Umschau

Der Reichstag hat in dieser Woche seine durch die Pfingstpause unterbrochenen Arbeiten ausgenommen. Eine Fülle großer und weittragender politischer und wirtschaft­licher Fragen sehen ihrer Lösung entgegen, und der Reichs­tag wird ziemlich ununterbrochen ürgen müssen, wenn er auch nur einen kleinen Teil des ihm von der Reichsregie-» rung vorgelegten Arbeitspensums endgültig erledigen will. Dabei ist eine Reihe von Regierungsvorlagen, deren Be­handlung man erwartete, bisher noch nicht einmal vom Reichskabinett verabschiedet wurden. Das gilt insbesondere von dem großen kulturpolitischen Problem, dessen Lösung man von der jetzigen Regierungskoalition erwartet, dem Reichsschulgcsetz. Man darf wohl annehmen, daß der Neichs- innenminister, wenn die vor dem Abschluß stehende Vorlage fertiggestellt ist, eine Konferenz der Kultusminister sämtli­cher Länder cinberufen wird, um ihre Ansicht zu hören, noch ehe die Vorlage dem Rcichsrat und dem Reichstag zugeht. Eine endgültige Verabschiedung des Neichsschulgesetzes noch in dieser Session ist also nicht zu erwarten. Schnelle Er­ledigung heischt jedoch eine andere wichtige Vorlage, die Ver­längerung des geltenden deutschen Zolltarifs, der am 30. ds. Mts. seine gesetzliche Gültigkeit verliert. Um diese Frage werden sich zweifellos heftige parlamentarische Kämpfe ent­wickeln. Und noch ein anderes wichtiges Gesetz läuft am 30. Juni ab, das Mieterschutzgesctz, mit dem sich gleichfalls der Reichstag zu beschäftigen haben wird. Das Reichsrah- * mengesetz für die Realsteuern, mit dem Reichsfinanzminister Köhler eine großzügige Reform des gesamten Steuerverfah­rens beabsichtigt, ist bereits dem Reichstag zugegangen und wird vermutlich sehr bald dem Steueransschuh zur materiel­len Beratung überwiesen werden. Auf sozialpolitischem Ge­biet harrt das Arbeitslosenversichernngsgesetz, mit dem sich der sozialpolitische Ausschuß seit einer Woche wieder in ein­gehenden Beratungen beschäftigt, gleichfalls der Erledigung. Schon diese kurze Aufzählung zeigt zur Genüge, daß der Reichstag in den wenigen Wochen, die ihm zur Verfügung stehen, eine Menge Arbeit zu leisten hat.

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Mit der Erhöhung des Reichsbankdiskonts von 5 auf 6 Prozent, die der ZentralauSschnß der Reichsbank beschlossen hat, ist ein weiterer und hoffentlich einstweilen der letzte Schritt auf dem Wege zum Ausgleich zwischen RcichSbankstatus und Wirtschaftslage getan worden. Der erste Schritt war die seinerzeit von den Großbanken vorge- nommcne Kreditbestriktion auf Veranlassung der Neichs- bankleitung. Es folgte eine etwas erfreulichere Maßnahme, die Aussicht auf Befreiung der produktiven Ausländsanlei­hen von der Kapitalertragsstener, und den Abschluß bildet nun die Heranfsetzung der offiziellen Bankratc. Der brei­ten Öffentlichkeit ist das Ausmaß der Erhöhung, das in der Tat, an der Vorkriegszeit gemessen, ungewöhnlich ist, überraschend. Zur Erklärung kann vielleicht die Tatsache dienen, daß man in Deutschland vielfach auf eine Senkung der englischen Bankrate gerechnet hatte, die aber nicht ein­getreten ist. Infolgedessen hat offenbar die Neichsbanklei- tnng geglaubt, dem Auslandskapital für die Anlage in Deutschland einen besonderen Anreiz durch eine verhältnis­mäßig große Erhöhung des Diskontsatzes geben zu müssen. Rückschauend darf man sagen, daß alle erwähnten Maßnah­men zur Stützung und Besserung des deutschen Kapitalmark­tes einzeln gesehen unbedingt richtig waren, trotz der An­

