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'das erlauchte Fürstenhaus Ausdruck zu geben. Genau zur festgesetzten Zeit vormittags 11.05 Uhr fuhr der K. Sonderzug unter Kanonendonner und Glocken­geläut« in den Bahnhof ein. Nachdem die Maje­stäten, in deren Gefolge sich die Herren Oberhof­marschall Frhr. v. Wöllwarth, Flügeladjutant Oberst v. Matter, Kammerherr Frhr. v. Raßler und die Hofdame Ihrer Majestät Freiin v. Süßkind befanden, auf dem Perron erschienen waren, wurden sie dort zunächst von dem K. Badkommissär Oberst v. Karaß und dem Stadtschultheißen Bätzner ehrfurchtsvoll begrüßt. Letzterer, an der Spitze der bürgerlichen Kollegien und des Krieger- und Militärvereins er­schienen, führte aus: Es werde der Stadt Wildbad heute die hohe Ehre des Besuchs Ihrer Majestäten zu teil; er heiße Dieselben herzlich willkommen im Namen der Stadt und gebe gleichzeitig der Freude Ausdruck, welche die ganze Einwohnerschaft in Folge dieses Besuches erfülle. Seine Majestät der König erwiederte darauf mit Worten herzlichen Dankes für den freundlichen Empfang und sprach Seine Freude darüber aus, daß es ihm vergönnt sei, wieder einige Stunden in dem schönen Wildbad verweilen zu können. Als die Allerhöchsten Herr­schaften auf dem Perron bei dem hiesigen Krieger­und Militärverein anlangten, brachte der Vorstand des Kriegervereins, Herr Schweizer, ein dreimaliges Hoch auf das Königspaar aus. Im Wartesaal des Bahnhofs brachten Regierungspräsident v. Luz aus Reutlingen und die Bezirksbeamten von Neuenbürg dem Königspaar ihre Huldigung dar. Alsdann wurden die Kgl. Wagen bestiegen und nun fuhren Ihre Majestäten durch die Feststraße direkt nach dem neuen mit württembergischen und lippe'schen Fahnen ge­schmückten Badgebäude, am Eingang empfangen von Sr. Exzellenz dem Staatsminister der Finanzen Dr. von Riecke und dem Erbauer des Hauses, Baurat Berner. Von diesen geleitet, begaben sich Ihre Majestäten zunächst nach dem im ersten Stock gelegenen großen Kuppelsaal, wo sich mit den direkten Vorgesetzten und den Beamten der Badverwaltung die geladenen Gäste aufgestellt hatten. Auf die Worte des Staatsministers der Finanzen Dr. v. Riecke an den König, nachdem Allerhöchstdieselben mit der Königin und dem Gefolge in den Saal eingetreten waren, geruhten Seine Majestät der König darauf zu erwiedern: Mit der Bitte zu Gott, daß der Segen von oben dem Neuen Bad nicht fehlen möge, erkläre Ich dasselbe hiemit für eröffnet. Um 1'/- Uhr begann das Festmahl im Kgl. Badhotel. Bei der Tafel brachte der Staatsminister der Finanzen Dr. v. Riecke auf Ihre Königlichen Majestäten einen Trinkspruch aus, in welchem nach dem unterthänigsten Dank für die gnädige Teilnahme beider Majestäten an der heutigen Feier gesagt wurde, der Besuch des Königs habe zunächst der Eröffnung des noch von König Karl ins Leben gerufenen Neuen Bades ge­golten. Ein edles Bauwerk, würdig des erlauchten Namens seines Begründers erhebe sich das neue Bad.

