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— Das im heutigen Staatsanzeiger erschienene Königliche Manifest, den Regierungsantritt des Königs Wilhelm Majestät betreffend, lautet:
WiLHek rn,
von Gottes Gnaden König von Württemberg.
Liebe Getreue!
Die göttliche Vorsehung hat den allerdurchlauchtigsten König Karl von Württemberg, Unseres vielgeliebten Herrn Oheims Majestät, aus diesem Leben abgerufen. Nachdem hierdurch Kraft des in Unserm Königlichen Hause bestehenden Erbfolgerechts, Uns die Nachfolge in der Regierung angefallen ist, und Wir dieselbe wirklich angetreten, auch die unverbrüchliche Festhaltung der Landesverfassung in einer dem ständischen Ausschüsse übergebenen feierlichen Urkunde bei Unserem Königlichen Worte zugesichert haben, — so geben Wir euch Solches hiemit gnädigst zu erkennen. Dabei versehen Wir Uns zu allen Unfern Königlichen Beamten, geistlichen und weltlichen Dienern und Unterthanen, indem Wir sie auf den geleisteten verfassungsmäßigen Dienst- und Huldigungseid Hinweisen, und Elftere auffordern, ihre Verrichtungen wie bisher nach ihren amtlichen Pflichten fortzusetzen, daß sie Uns als ihrem angestammten Landesherrn die schuldige Dienstpflicht, Treue und Gehorsam so willig als pflichtmäßig leisten werden; womit Wir euch Unserer Königlichen Huld und Gnade versichern. Gegeben, Stuttgart den 6. Oktober 1891.
Wikhelm.
Mittnacht. Faber. Steinheil. Sarwey. Schmid.
An Mein Volk.
Württemberg«!! Gottes unerforschlicher Ratschluß hat über uns eine schwere schmerzliche Trauer verhängt. Der gütige Fürst, dessen edles Herz stets für alles Schöne und Hohe schlug, ist nach langen, mit unerschütterlicher Geduld getragenen Leiden aus dieser Zeitlichkeit abgerufen worden. Gelöst ist das schöne Band, welches während einer siebenund- zwanzigjährigen, an weltgeschichtlichen Ereignissen reichen Regierung treue Anhänglichkeit um den König und sein Volk geschlungen hatte. Aber unauslöschlich lebt in dankbarer Erinnerung fort, was der Hohe Verewigte in guten wie in schweren Tagen seinem Lande gewesen, dankerfüllt blickt das Württembergische Volk auf die Segnungen zurück, welche ihm aus der nie ermüdeten Sorge des Entschlafenen um des Vaterlandes Wohl erflossen sind.
Auf den Thron Meiner Vorfahren berufen, ' habe Ich die Regierung im Aufblick auf Gottes Hilfe übernommen, der Mir Kraft geben möge, nach Innen wie dein Reiche gegenüber, die Königlichen Pflichten zu erfüllen, die sein Wille Mir auferlegt. Im Aufsehen auf ihn verspreche Ich, die Verfassung des Landes getreu zu wahren, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu pflegen, den Armen und Schwachen ein warmer Freund und Helfer, dem Rechte allezeit ein eifriger Hüter zu sein, und Meine Stellung als Regent eines deutschen Staates in unerschütterlicher Treue zu den Verträgen, die unser großes deutsches Vaterland begründeten, wahrzunehmen.
Getragen von diesen Gesinnungen und aufrichtig entschlossen, in der Förderung der Wohlfahrt und des Glücks Meines Landes das höchste Ziel Meines Lebens zu erblicken, zähle Ich auf das Vertrauen des Württembergischen Volkes, welches in allen Zeiten treu zu dem angestammten Fürstenhause gestanden hat, und welches auch Mir, deß bin Ich sicher, init Liebe und Vertrauen entgegenkommen wird. Das Bewußtsein gegenseitiger vertrauensvoller Liebe, welche in solcher Weise Fürst und Volk verbindet, gibt Mir die Zuversicht, daß es Mir unter des Allmächtigen Beistand gelingen wird, des Mir übertragenen schweren Amtes zu walten zum Heil und Segen des engeren wie des großen deutschen Vaterlandes.
Stuttgart, den 6. Okt. 1891. Wilhelm.
Die Landestrauer dauert von heute an drei Monate. Die Ständeversammlung tritt am Donnerstag, den 22. Oktober, wieder zusammen.
Stuttgart, 6. Okt. Auf Befehl I. M. der Königin-Witwe hat heute vormittag in der griechischen Kapelle des K. Schlosses statt des anberaumt gewesenen Bittgottesdienstes für den König ein feierlicher Trauergottesdienst stattgefunden, welchem I. M. die Königin-Witwe Höchstselbst mit der Staatsdame Freifrau v. Massenbach anwohnte.
