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und Anzeigeblait für den Bezirk Lalw. 66. Jahrgang.

Erscheint Dien s ta g , Donnerstag und Samstag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung S Psg. die Zeile, sonst 12 Psg.

Donnerstag, den 11. Zuni 1891.

Abonnementspreis vierteljährlich in der Stadt 30 Pfg. und 20 Pfg. Trägerlohn, durch d>e Post bezogen Mk. l., sonst iv ganz Württemberg M?. 1. 35.

Tages-Ueuigkerten.

* Calw. Am Montag hatte die hies. freiwillige Feuerwehr ihre Hauptprobe. Als Versuchsobjekt war das Rathaus, im Rückblick auf den jüngst stattgehabten Rathausbrand in Pforzheim, gewählt worden. Da das Wasser in diesem Falle sehr hoch getrieben werden muß, zeigten die Schläuche durch ihre defekten Stellen, daß sie zu alt geworden und durch neue ersetzt werden müssen; zum Ersatz gehören etwa 200 Meter Schläuche. Aus der nach­folgenden Generalversammlung, ist aus dem Vortrag des Kommandanten, Hrn. Georgii, als von allgemeinem Interesse zu entnehmen, daß die Feuerwehr in diesem Jahr 3mal im Ernstfall in Thätigkeit zu treten hatte und zwar beim Brand des der Firma Schill u. Wagner gehörenden Wollmagazins, bei dem Waldbrand der Station Teinach und beim Brand der Kromer'schen Werkstätte in der Badgasse hier. In Anerkennung des raschen energischen Eingreifens der hies. Feuerwehr haben die Besitzer der Schill u. Wagner'schen Fabrik der Feuerwehr-Kasse 200 zufließen lassen, welche Mitteilung freudig begrüßt wurde. Für die Dienste am Waldbrand am Dickemer Berg reichte die Feuer­wehr einen Kostenzettel von ^ 166. ein, welcher vom Eigentümer des Waldes, in diesem Falle also vom Staate, beglichen werden wir^ Die Zahl der Mannschaft hat im verflossenen Jahr eine Zunahme von 17 erfahren und beträgt heute die Gesamtzahl 312 Mann. Der Kassenbestand weist eine Zunahme von 178.27 auf. Die Spritze Nr. 4 wird in näch­ster Zeit einer Reparatur oder Umänderung durch Mechaniker Kurz in Stuttgart unterworfen. Am Schlüsse der gestrigen Probe passierte einem Mit- -gliede, Schneider Steudle, das Unglück beim Hinauf­

ziehen der 2rädrigen Spritze auszugleiten, wodurch demselben das eine Rad über den Rücken fuhr. Wie wir hören wird der Fall keine langdauernde Arbeits­unfähigkeit im Gefolge haben.

* Calw, 9. Juni. Bäckerverbandstag. Der heutige Tag brachte unserer Stadt eine uner­wartet große Zahl von Gästen. Die Teilnahme am zehnten Verbandstage des freien deutschen Bäcker­verbandes war eine außerordentliche und größer als die der früher stattgehabten Vers, in Freudenstadt. Es waren etwa 400 Mitglieder des Verbandes ein­getroffen und auf morgen sind noch weitere zur Be­teiligung an dem Spaziergang nach Zavelstein-Teinach angemeldet. Der größere Teil wurde von den um */s11 und 11 Uhr ankommenden Zügen seitens der hiesigen Genossenschaftsmitglieder abgeholt und unter Begleitung der Stadtmusik in den Saal der I. Dreiß'schen Brauerei begleitet, woselbst um '/-12 Uhr nach einer trefflichen Ansprache, mit welcher Hr. Stadtschultheiß Haffner die werten Gäste begrüßte, die Verhand­lungen begannen. Dieselben berührten Fragen, welche weniger von allgemeinem Interesse sind, später aber im Auszuge mitgeteilt werden können. Um Uhr fand das Mittagessen im Gasthof zum Waldhorn hier statt, in dessen prächtig geschmücktem Saale 190 Gedecke und weitere in den vorderen Wirtschaftsräumen plaziert waren. Der Vorstand des Stuttgarter Ver­bands, Fr. Schlatterer, welcher auch Vorsitzender der Verhandlungen war, brachte den ersten Toast auf unseren Landesvater, welcher in so freundlicher Weise für den Schutz der Gewerbe sorge, auf Se. Maje­stät den König aus. S ch w i n d t - Karlsruhe, Vor­stand der bad. Bäckergenossenschaft brachte nach einer Aufforderung zur Einmütigkeit ein Hoch aus auf den Württ. Bäckerverband. Mühlhäuser- Stuttgart

