M 74.
Amts- und Anzeigsblatt für den Bezirk Lalw.
67. Ichrgaar.
«rscheim Dt-» i la g , Donnerstag und Sani« tag. Di- EinrückungSg-bühr b-trSgt im Bezirk und nächster Umgebung S Psg- die A-Ile, sanft 12 Psg.
Samstag, den 25. Juni 1892.
LbonnementSpreir vierteljährlich in der Stadt DO Pfg. und SO Pfg. Trägerlohn, durch dir Post bezogen Mk. 1. Id, sonst i» ganz Württemberg Mk. 1. SS.
Abonnement.,
ment auf das Calwer Wochenblatt, worauf wir die geehrten Leser ergebenst aufmerksam machen. Namentlich ersuchen wir die auswärtigen Abonnenten um Erneuerung ihrer Bestellung vor dem 1. ds., damit in der Zusendung keine Unterbrechung eintritt.
Amtliche Bekanntmachungen.
Diejenigen Ortsvorsteher,
welche den Beschluß der Gemeinderatskollegien betr. die Revision der ortsüblichen Tagelöhne gewöhnlicher Tagearbeiter (Minist.-Amtsblatt S. 141, Calwer Wochenblatt Nr. 65) noch nicht vorgelegt haben, werden an die alsbaldige Vorlage erinnert.
Calw, den 24. Juni 1892.
K. Oberamt.
. Schönmann A.-V.
Bekanntmachung.
Als ordentliche Mitglieder der Farrenschau- behörde für den Oberamtsbezirk Calw für den Zeitraum vom 1. Mai 1892 bis 30. April 1895 wurden vom Ausschuß des landwirtschaftlichen Bezirksvereins am 14. Mai d. Js. gewählt die Herren Oberamtsthierarzt Leytze in Calw Schultheiß Ernst in Stammheim
„ Hanselmann in Liebelsberg. und als Ersatzmänner die Herren Adlerwirth Dingler in Calw Schultheiß Flik in Althengstett Stadtschultheiß Hermann in Neubulach.
Die Amtsversammlung hat am 22. d. M. gemäß Art. 8 des Gesetzes vom 16. Juni 1882 (Reg.-Bl.
S. 205) zum Vorsitzenden der Farrenschaubehörde Oberamtsthierarzt Leytze in Calw und als dessen Stellvertreter Schultheiß Hanselmann in Liebelsberg gewählt.
Dies wird gemäß Z 15 der Ministerialverfüg- ung vom 31. Oktober 1882 (Reg.-Bl. S. 323) bekannt gemacht.
Calw, 24. Juni 1892.
K. Oberamt.
Schönmann A.-V.
Deutsches Reich.
Potsdam, 21. Juni. Auf der Fahrt nach dem Neuen Palais besuchten der Kaiser mit dem König Humbert und die Kaiserin mit der Königin Margherita die Friedenskirche und das Mausoleum in Charlottenburg und verweilten etwa eine halbe Stunde am Sarge des Kaisers Friedrich. — Abends 7 Uhr fand zu Ehren des italienischen Königspaares Galatafel im Marmorsaal des Neuen Palais statt. Es waren etwa 150 Einladungen ergangen. Der Kaiser führte die Königin, der König die Kaiserin zur Tafel. Der Kaiser saß rechts von der Königin, der König links von der Kaiserin; gegenüber saßen Reichskanzler Graf Caprivi, Minister Brin, Generaladjutant Pallavicini und Staatssekretär Frhr. v. Marschall. Anschließend an die Galatafel fand großer Zapfenstreich durch die Musikkorps sämtlicher Garderegimenter statt.
Berlin, 22. Juni. Von unterrichteter Seite verlautet über die Unterredungen des ital. Ministers Brin mit dem Grafen Caprivi und Frhrn. v. Marsch all, daß alle wichtigen europäischen Fragen besprochen wurden und dabei volle Identität der Auffassung über die politischen Verhältnisse konstatiert > worden ist. Die Persönlichkeit Brins machte überall !
einen höchst sympatischen Eindruck; derselbe war trotz seiner kurzen Amtsthätigkeit in allen politischen Fragen gründlich informiert.
Potsdam, 23. Juni. Der Kaiser, die Kaiserin, der König und die Königin von Italien, Prinz und Prinzessin Friedrich Leopold, begleitet von dem italen. Minister Brin, sowie einigen Personen der Umgebung, machten heute Mittag zwischen 12'/« und 1 Uhr von der Matrosenstation aus eine Rundfahrt an Bord des Dampfers Alexandra auf den Havelseen. Die Alexandra führte die italienische Flagge. Die Havel war von Privatfahrzeugen belebt und die Majestäten wurden überall mit Begeisterung begrüßt. Der Kaiser gab seinen hohen Gästen während der Fahrt Erklärungen über die Umgebung. Um 1 Uhr traf die Alexandra bei der Pfaueninsel ein, wo ein Frühstück eingenommen wurde. Die Rückfahrt nach Potsdam ist auf 3'/- Uhr festgesetzt.
