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Begründung des deutschen Reiches. In seinem vor ungefähr '/- Jahr erstatteten 1. Bericht mar Redner bis zum Jahr 1848 gekommen. Nun schilderte er auf Grund der Sybel'schen Darstellung die Nachwehen des Revolutionsjahres, die äußeren europäischen Verwicklungen, welche die deutsche Einigung, namentlich bei dem Charakter eines Friedrich Wilhelm IV. hemmen mußten (Krimkrieg, Neuchateler Frage, italien. Krieg, poln. Revolution), die deutsche Frage als preußische und Verfassungsfrage (Konfliktszeit) und endlich die Lösung der deutschen Frage durch König Wilhelm I. und Bismarck vermittelst des Schwertes durch den schleswig-holsteinischen Krieg 1864 und den deutschen Krieg 1866. Reicher Beifall lohnte den Redner für seine lehrreichen Ausführungen.
Konstanz, 7. Nov. Gestern abend verbreitete sich in der Stadt die Trauerkunde, daß der Direktor und Besitzer der hiesigen Gasfabrik, Herr Raupp, den Tod gesucht habe, indem er sich in den Wasserbehälter eines Gasometers hinabließ. Die Kleider wurden in dem nahen Tannengebüsch gefunden. Herr Raupp hatte im Laufe des letzten Jahres einen neuen Gasometer erstellt, der sich indes in Folge des schlechten Untergrundes und der ungenügenden Fundamentierung bedenklich gesenkt hat. Verletzter Ehrgeiz scheint das Motiv des bedauerlichen Schrittes zu sein. Die Familie des Unglücklichen wird allgemein bedauert.
Honau, 10. Nov. Gegenwärtig weilt Herzog Wilhelm von Urach, Graf von Württemberg, mit einer größeren Jagdgesellschaft auf Burg Lichtenstein. — Nach mehr als 34jähriger Amtsthätigkeit zieht morgen Oberförster Seitz vom Forsthause auf Lichtenstein ab, um in Reutlingen seinen Lebensabend zu verbringen.
München, 11. Nov. Der langjährige Adjutant und vertraute Freund des Prinzregenten, Generaladjutant Frhr. v. Freyschlag ist heute mittag kurz vor 1 Uhr am Herzschlag gestorben. Um 12'/r Uhr hatte er noch eine Besprechung mit dem Generalintendanten Frhrn. v. Perfall. Freyschlag litt an starkem Katarrh, war aber arbeitsfähig und hatte außer heute täglich dem Prinzregenten Vortrag gehalten. Fünf oder 10 Minuten vor seinem Tode hatte er mit dem Redakteur Wettstein, dem Herausgeber der „Wettstein'schen Korrespondenz", noch geplaudert, und ihn beim Weggehen bis zur Thür begleitet. Wenige Augenblicke, nachdem der General die Thür geschlossen, klopfte der Oberstallmeister Graf Holnstein und der Geheimsekretär Nadler an dieselbe, erhielten aber keine Antwort. Sie öffneten endlich und fanden den General zwischen dem Sopha und der den Waschtisch verdeckenden spanischen Wand leblos, mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich liegend. Kein Lebenszeichen war vorhanden. Der sofort herbeigerufene Arzt, Sanitätsrat Dr. Halm, stellte den eingetretenen Tod fest. Die Beamten versichern, zwischen der Zeit, als Freyschlag zuletzt gesehen wurde, und dem eingetretenen Tode seien höchstens drei bis vier Minuten gelegen. Der Prinzregent erfuhr die Botschaft am Nachmittag nach seiner i Rückkehr von der Jagd. Er war tief erschüttert.
München, 12. Nov. Das bayr. Kriegsministerium hat die Abkommandierung von Soldaten, gelernten Schriftsetzern, an Druckereien für Herstellung von Landtagsarbeiten genehmigt.
— Der Deutsche Kaiser hat dem Kapitän und der Besatzung des englischen Postdampfers „Don", welcher kürzlich die Mannschaft der Barke „Hanbold" gerettet hat, drei goldene Uhren und 30 Pf St. geschickt. Der Bürgermeister von Southampton übergab die Auszeichnungen den braven Lebensrettern.
