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Liederfest in Reutlingen sich errungen, wurde sehr getrübt durch einen Unfall, der sich bei der Heimfahrt zugetragen hat. An der hiesigen Neckarbrücke wurden die Sänger von 5 Leiterwagen erwartet. Einer derselben war mit 2 mutigen Pferden bespannt, welche nicht im Zaume zu halten waren und die Wendung der Straße sehr rasch nahmen. Dabei stürzte der Wagen um und alle Insassen wurden herausgeschleudert. Ein großer Teil derselben blieb unbeschädigt, andere erhielten Schürfungen an Gesicht, Händen und Füßen und 2 mußten schwer verletzt in das naheliegende Krankenhaus gebracht werden. Auch bei diesem Fall waren einige Mitglieder der Sanitätskolonne rasch bei der Hand und leisteten den Verunglückten wie dem Arzte gute Dienste.
Reutlingen, 10. Juli. Unsere Stadt hat zu Ehren des XXIII. allgemeinen Liederfestes des Schwäbischen Sängerbundes sich in ein Festgewand gehüllt, würdig der lieben Gäste, die zu uns kommen, und entsprechend dem schönen Feste, das wir begehen. Reich geschmückt sind die Häuser, die Ehrenpforten, welche allenthalben errichtet, sind mit sinnreichen Sprüchen versehen, alle Gäste rühmen die ebenso geschmackvolle als vielseitige Dekoration. Und der Gäste giebt es viele. Die Beteiligung an dem Sangesfeste ist eine außerordentlich starke und nicht minder beträchtlich ist der Zulauf derer, die als passive Teilnehmer zu uns kommen, sich zu erquicken an den fröhlichen Liedern, sich zu erfreuen an dem lustigen Treiben. Bereits der gestrige Abend ermöglichte es, eine kleine Heerschau zu halten und zwar auf dem Siber'schen Bierkeller wo bei den Klängen der städtischen Musikkapelle ein animiertes Leben sich entwickelte. Die mit den Nachmittag- und Abendzügen eingetroffenen Festgäste waren auf dem Bahnhofe von der Festkommission empfangen worden.
Kanonenschüsse kündeten heute den Anbruch des 1. Hauptfesttages an. Ein Choral vom Turme der Marienkirche weckte die Schläfer zum friedlichen Sangesstreite. Die städtische Musikkapelle hatte die Tagwache übernommen. Von V-7 Uhr an brachten die Züge immer neue Sänger und Gäste und manch fröhliches Wiedersehen fand statt. Die Fahnen wurden auf das Rathaus gebracht und dort abgegeben. Um 2'/- Uhr versammelten sich die Vereine auf dem Holzmarkt und formierte sich der Zug zur Sängerhalle. Eröffnet wurde derselbe durch die Prem'sche Musikkapelle, worauf die Bundesfahne, die Festjungfrauen, die Ehrengäste, Preisrichter, der Ausschuß des Schwäb. Sängerbundes, der Festausschuß, die bürgerl. Kollegien folgten. Daran reihten sich die städtischen Festausschüsse und Vereine, die hiesige Kapelle, die wettsingenden Vereine, Musikkapelle, die übrigen Vereine. — Eine offizielle im Druck, Redaktion und Verlag von Karl Rupp erschienene Festzeitung enthält alle auf das Fest bezügliche Notizen neben anderweitigem Texte und wird eine angenehme Erinnerung an das Fest und die Feststadt bilden. — Das Fest in der Liederhalle wurde mit einem gemeinsamen Chor „Die Ehre Gottes in der Natur" eröffnet, worauf die Ueb ergäbe der Bundesfahne an die Feststadt durch
den Vorsitzenden des Schwäbischen Sängerbundes Dr. Otto Elben und Uebernahme derselben durch Oberbürgermeister Benz Namens der Stadt erfolgte. Hieran schloß sich der Begrüßungschor, komponiert von Franz Lütterscheidt und vorgetragen von den dem schwäbischen Sängerbund angehörigen 7 Gesangvereinen der Feststadt unter der Direktion von Schull. Schüle (Dir. des Männergesangvereins Reutlingen.) Hieran reihte sich der Wettgesang.
