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Schnees, der die Blüten bedeckte, einen recht schönen Ertrag, zumal die Preise von 12—15 pro Ztr,
als gute bezeichnet werden können. Trockenes warmes Wetter ist auch für die Kirschenernte sehr erwünscht.
Kirchheim u. T., 21. Juni. Wollmarkt. Am Mittag des ersten Markttags gelagert ca. 7000 Ztr., mit Ausnahme von ca. 600 Ztr. durchaus von Schäfern zugeführt. Vormittags wenige Käufe feinerer Partien zu 120—122. Nachmittags weitere Käufe bis
zu 125. Zwischen 5 und 6 Uhr abends verschiedene größere Partien besserer Ware zu 130 verkauft; viele Käufe zu ^ 120—126. '/-> der Zufuhr verkauft.
Kirchheim u. T., 23. Juni. Wollmarkt. Am dritten Wollmarkttage wurde bis auf einige kleinere Partien alles verkauft. Die Preise waren etwas gesunken.
Paris, 21. Juni. Die Augen sind heute nach Montbrison gerichtet, schreibt man dem Schw. M., obgleich der Prozeß Ravachols infolge der Enthüllungen und Erörterungen, die ihm voraufgegangen, viel von seinem Interesse verloren hat. Der auf dem Gipfel der Stadt liegende Justizpalast, ein ehemaliges Mönchskloster, ist scharf bewacht und Niemand kann in den Saal, ohne eine von der Gerichtsbehörde ausgestellte Eintrittskarte vorzuzeigen. Der Saal ist denn auch schwach gefüllt, gleichwohl sollen sich einige Anarchisten eingeschlichen haben. Zahlreich sind die Vertreter der Presse und der illustrierten Blätter, sie sind meist mit Momentfotographie- apparaten versehen. Ravachol sieht ermüdet aus, scheint aber von seiner Zuversicht und der Verwegenheit seines Auftretens nichts eingebüßt zu haben. Beala dagegen und Mariette Saubere machen eine melancholische Miene. Bei der Auslosung der Geschworenen entstand einiger Aufenthalt dadurch, daß einer der Ausgelosten in Krämpfe verfiel. Man trug ihn fort und der Vorsitzende ließ die Operation erneuern. Aus dem Verhör Ravachols, mit dem die Verhandlung begann, erfuhr man nichts Neues. Er erklärte, daß er mit seinem eigentlichen Namen Brandts Königsstein heiße, 32 Jahre alt sei und als Maler an verschiedenen Orten gearbeitet habe. Auffallend war an ihm nur die lächelnde Unverfrorenheit, womit der Angeklagte sich zu der Ermordung des Einsiedlers von Chambles, wie zu seinen geringeren Sünden als Schmuggler und Falschmünzer bekannte. Nachstehend einige seiner Antworten: „Ich habe Falschmünzerei getrieben, weil ich keine Arbeit habe. Die Arbeit hat mich im Stiche gelassen. Und was bedeutet der Vorwurf, daß ich mit Schmugglern verkehrt habe? Es giebt Schmuggler jeder Art. Wenn man alle Kaufleute vor Gericht stellte, die vom Schmuggel lebten! . . ." Sehr umständlich erzählte er, wie er den Einsiedler von Chambles erwürgt habe, und nahm keinen Anstand, zu bekennen, es sei seine Absicht gewesen, auch den Kutscher zu ermorden, in dessen Wagen er mit seiner Geliebten nach Chambles fuhr, wenn derselbe einen Verdacht hätte merken lassen, was jedoch nicht der Fall war. Der Präsident fragte: „Also Sie beseitigen einfach Jeden, der Sie belästigt?" — „Allerdings, das ist so der Weltlauf. Die gesellschaftliche Einrichtung ist schlecht. Die Interessen der Arbeiter und diejenigen der Gerechtigkeit der Bourgeoisie stehen im Widerspruch mit einander." Der Vorsitzende: „Sprechen Sie nicht im Namen der Arbeiter, sondern im Namen der Mörder." Ravachol: „Wie, ich hätte nicht das Recht, im Namen der Arbeiter zu sprechen? Sie erklären soeben, daß ich ein schlechter Arbeiter war. Mußte ich deshalb Hungers sterben? Wenn ich kein Talent habe, so ist das nicht meine Schuld. Es ist erlaubt, eine Gesellschaft zu hassen, die ihre Mitglieder verhungern läßt. Die Verhandlung dauerte mit einer Unterbrechung bis abends 8 Uhr. Bis jetzt legte Ravachol nur ein ausführliches Geständnis seines Einbruchs in der Klause und der Ermordung des Einsiedlers Brunel ab, während er die 4 andern ihm zur Last gelegten Morde entschieden
ableugnet; die Leichenschändung aber giebt er zu. Als Vorbereitung für den Prozeß veröffentlichte das XIX. Siecke ein langes Protokoll, das der Untersuchungsrichter Atthalin mit Ravachol ausgenommen hat und worin der Verbrecher seinen ganzen Lebenslauf erzählt und angiebt, wie er Anarchist geworden sei. Zuerst, sagte er, sei er ein gläubiger Christ gewesen, in seinen Ueberzeugungen aber durch einen Vortrag erschüttert worden, den die bekannte Paula Minck in St. Etienne gehalten habe. Darauf habe er regelmäßig die Blätter Proletaire und Citoyen de Paris gelesen und sich schließlich zum Anarchismus bekehrt.
