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Amts- und Anzeigeblatl für den Bezirk <Lalw.

67. Jahrgang

Erscheint Dr en - t a g , DsnnerStag und Samt tag. Die EtnrückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung - Pfg. die Zeile, sonst 12 Psg.

Dienstag, den 14. Juni 1892.

LbsnnementSprei» vierteljährlich in der Stadt »0 Pfg. und 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 1L, sonst i» ganz Württemberg Mk. 1. Sb.

Amtliche Bekanntmachungen.

Aushebung 1892.

Vor der K. Oberersatzkommission haben sich auf dem Rathaus in Calw zu stellen:

1) am Samstag, den 18. Juni 1892,

Morgens 7'/- Uhr,

a. diejenigen Militärpflichtigen, welche besonders vorgeladen werden,

b. diejenigen Pflichtigen, für welche um Zurück­stellung wegen häuslicher Verhältnisse nachgesucht wird, was nicht ausschliestlich mündlich geschehen kann. Diese haben sich mit ihren die Reklamation veran­lassenden Angehörigen (Eltern, Großeltern, Geschwister rc.) einzufinden. Anträge auf Zurückstellung oder Be­freiung von der Aushebung sind spätestens am Aus­hebungstermin zu stellen. Reklamationen, welche etwa deßhalb erst angebracht werden wollen, weil voraus­gesetzt wurde, der Reklamierte werde als nicht ein­stellungsfähig erfunden, sind aussichtslos.

o. diejenigen Pflichtigen, welche bei der Musterung als dauernd untauglich bezeichnet oder zur Ersatz­reserve und zum Landsturm I vorgeschlagen wor­den sind.

(Diejenigen, welche bei der Musterung als augenscheinlich untauglich bezeichnet, sowie die­jenigen, welche von der Ersatzkommission aus irgend einem Grund zurückgestellt worden sind, haben nicht zu erscheinen.)

2) am Montag, den 2V. Juni 1892,

Morgens 2"/- Uhr,

sämmtliche im Oberamtsbezirk Calw sich aufhaltende Militärpflichtige der Jahrgänge 1870, 1871 und 1872, welche bei der diesjährigen Musterung für tauglich

erklärt wurden oder Heuer noch nirgends gemustert worden sind; ferner Angehörige früherer Jahrgänge, über welche eine endgiltige Entscheidung noch nicht getroffen wurde.

Die Ortsvorsteher werden beauftragt, die Ge­stellungspflichtigen sofort auf die genannten Zeiten unter Belehrung über die Folgen des Ungehorsams (S 26, Ziff. 7 der Wehrordnung) vorzuladen und sie anzuweisen, ihre Loosungsscheine mitzubringen. Die Vorladung hat gegen unterschriftliche Eröffnungs­bescheinigung zu geschehen; die Eröffnungsurkunden sind längstens bis 10. Juni d. I. hieher vor­zulegen.

Bei der Vorladung sind die Pflichtigen zur Reinlichkeit am Körper und in der Wäsche anzuweisen und insbesondere diejenigen, welche an Schwerhörig­keit leiden, zur gründlichen Reinigung der Ohren an­zuhalten ; auch sind sie auf die Bestimmung des Z 65, Ziff. 3 der Wehrordnung, wornach jeder Versuch zur Täuschung gerichtlich bestraft wird, sowie auf Z 71, Ziff. 7 und Z 72, Ziff. 3 der Wehrordnung auf­merksam zu machen, welche bestimmen, daß die Ent­scheidungen der Oberersatzkommission endgiltig sind und daß jeder in den Grund-Listen des Aushebungs­bezirks aufgeführte Militärpflichtige berechtigt ist, im Aushebungstermin zu erscheinen und der Oberersatz­kommission etwaige Anliegen vorzutragen. Ferner sind die Pflichtigen darauf hinzuweisen, daß die Vor­stellung vor der Oberersatzkommission nicht nach der Reihenfolge der Gemeinden erfolgt, daß vielmehr jeder von Anfang an sich bereit zu halten hat, widrigen­falls er Strafe und Einreihung ohne Rücksicht auf seine Loosnummer zu erwarten hat.

Militärpflichtige, welche ihren Aufent­halt in einem andern Aushebungsbezirk haben,

müssen sich in dem Aushebungsbezirk ihres Aufenthaltsorts zur Aushebung stellen. Schein­verzüge haben die Ortsvorsteher sofort hieher an­zuzeigen. Im Falle des Scheinverzugs wird der be­treffende Pflichtige selbst nach der Aushebung noch nach dem richtigen Aushebezirk überwiesen.

Vorstrafen der Militärpflichtigen sind, soweit dieß noch nicht geschehen ist, ohne Verzug hieher an­zuzeigen, ebenso ortskundige Fehler einzelner Militär­pflichtiger (z. B. geistige Beschränktheit, Epilepsie rc.)

Da mit Rücksicht auf Familienverhältnisie nie­mals ein Pflichtiger zum Train bestimmt wird, so will die Oberersatzkommission beim Aushebungsgeschäst mit Gesuchen um Zutheilung zum Train mit kurzer Ausbildung verschont sein.

