M 93. Amts und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 66. Iahrgavs.
Erscheint Di en S t a g , Donnerstag und SamStag. Die EinrückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst 12 Psg.
Samstag, den 8. August 1891.
Abonnement«preis vierteljährlich in der Stabt BO Pfg. und SO Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. IS, sonst i« ganz Württemberg Mk. 1. SS.
Tages-Ueuigkeiten.
Stuttgarts. Aug. Der Lebensmittelmarkt bleibt sich im Gemüsehandel immer gleich, ist aber im Früchtehandel in einer entscheidenden Wendung begriffen. Kirschen sind am Verschwinden angelangt; Stachelbeeren sind nach ziemlich zahlreich. Wird ein Pritschenwagen mit italienischen Birnen, Aepfeln, Steinobst, die von der Bahn kommen, abgeladen, so mimmt er als Rückfracht große Körbe mit Stachelbeeren und Gemüsen ein. Die Reineclauden, Zwetschgen, Pflaumen sind noch meist italienischer Abkunft; desgl. auch Pfirsiche, doch sind heute einheimische Proben von dieser Frucht von seltener Schönheit zu Markte gebracht worden. Aprikosen ganz prachtvoll. Heidelbeeren (jetzt und wohl noch länger) in Menge, korb- weise 10 das Pfd. Köstlich sind italienische Bergamotte. Pfifferlinge, welche sich dermalen in allen Restaurationen auf der Karte finden, große Körbe voll. Schellfische immer zu 20 -A
Stuttgart, 4. Aug. Am Sonntag morgen ließen zwei Knaben in der Neinsburgstraße einen Drachen steigen, welcher in den Zweigen eines Baumes hängen blieb. Als nun, um den Drachen herunterzuholen, einer der Knaben den Baum erkletterte, brach der Ast, worauf sich der Knabe befand, und der letztere stürzte <a. 4 Meter tief herab, wobei der Bedauernswerte beide Arme brach und eine schwere Gehirnerschütterung erlitt.
Waldenbuch, 4. Aug. Kürzlich begingen in Glashütte, Filiale von Waldenbuch, Balthasar Nebenarm, Anwalt, und seine Frau ihre d-amantene Hochzeit. Der Jubilar, der 51 Jahre lang Anwalt war, ist 87, seine Gattin 81 Jahre alt.
Stetten i. R., 3. Aug. Die Kirschenernte im Remsthal ist jetzt vorüber. Als Abschluß derselben wurde gestern im Gasthaus zum Hirsch das Kirschenfest nach altherkömmlicher Weise gefeiert. Als Kirschenkönig funktionierte Unterhändler Guggenberger und als Kirschenkaiser Unterhändler Jdler. Tafelmusik machte die Kapelle von Hofen. Da die Kirschenernte in diesem Jahr sehr gut ausgefallen ist, so war das Fest von hier und auswärts sehr stark besucht. In Stetten wurden in diesem Jahr für ca. 45,000 ^ Kirschen verkauft; dieselben kamen fast alle nach Ulm, Augsburg und München.
Marbach, 4. Aug. Schon Ende voriger Woche ist teilweise mit dem Schneiden der Früchte angefangen worden und in den nächsten Tagen wird allgemein mit der Ernte begonnen werden. Ueber den Ertrag ist nur eine Stimme der Befriedigung, bleibt das Wetter günstig, wird ein Ergebnis nach Güte und Menge gleich dem vorjährigen in Aussicht genommen. — Auch das Obst, von dem es im Umkreis der Stadt ziemlich giebt, wächst schön heran und erforoern die Bäume täglich mehr Stützen.
Neckarweihingen, 4. Aug. In den hiesigen Weinbergen wurde wieder ein Reblausherd entdeckt. Seit einigen Wochen befindet sich im Auftrag der K. Zentralstelle für Landwirtschaft eine Kommission hier, um die verseuchten Stellen abzustecken; die von Landwirtschaftsinspektor Rindt aus Hall geleiteten Arbeiten gehen in den nächsten Tagen ihrem Ende entgegen, worauf mit den Vernichtungsarbeiten der Reblausherde begonnen werden kann.