Eine schönere Weihe habe dasselbe nicht erhalten können, als sie ihm heute durch das Erscheinen beider Majestäten zu teil geworden sei. Der schöne Land­strich, welchen Allerhöchstdieselben heute von Neuen­bürg an durchfahren haben, mit seinen grünen Matten, zwischen hochragenden Wäldern, an freundlichen Wohn- plätzen vorüber, herauf an der goldbraunen, munteren und, kann ich beifügen, fleißigen Enz, gehört zu den frühesten Besitzungen des erlauchten Regentenhauses, und als der Name der Stadt Wildbad vor mehr als einem halben Jahrtausend zum erstenmal in der Ge­schichte genannt wird, geschieht es aus Anlaß eines Besuchs des Grafen Eberhard des Greiners, des alten Rauschebart. Wenn wir dann dort weiter lesen, wie den Grafen vor einem drohenden feindlichen Ueberfall ein armer Hirte dieses Thals warnt und rettet, indem er ihnauf geheimen Wegen, die noch kein Mensch betrat", über die Berge geleitet, so wirft diese einfache schlichte Erzählung doch ein Helles Licht auf das innige Verhältnis, wie es im Württemberger Land damals schon zwischen Fürst und Volk bestand und Gott Lob und Dank heute noch fortbesteht, nicht bloßin Fährden und in Nöten", sondern auch in den Tagen des Glücks und der Freude. Ja, fest wie der Granit, auf welchen dieses Haus sich gründet, steht die Treue, rein und warm, wie hier das Wasser den Felsen durchbricht, quillt die Liebe aus dem Herzen des Volkes hervor zu dem angestammten Fürstenhause, zu Euren Königlichen Majestäten. Gestatten Eure Königliche Majestät, daß ich meine Tischgenossen, Eurer Königlichen Majestät hier ver­sammelte getreue Unterthanen, auffordere, eingedenk des alten Wahlspruchs: Hie gut Württemberg all- wege, einzustimmen in den Ruf: Unser in Ehrfurcht geliebtes Königspaar, Seine Majestät der König Wilhelm II., Ihre Majestät die Königin Charlotte, Sie leben hoch! Seine Majestät der König geruhten darauf unmittelbar etwa Folgendes zu erwidern: Allerhöchst­dieselben danken zugleich im Namen der Königin für die eben vernommenen freundlichen Worte und die darin und von sämtlichen Anwesenden kundgegebenen treuen Gesinnungen. Von Herzen wünsche der König, daß das neue König-Karlsbad zu einem Segen werden möge für die vielen Leidenden, welche hier Hilfe und Linderung suchen. Mit Recht habe der Herr Minister, vielfach anknüpfend an die Worte des vaterländischen Dichters, der alten Beziehungen gedacht, welche bis in eine graue Vorzeit hinauf zwischen den erlauchten Ahnen des Königshauses und Wildbad, wie auch dem Bezirk Neuenbürg bestehen. Dieselbe Fürsorge, wie jene, gedenke auch Er diesen schönen Landesteilen zu widmen und zu bewahren. In solchem Sinne bringe der König mit seinen besten Wünschen für ihr ferneres Gedeihen Sein Glas und Sein Hoch dem Bezirk Neuenbürg und der Stadt Wildbad. Nach der Tafel wurde auf der Terasse vor dem oberen Konversations­saal der Kaffee eingenommen; im Saal selbst hatte sich der Liederkranz aufgestellt und trug einige Lieder vor. Ihre Majestäten ließen sich nun die geladenen

treuen Krankenwärter an, dabei aber irrten ihre Augen suchend im Zimmer umher, und als sie gefunden, wonach sie gesucht, da streckte sie dem Rheder beide durchsichtig weißen Hände entgegen und ihre heißen Lippen flüsterten innig:Wie gut Du bist bitte komme, daß ich Dir danken kann."

Der Rheder trat an ihr Bett und sagte zwischen Rührung und Verlegenheit kämvfend:Den besten Dank verdienen Graf Fabrie und Tante Ursula, so ein alter ungeschickter Seebär, wie ich, kann an einem Krankenbett nicht viel nützen!"

Sie streifte mit einem seelenvollen Blick den Geliebten, aber ihre Lippen küßten mit überströmender Innigkeit die harten rauhen Hände ihres Verlobten.

Er entzog sie ihr hastig und fuhr mit der Rechten über die Augen.Kleine Schmeichelkatze!" sagte er, indem unbewußt schwere Thränen in seinen Bart rollten. Werde nur wieder gesund, das ist der beste Dank!"

Aber sie wurde nicht gesund. Ihre Fieberphantasien kehrten immer wieder. Sie gaben ihrer Umgebung einen traurig klaren Einblick in ihre harten Seelen­kämpfe. Man sah in diesen, wie Dankbarkeit für den Einen und Liebe für den Andern in schwerer Fehde lagen und ihr redliches Herz sich dagegen sträubte, den Siegespreis der Liebe zuzusprechen.

Was half es dem Rheder, daß er ihr diesen Kampf zu erleichtern gewünscht, indem er selbst Graf Fabrie einen Einblick in den Zustand ihres Herzens gewährt, ihn an Mona's Krankenlager geführt? Seine Selbstverleugnung hatte ihr zartbe­saitetes Gewissen in einen noch heftigeren Konflikt gebracht, dem sie körperlich zu er­liegen drohte. Dabei kam der Name Campelia immer wieder über ihre fiebernden Lippen und machten zuletzt auch den Rheder stutzig. Sollte wirklich dieser Ratten­fänger mit seinem Spiele einen bleibenden, nicht fortzulöschendcn Eindruck auf ihr Gemüt ausgeübt haben? War in diesem Wirrsal ihres Geistes und Herzens der Tod vielleicht die einzige, die beste Lösung?

Niemand schien seit jenem Konzertabend darauf geachtet zu haben, wie die

Gäste vorstellen und verweilten in lebhafter Unter­haltung mit einzelnen derselben. Inzwischen war aber die Zeit zur Abfahrt herangekommen und um 4 Uhr 15 Min. verließen Ihre Majestäten, wieder von dem. zahlreichen Volke ehrfurchtsvoll begrüßt, unsere Stadt.

Freudenstadt, 27. Mai. In Schöne^ gründ brach gestern Abend in der Wirtschaft z. Linde Feuer aus, welche samt einem daneben befindlichen Wohngebäude abbrannte. Der Schaden ist bedeutend. Die Entstehungsursache des Brandes ist bis jetzt un­bekannt und Untersuchung eingeleitet.

