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Auch dies persönliche Moment ist selbst in konstitu­tionellen Staaten, ja sogar in Republiken nicht zu unterschätzen; man erinnere sich nur, wie Grevy's philisterhafte Sparsamkeit, die ihn veranlaßte, seine reichlich bemessenen Reisegelder zinstragend anzulegen, die Präsidentschaft diskreditirt hat. Diese alljährlichen Reisen, die auch durch die einer rüstigen Natur ent­springende Vorliebe des Kaisers für das Meer und die Marine die Bewohner der Küstenstriche besonders sympathisch berühren, sind für Wilhelm II. wie ein stärkendes, stählendes Bad, das ihm die geistige und körperliche Spannkraft bewahrt. Wir rufen ihm da­her ein herzlichesGlückliche Reise und frohe Wieder­kehr!" zu.

Homburg v. d. Höhe, 25. Juni. Der König und die Königin von Italien sind heute Nachmittags 3 '/-> Uhr wieder von hier abgereist. Kaiserin Friedrich und die Prinzessin Margarethe von Preußen gaben den Herrschaften bis zum Bahn­hofe das Geleite. Die gegenseitige Verabschiedung trug einen äußerst herzlichen Charakter. Wie bei der Ankunft, so wurden auch bei der Abfahrt der König und die Königin von einer zahlreichen Menschenmenge mit lebhaften Hurrah- und Evviva-Rufen begrüßt.

DenMünch. N. Nachr." entnehmen wir: In maßlosen Beschimpfungen ergeht sich die ultramontane Presse gegenüber allen Jenen, welche es wagten, dem Fürsten Bismarck für seine Verdienste um Deutschlands Einigung ihren Dank auszusprechen und ihm ihre Verehrung zu beweisen. Wenn man die Schimpfworte, welche in den letzten Tagen in der ultramontanen Presse paradierten, zusammenstellt, so bekommt man das reinste Schimpfwörter-Lexikon. I n einer einzigen Nummer eines ultramontanen Blattes werden den Bismarcksreunden folgende Grob­heiten an den Kopf geworfen:Vollständig über­geschnappt, halbverrückt, höchste Unverschämtheit, arm­selige Mannesseelen, Schwindel, halbverrückte Gesell­schaft, widerliches Gebühren, gedankenlose Menge, Charakterlosigkeit." Diejenigen, welche Bismarck ge­genüber die einfachste Pflicht des Anstandes verletzen und ihre Bildung durch bubenmäßiges Pfeifen be­kundeten, werden von dem Blatte dagegen olsan­ständige Bürger" bezeichnet! Diejenigen ultramontanen Gemeindevertreter, welche sich beim Empfange Bismarcks im Rathause beteiligten, namentlich die Herren v. Ruppert und Radspieler, werden besonders heruntergerissen und beschimpft. So sagt ein anderes ultramontanes Blatt von Radspieler, dieser habe sich beim Frühschoppen im Rathause bemüht, die Bedienung überflüssig zu machen;galt es doch Ihm, da kann man schon einmal den Piccolo spielen." Wie predigen die ultramontanen Blätter, diese Ver­treter der Religion, der christlichen Nächstenliebe doch immer? Wir haben es schon des Oeftern gelesen: In Allem Liebe!"

Tages Neuigkeiten.

sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Seine Königliche Majestät haben am 25. Juni d. I. allergnädigst geruht, das erledigte Oberamt

Calw dem Oberamtmann Lang in Neresheim zu übertragen.

Mit dem I. Juli d. I. werden für den Verkehr innerhalb Württembergs verschiedene Aender- ungen und Neuerungen eingeführt. Postkarten, welche unfrankiert oder den äußeren Anforderungen nicht entsprechen, unterliegen dem Porto für un­frankierte Briefe. Gedruckte Visitenkarten gehen noch als Drucksache, wenn dieselben auch Anfangs­buchstaben üblicher Formeln zur Erläuterung des Zwecks der Uebersendung handschriftlich tragen. Ge­wisse Stellen gedruckten Textes dürfen durchstrichen werden und in Handelszirkularen darf auch der Tag der Durchreise des Reisenden handschriftlich angegeben sein. Flüssigkeiten, Oele, fette Stoffe, trockene, ab­färbende und nicht abfärbende Pulver, sowie lebende Bienen dürfen als Warenproben versendet werden, sofern die Verpackung den von der Postverwaltung vorgeschriebenen Bedingungen entspricht. Für die Freibeförderung von Kindern in Postwagen ist das Alter von 3 auf 4 Jahre erhöht worden.

Böblingen, 26. Juni. Gestern abend kam ein gutgekleideter junger Mensch in die Wirtschaft zum Hirsch. Derselbe sprach an, um zu übernachten, ließ sich eine Wurst mit Brot geben; plötzlich wurde er von einem Herzschlag getroffen und war sofort tot.