Montbrison, 23. Juni. Das Schwurgericht verurteilte Ravachol dem Antrag des Generalstaatsanwalts gemäß zum Tode. Beala und das Mädchen Soubsre wurden freigesprochen.
Tages-Ueuigkeiten.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Bei der am 20. Mai d. I. und den folgenden Tagen vorgenommenen ersten höheren Dienstprüfung im Departement des Innern ist der Kandidat Pfeifle, Wilhelm, von Hirsau, OA. Calw, für befähigt erkannt und zum Regierungsreferendär II. Klasse bestellt worden.
— Am 17. d. Mts. ist von der Oberschulbehörde die Schulstelle in Unterhaug fielt, Bez. Calw, dem Schullehrer Bosler in Atzenweiler, Bez. Ravensburg, übertragen worden.
Neuenbürg, 22. Juni. Gestern vormittag, schreibt man dem N. Tgbl., wurde ein dreijähriges Kind vor dem Schulhaus von einem Radfahrer überfahren und im Gesicht und an den Händen, wahrscheinlich aber auch innerlich verletzt, da ihm das Rad über den Leib ging. — In Maisenbach (hiesigen Oberamts) spannte ein Dienstknecht ein Paar junge Stiere ein. Während der Fahrt wurden diese wild und gingen durch; dabei kam der Knecht so unglücklich unter den Wagen, daß er überfahren und tötlich verwundet wurde. Der herbeigeholte Arzt konnte nur den Tod desselben konstatieren.
Stuttgart. Der Schw. M. berichtet: Die Witterung fährt fort der Entwicklung der Trauben - blttte in hohem Grade günstig zu sein. Gestern erreichte der Thermometer gut 19° R. Wärme. Obgleich Abends nach 9 Uhr Regen eintrat, ging der Thermometer nicht unter 13—14° R. Der milde, laue Regen war der Traubenblüte ganz besonders förderlich. Die wichtigste Periode in der Entwicklung der Trauben ist bis jetzt unter den günstigsten Umständen verlaufen und kann bis zum Schluß der kommenden Woche das Ende erreicht haben.
Vom Rothenberg, 22. Juni. Die warme Witterung ist von günstigem Einfluß auf die Trauben - blüte, die gegenwärtig unseren Rebenhügeln den feinen, resedaartigen Geruch verleiht. Nimmt das Wetter noch 8 Tage diesen Fortgang, so werden auch die Neben in den unteren Lagen verblüht haben. Mit der Bespritzung der Weinberge haben einzelne Besitzer begonnen. — Die Kirschenernte liefert trotz des
„Nein, Elise — ich bin nicht krank, aber verwirrt und bekümmert. Wäre ich nicht zu unverbrüchlichem Schweigen verpflichtet, dann hätte ich Dir längst mitgeteilt, was mich drückt. Vor Jahren gab ich voreilig ein Versprechen und jetzt, da ich dasselbe einlösen soll, bangt mir davor, alle Konsequenzen dieses Schrittes auf mich zu nehmen."
Frau Lindsay sah ihren Bruder verblüfft an.
„Paul," meinte sie dann unsicher. „Du zweifelst doch nicht etwa daran, daß ich mir ein anvertrautcs Geheimnis bewahren würde?"
„Ach nein, Elise — das wäre meine letzte Sorge. Es betrübt mich vielmehr, daß ich Dir das Geheimnis nicht anvertrauen darf — ich würde Dein klares Urteil so gern vernehmen, denn gar manches Mal schon war mir Deine Auffassung von Wert."
„Im allgemeinen bergen Geheimnisse wenig Erfreulichesbemerkte Frau Lindsah in einem Tone, der unzufrieden klang; „nur unehrenhafte und unwahre Beziehungen und Verhältnisse scheuen das Tageslicht."
„Ich kann Dir leider nicht widersprechen," seufzte der Pfarrer, „und es bekümmert mich tief, daß die Einlösung meines voreilig gegebenen Versprechens höchst wahrscheinlich auch für Dich Unbequemlichkeiten im Gefolge hat."
„Inwiefern ?" fragte Frau Lindsay lebhaft. „Du weißt doch, Paul." fuhr sie in bedeutend ruhigerem Tone fort, „daß ich nicht übermäßig anspruchsvoll und empfindlich bin, und wenn es sich darum handelt, Dir eine Sorge abzunehmen, bin ich zu jedem Opfer bereit. Aber kommen wir zur Sache — um was handelt es sich?"
