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133. Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 66. IlchkM-.
Erscheint Dien«lag, Donneritag nnd Samitag. Die Einrückungsgebühr betrügt im Bezirk und nächster Umgebung S PIg. die Zeile, sonst 12 Psg.
Dienstag, den 10. November 1891.
Adonnementrprei» vierteljährlich in der Stadt da Pfg. rmd Lo Pfg. Lrägerlohn, durch die Post bqogen Ml. 1. IS, sonst t» ganz Württemberg Mk. 1. 85.
Tages-Neuigkeiten.
Z Calw, 9. Nov. Das gestern nachmittag m der Stadtkirche von Adolf Sjöden gegebene Harfenkonzert bekundete auf's neue die Virtuosität des Künstlers auf seinem herrlichen Instrument. Voll Leben und Kraft und doch wieder so innig und zart, voll Feuer und Stärke und doch wieder so weich und mild erschollen die Akkorde und erklangen die einzelnen Töne. Es war eine wahre Lust diesem vorzüglichen Spiel zu lauschen und die hervorquillenden Töne zu bewundern. Sowohl die getragenen als auch die rasch einherschreitenden Stücke waren von vorzüglicher Wirkung. Besonders reizend war das „Walesische Lied" aus dem Mittelalter und ein Adagio (Quartett für Violine, Cello, Harfe und Orgel) von Polmar. Kräftig unterstützt wurde der Konzertgeber durch Frau Stadtpfarrer Eytel (Alt), Hrn. Organisten Vintzon (Orgel), Hrn. Stadtpfarrer Eytel (Cello), Hrn. Bau mann junior (Violine) und den Kirchengesangverein. Das sehr reichhaltige Programm gewährte somit den Besuchern einen hohen Genuß und befriedigte ungemein.
Z Calw, 9. Nov. Heute feierten Kaufmann und Weinhändler Martin Dreiß und seine Ehefrau das Fest der goldenen Hochzeit. Hr. Dreiß ist im Jahr 1817, seine Gattin im Jahr 1822 geboren. Seit einigen Jahren hat der Jubilar sein Geschäft auf dem Marktplatz seinem Sohn übertragen und verbringt nun seinen Lebensabend im Hause seines Sohnes Julius, des Bierbrauereibesitzers Dreiß. Von den dem Jubelpaar erblühten Kindern sind 7 noch am Leben und 19 Enkelkinder verschönern heute das seltene Fest. Im Dreiß'fchen Saale wurde das Ehepaar, umgeben von Kindern, Freunden und Be-
kannten wieder feierlichst eingesegnet. Möge ihnen noch manche glückliche Jahre beschieden sein!
* Calw, 8. Nov. Heute nachmittag versammelte sich in Stammheim im Bären eine große Anzahl der Einwohnerschaft von Stammheim und viele von Calw um einem Vortrag unseres Reichstagsabgeordneten Frhr. v. Gültlingen anzuwohnen. Die beiden Lokalitäten waren überfüllt, so daß viele keine Sitzplätze mehr fanden. Der Vortragende begann seine Mitteilungen über die Beratungen und Beschlüsse des Reichstags seit Februar 1890 bis zu seiner Vertagung und wendete sich zunächst zu dem Arbeiterschutzgesetz. Mit diesem Gesetz sei viel gutes geschaffen, jedoch die Arbeiter nicht befriedigt. Es handle sich nun darum, dasselbe im Interesse der Arbeitgeber wie d'er Arbeiter so zu gestalten, daß es nicht statt eines Arbeiterschutz- zu einem Arbeitertrutzgesetz werde. Redner spricht dann noch von der beabsichtigten Ausdehnung des Gesetzes auf Kanzlei- rc. Bedienst.:.. Bei den Beschlüssen der Erhöhung der Friedensprüsenzstärke um 18,700 Mann habe auch er zugestimmt. Der Vortragende gab hier genaue Zahlen über schon vorausgegangene größere Anstrengungen in Frankreich. Die 2jährige Präsenzzeit betreffend, welche in der verflossenen Reichstagssession abgelehnt worden ist, weist der Redner darauf hin, daß bereits Versuchsbataillone geschaffen worden seien und werden die Erhebungen das Resultat der Möglichkeit ergeben. Die Einführung werde jedoch weit größere Ausgaben als seither im Gefolge haben, welche der Redner gleichfalls in Zahlen ausdrückt. Den nächsten Reichstag beschäftigen zunächst die Handelsverträge, mtt denen wieder die Frage auf's Tapet gebracht werde, ob die Kornzölle die Lebensmittel verteuern. Er ist der Ansicht, daß dies nicht zutreffe. Als Grund zu dieser Annahme
dürfte wohl der Umstand angenommen werden, daß die Versender von Getreide in Rußland oder Oesterreich so sehr darauf sehen, daß der Zoll aufgehoben werde, was doch der Fall nicht wäre, wenn, wie von den Gegnern behauptet werde, der Consument den Zoll bezahlen müsse. Trotzdem die Getreidepreife gegenwärtig ziemlich hohe seien, haben dieselben nach genauen Angaben, die er hier mitteile, noch nicht die Höhe wie in manchen Jahren vor der Einführung des Zolls erreicht. Ferner wird der Reichstag zu beraten haben über das Trunksuchtgesetz. Sein Wunsch gehe dahin, einzuschreiten, wo dieses Laster die Existenz der Familie bedrohe. Beim Juristentag sei die Frage entschieden zu sehr vom humoristischen Standpunkt beurteilt und verworfen worden. Im übrigen ist auch er nicht für eine allzu strenge Durchführung. Der Vortrag des Herrn Landgerichtsrats, welcher oft von Beifall begleitet war, währte etwa 3 Stunden und bildet das Vorstehende nur einen Auszug desselben. Die Mitteilung, daß er stets Fühlung mit seinen Wählern halten werde um deren Ansichten in manchen Fragen einzuholen, wurde freudigst ausgenommen. Hr. Fabrikant E. Staelin brachte hierauf den Dank der Versammelten für diese eingehende Berichterstattung in warmen Worten zum Ausdruck. Hr. Schultheiß Ziegler von Gechingen machte zum Schluß noch darauf aufmerksam, daß — entgegen der Ansicht des Hrn. v. Gültlingen, daß die freien Hilfskassen nicht mehr fortbestehen sollten, da durch sie die andern Kaffen geschädigt werden und eine Zersplitterung auch hier nicht angezeigt sei — die Hilfskaffen manche nicht zu unterschätzenden Vorzüge hätten; z. B. die bessere Kontrole durch Ortsansässige im Falle der Erkrankung eines Mitglieds, die freie Wahl einen Arzt zu Rate zu ziehen oder nicht, wodurch die Leute
