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auf den Cannstatter Wasen, um dortselbst beim Bahnzeigen für die Rennen desselben Tages anwesend zu sein. I. K. H. die Frau Prinzessin Charlotte, sowie die Prinzessin Pauline trafen nachmittags ebenfalls in Cannstatt ein und verweilen dortselbst bis zum Schluß der Rennen. II. KK. HH. kehrten alsdann gemeinsam nach Ludwigsburg zurück.
Ludwigsburg, 29. Sept. J.J. K.K. H.H. der Prinz und die Frau Prinzessin Wilhelm sind gestern morgen mit dem Orientexpreßzug zum Besuche Ihres hohen Anverwandten J.J. K.K. H.H. des Herzogs und der Frau Herzogin Philipp von Württemberg nach Gmunden abgereist. I. K. H. die Frau Prinzessin Charlotte wird dortselbst einige Tage verweilen und sich alsdann zu Ihren erlauchten Eltern nach Schloß Nachod in Böhmen begeben, während S. K. H. der Prinz Wilhelm noch einige Tage in den Revieren des Herzogs Philipp der Jagd obliegen wird.
Reutlingen, 28. Sept. Gestern beging Kommerzienrat Louis Gminder, Chef der bedeutenden Firma Ulrich Gminder hier, mit seiner Gemahlin, einer geborenen Baur, das Fest der silbernen Hochzeit. Das Fest wurde gestern Nachm. >n der Familie durch eine Festtafel im Hotel Kronprinz begangen. Das kaufmännische Personal ließ demselben durch die Stadtkapelle gestern früh ein Morgenständchen bringen und ließ später durch eine Abordnung der 6 ältesten Angestellten eine von Schnorr in Stuttgart künstlerisch ausgeführte Glückwunschadresse in entsprechendem Rahmen überreichen. Ebenso erschienen die Direktoren und Meister der 5 Gminder- schen Fabriken, welche in ihrem, wie im Namen der Arbeiter Glückwünsche darbrachten. Louis Gminder hat vor etwa 27 Jahren die Geschäfte der Firma Ulrich Gminder, welche sich der heutigen Ausdehnung gegenüber in bescheidenen Grenzen bewegten, übernommen und dieselben durch Umsicht, Fleiß und Thatkraft zu solcher Blüte gebracht, daß heute die Firma eine der bedeutendsten der Textilindustrie des ganzen Landes und eine der größten ganz Deutschlands ist. In 2 Spinnereien mit 39000 Spindeln, 3 Webereie/l mit 1005 Webstühlen, einer großen, vorzüglich eingerichteten Färberei, Bleicherei und Appreturanstalt erhalten ungefähr 1300 Arbeiter lohnende Beschäftigung. Heute noch ist Kommerzienrat Gminder die Seele dieser ausgedehnten Geschäfte, wie sich derselbe auch als Mitglied und Vizevorstand der hiesigen Handelskammer um die Interessen des Erwerbslebens im Allgemeinen wie aller gemeinnützigen Bestrebungen außerdem verdient gemacht hat.
Urach, 26. Sept. Der 30 Jahre alte Sohn des Flaschners Heinz verlor auf eigentümliche Weise sein Leben. Er hatte vor 10 Tagen beim Verspeisen eines jungen Hahnen das Mißgeschick, ein Bein zu verschlucken. In Tübingen, wo er ärztliche Hilfe suchte, wurde dasselbe, da die Herausnahme unmöglich war, in den Magen hinabgedrückt und er konnte, ohne besondere Beschwerde zu verspüren, bis Diens
tag seinem Geschäft nachgehen. Nachts und am Mittwoch bekam er aber wiederholt einen Blutsturz, wodurch der junge kräftige Mann dahingerafft wurde.
