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Unser Ort beherbergt gegenwärtig sehr viele fremde Handwerksleute. Alle Hände regen sich, um den größten Teil der am 5. April abgebrannten 17 Wohnhäuser und 12 Scheuern bald zu erstellen, damit namentlich die Feldfrüchte unter Dach gebracht werden können. Letzten San,Stag wurde das erste Gebäude aufgeschlagen.
Heidenheim, 16. Juni. In der sog. Jr- pfel-Höhle bei Giengen werden seit einiger Zeit unter sachkundiger Leitung des Herrn Oberförsters Sihler Ausgrabungen vorgenommen und hat man dort schon zahlreiche interessante Funde gemacht. So wurde erst dieser Tage wieder ein gut erhaltener kolossaler Mammutzahn ausgehoben. Die schon aufgefundenen und im Laufe des Sommers noch auszugrabenden Gegenstände dürften zusammen eine ansehnliche Sammlung ergeben.
Heidenheim, 16. Juni. Heute früh hat sich der Wirtschaftsführer im Gasthaus zur Traube, K. L-, früher längere Zeit in Stuttgart, auf dem Kirchhofe erschossen. Er selbst hatte gekündigt und keine andere Stellung bis jetzt erhalten. Dies scheint den 60jährigen braven Mann in den Tod getrieben zu haben.
Ulm. Roßmarkt vom 14. und 15. Juni. Der Markt war sehr gut besucht. Nach amtlichem Ausweis wurden 653 Pferde von auswärts dem Markt zugeführt. Die meisten Pferde kamen aus dem benachbarten Baiern (282), eine größere Anzahl auch aus Oberschwaben (156). Verkauft wurden ca. 130 Pferde zu 70—1200 Am gesuchtesten
waren wieder Pferde im Preise von 300—500
Großsachsenheim, 17. Juni. Eine schauerliche That hat sich in dem benachbarten Egartenhof zugetragen. Die angeblich geisteskranke Bauerersehefrau Schmierer hat in einem Anfall von Tobsucht ihr eigenes 9 Jahre altes Kind mit dem Beil totgeschlagen. Das Gericht ist unverzüglich benachrichtigt worden.
Straß bürg i. E., 17. Juni. Die Stadt Straßburg hat mit einem Kostenaufwands von 800,000 einen Hafen zur Aufnahme von Rheinschiffen erbaut. Gestern ist das erste Schraubendampfboot der Rhein- und Seeschifffahrtsgesellschaft in dem Hafen vor Anker gegangen. Sämmtliche hiesige Zeitungen feiern diesen Moment als einen Wendepunkt in der Geschichte des Handels der reichsländischen Hauptstadt.
Kiel. Auf dem Platz vor der Matrosenkaserne ist in den letzten Tagen das Denkmal fertig gestellt worden, das aus Befehl des Kaisers dem Andenken des Feldmarschalls Grafen Moltke gewidmet ist. Vor einer von dem Prinzen Heinrich gepflanzten Eiche erhebt sich ein kleiner, mit Ziersträuchern und
Epheu besetzter Erdhügel, auf dem ein mächtiger Granitstein gelagert ist, der bei den Ausschachtungsarbeiten für den Nord-Ostsee-Kanal gefunden wurde und dessen Stirnseite eine eiserne Jnschrifttafel trägt, aus der mit goldenen Lettern geschrieben steht: „An dieser Stelle wurde am 3. April 1891 der Generalfeldmarschall Graf v. Moltke durch Stellung L In suits des 1. Seebataillons zu Meiner Marine in engere Beziehung gebracht. Wilhelm." Ein gußeisernes Geländer auf granitenem Sockel umschließt den Denkmalshügel.
— Aus München schreibt man der Kölnischen Zeitung: Nach einer Bekanntmachung des Finanzministeriums haben die Angaben derwürttemberg- ischen Forstbeamten, welche behaupteten, daß von der Nonnenraupe kahlgefreffene Stämme nach einiger Zeit wieder ausschlügen und sich mit Laub oder Nadeln bedeckten, sich nicht bestätigt. Die mannigfachen, fälschlicherweise ein derartiges Wiederausschlagen behauptenden Zeitungsangaben erachtet das Finanzministerium um dessentwillen für verderblich, weil nicht wenige Waldbesitzer dadurch in Bezug auf die gegen die Nonnenraupe zu ergreifenden Vorsichtsmaßregeln unsicher und nachlässig gemacht würden. Am besten scheint sich von allen bisher versuchten Mitteln das Leimen der Bäume bewährt zu haben. Es gewährt einen eigentümlichen Anblick, wenn man heute bei Reisen durch die waldreichen Teile Bayerns stundenweit bloß Bäume mit dem in Schulterhöhe über dem Erdboden angebrachten Leimringe sieht.