— lieber die letzten Stunden und das Hinscheiden des Königs sind noch folgende Einzelheiten nachzutragen:
Stuttgart, 6. Okt. Als sich gegen Mitternacht eine bedeutende Herzschwäche einstellte, wurden die hier anwesenden Mitglieder der k. Familie, sowie die Angehörigen des k. Hofes und der Minister der Familienangelegenheiten des k. Hauses in das Residenzschloß gerufen. Die Kräfte des Allerhöchsten Kranken hoben sich zwar noch einmal, indessen stellte sich bald
große Unruhe ein, welche bis gegen 3 Uhr morgens anhielt; von da ab schwand das Bewußtsein, das vorher schon vielfach benommen war, vollständig. Um 6.50 Uhr verschied Seine Majestät sanft unter den Erscheinungen der Herzlähmung, ohne daß das Bewußtsein zurückgekehrt war. Die ganze Zeit über blieb die k. Familie um das Krankenlager versammelt, während von dem anwesenden Hofprediger in angemessenen Zwischenräumen Gebete gesprochen wurden.
Stuttgart, 6. Okt. Der König schlummerte bei seinem Ende schmerzlos hinüber; bei Empfang des heiligen Abendmahls war derselbe vollständig bei Bewußtsein und antwortete mit deutlichem Ja auf das Amen. Die Mitglieder der königl. Familie waren die ganze Nacht über im Sterbezimmer. — Heute sind hier die Schulen geschlossen; die Beisetzung findet wahrscheinlich in ver Stiftskirche statt. Die neue Königin Charlotte trifft heute von Nachod, wo sie bei ihren Eltern weilte, hier ein.
— Laut „Staatsanzeiger" werden die irdischen Ueberreste Sr. Majestät des Königs Karl am Freitag, den 9. ds. in der Gruft der Kgl. Schloß- kapelle in Stuttgart beigesetzt.
Am Donnerstag, von nachmittags 2—5 Uhr, ist Jedermann in sonntäglicher Kleidung der Zutritt in den alten Marmorsaal des Kgl. Schlosses, wo die Allerhöchste Leiche aufgebahrt ist, gestattet..
Ein Telegramm des Kaisers meldet: „Ich komme persönlich, meinen Anteil an der Trauer Württembergs zu bethätigen."
Tages-Neuigkeiten.
sAmtliches aus dem Staatsanzeigerj. Seine Königliche Majestät haben am 26. Sept. d. I. allsrgnädigst geruht, den Gerichtsnotar Nu ff er in Calw, seinem Ansuchen gemäß wegen durch körperliche Leiden herbeigeführter Dienstunfähigkeit in den bleibenden Ruhestand zu versetzen.
Stuttgart, 6. Okt. Zufuhr auf dem Wilhelmsplatz: 700 Ztr. württ. Mostobst, Aepfel und Birnen, zu 4 -^5 80 ^ bis 5 50 ^ pr. Ztr. —
5. Okt. Güterbahnhof. Zufuhr: 96 Waggon ^ 19,200 Ztr. (worunter 74 Waggon östr.) Mostobst, Preis per Waggon 920 bis 960 ^ (schweiz. 880 pr. Ztr. 4 ^ 80 rZbis 5 ^ (schweiz. 4 40 iZ).
Stuttgart, 6. Oktbr. Kartoffel- und Krautmarkt. Zufuhr: 800 Ztr. Kartoffeln, Preis pr. Ztr. 4 ^ bis 4 ^ 50 --Z. — Zufuhr:
5500 Stck. Filderkraut, Preis pr. 100 Stück 14 bis 15 -A
^ ^ k^ kO . Nachdruck verboten.
AeLy's Mrtoöung.
Eine nächtliche Geschichte von Reinhold Ort mann.
(Fortsetzung.)
„Ich will jetzt hinunter ins Dorf, einen Wagen zu besorgen, damit wir den Kutscher fortschaffen und die Damen nach Hause bringen können! — Ihr bringt wohl unterdessen ein Glas Glühwein zu Stande, Mutter Gertrud, nicht wahr?"
„Wenn ihn die Damen aus einer Tasse trinken wollen! — Gläser haben wir leider nicht im Besitz! — Das ist wenig zu nützen und wirft sich zu leicht entzwei!"
„Ich denke, Eure Taffe genügt auch," meinte der Doktor, und die Unge- niertheit, mit welcher er so an ihrer Stelle eine Meinung äußerte, ärgerte Nelly dergestalt, daß sie sich nicht enthalten konnte, in ihrem kühlsten Tone hinruzufügen:
„Nur muß ich für meine Person überhaupt jede Art von Erfrischung dankend ablehnen! — Ich habe in der That keinen andern Wunsch, als den, baldmöglichst nach Hause zu kommen, und ich glaube auch kaum, daß meine Tante in diesem Augenblick ein Verlangen nach Glühwein verspüren wird.
