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einen größeren Betrag ausbezahlt erhalten können. Dieser Ansicht tritt auch Hr. Stadtschultheiß Hoffner bei und knüpft hieran noch weitere Worte und die Bitte an den Hrn. Reichstagsabgeordneten, mit Hinsicht auf die angestrebte Ausdehnung der Versicherungen, dafür eintreten zu wollen, daß dieses Gesetz vorerst keine Ausdehnung mehr erfahre bis das Neugeschaffene sich erst im Volke eingelebt und dasselbe ganz damit vertraut geworden sei. Hr. v. Gü Illingen trat dieser Ansicht bei, indem er daran erinnerte, daß er schon vor den Wahlen sich gegen allzuviel Gesetzmacherei ausgesprochen habe. Nachdem Hr. Hugo Rau von hier noch ein Hoch auf unfern Hrn. Stadtschultheiß und Landtagsabgeordneten Haffner ausgebracht hatte, löste sich die Versammlung auf.
* Calw. Im Hopfenhandel herrscht gegenwärtig reges Leben. Die Preise haben sich gegen früher um das Doppelte erhöht. So wurden hier am Samstag 3 Ballen per Zentner um 120—125 verkauft. Es sind aber in der Umgegend nur noch wenige Posten feil, da fast alle zu einem viel niedereren Preise abgegeben wurden.
sH Deckenpfronn, 9. Nov. Heute Morgen 2 Uhr wurden wir durch Feuerlärm geweckt. Es brannte in dem an der Calwer Straße gelegenen Hause des Stiftungspfleger Paulus und M. Paulus. Das Vieh mit Ausnahme von 4 Schweinen wurde gerettet. Der regen Thätigkeit unserer Feuerwehr, sowie der eifrig Wasser herbeitragenden weibl. Einwohnerschaft ist es zu danken, daß die umliegenden Gebäulichkeiten verschont blieben. Brandstiftung wird vermutet.
Stuttgart, 6. Nov. Was alles beim Eisenbahnfähren vergessen oder liegen bleibt, davon kann sich nur derjenige einen Begriff machen, welcher einmal eine Versteigerung dieser Gegenstände, wie solche gegenwärtig wieder in Stuttgart stattfindet, mitangesehen hat. Es giebt nicht leicht einen Artikel, der hier keine Vertretung fände und zwar oft recht wertvolle. Der Ruhm, am meisten hiezu beizutragen, gebührt unverkennbar dem schönen Geschlecht, denn die Zahl der Umschlagetücher, Jacken, Sonnenschirme, Damenhandschuhe, Spitzentücher, Körbe, Arbeitstaschen u. s. w. will kein Ende nehmen. Aber auch Schirme, Spazierstöcke, Hüte, Ueberzieher sind sehr zahlreich vertreten. Daß auch manchmal bei einer solchen Versteigerung recht heitere Szenen Vorkommen, kann man sich bei der Mischung des Publikums wie der Gegenstände leicht denken. Die Einnahmen aus den versteigerten Sache ist eine ganz bedeutende und beträgt jährlich annähernd ein mittleres Einkommen.
Ludwigsburg, 4. Nov. Die „Ludw. Ztg." berichtet: Der Hubertustag wurde am Dienstag von den Offizieren der Garnisonen Ludwigsburg und Stuttgart durch ein großes Jagdrennen gefeiert. Die Jagd begann auf dem Feld südlich Kornwestheim, wand sich dann in schneidigem Ritt nach dem Viesen
häuser Hof, führte hier über den sog. Trugenbrunnen und dann wieder zurück nach dem Kornwestheimer Feld, wo der Auslauf war. Die zurückgelegte Entfernung betrug ungefähr 5500 Meter; 5 künstliche Hindernisse waren aufgestellt. Den Ehrenpreis Seiner Majestät des Königs, einen großen goldenen Pokal, holte sich Frhr. v. Lupin vom Dragoner- Regiment Königin Olga, den 2. Preis, einen silbernen Humpen, Major Frhr. v. Röder desselben Regiments, den 3., eine silberne Zigarettendose, Portepee-Fähnrich Graf Zeppelin vom Ulanen-Regiment König Wilhelm, den 4., eine silberne Feldflasche, Sekond-Lieutenant Schönwald vom Feld-Artillerie-Regiment Nr. 29, den 5., einen Reitstock, Premier-Lieutenant Schimpf vom Infanterie-Regiment Alt-Württemberg. — Als Hunde ritten bei der Jagd die Premier-Lieutenants Frhr. v. Thumb vom Dragoner-Regiment Nr. 25 und Graf Stauffenberg vom Ulanen-Regiment Nr. 20, als Master Oberst v. Sick; als Richter fungierten Oberst v. Hüppeden und Oberstlieutenant Sautter. Beim Auslauf stürzten Lieutenant Frhr. v. Gültlingen vom Dragoner-Regiment Nr. 25, über welchen dann Lieutenant Frhr. v. Bautz vom Ulanen-Regiment Nr. 20 fiel, beide jedoch ohne sich ernstlichere Verletzungen zuzuziehen. — Abends fand im Kasino des Dragoner-Regiments Königin Olga Hubertusfestmahl statt, bei welchem der Sieger Lieutenant Frhr. v. Lupin das Hoch auf Seine Majestät den König ausbrachte.