Heilbronn, 26. Sept. Ueber den Stand der Weinberge wird der „Neckztg." von sachkundiger Seite auf Grund einer gestern vorgenommenen Besichtigung der hiesigen Markung mitgeteilt: Das nun geraume Zeit andauernde schöne Herbstwetter vermochte die jvorangegangenen vielen Unbilden der Witterung nur teilweise auszugleichen. Klevner und Sylvaner sind der Reife am nächsten. Der schwarze Riesling, Elbing und Affenthaler machen mäßige Fortschritte. Der weiße Riesling ist dem Trollinger in der Reife ziemlich vorausgeeilt, welch letzterer an der erforderlichen Feuchtigkeit Mangel leidet. In Aussicht steht ein ganz kleiner Herbst. Hoffen wir, daß das Wenige durch fortgesetzte gute Witterung und Ausbleiben von Nachtfrösten noch so weit heranreift, daß die meisten Sorten bei pünktlicher Auslese, zwar ein bescheidenes, aber noch brauchbares Produkt liefern.
Ulm, 25. Sept. Der Gemeinderat hat nach den Ulmer Blättern in seiner gestrigen nichtöffentlichen Sitzung unter Vorsitz des Stadtschultheißen Wagner nach längerer Debatte mit 10 gegen 2 Stimmen beschlossen, es sei der „Ulmer Schnellpost" wegen ihrer neuerdings angenommenen antisemitischen Haltung der Charakter eines Amtsblattes der städtischen Behörden zu entziehen. Anlaß zu dem Beschluß gab eine Eingabe der jüdischen Kultusgemeinde.
Ravensburg, 27. Sept. Durch eine unliebsame Neuigkeit wurde vor einigen Tagen Fabrikant Uhl von hier überrascht, als er bei seiner Zurückkunft von Mainz von seinem Prokuristen erfuhr, daß die einhundert Mark, um die er vom Hotel „Germania" in Mainz aus telegraphiert habe, an ihn sofort telegraphisch dorthin angewiesen worden seien. Uhl war das Opfer eines schlauen Gauners geworden, welcher in dem Hotel, in dem Uhl logierte, aus dem Fremdenbuch dessen Namen erfahren hatte, sodann am andern Morgen in das Hotel Germania übergesiedelt war, sich dort als Fabrikant Uhl ausgegeben und an dessen Firma um 100 ^ telegraphiert hatte, die er auch erhalten hat.
Karlsruhe, 28. Sept. Die Evangelische Diakonissen-Anstalt Karlsruhe wird Mittwoch den 7. Oktober nachmittag 2 Uhr in der Stadtkirche in Karlsruhe ihre Jahresfeier begehen und wird Diakonissenhauspfarrer Steiner von Darmstadt die Festpredigt halten. Auch werden durch den Anstaltsgeistlichen Pfarrer Walter mehrere Schwestern eingesegnet werden.
Heidelberg, 23. Sept. Gestern und vorgestern haben in unserer Nähe drei Unfälle an drei verschiedenen Eisenbahnstrecken stattgefunden. Bei Bruchsal fiel ein Schaffner vom Trittbrett des Schnellzuges (der gegen 12 Uhr Bruchsal passiert) und wurde so schwer verletzt, daß er nach kurzer Zeit starb. Bei Weinheim an der Main-Neckar-Bahn wurde ein Bahn
wärter überfahren und sehr schwer verletzt und iw Binau an der Odenwaldbahn wurde das dreijährige Kind des Billetverkäufers vom Zuge erfaßt und ihm ein Arm und ein Bein abgefahren..
Frankfurt, 26. Sept. Laut Mitteilung des Vorstandes der elektrotechnischen Ausstellung wird die Ausstellung am 19. Okt. abends 11 Uhr geschlossen. — Die elektrische Energie-Ueber- tragung von Offenbach a. M. nach der Ausstellung mittelst des Lahmeyer'schen Gleichstromumformersystems,, welche die erste Zeit mit nur 1250 Volt im Betriebe war, ist nunmehr bereits 3 Wochen mit einer Spannung von 2000 Volt im Betriebe, und auch bei. dieser Spannung hat sich das genannte System in jeder Weise bewährt. Die Möglichkeit der Verwendung so hoher Spannung für Gleichstrom ist als eine große Errungenschaft der Elektrotechnik anzusehen.