griffe, denen namentlich die Krediteinschrünkung begegnet ist. Es fragt sich allerdings, ob sie in der richtigen Weise und in der richtigen Reihenfolge zur Anwendung gelangten. Vor verhältnismäßig kurzer Zeit hat Dr. Schacht die Kredit- üestriktivnSpvlttik damit verteidigt, daß er meinte, eine Her- aussctzung der Banlrate sei volkswirtschaftlich unerwünscht, da sie die Produktion verteure. Au sich ist das richtig, die Entwicklung ist aber über den guten Willen des Neichsbank- prüsidcnten hinweggegangen. Es zeigt sich nun, daß die Her- aufsetzuug des NeichsbankdiskvutS unvermeidlich war. Hätte mau sich zu ihr eher entschlossen, dann wäre sie vielleicht ein Waruungssigual gewesen, das genügt hätte, die Spekulation zur Einschränkung und zum Abbau ihrer Engagements zu veranlassen. Ohne Zweifel wären dann so rigorosp Maß­nahmen, wie sie an den Liquidationstermincn des Mai vor­genommen werden mußten, nicht nötig gewesen. Es ist zu hoffen, daß Herr Dr. Schacht für die Zukunft ans den Vor­gängen der letzten Wochen lernt und einsieht, daß eine zur rechten Zeit vorgeno .mene Diskonterhöhung besser ist, ls Gemaltmaßnahmen, die, auch wenn sic nicht gegen die pro­duktive Wirtschaft gerichtet sind, diese doch empfindlich trci- fen können.

Moskau und die Genfer Verhandlungen

TN Riga, 17. Juni. Wie ans Moskau gemeldet wird, gibt die Somjetpresse ihrer Ansicht über den Verlauf der Genfer Tagung Ausdruck. Die gegenwärtige Tagung habe die politische Spannung in Europa nur verstärkt und bewie­sen, daß der Völkerbund machtlos sei. Der Geist von Thoiry sei endgültig erledigt. Die Antisowjetfrvnt könne trotz der Bemühungen Englands nicht znstandekommen.

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Neue ruffische Vorstellungen in Warschau

TN Warschau, 17. Juni. Wie aus gut unterrichteter Moskauer Quelle gemeldet wird, hat Litwinow den russi­schen Geschäftsträger in Warschau, Ulianow, telegraphisch angewiesen, von der polnischen Negierung eine Antwort auf die letzte russische Note zu fordern. Ulianow wird wahr­scheinlich heute im polnischen Außenministerium wegen der letzten Ereignisse vorstellig werden.

Zuspitzung

der russisch-französischen Beziehungen?

TU. London, 17. Juni. Der diplomatische Korrespon­dent des Daily Telegraph glaubt guten Grund zu der An­nahme zu haben, daß trotz des Widerstandes Briands und gewisser französischer Linkskreise gegen einen vollständigen Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und Moskau der gegenwärtig in Paris weilende französische Botschafter in Moskau Herbette nicht auf seinen Moskauer Posten zurückkehrcn würde und seine Geschäfte von einem Geschäftsträger verwaltet werden würden. Erwartet werde ferner, daß der Sowjetbotschafter in Paris, Nakowski, nicht mehr lange dort verbleiben werde.

Der Dauerkonflikt im Balkan

Neue Intervention der Mächte in Belgrad und Tirana.

TU London, 17. Juni. Die britische, französische und italienische Negierung haben, wie der diplomatische Korre­spondent desDaily Telegraph" berichtet, ihre Vertreter in Belgrad und Tirana erneut angewiesen, bet den Regie­

rungen der beiden Länder auf ein sofortiges Kompromiß hinznwirken. Angesichts der Zurückziehung des albanischen Vertreters in Belgrad betrachteten die Großmächte eine Vermittlung nunmehr als eine äußerst dringende Angele­genheit ,da sie nach wie vor einer Behandlung des Konflikts durch den Völkerbund abgeneigt seien. Das vvrgeschlagcne Kompromiß sehe eine Zurückziehung der scharfen südslawi­schen Note an Albanien, sowie einen formellen Verzicht Albaniens auf Gefangcnhaltnng des Dragomans der süd­slawischen Gesandtschaft in Tirana vor.

Kleine politische Nachrichten

Verhandlungen über die endgültige Reparationssumme? Das Berliner Tageblatt gibt eine Aenßernng des Mitschöp. fers des DaweSplans, Owen Aoung, wieder, der erklärt haben soll, daß das Reparationsproblem sich auf dem Wege znr endgültigen Lösung befinde. Das Blatt hält es im Anschluß an diese Meldung für möglich, daß ein Gedanken­austausch über die endgültige deutsche Neparationsschuld jetzt schon zustande kommt.

Erneute Vorstellungen der Wirtschastsverbändc gegen die Postgebührcncrhöhnng. Die Spitzenverbände der Deutschen Unternehmerwirtschaft bitten den Reichspostmintsterin letzten Stunde nochmals dringend, von neuer Be­lastung der Volkswirtschaft durch ckeplaute Gebührenerhöh- uugen nach Möglichkeit abzusehen. Auch die vom Arbeits­ausschuß des Verwaltungsrats beschlossenen Milderungen der Vorlage machen die Gesamtheit der geplanten Maß­nahmen keineswegs erträglich. Für ganz unerträglich wird vor allem das Ausmaß der Briefportoerhöhnng sowie die Erhöhung der Drucksachengebtthr gehalten."

