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Nr. 138
Freitag, den 1?. Juni 1927
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ö 101. Jahrgang
Tages-Spiegel
Magere Ergebnisse in Genf
Keine Einigung in der Räumungsfrage
TU. Genf, 17. Juni. Lon gut informierter alliierter Seite verlautet, daß über die Kontrolle der zerstörten Ost- bcfestigungen eine Einigung zwischen den Außenministern Englands, Frankreichs und Deutschlands dahin erzielt worden sei, daß diese Kontrolle einem neutralen Offizier übertragen werden soll. Die Persönlichkeit dieses militärischen Sachverständigen stehe noch nicht endgültig fest, doch soll eine Einigung hierüber kurz bevorstehen. In der Frage der Beschränkung der- Rheinlandtrnp - pen sollen die Verhandlungen auf diplomatischem Wege nach der Rückkehr der deutschen Delegation von Berlin aus sortgeführt werden. Es handle sich „lediglich" noch um die Zahl, um die die Besatzung herabgesetzt werden solle, während über das Prinzip der Verminderung der .Rheinlandtruppen grundsätzlich völlige Einigung bestehe.
Auf deutscher Seite äußert man sich über den Stand der beiden deutschen Hauptpunkte, Ostbefcstigung und Rheinlandtruppen, vorerst noch völlig zurückhaltend.
Ergänzende Erklärungen der deutschen Delegation TU. Genf, 17. Juni. Von der deutschen Delegation wird zu dem am Mittwoch von ihr veröffentlichten Commu- nigue über die Besprechungen der 6 Mächte darauf hingewiesen, daß der erste Absatz nur eine allgemeine Darstellung der Verhandlungen gebe, da ein Komplex von Fragen zur Erörterung gekommen und ein Abschluß dieser Verhandlungen noch nicht in jeder Beziehung erzielt worden sei.
Es wird weiter darauf hingewicsen, daß die Polizci- fragc keineswegs als neuerlicher Nestpunkt zwischen Deutschland und den Alliierten aufgetaucht sei; es handle sich lediglich um eine Fortsetzung der laufenden Verhandlungen über die noch nicht endgültig erfolgte gesetzliche Regelung in den einzelnen deutschen Ländern. Keineswegs handele cs sich hierbei um die Ausrottung neuer Beschwerden seitens der Alliierten. Diese Frage sei außerdem zum Teil bereits erledigt, da der Hanptansschutz des preußischen Landtags gestern das bezügliche Gesetz angenommen habe.
lieber die Fragen, die in den letzten Verhandlungen der 6 Mächte zur Erörterung gelangt seien, könnten gcgcnwür-. tig keine näheren Angaben gemacht werden, da cs sich um " Fragen handele, die zum Teil von den Negierungen selbst noch einmal geprüft werden müßten und andererseits um Fragen, die noch behandelt werden sollen.
Zum zweiten Teil des Eommnuigues wird darauf hin- gcwiesen, daß es sich hierbei nicht um Deutschland betreffende Fragen, sondern um Maßnahmen der Locarno-Mächte zur Aufrechterhaltung des Friede ns, handele. Aus dem Communignc dürfe jedoch unter keinen Umständen gefolgert werden, daß in den Verhandlungen die Bildung oder die Einleitung einer Front gegen eine andere Macht vorbereitet worden sei. Derartige Absichten seien auf keinen Fall zur Erörterung gelangt. Die Verträge, die Deutschland mit den einzelnen Ländern geschlossen habe, und die es voll aufrecht
erhalte, hinderten es jedoch nicht daran, diese Länder zu kritisieren, wenn sie etwas täten, was zum mindesten nicht als richtig empfunden werde. Das gälte für den Westen ebenso wie für den Osten.
Briand aus Gens abgereist.
TU Berlin, 17. Juni. Wie berichtet wird, hat Briand gestern um die Mittagsstunde Gens verlassen. Sein körperliches Befinden hat sich so verschlechtert, daß er seine Absicht, gestern nachmittag mit Dr. Strefemann zusammenzu- kommcn, nicht mehr ausführen konnte.
Infolge der Abreise Briands haben gestern keine weiteren gemeinsamen Verhandlungen zwischen den Außenministern stattgefunden.