Fellbach, 5. Nov. Als Beweis von der schönen Septemher- und Oktoberwitterung mag die Thatsache dienen, daß in hiesigem Walde gegenwärtig Heidelbeer stücke zu finden sind, die zum zweitenmal geblüht und jetzt schöne reife Früchte haben.
Heilbronn, 5.Nov. DerArbeiterL. Weidner wurde gestern beim Abladen von Langholz am Karlshafen von einem Stamm so unglücklich an den Kopf getroffen, daß er, ohne das Bewußtsein erlangt zu haben, im städtischen Krankenhause heute früh verstarb. — Ein Langfinger, welcher vorige Woche hier von einem Wirtshaus weg ein Zweirad gestohlen, wurde in Karlsruhe in der Person des Kaufmanns B. Weißer von Waghäusel ermittelt und festgenommen. Derselbe wollte das sehr wertvolle Vehikel an einen Wirt um 50 ^ verkaufen, welcher jedoch Verdacht schöpfte und die Polizei in Kenntnis setzte.
Lauphe im, 5. Nov. Gestern nacht brannte es in dem eine Stunde von hier entfernten Dorfe Stetten. Wegen der gefährlichen Lage des in Hellen Flammen stehenden Gehöfts mußte die Feuerwehr in mehreren umliegenden Ortschaften aufgeboten werden. Der Brandbeschädigte ist nicht versichert und hatte sein Anwesen vor kurzem verkauft, dasselbe sollte dieser Tage auf den neuen Besitzer übergehen.
Mainz, 4. Nov. Eine reiche Bettlerin. Jahre lang hielt auf unserem Markte ein altes Weibchen auf einem kleinen Tischchen Nägel feil. Vor einiger Zeit wurde die Alte von einem Schlaganfall betroffen.
der sie lähmte, weshalb sie ins Hospital und von da ins Jnvalidenhaus kam. Man hielt die etwa 84jährige Frau für vollständig mittellos, sie bettelte sich auch thatsächlich fast sämtliche Lebensmittel zusammen, verrichtete um einige Pfennige oder eine Taffe schlechten Kaffees niedere Dienste rc. Dabei besaß die Frau in der Stallgasse ein Haus, allerdings in völlig verwahrlostem Zustande. Alles starrte vor Schmutz und Lumpen, kein Mobiliar des Zimmers war komplet, Bettwerk war kaum vorhanden rc. Dagegen fanden die Beamten des Jnvalidenhauses beim Ausräumen der Wohnung in allen Ecken und Winkeln, teils in Lumpen, teils in Papierdüten Geldsummen vor, im Gesammtbetrage von nicht weniger als 8000 Aus einem alten Sparkassenbuch, von den Mäusen angenagt, war ersichtlich, daß auch noch ein Betrag von 3000 auf der Sparkasse verzinslich angelegt war. Die Frau ist geistig noch so klar, daß sie über ihre Mittel disponieren kann. Ein kleiner Teil fällt davon dem Jnvalidenhaus zu zur Verpflegung der Frau, während der größere Nest an lachende Erben übergeht. Dieselben wohnen teils in Mainz, teils in der Nähe von Waldüren.
Hamburg, 5. Nov. Die Expedition ausgewiesener russischer Juden nach Argentinien auf Anordnung des Baron Hirsch wurde einstweilen hierselöst eingestellt, da die russischen Grenzkomites in der letzten Zeit zuviel ungeeignete Personen hierher dirigiert hatten. Es wurde Veranstaltung getroffen, künftig besser die Auswahl zu treffen. Vorläufig werden die Ausgewiesenen von dem hiesigen Konnte nach Nordamerika und England expediert.
Altona, 6. Nov. Infolge des Genusses krankhaften Pferdefleisches sind 15 Personen erkrankt, ein junger Mann ist bereits gestorben. Von 30 an der Trichinosis Erkrankten liegen verschiedene schwer darnieder.
Berlin, 5. Nov. Die „Voss. Z." schreibt: Mit gleicher Sorge blickt die Börse gegenwärtig nach Westen wie nach Osten; Paris wie Petersburg meldet einen großen Krach an. Noch ist der Tag nicht erschienen, an dem auch nur die Zuteilung der aus die neue russische Anleihe gemachten Zeichnungen amtlich bekannt gemacht wird, und schon ist auf den Jubelrausch des siebenfachen Erfolges die schale Ernüchterung gefolgt. Wie werden sich die Verhältnisse erst gestalten, wenn die Bankhäuser, welche Herrn Wyschnegradski die Anleihe abnahmen, ohne sie an ihre Kunden weiter begeben zu können, Hunderte von Millionen Franken an das Zarenreich auszahlen sollen? Der letzte Rest soll schon ihm Febr. fällig sein. Mag sich daher die Pariser Bankwelt mühsam vorerst von einer Abmachung zu andern schleppen, der Zusammenbruch wird sich schwerlich noch lange vermeiden lassen, zumal man mit ohnehin ungezählten Millionen spanischer, portugiesischer, argentinischer und ähnlicher Werte belastet ist, welche nachgerade selbst zu den niedrigsten Kursen keine Abnehmer finden.