Stuttgart, 28. Juni. Gestern früh starb hier Professor Ludwig Mayer, Vorstand der Staats­sammlung vaterländischer Kunst- und Altertums­denkmale, im Alter von 41 Jahren nach halbjähriger schwerer Krankheit. Mit Ludwig Mayer, schreibt der Staatsanz., verliert das württembergische Vaterland eine schwer zu ersetzende Kraft. Er brachte dem Amte, dem er Vorstand, eine ganz besonders glückliche wissenschaftlich-künstlerische Begabung entgegen und diente chm mit wahrhafter Liebe und Begeisterung. Von Haus aus Philologe und mit der gründlichsten wissenschaftlichen Bildung ausgerüstet, arbeitete er sich in die Spezialitäten seines Berufes durch Studien und Reisen mit größtem Eifer ein und schon wenige Jahre nach seinem Eintritt konnte er mit der muster­haften Neueinrichtung der ihm unterstellten Samm­lungen im neuen Bibliothekgebäude zeigen, daß hier ein ganzer Mann auf seinem Posten stand, den Wissen und Geschmack in gleicher Weise für die Eigenart seiner Aufgaben befähigte. Diese ausge­zeichnete Kraft ist nun für unser Land verloren; verloren ist außerdem einem weiten Freundeskreise einer der liebenswürdigsten und geistvollsten Menschen, in dem sich die Vorzüge schwäbischen Wesens fast ohne Schattenseiten in der glücklichsten Weise ver­körpert hatten. Der Verstorbene war der Sohn Karl Mayers und das Pathenkind Uhlands und Kerners, seine Jugendzeit, von der er gerne erzählte, war erfüllt von intimen Erinnerungen an den schwäbischen Dichterkreis.

Stuttgart. Ein freches Gaunerstück­chen versuchte am letzten Freitag abend um 9'/- Uhr ein hier wohnhafter Goldarbeiter Heinrich Frank von Heilbronn. Er kam in einen Viktualienladen der Neckarstraße, angeblich um drei Kistchen Cigarren zu

Hochzeitsgeschenken zu kaufen. Nachdem der Verkäufer die Cigarren auf den Ladentisch gestellt hatte, ersuchte ihn Frank, die Kistchen zu öffnen und ihm drei 20-Markstücke gegen Silbergeld zu geben, da er in jedes Kistchen ein 20-Markstück einlegen wolle. Als auch diesem Verlangen von seiten des Verkäufers stattgegeben wurde und die drei 20-Markstücke auf dem Tische lagen, that Frank zuerst, als ob er Silber­geld dafür geben wollte, nahm aber auf einmal die drei Goldstücke an sich und sprang zur Ladenthüre hinaus. Der Viktualienhändler verfolgte ihn, traf unterwegs einen Schutzmann, welcher die Verfolgung mit aufnahm und so gelang es schließlich, mit Hilfe mehrerer Passanten Frank in der Landhausstraße einzuholen und festzuhalten. Als der Viktualien­händler sein Geld von Frank zurückvsrlangte, gab dieser ihm ein zusammengewickeltes Papierchen, in welchem etwas wie Geld fühlbar war, und sagte, hier habe er seine drei Goldstücke, man solle ihn nun gehen lassen. Der Viktualienhändler öffnete später das Papierchen, fand aber nicht seine drei Goldstücke, sondern nur einige 1- und 2-Pfennigstücke darin vor. Der saubere Patron wurde festgenommen und ihm die drei Goldstücke, die er noch im Besitz hatte, ab­genommen.

Kirchheim u. T., 25. Juni. Infolge eines Kaufs hört die Kirchheimer Zeitung am 1. Juli auf, zu erscheinen, und wird mit dem hier erscheinenden Teckboten verschmolzen.

Heidenheim, 26. Juni. Der Vorarbeiter Z. von hier, ein bis jetzt geachteter Mann, welcher kürzlich wegen Wilderns und Diebstahls verhaktet worden ist, hat sich heute nachmittag im Amtsgerichts­gefängnis erhängt. Dies ist in dem Zeitraum von 10 Tagen der fünfte Selbstmord im hiesigen Oberamtsbezirke.

Ulm. An den Dekorations-Arbeiten für den Empfang Ihrer König!. Majestäten in hiesiger Stadt wird fleißig gearbeitet, und wie wir erfahren bietet der Kgl. Hof-Mechanikus und Optikus Emil Sünder häuf in der Herdbruckerstraße hier auch wieder Sehenswertes, indem er zu Ehren Ihrer Königlichen Majestäten zwei große Wappenschilder,, welche die Namenszüge Ihrer Kgl. Majestäten tragen, durch elektrische Glühlampen herstellt unv auch die Guirlanden und Dekoration mit elektrischen Glüh­lampen ausstattet und Abends festlich elektrisch beleuchtet.