Balingen, 3. Aug. Verein der Vogel- freunde. In seinem Vereinslokal, dem neuen Saale
des Schwefelbads, hielt gestern nachmittag der Verein des Bezirks Balingen eine Versammlung ab, welche viel des Belehrenden und Anregenden bot, aber leider nur schwach besucht war. Zuerst hörten die Anwesenden mit gespannter Aufmerksamkeit einen Vortrag des Hrn. Pfarrer Gmelin von Engstlatt über „Leiden und Freuden des Geflügelzüchters", in welchem in tiefdurchdachter Weise, gewürzt von trefflichem Humor, die Licht- und Schattenseiten der Geflügelzucht, hervorgehoben wurden. Mit lebhaftem Beifall lohnten die Zuhörer den genußreichen Vortrag, und auch der Vereinsvorstand, Herr Pfarrer Moser, gab in trefflichen Worten dem Dank der Anwesenden Ausdruck. — Mit Freuden nahm hierauf die Versammlung die Mitteilung des Herrn Vorstands entgegen, daß auch im oberen Bezirk, in Ebingen, Bitz, Winterlingen der Verein, namentlich durch die Bemühungen des Herrn Unothwirth Schmid in Ebingen, mehr und mehr Mitglieder erwirbt; so wurden gestern wieder 9 solcher neuer Mitglieder angemeldet und ausgenommen. Es wurde beschlossen, durch baldigen Ausflug nach Ebingen, verbunden mit einem Vortrag daselbst, weiteres Interesse für den Verein wachzu- rusen. Auch dem Nachbarverein Hechingen wurde baldiger Besuch zugedacht. Weiter brachte der Herr Vorstand eine Mitteilung des Kgl. Oberamts Balingen zur Verlesung, wonach dem Gesuch des Vereins um Aussetzung von Schußgeldern zur Erlegung schädlicher Vögel entsprochen wurde, was allseitig freudige Aufnahme fand. Es folgte sodann seitens des Herrn Vorstandes ein Bericht über die Beschlüsse des ersten deutschen Geflügelzüchtertages am 19. und 20. Mai zu Berlin. Nach Erledigung der Tagesordnung wurden noch verschiedene praktische Fragen beantwortet, nament-
Nachdruck verbot«,,.
Das Crbr von Wsuheneck.
Novelle von Aranz Augen.
(Schluß statt Fortsetzung.)
Armgard fiel, als sie den Brief beendet, der Tante, die kaum weniger freudig bewegt war, jubelnd um den Hals. Nachdem sich der erste Sturm der Freude etwas gelegt hatte, überlegten die beiden Frauen, was nun in Bezug auf ArmgardS Vater zu thun sei und in welcher Weise man ihm die Nachricht, daß der Mann, um dessen willen er die einzige Tochter verstoßen, ein frecher Betrüger sei, am schonend- sten mitzuteilen habe. Sie kamen endlich überein, daß es das beste sein werde, ihm den Brief Richards zu senden, ohne daß Armgard eine Zeile hinzufügte, da ja alles- was sie hätte sagen können, ihm wie ein Vorwurf über seine Blindheit und Ungerechtigkeit klingen mußte. Sie schickte also den Brief sofort an ihren Vater, erschrak aber nicht wenig, als sie zwei Tage darauf ein Telegramm aus Rauheneck «hielt. Es war von ihrem Hausarzt und lautete: „Kommen Sie sogleich, Ihr Vater ist plötzlich schwer erkrankt." — Gefüttert von dem Gedanken, daß ver von ihr dem Vater gesandte Brief ihres Verlobten dessen Erkrankung veranlaßt habe, und sie somü vielleicht die Schuld an seinem Tode tragen werde, reiste Armgard »och in derselben Stunde nach Rauheneck und während der stundenlangen Fahrt steigerten sich ihre Angst und die Vorwürfe, die sie sich jetzt wegen der Uebersendung d« Briefes machte, zu einer wahrhaft qualvollen Höhe. Ihr erstes Wort an den Arzt, d« ihr bei ihrer Ankunft in Rauheneck schon im Portal des Schlosses entgegentrat, war die hastige Frage: „Ist mein Vater infolge eines gestern erhaltenen Briefes «krankt?"