In der I. Abteilung (ländl. Volksgesang) hatten 14 Vereine konkurriert. Den ersten Preis erhielt der Sängerbund Neuhausen a. F.; zweite Preise Eintracht Neuhausen a. F., Germania Bückingen, Männergesangverein Möhringen, Liederkranz Wäschenbeuren. In der II. Abteilung (höherer Volksgesang waren 20 Vereine auf den Plan getreten. Es wurden 4 erste Preise vergeben, an die Vereine Liederkranz Saulgau, Alemannia Karlsvorstadt Heslach, Fortuna Stuttgart und Liederkranz Mezingen. Zweite Preise erhielten Liederkranz Ludwigsburg, Harmonia Tübingen, Bürgergesangverein Kirchheim u. T., Lyra Schramberg, Sängerbund Stuttgart. Bei der III. Abteilung (Kunst ge sang) waren 9 Vereine. in die Preisbewerbung eingetreten. Erste Preise wurden zuerkannt den Vereinen: Bürgergesangverein Eßlingen, Freundschaft Pforzheim und Liederkranz Göppingen. Zweite Preise erhielten: Männerchor Sigmaringen, Lyra Stuttgart, Sängerkranz Stuttgart, Liederhake Pforzheim. Nachmittags '/-5 Uhr war Probe für die an der Aufführung der altniederländischen Volkslieder von Kremser und des Chores aus der Rose Pilgerfahrt von Schumann beteiligten Gesangvereine. Nach Schluß der Proben vereinigten sich die Festteilnehmer zu einer geselligen Vereinigung und musikalischen Unterhaltung auf dem Festplatz. Der Andrang war ungeheuer wie noch nie bei einem Sängerfest. Prachtvolles Wetter begünstigte die Feier. Um 8 Uhr begann das Festbankett in der Trinkhalle wobei Dr. Elben — Stuttgart auf den Kaiser, Oberbürgermeister Benz auf den König, Oberpostmeister Steidle, auf die gute Feststadt Reutlingen toastierte. Während des Banketts wurden Lieder vom Stuttgarter Liederkranz und Gutrnbergverein, Liederkranz Eßlingen, Liederhalle Pforzheim vorgetragen und mit Beifall ausgenommen.
Reutlingen, 12. Juli. Heute Nachmittag 3°/< Uhr hat der Bliz in ein großes Wohnhaus der Weingärtnerstraße eingeschlagen. Der Dachstuhl ist abgebrannt. Ein lOjähriger Knabe ist nicht unerheblich verletzt. Infolge weiterer falscher Alarmierung ist eine bedeutende Panik entstanden.
Gmünd, 10. Juli. Heute nacht kurz nach 2 Uhr ertönten die Feuersignale. Im Gasthof zum Adler waren vurch Unvorsichtigkeit eines Logisherrn die Vorhänge und das Bett in Brand geraten. Da rasche Hilfe zur Stelle war, konnte das Feuer im Entstehen unterdrückt werden, so daß die Feuerwehr nicht auszurücken nötig hatte.
Ulm, 10. Juli. In der Nähe von Menning
bei Ingolstadt wurde eine männliche Leiche aus der Donau gezogen. Der Selbstmörder war ca. 35 Jahre alt, 1,75 m groß, in besserem Arbeitsanzuge und hatte noch ca. 14 ^ in den Taschen seiner Kleider. — Das Befinden der in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli von ihrem Mann durch 18 Stichwunden verletzten Frau Wirtin Rau zum Schweizerhof hier ist nun ein so zufriedenstellendes, daß von einer Lebensgefahr glücklicherweise nicht mehr gesprochen werden kann. Auch Rau selbst, der sich den Hals abschneiden wollte und mit dieser Verletzung in das Spital ausgenommen wurde, ist auf dem Wege der Besserung.
— In Wangen fielen am Montag Schloßen in Größe von Haselnüssen, die an zarten Gartenpflanzen etwas Schaden anrichteten.
Ravensburg, 11. Juli. Nach der Gluthitze des gestrigen Tages zog gegen Abend ein heftiges Gewitter über die Markungen östlich der Stadt, das sich um Eschach, Grünkraut, Bodnegg bis nach Amtzell hinüber mit bedeutendem Hagel entlud. Notgelitten haben Getreide, Hopfen, Reps, Kartoffeln und Obstbäume. Der Schaden ist nicht unbedeutend. Nur wenige der Beschädigten sind versichert.
— Am letzten Sonntag abend kam im Hafen von Rorschach ein von 2 Männern besetzter Nachen unter die Radschaufeln des Dampfboots „König Karl". Der Nachen kenterte und einer der Insassen ertrank.
Worms, 10. Juli. Ein furchtbares Brand- un glück ist gestern Nachmittag in dem Hause des Spezereiwarenhändlers Georg Müder durch Explosion eines größeren mit Benzin gefüllten Gefäßes entstanden, Möder ist zur Zeit zu einer militärischen Uebung eingezogen. Der mit der Führung des Geschäftes beauftragte Gehilfe füllte im Keller Benzin ab und kam bei dieser Gelegenheit jedenfalls mit dem Lichte zu nahe an den Behälter. Der Behälter explodierte, unter donnerähnlichem Krachen stürzte das ganze Kellergewölbe ein und zugleich schlugen die Flammen lichterloh aus den Ladenfenstern und -Thüren heraus. Im Laden befand sich im Augenblick der Explosion ein 4jähriges Mädchen, um etwas zu kaufen. Dasselbe fiel in den Keller und fand einen gräßlichen Tod. Mehrere andere Personen trugen größere oder leichte Brandwunden davon. Schwer verletzt sind Frau Möder und deren Kind, an deren Aufkommen gezweifelt wird. Der Gehilfe ist auch bedeutend verletzt.