Wilhelmshöhe, 28. Sept. DieKaiserin Friedrich und die Prinzessinnen sind zu kurzem Besuch von Homburg hier eingetroffen. Nach der Frühstückstafel machten sie einen Spaziergang in dem Schloßpark, worauf um 3^4 Uhr die Abreise nach Homburg erfolgte. Die Kaiserin begleitete ihre Gäste zum Bahnhof, wo sie sich sehr herzlich von ihren Verwandten verabschiedete.
Litterarisches.
Meyer's Konversationslexikon. Eine neue Ausgabe ist wieder in weit mehr als 1.00,000 Exemplaren erschienen und dem Buchhandel übergeben worden, um in alle Welt ihren Weg zu nehmen. Das uns vorliegende neue Werk ist natürlich wieder das beste, ergänzt und ausgedehnt in seinem Inhalt durch die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft auf allen Gebieten. Um unfern Lesern Einblick zu verschaffen in die stoffliche Größe des Unternehmens, geben wir einige Zahlen, welche wir von der Verlagshandlung erfahren haben. Zum Druck der 1036 Textbogen L 16 Seiten, woran ein einzelner Setzer 40 Jahre gesetzt haben würde, bedurfte es der Herstellung von 16,576 Stereotypplatten und eines Papierquantums von 817,600 Ries (7^/s Millionen Pfund wiegend). Alle Bände der neuen Auflage Rücken an Rücken aneinander gereiht, würden nicht weniger als einer Strecke von 140 Kilometer entsprechen. In einzelnen ausgebreiteten Bogen aufeinander gelegt, bildete das Papier dagegen einen Turm von 20,932 m Höhe, der den höchsten Berg Europa's, den Montblanc,, um mehr als das Vierfache überragen würde. Angesichts dieser kolossalen Verhältnisse kann man sich etwa einen Begriff machen, von der Arbeit der redaktionalen Leitung, welche es zuwege brachte, daß dieses Werk fast mit der Regelmäßigkeit einer Tageszeitung erscheinen konnte. Es würde der Raum dieses Blattes nicht ausreichen, wollte man das „Werk deutschen Fleißes" „das Meister- und Musterwerk, das in sich wie in seiner großen Verbreitung ein Denkmal unserer hohen Kulturentwicklung genannt werden darf" wie O. v. Leixner schreibt, in einem erschöpfenden Artikel beschreiben. — Möge es recht vielen vergönnt sein, sich dasselbe anzuschaffen, wozu die Verlagshandlung bequeme Zahlungsbedingungen stellt. — Zu beziehen durch E. Georgii's Buchhandlung in Calw.
Viertelstunde entfernt, aber Sie finden dort außer einer alten schwachen Frau nur einen Kranken, der selbst Hilfe brauchen könnte. Und bis zum Dorf sind's für eine so schlecht gerüstete Fußgängerin selbst auf dem nächsten Wege mehr als vierzig Minuten."
Nelly wandte sich mit einer trotzigen Bewegung ab, weil sie fühlte, daß ihr die Thränen in die Augen stiegen. Dieser Doktor war in seiner unerschütterlichen Ruhe wirklich abscheulich. Da fielen ihre Augen auf eine dicke dunkle Gestalt, die sich mühsam, gleich einem aus seinem Grabe erstehenden Geist aus dem Innern des Wagens hervorhaspelte und mit Tante DorettenS Stimme jammerte:
„Wie grausam, mich so hilflos und zerschmettert liegen zu lasten. Alle meine Glieder sind gebrochen und kein Mensch kümmert sich um mich."
Natürlich war Nelly sogleich an ihrer Seite, und mit ihrer kräftigen Hilfe gelang eS der Tante auch in der That, festen Boden zu gewinnen.