„Nein," sagte der Arzt, „darüb« können Sie ganz ruhig sein. Ab« nun kommen Sie rasch in das Zimmer und nehmen Sie die Tasse heiße Bouillon, dir ich für Sie bestellt habe, damit Sie sich nach der kalten Fahrt rasch erwärmen. Sir ssehen recht angegriffen aus, Fräulein Armgard," setzte « hinzu, einen besorgten Blick auf ihr bleiches, so schmal und durchsichtig gewordenes Gesicht werfend, „Sie «arm doch nicht krank?"
Armgard schwelte dm Kopf und nahm gehorsam die Taffe, die«ihr reichte.
„Ich war nicht krank, aber die letzten Monate haben mir viel Leid und Sorge ge, bracht. Doch nun sagen Sie mir zuerst, wie geht es meinem Vater?"
„Er schläft eben," sagte ausweichend der Arzt, „später sollen Sie ihn sehen. Setzen Sie sich jetzt ruhig zu mir und lassen Sie mich vor allem berichten, was gestern hier geschehen ist."
„Doktor," sagte Armgard ängstlich nach der Thüre blickend, an welcher eben jemand vorüber ging, „schützen Sie mich vor einer Begegnung mit.... mit dem Menschen, d« sich Richards Bruder nennt, ich kann ihn nicht sehen!"
„Diese Begegnung haben Sie nicht zu fürchten," versetzte lächelnd der Arzt, „aber nun hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich war gestern, als der Brief Ihres Verlobten ankam, gerade hi« in Rauheneck. Ihr Vater las das Schreiben ruhig durch, lachte dann höhnisch und sagte: „Gut ausgcdacht! Aber in die Falle gehe ich nicht, für Geld und gute Worte findet man immer Leute, die bereit sind, alles, was man will, zu beschwören und zu bezeugen." Als nun der — ich muß ihn jetzt wohl Mortlock nennen, teilnehmend fragte, ob « unangenehme Nachrichten empfangen, warf er ihm den Brief über den Tisch mit den Worten hin. „„Lies, aber ärgere dich nicht! ich glaube keine Silbe von dem, was dies« .Loring erzählt haben soll.'" Ich sah, daß Mortlock sich bei der Nennung dieses Namen» entfärbte und daß seine Hand, die hastig nach dem Briefe griff, leicht zitterte. Ihrem Vater, der gerade den neben ihm liegenden Jagdhund streichelte, entging das. und jener gewann auch gleich seine Selbstbeherrschung wieder. Er las den Brief bedächtig durch und gab ihn Ihrem Vater zurück, indem « ruhig sagte: „„Ein schlau «sonnen« Plan, um mich bei Ihnen, lieb« Onkel, zu verdächtigen."" — „„WaS ihnen ab« nicht gelingen soll, mein Junge,"" «wiederte Herr von Rauheneck, legt« den Brief gleichgiltig zur Sette und begann von etwas anderem zu reden. Auch Mortlock war heiter und schien in bester Stimmung. Während wir zusammensaßm, hatte sich ein heftiger Schneesturm erhoben, Ihr Vater forderte mich auf, wegen dieses Unwetters die Nacht in Rauheneck zu bleiben, und da ich am nächsten Tag« mehr«« Pattenten in der Nachbarschaft zu besuchen hatte, nahm ich seine Einladung druckbar an. Als wir uns am Abend trennten, um zur Ruhe zu gehen, warf Ihr Vater beim Aufstehen au« seinem Sessel den Brief Ihres Verlobten vom Tische, ich hob ihn auf und wollte ihm denselben zurückgeben, ab« er sagte: „Diesen Si« den Brief, bannt Sir sehen, zu welchen Mtttrln der ehrenwerte Herr Leutnant greift, um seinem Bruder da« Erbe von Rauheneck zu entreißen."" Ich la« also dm