be­freiung vom Latein für ihre Söhne nachsuchen. Es ist vielmehr von der Oberbehörde unbedingt als Norm aufgestellt, daß vom Latein nur solche Schüler befreit werden dürfen, welche sich dieser Sprache durchaus nicht gewachsen zeigen. Es ist also nicht in die Wahl der Eltern gestellt, ob sie ihre Söhne vom Latein befreien lassen wollen, sondern es ist nur dem Vor­stand und dem Lehrerconvent die Ermächtigung ge­geben, so viele Schüler vom Lateinischen zu befreien, als eben das Lateinische nicht bewältigen können, und die Zahl der vom Latein Befreiten soll nie mehr als den vierten Teil der Klasse ausmachen. Jeder also, der seinen Sohn den Anforderungen als ordent­licher Schüler irgend gewachsen sieht, und jeder, dessen

Sohn im Lateinischen nicht wegen mangelnder Kennt­nisse vom Vorrücken in die nächste Klasse zurückge­wiesen wird, möge doch seinen Sohn ruhig als ordent­lichen Schüler weiter machen lassen, möge dessen Bitten um Befreiung vom Latein kein Gehör schenken, und möge auch von der Wohlthat der VII. Klasse Ge­brauch machen, die ja auch besucht werden kann, ohne daß die Absicht besteht, den Sohn als Einjährigen dienen zu lassen. Für hiesige Einwohner kommt ja der Kostenaufwand für ein weiteres Schuljahr nach der Confirmation kaum in Betracht und gerade von hiesigen Schülern wird die VII. Klasse verhältnismäßig am wenigsten benützt. Jedem aber, der diese Klasse besucht hat, steht ein viel weiteres Feld der Berufs­wahl offen, als denen, die, sei es mit oder ohne Latein, schon mit der Confirmation aus der Schule treten.

Dies veranlaßt mich noch zu einigen Worten über das Lernen überhaupt und über das Lateinlernen insbesondere. Bei allem Lernen in der höheren Schule kommt es nicht so sehr auf das an, was man lernt, als darauf, daß man lernt, und wie man lernt. Kein Mensch kann, wenn er in eine höhere Schule tritt, im voraus schon genau sagen: das brauche ich einst und jenes brauche ich nicht. Ich habe in meiner Lehrerpraxis schon öfter die Erfahrung gemacht, daß ein Vater seinen Sohn von einem Fach befreit wissen wollte, nur weil eben seinem Sohn dieses Fach nicht behagte, daß er aber seinem Sohn auf meinen Rat nicht nachgab und mir nachher dankte, weil der Junge nach einiger Zeit eine Berufswahl traf, in der er jenes vermeintliche unnötige Fach doch brauchte. Jeder Vater sollte sich doch sagen: ich lasse meinen Sohn in der hiesigen Schule alles das lernen, was in derselben ohne Extraaufwand gelernt werden kann, und lernt der Knabe dann auch ein Fach mit, welches er in seinem späteren Leben voraussichtlich nicht unbe­dingt notwendig braucht, so schadet ihm doch dieses vermeintlich unnötige Fach nicht, namentlich, wenn dieses Fach das Lateinische ist. Denn dieser Gegenstand bietet nicht nur eine vorzügliche Denk­übung und Geistesschule, sondern auch eine Grund­lage für die Erlernung der neueren Sprachen, auf der man das Französische, Englische, Italienische, Spanische weit leichter lernt, als ohne dieselbe, wäh­rend es andererseits eine alte Erfahrung ist, daß diejenigen, die schlechte Lateiner waren, nachher auch schlechte Franzosen und Engländer sind.

Die Hauptsache ist, habe ich gesagt, nicht was man lernt, sondern daß man lernt und wie man lernt. Das Lernen muß man in der Schule lernen, das heißt, das willige und entgegenkommende Auf­nehmen des dargebotenen Lehrstoffs, die aufmerksame Verfolgung und Aneignung dessen, was zum Lernen dargeboten ist. Hat man in der Schule lernen ge­lernt, d. h. richtig und tüchtig arbeiten gelernt, so lernt man auch nach der Schule, im praktischen Leben leichter, was man dort zu lernen hat. Und wie soll man lernen? Nicht so, daß man meint, seine Schuldig­keit gethan zu haben, wenn man seine Aufgaben hin­geschlappt, seine Wörter und Regeln notdürftig aus­genommen hat, um sie nachher mit Ach und Weh aus sich Herausquetschen zu lassen und seine Ohren bei den Nachbarn zu Gast zu schicken, sondern so soll man lernen, daß man sich schon während des Unter­richts angestrengter und gewissenhafter Aufmerksamkeit befleißigt, daß man in seinen Hausaufgaben das Beste zu leisten sich bemüht, das man leisten kann, daß man den aufgenommenen Lern­stoff völlig zu bemeistern, sich völlig und sicher anzu­eignen strebt. Ich habe schon die Worte genannt, auf die es beim rechten Lernen ankommt: Anstreng- ung und Gewissenhaftigkeit. Ohne Anstreng­ung wird kein Mensch ein tüchtiger Mensch, und ob einer ein tüchtiger Mensch wird, das zeigt sich in der Regel schon in der Schule an der Art, wie er seine Aufgabe ausfaßt. Gewissenhaftigkeit aber ist eine Tugend, die leider viele Schüler so wenig kennen, als die der Anstrengung, und doch so notwendig, so unentbehrlich, um nicht bloß einst ein brauchbarer, zuverlässiger Mann zu werden, sondern eben auch der Name sagt es ja um vor seinem Gewusen Ruhe zu finden. Ich brauche das bekannte Sprich­wort vom Gewissen nicht auszusprechen. Jeder wünscht es auf sich anwenden zu können. Darum, liebe Schüler, beherziget es: Anstrengung und Gewissen­haftigkeit müssen eines Schülers erste Tugenden sein. Sie sind schwer, aber sie tragen ihren Lohn, reichsten Lohn in sich selbst.