Ulm, 26. Juni. Der 23 Jahre alte Ver­waltungskandidat Karl Klein von hier, zuletzt Re- vissionsassistent in Aalen, wurde von dem Schwurge­richt in der Verhandlung vom 24. und 25. ds. wegen eines Diebstahls von 100 verübt auf der Orts­krankenkasse I in Ulm und einer damit zusammen­hängenden Urkundenfälschung, ferner wegen Unter­schlagung eines Coupons, verübt an dem Ortskranken­kassier Dürler in Ulm, wegen Fälschung einer öffent­lichen und Privaturkunde (Pfandschein im Betrag, von 600 °^), sowie wegen des in der Lberamtsspar- kasse zu Blaubeuren in der Nacht vom 13. auf den 14. September v. I. verübten Einbruchsdiebstahls im Betrag von 14569 10 ^ zu der Zuchthausstrafe

um die kleine Mappe zu entwenden, und seiner Überzeugung, daß sie es gethan, weil sie ein Recht auf die Licenz zu haben glaubte.

Der Advokat ließ den Geistlichen ruhig ausreden und sagte dann:

Hochwürdiger Herr ich wünsche. Sie möchten Recht haben, so paradox dies auch klingen mag; wie die Dinge indes liegen kann ich es nicht glauben. Madame Lrme Hot mir unter Anderem den Auftrag erteilt, mir, falls Sie unerwartet sterben sollte, von Ihnen eben dieses wichtige Dokument aussolgen zu lassen und dasselbe, um die Ansprüche ihrer Tochter mit Erfolg geltend machen zu können, dem Gerichtshof vorzulegen. Regina's Mutter ist, wie ich Ihnen bereits mitteilte, eine ausgezeichnete Schauspielerin, aber es hätte doch wenig Zweck, wenn sie mir wie Ihnen eine Komödie vorgespielt hätte."

Ich stehe vor einem Rätsel," sagte er endlich, Björns Kopf streichelnd,und Eines ist mir. seit ich Regina gesehen, zur zweifellosen Gewißheit geworden sie ist die Tochter des Mannes, mit welchem ich ihre Mutter vor elf Jahren ehelich verband die Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter ist fast erschreckend." Jetzt schlug es vom nahen Kirchturm; Herr Palma zog seine Uhr aus der Tasche und stand hastig auf.

Ich muß ausbrechen," sagte er lebhaft,sonst versäume ich den Zug. Regina wird Ihnen ein Päckchen, welches eine größere Summe zur Bestreitung der nächsten notwendigen Ausgaben, sowie den Betrag der halbjährigen Pension enthält, über­geben. Hier ist meine Adresse, falls Sie einen Wunsch oder ein Anliegen hinsichtlich Regina's haben sollten, bitte ich Sie, mir zu schreiben, hochwürdiger Herr ich werde nur selten Zeit finden, mich persönlich nach dem Kinde Umsehen zu können."

Im Wohnzimmer fanden die beiden Herren Regina traurig am Fenster stehend. Der Pfarrer strich liebkosend über den lockigen Scheitel der Kleinen und sagt« scherzend:

Verlaß Dich darauf, Regina. Du sollst's gut haben nicht umsonst hat Deine Mama zwei Vormünder für Dich bestellt. Ich denke, wenn wir Alle uns Mühe geben, muß es doch gelingen, Dich glücklich zu machen meinst Du nicht auch?"

Sie sind so gut gegen mich," stammelte Regina,an mir soll's gewiß nicht fehlen."

Brav, mein kleiner Liebling." nickte der Pfarrer, Palma, welcher sich inzwischen mit Frau Lmdsay unterhalten und auf ihre Bitte ein Glas Wein getrunken hatte, näherte sich jetzt der Kleinen und ilr die Hand reichend, sagte er freundlich:

Adieu, Regina ich hoffe, Du wirst hier zufrieden und glücklich sein."

Ich will mir alle Mühe geben, Herr Palma," versetzte Regina leise,und klagen werde ich niemals."

Hm Du denkst gewiß, es würde doch umsonst sein?" fragte Palm» lächelnd,Du hältst mich wohl für sehr hart und unempfindlich, Regina! Eigentlich hätte ich alle Ursache, mich beleidigt zu fühlen mir gegenüber warst Du kühl wie Marmor und im ersten Augenblick, da Doktor Hargrove die Arme nach Dir aus­breitete, flogst Du ihm entgegen."

Doktor Hargrove sah, wie elend und verlassen ich mich fühlte und deshalb öffnete er mir seine Arme," erklärte Regina sanft.

Mit Dir ist nicht zu strecken," lachte Palma,lebe wohl und vergiß mich nicht."

Gewiß nicht," sagte Regina ernsthaft,Sie sind meiner Mutter Freund und ich werde allabendlich für Sie beten."

Ein flüchtiges Lächeln hus chte über das feine Gesicht des Advokaten; er drückte herzlich Regina's Hand, verabschiedete sich von Frau Lmdsay und schrill, von dem. Pfarrer begleitet, zu seinem Wagen.

(Fortsetzung folgt.)