Kiel, 21. Juni. Das eine der großen Bauwerke am Nord-Ostsee-Kanal geht nun rasch seiner endgültigen Vollendung entgegen, die Eisenbahnbrücke von Grünthal. Bei seiner neuerlichen Bereisung der Kanallinie, woran die Bauleiter, Geheimräte Löwe, Füllscher und unser Landsmann Koch ebenfalls teilnahmen, setzte Staatsminister v. Bötticher die letzte Niete in die Bogenkonstruktion der Brücke ein, und zu gleicher Zeit wurde in einen der mächtigen Brückenpfeiler eine auf den Bau des Riesenwerks und auf dessen Bedeutung bezügliche Urkunde eingemauert. Die Grünthaler Brücke hat 150 m Spannweite und ihre untere Kante liegt 42 m über dem Spiegel des Kanals. In voller Bemastung können unsere größten Kriegsschiffe darunter durchfahren. Nur noch der Bohlenbelag und die Schienen fehlen, sonst ist die Brücke ganz fertiggestellt. Schon im September wird der erste Eisenbahnzug über ihr dahinbrausen.
Schw. M.
Nachdruck »erbaten.
Dolorosa.
Roman von A. Wilson. Deutsch von A. Geisel.
(Fortsetzung.)
Während Regina gehorsam "den Huk ablegte, rollte Herr Palma sein Plaid- bündel auf und mit Hülfe etlicher Decken und Shawls hatte er bald für das Kind ein bequemes Lager geschaffen.
„So, nun versuche zu schlafen," sagte er, indem er einen Plaid über seine Schutzbefohlene breitete und die Lampe verhüllte; „solltest Du Appetit empfinden, dann greife nur in das Körbchen hier neben Deinem Lager — es enthält Butterbrot mit Fleisch, Kuchen und Obst."
Regina murmelte einige Dankesworte, anstatt indes die Augen zum Schlaf zu schließen, blickte sie Herrn Palma unverwandt an und dieser, ihren Blick richtig deutend, fragte lächelnd: „Nun, Regina — was ist, das Du wissen möchtest?"
„Werden Sie meine Frage wirklich beantworten, Herr Palma?"
„Gewiß, Regina — frage nur."
„Dann sagen Sie mir, wann ich meine Mama sehen werde, Herr Palma?"
„Ja, Regina — da fragst Du mich zuviel," entgegnete Herr Palma zögernd ; „ich weiß noch nichts Bestimmtes darüber, aber ich hoffe —"
Bevor Herr Palma weitersprechen konnte, legte sich Regina's kleine Hand auf die seine, und ihn bittend anblickend, sagte sie:
„Sprechen Sie nicht weiter, Herr Palma — wenn Sie mir nicht Alles sagen dürfen, will ich lieber gar nichts hören — gute Nacht."
Sie schloß die Augen, aber Stunden vergingen, bevor Regina endlich einschlief.
Herr Palma hatte sich's gleichfalls auf seinem Sitz bequem gemacht und sich die Zeit damit vertrieben, das regelmäßig schöne Gesichtchsn seiner kleinen Begleiterin zu betrachten. Die matte Beleuchtung ließ die Züge des Kindes marmorbleich erscheinen. Jetzt bewegte sich Regina, und ihrer Hand, die sich während des Schlaks geöffnet hatte, entglitt ein Papier — Herr Palma hob dasselbe auf und sah, daß es der Brief von Regina's Mutter war, den er dem Kinde mitgebracht. Fast unbewußt las Herr Palma die Worte:
„Mein kleiner Liebling," zufällig aufblickend, gewahrt- er. daß Regina's Augen unverwandt auf ihm ruhten — sobald sie indes bemerkte, daß er sie ansah, ließ Regina die langen dunklen Wimpern niedersinken.
Herrn Palma's Gesicht färbte sich dunkelrot, als er sich sagte, daß Regina sich schlafend stelle, um ihm die Beschämung zu ersparen, über dem Lesen eines nicht an ihn gerichteten Briefes betroffen zu werden.
„Regina", sagte er sanft.
Keine Antwort.
„Regina — ich weiß, daß Du nicht schläfst, fuhr er unbeirrt fort, „hast Du etwa gedacht, ich wolle heimlicherweise Deinen Brief lesen? Hier nimm das Schreiben — es fiel Dir vorhin aus der Hand und ich hob es auf — ich habe unwillkürlich die Anrede, die mir in's Auge siel, gelesen."
Regina streckte die Hand nach dem Briefe aus und sagte dann einfach:
„Meine Mama schreibt. Sie seien der beste uneigennützigste, treueste Freund, dm Sie habe — was sie also thun, ist recht und gut."
IV. Kapitel.
„Paul - Du machst mir ernstlich Sorge," sagte Frau Lindsay, ihren Bruder forschend anblickmd; „gestern Abmd hörte ich Dich Stunden lang in Deinem Zimmer auf und abgeh«»; Du fühlst Dich doch nicht krank?"