Tübingen. Als vor 9 Jahren am Pfingst­montage die ehemaligen Angehörigen der früheren württembergischen Jägerbataillone in Heilbronn sich zu einer ersten Versammlung zusammenfanden, gab es viefach freudig bewegte Auftritte, wenn sich alte Kriegskameraden so unverhofft wieder fanden, aber auch sehr bewegte, bei Nachfrage nach lieben Freunden die inzwischen zur großen Armee einberufen worden waren. An diesem Tage wurde beschlossen, alle 10 Jahre eine Zusammenkunft zu veranstalten. Da nun aber im nächsten Jahre der württ. Bundestag der Kriegervereine rc. stattfindet, so soll diese Ver­einigung am Pfingstmontag, den 6. Juni c. in Tübingen stattfinden. Nach den bis jetzt eingelaufenen Anmeldungen, läßt sich eine große Beteiligung hoffen, um so mehr, als der Festausschuß alles gethan hat, um den Teilnehmern die Stunden des kameradschaft­lichen Zusammenseins zu genußreichen zu gestalten.

Reutlingen, 26. Mai. Diesen Abend übten sich in der Nähe des städtischen Krankenhauses, an dem ein beliebter Spazierweg vorüberführt, einige junge Leute im Schießen mit Zimmerflinten. Einer der Jünglinge brachte einem in Begleitung seiner Angehörigen sich ergehenden 3jährigen Mädchen eine solch schwere Schußwunde am Hinterkopfe bei, daß der herbeigerufene Arzt das Leben des Kindes ge­fährdet erachtet.

Die Bahn von Reutlingen nach Honau wird am Donnerstag, den 2. Juni, eröffnet. ^

Heilbronn, 27. Mai. Ledermarkt. Die Erwartungen an die Frequenz eines Maimarktes, der in der Regel sonst recht stark befahren zu sein pflegt, haben sich nur unvollständig erfüllt, denn die Zufuhren sind hinter dem vorjährigen wesentlich zurückgeblieben. Auch das Ausbleiben vieler Käufer hat das Geschäft, ungünstig beeinflußt, welches sich im Allgemeinen nur langsam entwickelte, schließlich aber bis auf wenige Posten mit der vollständigen Räumung des Marktes endete. Freilich mußten seitens der Produzenten, welche in der Regel am Maimarkte mit Rücksicht auf die Rinden-Ernte ihre vorhandenen Bestände gerne realisieren, teilweise Preis-Conzessionen gemacht werden. Gute Wildleder fanden willig Nehmer und waren preishaltend, geringere Sortimente, worunter auch viel­fach mangelhafte Trocknungen, waren vernachlässigt. Kalbleder war stark angeboten und in besserer Ware bevorzugt, dagegen mußten geringere Sorten

Geige Campella's verstummt und nur daß er noch düsterer, noch einsilbiger als bis­her umherging, war seinen näheren Bekannten ausgefallen. Selbstverständlich brachten sie es mit jenem Abend und Monäs Ohnmacht und Erkrankung in Zusammenhang. Sie ist in Wahrheitdie Hexe Lorelei", raisonnierten die Klatschsüchtigen.Sie lockt Jeden in ihre Netze und es ist ein Glück, daß man sich von solcher Person ferngehalten hat", pflichtete die Frau Rechtsanwalt denselben bei.

Oder daß sie es gethan. Immer hübsch logisch, mein Kind," wies sie ihr Mann scherzend zurechtGestehe nur, Frauchen, daß Dich die Maiblume, wie Du sie selbst getauft hast, außerordentlich interessiert hat."

Warum soll ich leugnen, daß sie mir nach ihrem Aeußeren gefallen hat," gab seine Frau lebhaft zu.Traurig genug, daß sie mit ihrem hübschen Lärvchen alle Welt täuschen kann."

Nun, vielleicht hast Du Dich in diesem nicht getäuscht und sie ist weder eine Hexe Lorelei, noch er ein alter, kurzsichtiger Narr; sondern sie ist vernünftig und brav genug, einen alten Mann mit ehrlicher Werbung einem Dngen mit schönen glatten Worten vorzuziehen."

Campella selbst wußte sich vielleicht am Klarsten Rechenschaft zu geben, was ihn so ganz besonders an Mona angezogen hatte. Er brauchte nur zurück zu greifen in eine Periode sonnigen Glücks in seinem Leben. Wie lebendig stand diese vor seiner Seele, wie erschütternd alle die Eindrücke, die dieser gefolgt, trotzdem zwei Dezennien darüber hingegangcn, trotzdem aus dem damals lebensfrohen Jüngling ein früh gealterter Mann geworden. Zwar wies seine äußere Erscheinung wenig von den furchtbaren Seelenkämpfen auf, die sein Inneres durchwühlten, zwar war seine hohe Gestalt noch ungebeugt, sein blondes Haar nur von wenigen Silberfäden durchzogen, aber er selbst allein wußte, welche kranke, müde Seele in dieser körper­lich-kräftigen Hülle wohnte und daß, was das heißgeliebte Ebenbild Mona's ihm. gewesen niemals mehr ein anderes werde« konnte. (Forts, folgt.)