Dr. von Dreibeck bayerischer Finanzministcr. Das bayc. rische Gesamtministerium hat beschlossen, den Staatsrat im Finanzministerium Dr. von Dreibeck mit der Führung des Finanzministeriums zu betrauen.

Das Memelgebiet znm Genfer Kompromis. Trotz der Genfer Einigung zwischen Dr. Stresemann und Wolde- maras, die im Memclgebiet mit Befriedigung ausgenommen worden ist, herrscht noch in weiten memellänöischen Kreisen über die Verwirklichung der litauischen Versprechungen große Skepsis. Man will erst Taten sehen, nachdem litau­ische Versprechungen so oft'nur leere Worte geblieben sind.

Schluß der internationalen Arbeitskonfcreuz. Die inter­nationale Arbcitskonfcrcnz in Genf hat ihren Abschluß ge­funden. In der Schlußansprache drückte der Präsident sein lebhaftes Bedauern darüber aus, daß es nicht gelungen sei, auf dem Gebiete der syndikalen Gewcrkschaftsfreiheit zu einem Ergebnis zu gelangen. Er hoffe jedoch, baß es mög­lich sein werde, in Zukunft die außerordentlich schwierige Frage zu lösen.

Eine Völkerbnndsanleihe für Griechenland? Das be­sondere Komitee des Völkerbundrates für die griechischen Finanzen hat beschlossen, dem Vülkerbnndsrat die Annahme einer Anleihe von 9 Millionen Pfund Sterling für Grie­chenland zu empfehlen.

Rund 89 Millionen Dollar an Amerika zuriickgczahlt.' Wie aus Washington gemeldet wird, sind von ausländischen Regierungen in Erfüllung der Schuldenverpflichtungen bis­her 88 988 931 Dollar an das amerikanische Schatzamt ge­zahlt worden. Davon OS 575 Mill. von Großbritannien und 10 Millionen von Frankreich.

Vor» I-edei» tzeketrt

s komsn von 1.Z ckn«6er-koersÜ. ÜckcÄÄreckUixkutr 1- Lurchs«ckog Orlcar Heikler. Veräan

(71. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

»Wozu?" kam es eisig. »Sie machen es Ihrer Schwester nur noch schwerer."

..Nein, nein! Ich will ganz vernünftig feinl Sie dürfen mir glauben! Gestatten Sie mlr's doch, Herr Detektiv!"

»Dann meinetwegen, ja! Aber es muß rasch gehen! Meine Zeit ist kostbar!" ->

Walter war schon durch die Tür und die Stufen hinab- gZprungen.

»Trude!"

Er nahm sie in die Arme und drückt« ihren Kopf gegen feine Schulter.

»Sei nicht bange, Trude, ich werde olles für dich tun. Ich Hobe Verbindungen von der Hochschule her. Zu jedem ein­zelnen werde ich lausen, bis ich dich frei habe. Und wenn dann alles nichts nützt, jage Ich mir eine Kugel durch den Kopf."

»Damit würden Sie Ihrer Schwester den denkbar schlech­testen Dienst erweisen," sagte Hellmuth, der dieses Letzte eben noch gehört hatte. »Wer sollte dann Zeugenschaft für sie oblegen, wenn es darauf onkommt, darzutun, was sie zu ihrem Handeln bewogen hat? Das können doch nur Sie! Bleiben Sie also hübsch am Leben, mein lieber Herr von Rommelt, und damit Sie sehen, daß ich kein Unmensch bin, erlaube ich Ihnen, daß Sie bis in einer Stunde in die Hauptpolizei kommen.. Vielleicht gelingt es mir. zu be­wirken. daß man Ihre Schwester auf freiem Fuß läßt!"

,.O bitte, Herr Detektiv! Ich danke Ihnen!"

Walter war darauf und daran, ihm die Hand zu küssen.

Hellmuth wehrte mit einem Lächeln.Tun Sie das lieber Ihrer Schwester," sagte er gütig, »die alles, jür Sie aufs Spiel gesetzt hat." ^

Der junge Mann hob Trudes Gesicht zu sich auf und küßte es leidenschaftlich:Hab' keine Angst, Schwesting," bat er.