Die Stammrollen von 1890, 1891, 1892 ohne Beilagen, sowie die Geburtsliste von 1892 sind spätestens bis 10. Juni d. Js. hieher vorzulegen.

Der Civilvorsitzende der Ersatzkommission: Schönmann A.-V.

Tages-Ueuigkeiten.

:: Calw. Morgen Mittwoch, den 15. Juni, vormittags 11 Uhr, findet in der Stadtkirche aus Anlaß einer Lehrerconferenz eine musikalische Auf­führung statt, in welcher Männerchöre des Lehrer­gesangvereins, Orgelstücke und Kinderchöre zum Vor­trag kommen werden. Der Ertrag des Konzerts ist zum Besten der Schullehrerwitwenkasie bestimmt. Freunde der ernsten Musik werden ergebenst ein­geladen. Das Programm findet sich im Inseratenteil.

^ Liebenzell, 10. Juni. Ein schönes Fest

6 H 1^ 6 1 H n, Nachdruck »erb»ten.

Dolorosa.

Roman von A. Wilson. Deutsch von A. Geisel.

(Fortsetzung.)

Mit tiefemMitleide blickte der Pfarrer auf diejungeFrau, während er ernst sagte:

Bevor ich auf Ihre leidenschaftliche Bitte, Ihnen das Dokument auszufolgen, näher eingche, muß ich wissen, weshalb Sie dies Ansinnen stellen. Als verordneter Diener des göttlichen Wortes muH ich doppelt vorsichtig sein, um nicht das Verschulden auf mich zu laden, einer Täuschung, wenn gar einem Verbrechen Vorschub geleistet zu haben."

Das eben noch marmorbleiche Gesicht der jungen Frau überzog sich mit glühender Röte.

Welchen Verbrechens verdächtigen oder beschuldigen Sie mich, Herr Pfarrer?" fragte sie, sich zu ihrer vollen Höhe aufrichtend, mit blitzenden Augen.

Ich habe Sie weder verdächtigt noch beschuldigt; ich bitte Sie nur um Dar­legung der Gründe, welche Ihr Verlangen veranlaßt haben."

»Ich bedarf jenes Dokuments, es ist der einzige Beweis meiner Heirat. Die Leiden Zeugen, welche der Ceremonie beiwohnten, sind tot, meine Großmutter starb vor drei Jahren auf der Reise nach Kalifornien und der andere Zeuge, Herbert Andre, ein Studiengenosse meines Gatten verunglückte im vorigen Sommer mit einer Fischerbarke an der Küste von Grönland."

Und der dritte Zeuge bin ich," sagte der Pfarrer ernst,mein Zeugnis kann jederzeit abgegeben werden."

Und wenn ich mich darauf verlasse, kann es geschehen, daß der Tod Ihre Lippm in dem Augenblick, da Sie die wichtigen Worte sprechen sollen, schließt; das Unglück verfolgt mich und würde mich schließlich um den Preis betrügen."

So sagen Sie mir offen, was Sie mit dem Dokument Vorhaben."

Ich will es behüten ünd bewahren wie meinen Augapfel und wenn die Zeit gekommen ist, soll es mich retten und mich rächen."

Sie sagten, Sie wollten Ihre Heirat beweisen wer bestreitet dieselbe?"

Robert Douglas sowohl wie sein Vater."

Unmöglich welche Gründe könnte der Vater geltend machen?"

Beide behaupten, Robert sei noch minorenn, folglich unfähig gewesen, eine Heirat zu schließen und die Licenz müsse gefälscht gewesen sein."

Mein Gott wo ist denn Ihr Gatte?"

Ich habe keinen Gatten! Der Mann, der mich moralisch mit den Füßen ge­treten, mich verlassen und verstoßen hat, verdient den Namen nicht! Und nicht genug damit, daß er mir Glück und Frieden geraubt auch meinen guten Namen tastet er an. Kaum vier Wochen nach unserer Trauung ward Robert durch ein Telegramm seines Vaters nach Hause berufen und seitdem habe ich ihn nicht wieder erblickt. Vater und Sohn reisten nach Europa und dort gelang es dem General Douglas, seinen Sohn dazu bestimmen, eine neue Ehe einzugehen!"

Hier hielt die junge Frau erschöpft inne; die Hand auf das wild pochende Herz gepreßt, rang sie nach Atem und der Geistliche beeilte sich. ihr einen Schluck Wasser an die Lippen zu hatten. Sie trank einige Tropfen, der Pfarrer streichelte mitleidig das blaffe Gesicht, welches das goldene Haargespinnst umwallte und flüsterte ergriffen:Armes, armes Kind Gott helfe Ihnen!"

Einen dankbaren Blick auf Doktor Hargrove werfend, fuhr die junge Frau fort:

Ich war ja nur das arme verwüste kleine Mädchen, dessen Großmutter für die Pensionäre des Gymnasialdirecktors wusch und flickte Niemand erachtete eS der Mühe wert, nach den Gefühlen Minnie Douglas' zu fragen. Die zweite Gattin Robert'« dagegen ist die Tochter eines reichen Banquiers, und wenn sie sich an der Seite ihre» Gatten im Boi» de Boulogne zeigt, ahnt Niemand und sie selbst ebenso