Die Arbeiten des Völkerbundsrats
Be icht Dr. Stresemanns über die Ergebnisse der Wclt- ^ wirtschastskonsercnz
- TU. Genf, 17. Juni. In der gestrigen Sitzung des Völkerbundsrats hat Reichsaußenminister Dr. Strefemann einen längeren Bericht über die Ergebnisse der Weltwirtschaftskonferenz vorgelegt. Auf der Tagesordnung standen 7 Punkte, darunter die armenische, sowie die griechisch- bulgarische Flüchtlingsfürsorge, die Durchführung der internationalen schiedsgerichtlichen Entscheidungen, für die Dr. Strefemann Berichterstatter ist, ferner eine Reihe von Berichten des Völkerbundes auf dem Gebiete der Jugendfürsorge und ein Bericht der Kommission für Intellektuelle Zusammenarbeit.
Der Völkerbundsrat tritt heute vormittag voraussichtlich zu seiner letzten -Sitzung zusammen. In der heutigen Sitzung sollen die Danziger Kommunalanlcihe sowie die Westcrnplattenfrage behandelt werden, worauf der Völker- bnndsrat seine Juni-Tagung abschließen wird.
Deutschland erhält einen Sitz in der Mandats-Kommission
TU Genf, 17. Juni. Der Völkerbundsrat trat gestern nachmittag zu eine- kurzen Gehcimsitzung zusammen, in der der Antrag der deutschen Regierung auf Zusicherung eines Sitzes in der ständigen Mandatskommission des Völkerbundes erörtert wurde. Der Völkerbundsrat beauftragte ohne Debatte den Mandatssckretär des Völkerbundes, den einstimmigen Willen des Völkerbundes der Mandatskommission des Völkerbundes zu übermitteln, einen Sitz für Deutschland in der Mandatskommission zu schaffen.
Die Mandatskommission tritt am 20. Juni zu einer ordentlichen Tagung zusammen und wird sich sodann auf Grund des gestrigen Beschlusses mit der Stellungnahme der Mandatskommission befassen. Da der Völkerbundsrat sich einstimmig für einen Sitz Deutschlands in der Mandatskommission ausgesprochen hat. kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der Völkerbnndsrat im September d^ Zuteilung eines Sitzes an Deutschland in der ständigen Mandatskommission zulasten wird.
Deutsch-russische Besprechungen in Berlin
Eine Deutsche Mahnung.an Rußland
TU Berlin, 17. Juni. Wie die Telunio» erfährt, haben während der Genfer Verhandlungen über das Rußlandpro- blem zwischen dem deutschen Botschafter Graf Broädorff- Rantzau und dem gleichfalls in Berlin weilenden sowjetrussischen Autzenkommissar Tschitscherin, ferner zwischen dem Berliner Sowjetbotschafter KrestinSki und einer höheren Persönlichkeit des Berliner Auswärtigen Amtes freundschaftliche Besprechungen stattgefunden, in denen vonseiten Deutschlands auf den Eindruck hingewiesen worden ist, den die fortgesetzten Erschießungen politischer Gefangener in Sowjetrußlanö und die Mitteilungen über etwaige sowjet- russische ultimative Forderungen an Polen in der übrigen Welt gemacht haben. Gegenüber anderen Darstellungen kann darauf hingewiesen werden, daß es sich hierbei lediglich nm eine von Deutschland freiwillig übernommene Informierung der Sowjetregterung handelt, nicht aber um einen Auftrag der Westmächte. Von sowjetrussischer Seite ist der freundschaftliche Geist dieser Informierung auch anerkannt worden.
Tschitscherin beim Reichskanzler.
Reichskanzler Dr. Marx empfing gestern mittag den russischen Außenminister Tschitscherin, der sich vor seiner Rückreise nach Moskau von der Reichsregierung verabschiedete. Das Reichskabinett wird voraussichtlich heute nachmittag Fragen der Außenpolitik beraten.
Tschitscherin nach Moskau abgcrcist.
Autzenkommissar Tschitscherin hat gestern abend seine Rückreise nach Moskau angetreten. Wie hierzu aus Moskau gemeldet wird, hat die Sowjetregterung Tschitscherin aufgefordert, sich sofort nach Moskau zu begeben, wo er für Samstag erwartet wird. Am nächsten Tage soll eine außerordentliche Sitzung des Rates der Volkskommissare stattfin- ben, in der Tschitscherin über seine Auslandsreise berichten wird. Es heißt, daß er mit dem Ergebnis seiner ausländischen Reise zufrieden sei. Ob Tschitscherin auf seiner Rückreise nach Moskau in Reval oder Riga verweilen wird, ist noch nicht bekannt.
Es bestätigt sich, daß in der Nänmungssrage kein greifbares Ergebnis in Gens erzielt worden ist.