— Fürst Bismarck wird auf seiner Rückreise von den Hochzeitsfeierlichkeiten in Wien voraussichtlich München einen Besuch abstatten.
Rom, 18. Juni. In Viterbo ermordete ein junger Anarchist den Kassier der Volksbank und tötete sich selbst, als die Beraubung mißlang. Nach den Papieren des Toten entdeckte die Polizei den Bestand einer ausgedehnten anarchistischen Gesellschaft, durchweg von ganz jungen Arbeitern und Studenten gebildet.
Vermischtes.
— Im „Vorwärts" ist zu lesen: „Hans Most hat sich nach den jüngsten Nachrichten zu einem Schritt entschlossen, der sensationell genannt werden muß. Er hat den „Anarchismus" für „Schwindel" erklärt, und ist — in die Heilsarmee eingetreten. Er hofft es zum „General" zu bringen. Als „Hauptmann" oder „Oberst" der Heilsarmee will er Deutschland demnächst besuchen — er glaubt, daß man ihn in dieser Eigenschaft wohl kaum politisch verfolgen dürfte. So lautet die Nachricht, die allerdings für die älteren Freunde Mosts nicht gerade überraschend ist. Wir zweifelten trotzdem, wurden aber durch eine Rede, die der Ex-Anarchist vor vier Wochen in Balti
more gehalten hat und deren merkwürdig zahmer, fast demütiger Text uns vorliegt, wenigstens von einem Teil unserer Zweifel kuriert."
„Zur Vereinsmeierei". „Als Deutscher, erklärt Herr Fritz Müller, bin ich im .Allgemeinen Deutschen Verband', als Freisinniger im.Bezirksverein', als Gegner des Antisemitismus im .Verein zur Abwehr der Rassenhetze', als human denkender Mensch im .Verein für Ferienkolonien', als Protestant im .Protestantenverein', als Kaufmann im .Verein zur Hebung des Gewerbefleißes', als vergnügter Mensch im Verein .Hilaritas', als Sozialpolitiker im .Verein gegen Verarmung und Bettelei', als Schütze im .Allgemeinen Schützenbund', als Turner im Turnverein .Eichenkranz', als Wasserfreund im .Ruderklub', als Tourist im .Touristenverein'; jeden Abend muß. ich zwei bis drei Vereinssitzungen besuchen und jährlich 215 ^ Beiträge ohne die Nebenkosten zahlen. Meine Frau gehört drei wohlthätigen Frauenvereinen und vier Kränzchen an, so daß sie durchschnittlich jeden Abend besetzt hat, meine beiden ältesten Söhne nehmen in zwei geheimen Schülerverbindungen eine Vorsitzende Stellung ein; die andern Kinder pflegen sich abends sehr gut mit dem Dienstmädchen zu unterhalten. Die vier Hausschlüssel sind immer im Gebrauch. Nachts 2 Uhr pflegen wir alle zu Hause zu sein."
Eingesendet.
In der letzten Nr. d. Bl. las man eine Berichtigung der im vorhergehenden Blatte erschienenen Darstellung der Hauptprobe und der nachherigen Generalversammlung der hies. freiwill. Feuerwehr. Der Schreiber des Nachfolgenden legt nun seine Ansicht in der Frage „ob mechan. Schiebleiter, ob Saug- und Drucksprize, oder keins von beiden" nieder, um zu zeigen, daß die in der Minorität gebliebenen Mitglieder des Verwaltungsrats auch sonst im Corps Vertreter ihrer Ansicht haben.
Dem Einsender in letzter Nummer dürfte bei der Generalversammlung denn doch nicht entgangen sein, daß der Vorschlag des Schriftführers viel mehr Beipflichtende auf seiner Seite hatte, als die Ansicht des Kommandanten und des Hauptmann's der I. Kompagnie, welch letzterer übrigens für solche Neuerungen etwas weniger Wärme zeigte.