Angst? Weshalb?" sagte Hellmuth.Es ist gar keine Veranlassung dazu gegeben. Sie können überzeugt sein, gnädiges Fräulein, daß Ihnen nicht I"s geringste passiert,, so lange sie unter mein .?. Schutze stehen." 4 ^

Der Wagen, den Sanders zurückgeschickt hatte, fuhr eben wieder an den Eingang. Hellmuth öffnete den Schlag und hob Trude in den Fond. Walter drückte nochmals ihr« Hand und preßte feine'Lippen darauf:Auf Wiedersehen» Trude!"

Sie sah ihn an, aber sie fand kein Wort- Dann schloß sie die Augen und lehnte sich in die Polster zurück.

Auf der Hauptpolizei angekommen, ging Hellmuth mit ihr zuerst nach seinem Arbeitszimmer. Er bot ihr einen be­quemen Stuhl und brachte ihr ein Glas Wasser mit Arrak gemischt.

»Sie sind also geständig, Fräulein von Rommelt?" sagte er» vor ihr stehenbleibend.

Ja!" kam es leise. ^ , <

Dann bitte ich Sie, mit mir zu kommen."^^_ , ?

Sie erhob sich und folgte ihm» aber jeder Schritt behütete eine Anstrengung für sie. Er führte sie durch einen dunklen Gong zu einer anderen Tür» klopfte, öffnete dann und ließ sie eintreten. Lautlos klinkte er das Schloß wieder ein.

Trudes Augen starrten weit geöffnet:Bernhard!"

Es war ein Heller Schrei, ganz durchtränkt von Furcht und Schrecken. " ^

Trudel"

Dr. Sanders stand mit dem Rücken gegen das hohe ver­gitterte Fenster und breitete beide Arme nach ihr aus.

Sie kam langsam näher und wandte keinen Blick von ihm. War das der Geliebte, dem sie sich vor vier Jahren verlobt hatte? Dieser ergraute Mann mit dem unsäglich leidenden Ausdruck um Mund und Augen?

Bernhard! Vergib mir!"

Er griff zögernd nach ihr und zog sie an sich-

Trudel Arme Trudel" sagte er und strich behutsam über ihren Scheitel.

Ich bin nicht mehr arm. Du hast mich reich gemacht, da du gekommen, bist." Sie zog seine Hände an ihre Lippen.

»Kind!" bat er verlegen,du hast keine Ursache, diese Hände zu küssen!" ,

Sie umklammerte sie nur noch fester:Sie haben mich sw gepflegt damals»" sagte sie und zog sie von neuem zu ihrem Munde empor,und mir soviel Liebes getan!"

»Soviel Liebes?^ Wenn du sagtest, soviel Leides, dann -wäre es richtiger!" ,

MR«in, soviel Liebes!" beharrte sie, hob ihr Gesicht zu 'ihm auf und suchte und fand nichts mehr, was sie an? früher erinnerte.Bernhard!" schluchzte sie auf. Ihre Hände tasteten nach seinem ergrauten Haar, strichen über sein blasses Gesicht herab und glitten über seine heftig atmende Brust. Sie legte ihre Wange gegen sein Herz? Wie fest es schlägt," stammelte sie leise, s

Aber hoffentlich nicht mehr lange!"

Bernhard!" Sie klammerte sich aufweinend an ihn- 3 ! Warum sagt du das, Bernhard?" 1

Ein schmerzliches Zucken ging um seine Mundwinkels Das fragst du mich, Trude? Drei Jahre nein, drei­hundert Jahre trug ich Schuld und Reue! Weißt du, waSj das heißt?"

Vergib mir!"

Ich habe nichts zu vergeben!" . . ^

»Daß ich dir das angetan hct^e, Bernhard!-' Daß s<Hf mich dir nicht anvertraute damals! Daß ich mich dir nichd zu erkennen gab. Daß dein Haar ergraut ist!^ Und daß du alt geworden bist vor der Zeit!"

Ja, alt," bestätigte er schmerzlich.Wenn man drei- hundert Jahre gelebt hat, Trude, immer in Schmerz und Verzweiflung, dann ist man verbraucht. Es will nimmer gehen. Aber dieser Tag heute, mit dem hat der Himmel alles wettgemacht, was er mir aufgebürdet hatte."

Und ich? Was soll ich ohne dich, Bernhard?" Sle drückte sich enger gegen ihn.

Du wirst glücklich werden, Trude, viel glücklicher, als du es je an meiner Seite geworden wärest."

Nein!" Mit einem heißen bittenden Flehen zu ihm auf­sehend, bettelte sie:Bleib' bei mir! Geh' nicht wieder fort! Ich kann nicht mehr sein ohne dich!"

Was hast du dann bis jetzt getan, Trude, wo du mich nicht hatteM/ - (Fortsetzung folgt.) 4