Röhrsdorf hatte mit kühler Zurückhaltung den Schwall verbindlicher Worte über sich ergehen lassen und seine weiße Hand in die dargebotene Rechte des Anderen gelegt, ohne den überaus herzhaften Druck derselben zu erwidern.
„Es bedarf keiner Entschuldigungen", sagte er, „denn ich hätte mich unmöglich bester unterhalten können, als eS hier der Fall war."
Die Ernsthaftigkeit seiner langsam und mit besonderem Nachdruck gesprochenen Worte schloß jed^n Verdacht aus, daß es ihm nur um eine leere Höflichkeitswendung zu thun gewesen sei, und Felicitas errötete unter dem Blick, welchen er dabei auf sie geworfen. Heldrungen aber war herzlich froh, seinen Gast nicht bei schlechter Laune zu finden, und er hätte seine Tochter dafür umarmen mögen, daß sie durch ihr Geplauder diese drohende Gefahr abgewendet.
„Natürlich werden Sie vor allem ein kleines Frühstück mit uns nehmen", drängte er estrig, „kärglich und bescheiden, wie die Verhältnisse auf dem Lande es eben gestatten. Es ist einer meiner Grundsätze, nicht mit leerem Magen von Geschäften zu reden."
Felicitas fühlte zum ersten Mal etwas wie wirkliche Unzufriedenheit mit ihrem Vater. Nachdem ihrem bewundernden Auge soeben das Bild eines m>t eiserner Beharrlichkeit auf einem einzigen Gedanken aufgebauten Lebens entrollt worden war, erschien es ihr geradezu kläglich, daß in Bezug auf so nichtige Dinge, wie es ein Frühstück war, von Grundsätzen geredet werden konnte.
Und Herr Hugo Röhrsdorf mochte vielleicht eine ähnliche Empfindung haben, denn er lehnte die liebenswürdige Einladung mit höflicher Bestimmtheit ab.
„Ich werde zu einer Verwaltungsrats-Sitzung in der Stadt erwartet", sagte er, und müßte darum schon aus diesem Grunde auf das Vergnügen verzichten, mit Ihnen zu frühstücken."
„Ah. das bedaure ich aufrichtig! Aber ein Glas Rauenthaler dürfen Sie mir nicht abschlagen. Ich habe da noch einen ganz vorzüglichen Jahrgang im Keller. Kometenwein—verehrter Freund! Er kommt nur an hohen Festtagen auf meinen Tisch."
„Um so weniger Veranlassung dürften Sie heute haben, Ihre Schätze anzugreifen. Ich für meine Person trinke vor dem Mittagessen nie etwas anders als Wasser, und ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir ein Glas dieses besten aller Getränke zukommen ließen."
Heldrungen fühlte sich dieser kühlen Gemessenheit gegenüber unverkennbar immer weniger behaglich. Er verbarg seine Verlegenheit nur notdürftig hinter dem gezwungenen Scherz, mit welchem er Felicitas aufforderte, das Verlangte zu holen.
Sowie sich die Thür des Zimmers hinter der jungen Dame geschloffen hatte, sagte Röhrsdorf in seinem nüchternsten und geschäftsmäßigsten Tone:
„Der Agent Lister hat mich davon unterrichtet, daß Sie noch eine Hypothek auf Dreilinden aufzunehmen wünschen, Herr Heldrungen, und daß Sie dabei an mich gedacht haben."
„Allerdings, mein hochverehrter Freund, aber ehe wir weiter davon sprechen, könnten wir doch wohl erst —"
„Entschuldigen Sie — meine Zeit ist bis auf die Minute gemessen! Sie brauchen eine sehr bedeutende Summe?"
„Die Mißernten der beiden letzten Jahre und einige widrige Zufälle, die mich persönlich betrafen, haben meine Vermögensverhältniffe freilich ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht."
„Die Ursachen Ihrer Verlegenheit zu erfahren habe ich entweder ein Recht noch ein Interests. Als Geschäftsmann muß ich mich lediglich an diejenigen Thal- fachen halten, welche für oder gegen die Zweckmäßigkeit eines Abschlusses sprechen. Und ich darf Ihnen nicht verhehlen, Herr Heldrungen, daß Ihr Besitz meiner lieber- zeugung nach eine weitere Belastung nicht mehr verträgt."
Der Andere wurde sehr blaß, und daS verbindliche Lächeln, welches er noch immer mit krampfhafter Anstrengung festzuhalten suchte, gab seinem Gesicht ein fast verzerrtes Aussehen.
(Fortsetzung folgt.)