Die neue mechanische Schiebleiter, wie sie gegenwärtig gebaut wird, ist ein prächtiges Vehikel, ein sogenanntes Paradestück, mit dem man die brandlosen Jahre bei jeder Uebung Effekt erzielt. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist sie auch des Anschaffens wert; man komme aber nicht damit, daß die Leiter für uns eine Notwendigkeit sei und daß sogar kleinere Orte wie Calw dieselbe angeschafft hätten. Alle diese Orte und auch unsere Stadt sind so eng gebaut, daß man einer Brandstelle sehr gut schon
lesen; er schalt sich leichtgläubig und konnte es sich nicht verzeihen, der jungen Abenteuerin so willig Gehör gegeben zu haben. Daß sie nicht nur die Familie Douglas unglücklich gemacht, sondern auch das Dokument gestohlen hatte, unterlag für ihn keinem Zweifel mehr, und noch an demselben Tage schrieb er an Herrn Peter Patterson und bat ihn um Nachricht, wo er Minnie Merle's Spur suchen solle.
Auf dies Schreiben erfolgte indes keine Antwort und mit der Zeit lernte auch Doktor Hargrove ruhiger über die Angelegenheit denken.
HI. Kapitel.
Vom Thurm der Klosterkirche läutete das Lnxolus und im Kloster selbst war es still und ruhig. — In der Kirche aber auf den Steinplatten vor dem Hauptaltar kauerte eine kleine Gestalt, offenbar ein Kind, und blickte traurig auf etwas Weißes, welches regungslos in ihrem Schoß lag. Jetzt erhob sich die Brust des Kindes in leisem Schluchzen und die kleinen Hände strichen liebkosend über das tote weiße Kaninchen und die gleichfalls tote weise Taube.
Inzwischen schritten zwei Nonnen in leisem Gespräch durch den Garten des Klosters; ab und zu machten sie Halt und riefen laut: „Regina — wo bist Du?" ohne indes Antwort zu erhalten.
„Wo mag das Kind nur wieder sein?" meinte die eine Nonne unruhig; vielleicht in der Kapelle?"
„Das wäre nicht unmöglich," nickte die Andere; „sie schleicht so oft hinein, um die Orgel zu hören."
Beide wandten sich der Kapelle zu und der erste Blick durch die Thür zeigte ihnen die kleine vor dem Altar kauernde Gestalt.
„O, Regina — da bist Du ja," sagte Schwester Angela erfreut; „hörtest Du nicht, daß Schwester Gomaza Deinen Namen rief?"
„Doch, Schwester."
„Hast Du denn keine Antwort gegeben?"
„Nein, Schwester."
„Wie? Bist Du unartig, Regina? Vielleicht heute schon bestraft."
„Unartig bin ich fast immer, wie Schwester Perpetua sagt, aber heute habe ich noch keine Strafe erhalten."
„Seltsames Kind — und was thust Du hier? Hast Du die ehrwürdige Mutter gefragt, ob Du in die Kapelle gehen darfst?"
„Nein — sie hätte mir es doch nicht erlaubt, und so mochte ich nicht fragen."
„Aber Regina — Du hast geweint — was fehlt Dir denn?"
„Ach sieh doch Schwester Angela — mein letztes Kaninchen und meine letzte weiße Taube —"
„Ach — sind sie todt? Armes Kind —" In diesem Augenblick durchzitterten fünf leise Glockenschläge die Luft; Schwester Angela lauschte und sagte dann hastig:
„Komm schnell mit, Regina — die ehrwürdige Mutter erwartet Dich."
„Aber darf ich nicht erst meine armen kleinen Lieblinge begraben?" fragte Regina traurig.
„Mein Herzchen — Du wirst im Sprechzimmer erwartet — ich glaube, Du. sollst das Kloster verlassen?"
„Ach — ist meine Mama gekommen?"
„Ich weiß es nicht, mein Liebling — ich hörte nur, Du würdest abgeholt."
„Thut's Dir leid, Schwester Angela?"
„Ja, mein Kind — wir werden Dich sehr vermissen."
Jetzt standen die drei vor dem Sprechzimmer; Schwester Gomaza band Regma's Schürze los, in welcher die Kleine ihre todten Spielgefährten geborgen hatte, und verschwand in der Richtung des in den Hof führenden Ganges, während Schwester Angela das Kind ins Zimmer schob und sich alsdann in ihre Zelle bergab. In dem Gemach, welches durch ein kunstvoll geschnitztes hölzernes Gitter in zwei Hälften geteilt, herrschte schon halbe Dämmerung und Regina konnte anfänglich nur die Gestalt Mutter Aloysia's erkennen, welche dicht neben der Thür stand. Bald indes gewöhnte das Auge des Kindes sich an das Halbdunkel und jetzt gewahrte sie einen Herrn, welcher hinter dem Gitter lehnte und sie offenbar erwartete.
„Regina," sagte Mutter Aloysia sanft, „tritt dort an« Gitter und sprich mit. Herrn Palma." (Fortsetzung folgt.)