Colmar, 11. Juli. Gestern ertranken bei einer Nachenfahrt auf der Ill bei Benfeld, welche der Musikverein Jsenheim veranstaltete, zwölf Personen.
Aus derReichshauptstadt. Das gestrige Konzert des amerikanischen Gesangvereins „Arion" verlief glänzend. Der Saal war überfüllt. Der Dirigent und die Solisten erhielten Lorbeerkränze. Die Minister Eulenburg, Bötticher und Berlepsch wohnten dem Konzert bis zum Schluß bei.
Lausanne, 9. Juli. Im Hafen von Ouchy platzte heute mittag der Kessel des Dampfschiffes
klären und zu entschuldigen — darf ich Sie um die Erledigung JhreS Auftrages bitten, Herr Douglas?"
Die heiße Glut des Zorns, der Scham stieg ihm in's Gesicht, er wußte sich indes zu beherrschen und sagte lebhaft:
„Ein Telegramm aus London rief den Gesandten dorthin an das Krankenbett seine» Bruders; sobald er zurückgekehrt, wird er sich beeilen, Sie aufzusuchen, gnädige Frau und Ihnen persönlich seine Bewunderung auszusprcchen. Was nun die geschäftliche Seite meiner Sendung betrifft, so bin ich beauftragt. Ihnen gnädige Frau, diese Papiere zu übergeben; hoffentlich verspricht der Inhalt des Kouverts Ihren Erwartungen und söhnt Sie mit dem mißliebigen Boten aus.
Mit tadelloser Verbeugung überreichte Douglas der Dame das geschlossene Kouvert, aber nicht auf diesem hastete der Blick der Künstlerin, sondern auf dem Ringfinger der linken Hand. Douglas hatte den Handschuh derselben ausgezogen und ein blitzender Brillantring funkelte Frau Orme entgegen, verschwunden war der dünne wertlose goldene Reif, welchen Sie selbst am Hochzeitstage an die Hand des jungen Gatten gesteckt.
Ein bitteres Lächeln flog um die Lippen der Verlassenen, als sie, da» stolze Haupt leicht neigend, die Papiere entgegennahm; dann legte sie dieselben vor sich auf den Tisch und fragte gleichgültig:
„Wie lange ist's her, daß Sie Amerika verließen, Herr Douglas?'
„Über 13 Jahre sind seitdem verflossen, gnädige Frau, jedoch bewahre ich das Gedächtnis an meine Heimat so frisch und lebendig in meinem Herzen, als wäre ich «st gestern von Amerika geschieden."
„Dann muß das Leben, welches Sie in der Heimat geführt haben, in jeder Hinsicht glücklich und befriedigend gewesen sein und Ihr Hau» ein Tempel der Glück
seligkeit," sagte Frau Orme ernst; „fast könnte ich Sie beneiden. In welchem Staate Amerikas stand Ihre Wiege, Herr Douglas?"
„Ich bin in einem der Mittelstaaten geboren und dort liegen auch unsere Besitzungen, aber zur Erziehung ward ich nach dem Norden gesandt und, nachdem ich sowohl das Gymnasium, wie Universität absolviert, trat ich die Reise nach Europa an. Des Schönen und Herrlichen viel habe ich in der Welt gesehen, aber den höchsten Liebreiz erblickte ich doch erst in diesem Augenblick und es erfüllte mich mit stolzem Triumph, daß es eine Tochter meiner Heimat ist, die mir dies Geständnis abgenötigt.
Robert Douglas erschien sich selbst unwiderstehlich, als er diese Schmeichelei lächelnden Mundes aussprach und seine schönen Augen hasteten mit sieghaftem Glanz auf den Zügen seiner Gefährtin, aber vergeblich hoffte er auf ein anerkennendes dankbarer Lächeln.
Olivia Orme spielte gleichgültig mit einer Blume, die sie vom Tische genommen, und meinte dann kühl: „Wie schade, daß ich das mir zugedachte Kompliment nicht in seinem ganzen Umfang acceptieren kann — meine Geburt erfolgte leider nicht auf amerikanischem Boden, sondern an Bord eine» französischen Schiffe» mitten im Atlantischen Ocean."
Wenn die Schauspielerin gehofft hatte, Robert Douglas in Verlegenheit zu bringen, so mußte sie sich sagen, daß es ihr nicht geglückt sei.
„Unter diesen Umständen finde ich es nur natürlich, daß Sie gleich der schaumgeborenen Göttin allüberall Bewunderung und Anbetung ernten, gnädige Frau," lautete die galante Erwiederung des gewandten Weltmannes, »und anstatt: Olivia Orme sollte man Sie billig Olivia Anadyomone nennen."
(Fortsetzung folgt.)
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