6 H r1161^ rr » Nachdruck verboten.
Der Schiffbruch der „Felicitas".
>- Erzählung von Ferdinand Herrmann.
(Fortsetzung.)
Ihr Vater sprach nur immer von den Darlehen, die er von diesem oder jenem seiner bisherigen Freunde noch zu erhalten hoffe, und von den Aussichten auf das baldige Ableben eines reichen Verwandten, der schon seit Jahren als ein Schwerkranker in Italien weilte. Zu eigenem thatkrästigen Handeln kam es jetzt noch viel weniger, als je zuvor, und wenn einmal irgend ein wirklicher oder vermeintlicher Hoffnungsstrahl durch das Dunkel brach, vermochte er sogar gleich wieder heiter und sorglos zu sein wie in den glücklichsten Tagen.
Wie mächtig mußte gerade unter diesen Umständen der Eindruck sein, den Felicitas von einer so durchaus anders gearteten Erscheinung empfing, wie es diejenige des Mannes war, der da so sicher und voll so ruhigen Selbstbewußtseins ihr gegenübersaß. Seit mehreren Tagen hatte Heldrungen unausgesetzt von dem reichen Bankier Hugo Röhrsdorf als von dem mächtigen Helfer gesprochen, der allein im Stande sei, ihn mit einem Schlage aus all' seinen Bedrängnissen zu befreien. Er war bei früheren Anlässen nur in sehr oberflächliche persönliche Berührung mit ihm gekommen, da er aber auf Lifser's Versprechungen hin jetzt mit ziemlicher Sicherhett auf seinen Beistand rechnete, hatte er nur in den Ausdrücken höchsten Lobes und fast überschwänglicher Anerkennung von ihm gesprochen.
Mü hochgespannten Erwartungen hatte Felicitas seinem Erscheinen entgegengesehen, und nun machte sie gar keinen Versuch, ihm zu verbergen, daß der kurze Abriß seiner Lebensgeschichte, den er da scheinbar ohne besondere Absicht in wenigen Zügen vor ihr entworfen, eine bedeutende Wirkung auf ihr unerfahrenes und empfängliches Gemüt hervorgebracht habe. Dieser Mann der unermüdlichen Arbeit
und der eisernen Beharrlichkeit, der Sohn des Tagelöhners, der sich aus eigener Kraft vom Arbeitsjungen zum reichen und angesehenen Manne emporgerungen hatte, erschien ihr mit einem Mal ungleich größer und bewunderungswürdiger, als alle die vornehmen, geistreichen und liebenswürdigen Herren, denen sie bisher in ihres Vaters Umgangskreisen begegnet war.
„Sie dürfen mit Stolz auf eine solche Vergangenheit zurückblicken, mein Herr", sagte sie. „Es kann meinem Gefühl nach für einen Mann kaum eine größere Genugtuung geben, als das Bewußtsein, sich zum Herrn seines Schicksals gemacht und nur sich selber seine Erfolge zu danken zu haben."
Der klare, kalte Blick des Bankiers senkte sich tief in ihre glänzenden Augen.
„Man pflegt in den Kreisen, denen Sie angehören, Fräulein Heldrungen, nicht immer so wohlwollend von einem Emporkömmling zu denken. Es hat meinem Ansehen in der Gesellschaft, wie ich glaube, schon sehr viel geschadet, daß ich es nicht über mich gewinnen kann, mich meiner niedrigen Herkunft zu schämen oder auch nur ein ängstlich behütetes Geheimnis daraus zu machen."
„Ich meine vielmehr, daß solche Offenheit Jedem als ein Verdienst angerechnet werden müßte, und ich für meine Person würde —"
Vielleicht hätte sie sich von ihrer warmherzigen Bewunderung zu einem unbedachten Wort Hinreißen lassen, wenn nicht in diesem Augenblick durch den Eintritt Heldrungens ihrem Zwiegespräch ein plötzliches Ende bereitet worden wäre.
Mit einer etwas erkünstelten Freundlichkett in seinen Mienen und im Ton seiner Worte eilte der Gutsbesitzer auf den Besucher zu.
„Ich bitte tausendmal um Verzeihung, verehrter Freund, wenn Sie hier auf mich warten mußten. Dieser unzuverlässige Ziffer ist an Allem schuld, denn ich hätte es mir natürlich niemals einfallen lasten, Ihre Gefälligkett und Ihre kostbare Zeit leichtfertig zu mißbrauchen. Aber ich bin dafür nun auch wie ein Parforce- retter nach Hause gesprengt; Lisier wird wenigstens noch eine Viertelstunde brauchen um mir nachzukommen." '