Berlin, 10. Nov. Das Bankgeschäft F. W. Krause und Kompagnie erklärt in den Morgenblättern die Nachricht, daß es liquidieren wolle, für aus der Lust gegriffen. Es ist dies das große Bankhaus in der Leipzigerstraße, bei welchem gestern massenhafte Rückforderungen von Depots stattgefunden haben und von dem deshalb verlautet, daß es in Liquidation gehen wolle. Gestern waren die Bar- und Depositenkaffen der Firma Krause von morgens bis abends von Hunderten von Leuten umlagert, welche entweder ihre deponierten Effekten oder Barguthaben zurückforderten. Als um 5 Uhr die zum Kassenlokal führende Thür geschlossen wurde, sammelte sich eine erregte Menge an, welche durch Schutzleute in Ordnung gehalten werden mußten. Es wurden mehrere Ver
haftungen vorgenommen. Später fuhr die Firma mit der Aushändigung der Depots fort; an barem Gelde soll dieselbe mehr als 3*/- Millionen Mark im Laufe des heutigen Tages zurückgezahlt haben. Die Ansammlung dauerte bis 7 Uhr fort, so daß lediglich deshalb die Bureaux geschlossen wurden. Noch immer hat sich die Aufregung unter der Bevölkerung Berlins nicht gelegt. Es laufen beunruhigende Gerüchte um und man nannte manchen Namen, der als unantastbar gegolten und jetzt an der Schwelle des Ruins stehen sollte. Nicht nur auf Mitteilungen von Zusammenbrüchen beschränkte sich die geschwätzige Fama; auch Gerüchte von Fluchtversuchen, von Verhaftungen und Selbstmord fanden Verbreitung, stießen hier auf Glauben, dort auf Widerspruch und trugen dazu bei, die Nervosität unter den Massen zu erhöhen.
Berlin, 11. Nov. Der Kaiser geht morgen zur Jagd nach Setzlingen, wozu auch Fürst Stolberg-Wernigerode geladen ist, und kehrt am Samstag abend wieder zurück. Bei Eintritt des strengen Winterwetters erfolgt die Uebersiedlung der Kaiserresidenz nach Berlin.
— Anläßlich der 150jährigen Jubelfeier des dortigen Pionierbataillons trifft der Kaiser am 25. November nachmittags 2 Uhr in Torgau ein.
Kalkutta, 10. Nov. Der zur indischen Marine gehörige Dampfer „Enterprise" ist mährend eines heftigen Wirbelsturmes untergegangen. Von der 83 Mann starken Besatzung wurden nur 6 gerettet. Die „Entreprise" war ein eiserner Dampfer von 540 Tonnen und 140 Pferdekräften: Der Cyclon hat auf den Andaman-Jnseln unermeßlichen Schaden angerichtet. Besonders hart wurde die indische Sträflingskolonie betroffen, deren Gebäude meist einstürzten und 60 Sträflinge unter den Trümmern begruben und sofort töteten. 200 andere wurden mehr oder minder verwundet. Auch die Lootsenbrigg „Coleroon" wird vermißt, doch liegt bis jetzt kein Grund zu der Annahme vor, daß sie gleichfalls untergegangen ist.
Uermischtes.
Ein ehrlicher Steuerzahler. Dieser Tage ist bei der Steuerbehörde in Karlsruhe ein mit 1200 ^ beschwerter Brief aus Frankfurt eingelaufen, dessen ungenannter und unbekannter Absender diesen Betrag als Steuernachvergütung bezeichnet hat. Es kommt zuweilen vor, daß Personen sich in ihrem Gewissen gedrängt fühlen oder von ihren Seelsorgern angehalten werden, der Staatskasse den Schaden, den sie ihr in irgend einer Weise zugefügt haben, zu ersetzen. Daß der Ersatz in einem so erheblichen Betrage geleistet wird, dürfte indessen zu den selteneren Fällen gehören.
— Vom „Papa" Wrangel als Kinderfreund hat einem Mitarbeiter des Berliner „Bär" eine Dame folgende Geschichte aus ihrem Leben erzählt: „Es war im Oktober 1869; ich war damals eben erst zur Schule gekommen und verließ mit meinen Klassenkameradinnen die Tempelhofer Dorfschule, als ich durch ein lautes Hurrahgeschrei der mir vorangegangenen Abc-Schützinnen aus eine Equipage aufmerksam wurde, in welcher ein greiser Kürassieroffizier saß, der von den Kindern jubelnd umringt wurde und im langsamen Weiterfahren eine Menge Obst in die Luft warf. Man balgte sich, um von den Früchten etwas zu ergattern, herum, und auch ich bemühte mich, einen ganz in meiner Nähe zur Erde fallenden Apfel aufzufangen, wobei ich leider umgerissen und auf die Hand getreten wurde. Das Blut lief mir aus den Fingern, und ich weinte bitterlich. Das bemerkte der Offizier und winkte mich zu sich heran. „Hast Du Dir denn derbe verletzt, Kleene?" forschte er. „Ach ja!" jammerte ich, und zeigte dem freundlichen Herrn meine Hand. „Na, jar so schlimm scheint mich die Blefsur n-cht zu sind", meinte er und befahl mir, in den Wagen zu steigen. Hierauf zog er sein Taschentuch hervor, verband mir die Wunde damit und fragte: „Haste denn wenigstens noch eenen Apfel jekriegt?" „Nee!" heulte ich. „Na, den mußte haben!" Dabei streichelte er mir die Locken und rief dem Kutscher zu: „Los!" Kaum waren wir unter erneutem Hurrah meinen Gefährtinnen aus den Augen gekommen da ließ „Papachen" halten, stieg aus und ging in einen Obstladen. Als er von dort zurückkehrte, warf er mir den Inhalt seiner weißen Militärmütze, sechs große Aepfel, in den Schooß und, mir wieder die Backen streichelnd schmunzelte er: „Nu
jeh man zu Muttern, sonst vermißt sie Dir. Eh' Du heirat'st, is allens wieder jut". Vor Freude waren mir die Schmerzen vergangen. Das Taschentuch, ein großes, buntes, habe ich noch heute."