.Das sollst Tu sofort hören," entgegnete der Geistliche, durch die Worte seiner Schwester offenbar beruhigt; „ich habe vor zwei Tagen einen Brief erhalten, der mich ganz bestürzt macht. Vor zwei Jahren versprach ich einer Mutter, ihr Kind gegebenen Falls zu beschützen und in meine Obhut zu nehmen; ein Ereignis, wel
Wien, 23. Juni. Fürst Bismarck, welcher seinen Wiener Aufenthalt abermals verlängerte, äußerte gestern während des Diners beim Grafen Zichy, der Wiener Empfang habe ihn mit Stolz erfüllt, gerne bleibe er noch hier, deshalb ist es noch ungewiß, ob heute die Abreise erfolgt. 11 Uhr nachts erschien Bismarck mit den Familiengliedern in der Theaterausstellung und begab sich zunächst nach „Alt-Wien", wo er sofort erkannt und stürmisch begrüßt wurde. Er hörte die Volkssänger und Kunstpfeifer an, ging dann in den Münchener Bürgerbräu-Pavillon, wo ihm große Ovationen dargebracht wurden. Ein Gast rief: „Es lebe der größte Mann des Jahrhunderts!" Bismarck erhob sich und sagte: „Da mich jetzt verwandtschaftliche Bande an Ihre Stadt binden und ich ein freier Mann bin, so hoffe ich recht bald wieder in dem schönen Wien zu sein!" Zum Generaldirektor der Ausstellung sagte Bismarck: „Ich freue mich, hier eine so gemütliche und glückliche Bevölkerung gefunden zu haben, zufriedener und glücklicher als die mancher anderen Städte!" Erst um 1 Uhr nachts verließ Bismarck die Ausstellung. Prof. Schweninger sagte, der Fürst fühle sich schon lange nicht so wohl wie jetzt.
Standesamt ßatw.
Geborene:
20. Juni. Marie Karoline, Tochter des Christian Schechinger, Maschinenstrickers hier.
20. „ Emma Sofie, Tochter des Heinrich Gieben-
rath, Bäckermeisters hier.
Gestorbene:
18. Juni. Marie Sophie geb. Epple, Ehefrau des Georg Friedlich Held, Maschinenstrickers hier.
Gottesdienst
am Sonntag, den 26. Juni.
Vom Turm 235.
Vorm.-Predigt: Herr Dekan Braun. 1 Uhr Christenlehre mit den Söhnen. 2 Uhr Nachm.-Predigt: Herr Stadtpfarrer Ehtel.
Mittwoch, 29. Juni. Keierlag Aetri n. Vanki.
9 Uhr Vorm.-Predigt: Herr Stadtpfarrer Eytel'
ches kurz darauf eintrat, ließ mich hoffen, das Versprechen werde niemals eingefors dert werden, und so fand mich die Thatsache ganz fassungslos."
„Und Dein Versprechen bezog und bezieht sich —"
„Auf die Uebernahme der Vormundschaft über ein zehnjähriges Kind — ein Mädchen, welches ich noch niemals gesehen habe. Es soll fortan unter meiner Obs Hut leben und wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch heute im Laufe des Vormittags hier eintreffen."
„Paul — ist das Dein Ernst?" -
„Mein völliger Ernst, Elise. Du kannst das Faktum nicht mehr bedauern, als ich es selbst thue; hätte ich nur vorher noch mit der Mutter des Kindes sprechen können, so würde ich die Sache unter allen Umständen redressiert haben, aber jetzt ist cs dazu zu spät."
„Zu spät? Ist die Mutter gestorben?"
„Nein, aber sie ist nach Europa gereist und hat mir vor ihrer Abreise mits geteilt, sie lasse das Kind unter meiner Obhut zurück."
„Hm — sie scheint eine sehr herzlose Mutter zu sein, sie würde sonst das Kind nicht so leichten Herzens einem Fremden überlassen."
„In diesem Punkte thust Du der Mutter Unrecht, Elise," sagte der Pfarrer ernst, „sie scheint leidenschaftlich an der Kleinen zu hängen und schreibt unter Anderem' „Erforderten es nicht gerade das Wohl und die Zukunft meines Kindes, mich für längere Zeit von dem Einzigen, was ich auf Gottes weiter Welt besitze, zu trennen, so würde keine Macht der Erde mich bewegen, das Weltmeer zwischen mich und mein Herzblatt zu legen." Es liegen eben ganz eigentümliche Umstände vor, Elise, und da ich Dir dieselben leider nicht Mitteilen darf, begreife ich sehr wohl, daß Du Dir die Sache nicht zu erklären vermagst."
(Fortsetzung folgt.)
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