„Ach, Nelly. mein liebes Kind, sage das nicht!" protestierte Tante Dorette in klagenden Tönen, „ich bin so durchnäßt und durchfroren, daß ich selbst aus einem Topf trinken würde, wenn ich nur etwas Warmes haben könnte! — Machen Sie es uns nur ganz ruhig, meine liebe Frau!"
Die Alte nickte gleichmütig und schaute in den Kessel, ob das Wasser bereits zum Sieden gebracht sei. Nelly hätte weinen können über die Schwachheit der Tante, welche sie immer wieder im Stich ließ, und es verbesserte ihre Stimmung keineswegs, als der Doktor, indem er sich zum Gehen wandte, mit der alten gleichmäßigen Ueberlegenheit sagte:
„Auch das Fräulein wird hoffentlich Euer bescheidenes Getränk nicht verschmähen, Mutter Konrad, und sich nicht seinem Stolz zu Liebe einen Schnupfen oder etwas Aergeres holen wollen. Der Wagen aber wird, soweit es an mir liegt, nicht mehr lange auf sich warten lasten!"
Er war zur Thür hinaus, ehe sie noch eine Antwort geben konnte; aber sie würde vielleicht auch keine gefunden haben, wenn er geblieben wäre. Mit verbissenem Ingrimm ließ sie sich auf die hölzerne Bank nieder und schaute den Hantierungen der Alten zu, welche »wei blitzblanke Tassen vom Gesims nahm, dieselben trotz ihrer
Sauberkeit noch einmal mit einem reinen weißen Tuche auswischte und sich bei alledem durch die Vornehmheit ihres Besuchs auch nicht im Mindesten alteriert zeigte. Trotz der Wärme, die in dem kleinen Raum herrschte, wurde Nelly in ihren nassen Kleidern öfter von einem Frösteln gleich einem Fieberschauer geschüttelt, und sie konnte sich nicht verhehlen, daß auch für sie ein wärmender Glühwein etwas recht Wünschenswertes gewesen wäre! — Aber was konnte das für ein Wein sein, den diese Alte im Hause hatte und ihn nun gar aus einer Tasse trinken! — — Nein den Triumph wollte sie dem Doktor unter keinen Umstänoen gönnen. Er sollte wenn er zurückkam, sehen, daß sie sich nicht mehr Hofmeistern und sich keine Vorschriften machen ließ, wie ein kleines Mädchen!" Er sollte sehen, daß sie beleidigt sei, und daß sie lieber gar keine Hilfeleistung empfangen hätte, als eine, die mit soviel Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit verbunden war.
Unterdessen hatte Mutter Konrad wirklich aus einem Winkel eine Flasche Wein hervorgeholt, die viel vertrauenerweckender aussah, als man es der ganzen Umgebung nach hätte vermuten sollen. Es war kein Wunder, daß Nelly darüber einigermaßen in Verwunderung geriet.
„Ihr seid ja, wie es scheint, sehr gut vorgesehen, Mutter Konrad!" sagte sie, da sie ein Bedürfnis darnach empfand, diese schweigsame alte Frau zumReden zu bringen.
„Sie meinen wegen des Weines, Mamsel? — Der ist vom Doktor Fischer für meinen Mann bestimmt; aber mir ists, als wenn er nimmer lange davon tränke!
Kein Zug in ihrem faltenreichen Gesicht hatte sich dabei bewegt und ihre Stimme war noch ebenso rauh und tief als vorher. In der ganzen Art ihrer Antwort lag wenig Einladendes für die Fortsetzung der Unterhaltung. Nelly fühlte sich ein klein wenig beschämt, aber ihr stiller Groll gegen den Doktor war dadurch nur noch gewachsen. Jetzt hätte sie um Nichts in der Welt von diesem Wein getrunken, der aus seinen Händen gekommen war, und mit dessen Genuß sie zugleich das demütigende Bewußtsein in sich ausgenommen haben würde, von ihm bewirtet worden zu sein! Als darum die Alte Miene machte, etwas von dem roten Rebenblut auch in die zweite Tasse zu gießen, lehnte sie das sehr kategorisch ab und war fest entschlossen, allen weiteren Bitten eine entschiedene Weigerung entgegenzusetzen. Aber Mutter Konrad dachte garnicht daran, zu bitten, sie stellte die Flasche ruhig in den Winkel zurück und reichte die Schale mit dem fertigen, dampfenden Getränk der Tante Dorette, die sich langsam und unter vielem Stöhnen von ihrer Matratze in die Höhe richtete und mit deutlich erkennbarem wachsenden Behagen die lieblich duftende Flüssigkeit schlürfte. (Forts, folgt.)