(Eingesendet.)
Wie aus den Gottesdienstanzeigen zu ersehen ist, wird am nächsten Sonntag abend, als am Ernte- und Herbstdankfest, ein liturgischer Gottesdienst in der Kirche gehalten werden. Wir begrüßen das mit Freuden und erlauben uns einige Gedanken über diese Art von Gottesdiensten zu äußern.
In unfern Hauptgottesdiensten ist bekanntlich die Predigt, wie es sich auch nicht anders ziemt, ganz in den Vordergrund gestellt. Dieselbe ist umrahmt von Gebet, Gesang und Orgelspiel. Im liturgischen Gottesdienst treten einer kürzeren Predigt oder Ansprache des Geistlichen der Gemeinde- und Chorgesang nebst dem Altargebet und der Schriftoerlesung als selbständige Faktoren zur Seite.
In den altlutherischen Gemeinden dürfen auch in den Hauptgottesdiensten die letztgenannten Faktoren nicht fehlen, sondern sie sind in stereotypen Formen der Gottesdienstordnung einverleibt. — Wir begehren eine Umgestaltung unserer Hauptgottesdienste in diesem Sinn keineswegs; doch ist nicht zu leugnen, daß die Gemeinde durch die Absingung einiger Verse des Predigtlieds wenig sebstthätig beteiligt und daß der Chor nur nebensächlich behandelt ist. Es ist unserer Kirche ein Gefühl hieran auch nicht ganz abhanden gekommen; denn an gewissen Festtagen wird ein weiterer Gemeindegesang eingefügt und wird der Chorgesang noch mehr als sonst gewünscht. Würde aber, was Gott geben möge, unsere evangelische Kirche überhaupt wieder lebendiger in allen ihren Gliedern, so würde das Bedürfnis der Gemeinde von selbst er-- wachen, daß der Anbetung, der Schriftverlesung und dem Gemeinde- und Chorgesang mehr Raum als bisher in unfern Gottesdiensten verschafft werden sollte. Den Sinn hiefür zu wecken, dazu hat sich der Kirchengesangverein für Württemberg und der für Deutschland aufgemacht. Das am 28. August hier gehaltene Kirchengesangfest hat einen lebendigen Beweis dafür geliefert, daß der Sinn für derartige Gottesdienste in hiesiger Stadt nicht fehlt; denn der damals abgehaltene liturgische Gottesdienst hat sich hier und auswärts neue Freunde erworben. Und welcher Tag wäre besser geeignet zur Wiederholung eines solchen Gottesdienstes, als das Ernte- und Herbstdankfest? Ist die Gemeinde im Vormittagsgottesdienst durch die Predigt tiefer in die Schrift eingeführt worden, was ist schöner, als wenn sie im Abendgottesdienst ihr Lob des gütigen Gottes und ihre Liebe zum Herrn im Lied ausklingen läßt, daß sie das Lied nn höheren Chor, das durch die Kirchenchöre ausgeführt wird, im Herzen mitsingt?
Es ist schon die Ansicht geäußert worden, das öftere Singen in den liturgischen Gottesdiensten ähnle dem katholischen Ritus. Es ist dies aber durchaus nicht richtig. Vielmehr verhält es sich so, daß die katholische Kirche in Deutschland durch die Kirche der Reformation beeinflußt den Choralgesang zugelassen hat. In ganz katholischen Ländern ist die Gemeinde stumm und hört man nur den Priester und den Chor.
Wie schön wäre es, wenn am nächsten Sonntag nicht blos eine Anzahl Frauen an diesem Gottesdienst teilnähmen, sondern wenn auch viele Männer, und Jünglinge sich bewogen fänden, in unserem lieblichen Gotteshaus einen schönen Gottesdienst mit zu feiern. _
Standesamt ßakw.
Geborene:
6. Nov. Anna Luise, Tochter des Christian Gottlob Wochele, Strumpfwebers hier.
9. „ August, Sohn des Christian Bertsch, Schuh
machermeisters hier.
12. „ Otto Ulrich, Sohn des Jakob Hennefarth,
Maschinenstrickers hier.
Gestorbene:
8. Nov. Luise Thomann, ledige Nätherin hier, 68 Jahre alt.
Gottesdienst
am Sonntag, den 15. November.
Ernte- und Herbst-Tankfest.
Vom Turm: 5.
Vorm.-Predigt: Herr Dekan Braun. 1 Uhr Christenlehre mit den Töchtern. Abends 5 Uhr Gesangsgottesdienst in der Kirche.
Mittwoch 10 Uhr Betstunde.