„Du darfst dem Herrn, der uns so freundlich beisteht, darum nicht böse sein, liebes Tantchen," sagte das junge Mädchen dabei ziemlich laut und nun auch seinerseits mit unverhohlener Ironie. „Er ist ein Arzt und bekümmert sich als solcher immer nur um die Patienten, die chm am nächsten liegen. Da nun zufällig unser Johann statt Deiner dieses Glück hatte, so war es ganz natürlich, daß Du unbe- rücksichtigst bliebst.
„Eine Vernachlässigung, der Sie Ihren Beifall sicher nicht versagen werden, mein Fräulein, nachdem Sie durch den Augenschein belehrt worden sind, wie wenig Ihr gnädigstes Fräulein Tante meines schwachen Beistandes bedurfte."
In dem nämlichen Augenblick stieß der arme Johann einen langgezogenen Klagelaut aus, der die beiden Damen erschrocken zusammenfahren ließ. Der Doktor aber, in besten Brust nach Nelly'S Ueberzeugung kein Funke menschlichen Mitgefühls leben konnte, stand mit großer Seelenruhe auf und ließ den Unglücklichen in seinen scheinbar fürchterlichen Schmerzen liegen.
„Wenn ich Ihnen jetzt Ihre Hand verbinden darf, mein Fräulein," sagte er, „so stehe ich ganz zur Verfügung!"
Da war er aber bei Nelly schön angekommen; denn sie hatte jetzt in der Gegenwart ihrer Tante einen viel zu mächtigen Rückhalt, als daß sie sich hätte bedenken sollen, ihren gerechten Zorn an dem unhöflichen Doktor auszulassen.
„Ich muß sehr danken," sagte sie spitz. „Es ist ja nur ein ganz unbedeutender Schnitt, und zu unverantwortlicher Zeitvergeudung, dächt' ich, wäre auch jetzt noch nicht der geringste Anlaß vorhanden. Der Zustand unseres armen Johann scheint sich nicht eben sehr gebessert zu haben, seitdem Sie sich mit ihm beschäftigten."
„Woraus schließen Sie das, wenn ich fragen darf?"
„Nun, aus seinem entsetzlichen Stöhnen! Es ist gräßlich! Es röchelt ja förmlich!"
„Gewöhnlich belegt man ein derartiges geräuschvolles Atmen mit der sehr unschönen Bezeichnung des Schnarchens," belehrte sie der Doktor mit unerschütterlichem Gleichmut. „Ihr Kutscher hat sich aus seiner Betäubung vollkommen erholt, ist aber von der Müdigkeit und den Geistern des Weines oder einer anderen spiri- tuösen Flüssigkeit derart gefangen genommen, daß eS verlorene Liebesmüh' wäre ihn aus seinem totenartigen Schlummer aufrütteln zu wollen. Im Uebrigen hat die kleine Schmarre an seiner Stirn genau so wenig zu bedeuten, als —"
Er vollendete nicht; denn Nelly, welche jetzt im Strahlenkreis der Laterne ganz dicht vor ihm stand, sah ihn in der Erwartung des Nachsatzes mit einem wirklich zornigen Aufblitzen ihrer schönen Augen an. Er hatte jetzt auch seinen häßlichen Banditenhnt abgenommen, und als sie die von schlichtem braunem Haar umrahmte breite Stirn gewahrte, stieg urplötzlich eine lebhafte Erinnerung in ihr auf..
„Herr Hans Fischer!" rief sie, ihren Ingrimm für einen Moment vergessend, in Heller Ueberraschung aus. „Sind Sie cs denn wirklich?"
„Gewiß, mein Fräulein," antwortete er sehr ruhig und mit einer kleinen Verbeugung, die eigentlich nicht mehr als ein Kopfnicken war. „Ich unterließ es> vorhin, mich Ihnen vorzustellen, well ich glaubte, Sie hätten mich sogleich erkannt."
(Fortsetzung folgt.)