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Durch die gestrige Abreise des erkrankten sranzösischeu Außenministers ans Genf habe« die Miuistcrbesprc- chungen einen «ncrwartet vorzeitigen Abbruch erfahren.
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Die Konferenz der Locarnomächte soll unter Einschluß Japans als ständige Einrichtung bcibchalten werden.
Dr. Strefemann erstattete in der Ratssitzung den Bericht über die Arbeiten der Weltwirtschaftskonscrenz.
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Deutschland hat Rntzland in freundschaftlicher Form auf die Wirkung der Moskauer Hinrichtungen hingewicsen.
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In einer interfraktionelle« Besprechung der Rcgicrnngs- partcie« beim Reichskanzler wurde über die Portocr- höhung und die Verlängerung des Zollprovisorinms beraten.
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Die Ozeanflieger haben sich nach einem Aufenthalt in Frankfurt a. M. gestern mittag nach Hannover begeben.
Verschärfung der russisch-polnischen Spannung
TU. Riga, 17. Juni. In Moskau fanden gestern zahlreiche Straßcndemonstrationen als Protest gegen das Urteil gegen den Wojkow-Mörder statt. Der polnische Gesandte hat besonderen polizeilichen Schutz erhalten. Der in Moskau weilende erste Sekretär der russischen Gesandtschaft in Polen, Arkaöjem, hat sich nach Warschau begeben, um der dortigen russischen Gesandtschaft neue Instruktionen zu überbringcn.
- Litwinow äußerte in einer Unterredung mit dem Moskauer polnischen Gesandten, daß die polnische Negierung einen Fehler begangen habe, indem sie das milde Urteil zugelasten habe. Eine Begnadigung des Mörders zu 15 Jahren Zwangsarbeit sei geneigt, die russisch-polnischen Beziehungen noch mehr zu gefährden.
Um Postgebühren und Zollprovisorium
Interfraktionelle Besprechungen beim Reichskanzler.
TU Berlin, 17. Juni. Am Donnerstag nachmittag hatte der Reichskanzler den interfraktionellen Ausschuß der Koalitionsparteien im Reichstage zu einer Besprechung über di« Postgebührencrhöhung und die Erhöhung der Kartoffelzöllc eingeladen. Zunächst wurde in Gegenwart des Ministers Schätze! die Postgcbührenerhöhung erörtert. Daran schloß sich eine mehrstündige Sitzung, an der Reichsernährungsminister Schiele und Reichsfinanzminister Köhler teilnahmen und in der über die Frage beraten wurde, ob das Zollprovisorium lediglich verlängert oder entsprechend dem Wunsche der Deutschnationalen gleichzeitig eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Zölle, namentlich für Kartoffeln vorgenommen werden soll. Wie verlautet, handelte es sich bisher nur um eine allgemeine Aussprache. Ein Ergebnis wurde nicht festgestellt.
Zur Verlängerung des vorläufige« Zolltarifs
Wie der DHD. aus parlamentarischen Kreisen erfährt, ist bei den Verhandlungen über Beibehaltung der bisherigen Zollerleichteruugen für Lebensmittel in wesentlichen Punkten zwischen den Regierungsparteien bereits eine Einigung erzielt worden. EAie Zollerhöhung kommt nur in drei Fällen in Frage; zunächst ist eine Erhöhung des Weizenzolls, d, h. autonomen Zollsatzes um 50 Pfennig au 5,50 Mark vorgesehen. Weiterhin soll der Bertragszoll süi Kartoffeln eine Erhöhung um 50 Pfennig auf 1 Mark er fahren — von den Landwirten ist eine Erhöhung auf 2 Mi gsfordert worden — während der autonome Kartöffclzoll satz auf 1F0 Mark festgesetzt werden soll, lieber die Fleisch zolle schweben noch Verhandlungen. Der bisher 21 Marl betragende Zoll wird vermutlich auch eine Erhöhung ersah ren. Die letzten Regicrnngsvorschläge liefen auf einci: Satz von 32 Mark hinaus. Vermutlich wird aber der endgültige Satz niedriger sein. Von einer Erhöhung der Zollsätze für Speck und" Schmalz ist bereits Abstand genommen worden. Auch wird die Forderung auf Abschaffung des zollfreien Gefrierfleischkontingents mit 123 000 Tonnen unberücksichtigt bleiben. Es ist vorgesehen, daß die neuen Erhöhungen erst am 1. Oktober d. I. in Kraft treten sollen.