toastete aus die Ehrengäste, welche die weite Reise hieher nicht gescheut haben. Hr. Lehre nkrauß- Stuttgart freute sich über die Gunst der Witterung, über den Abschluß der widerwärtigen Zeit und die Uneinigkeiten im Verband. Er beneide die glücklichen Kollegen in Calw, welche eine so schöne Gegend be­wohnen und einen tüchtigen Stadtvorstand haben, er bringe sein Hoch den Calwer Kollegen, der Stadt Calw und ihrem Stadtvorstand. Gg. Pfrommer- Calw dankte für den freundlichen Besuch und schloß mit einem dreimaligen Hoch auf die beiden Vorstände Schwindt und Schlatterer. Schmidt-Freudenstadt erinnerte an die unerquicklichen Debatten in den früheren Versammlungen, wo Nord und Süd vereinigt waren, sein Trinkspruch gelte dem süddeutschen Bund. Ditteney-Heidelberg, Vorstand der dort. Genossen­schaft, bringt Grüße vom Unterland. Sein Programm ist selbstständiges Eintreten für das Gewerbe ohne polizeil. Beaufsichtigung. Sein Hoch gelte den Frauen und Jungfrauen, welche jetzt in Abwesenheit der Männer den Geschäften zu Hause vorstehen und wie man dort zu sagen pflege, den Kipf verkaufen. Dieser Toast wurde mit besonderem Beifall ausgenommen. * Nicht nur der vorzügliche Mittagstisch war geeig­net unter den Teilnehmern die fröhlichste Stimmung hervorzurufen, auch die trefflichen Vorträge der hies. Stadtkapelle trugen wesentliches hiezu bei. Dem Vorschlag, an Se. Maj. unseren König ein Telegramm abgehen zu lassen, wurde freudigst beigestimmt. Abends vereinigten sich die Teilnehmer im bad. Hof hier, woselbst die heitere Stimmung in Gesang und Tanzunterhaltung weitere Pflege fand. Heute Mitt­woch 9 Uhr vormittags beteiligte sich bei prächtigem Wetter eine stattliche Anzahl an dem Ausflug nach Zavelstein und Teinach, von wo aus gegen Abend

6 Ir 1 l^ o t O rk> Nachdruck verbotin.

Die Spionin.

Roman aus dem russischen Nihilistenleben.

Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibeamten.

Von Willibald Mencke.

(Fortsetzung.)

Unter starker Bedeckung! Das heißt, es werden mehr als zwei Soldaten, Vielleicht sechs zu seinem Transporte kommandiert werden. Aber gleichviel, wir müssen ihn retten."

Wie sollte das möglich sein? Aus der Festung entkommt Niemand mehr."

Er darf eben nicht in die Festung kommen."

Wie willst Du das verhindern?"

Das weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, daß er gerettet werden muß."

Dmitri, Du willst Dich in Gefahr begeben?"

In Gefahr begeben? Schweben wir nicht immer in Gefahr? Sollen wir nicht Einer für den Anderen einstehen ? Müssen wir nicht Alles daran setzen, Pugatschew zu retten, der zu den Dreien gehört und im Besitze aller unserer Geheimnisse ist? Wenn man sie ihm entlocken würde, so sind wir Alle verraten und verloren."

O, er wird nicht sprechen."

Sage das nicht, Vera. Sie haben Mittel, um den verschlossenen Mund zu öffnen. Gewiß, unser humanes Jahrhundert, unser civilisiertes Rußland kennt die 'Folter der Daumenschrauben nicht mehr. Aber man weiß sich zu helfen. Man läßt ihn nicht schlafen."

Was meinst Du damit?"

Man weckt den Unglücklichen, dem man ein Geständnis abzwingen will, so oft der Schlaf sich auf seine Lider senkt, man rüttelt ihn auf, wenn die Natur ihr Recht fordert; man hält Tage, Wochen lang den Engel des Schlafes von seiner

Strohmatratze fern. Manche werden dabei verrückt und diese Opfer des sinnreichen Systems, das Muraview erfunden hat, endigen im Jrrenhause. Die Meisten aber versinken in einen Zustand, der zwischen Apathie und Verzweiflung hin und her schwankt, sie verlieren die Herrschaft über ihre Willenskraft und gestehen willig, was man von ihnen verlangt.

Das ist teuflisch."

Deßhalb gilt cs, ihn zu retten."

Und was willst Du thun?"

Zunächst dem permanenten Komitee Mitteilung zu machen. Willst Du mit?"

Du fragst noch?" Ich gehe heute nicht von Deiner Seite."

Er rief einen Jswaschtschik an und Beide nahmen in dem kleinen ISchlitten Platz.Nach dem Narwaer Stadtteile, kleine Straße, zum Oblow'schen Hause. Du erhältst drei Rubel, wenn wir in einer halben Stunde dort sind."

Das kleine finnische Pferd, nur durch einen Zuruf von dem Kutscher ge-, spornt, griff wacker aus und pfeilschnell flog der Schlitten dahin.

Die Befreiung.

Auf dem hatten Schnee der Garochowajastraße hallten die gleichmäßigen Schritte von vier Soldaten, die zwei vor und zwei hinter ihm einen Ge­fangenen in der Mitte führten. Eine hohe Figur, das Haupt geneigt, die Hände in den Aermeln seines Pelzmantels vergraben, so schritt er dahin, geführt und ge­folgt von seinen Begleitern über den Admiralitätsplatz der Newa zu.

Erst als man am Quai angelangt war, richtete er seinen Kopf empor. Durch den Dunst der Winternacht, der sich wie ein zarter Nebelschleier auf das Eis des Flusses gelegt hatte, schimmerten die Lichter von Wassili-Ostrow. Dort spannte die Nikolaibrücke ihren mächtigen Bogen und dort ja dort hoben sich gespenstig, düster und drohend die Mauern der Festung aus dem Nebel empor . . .

ES war ihm, als habe sich ihm ein Blick in sein Grab geöffnet. Er fröstelte und sein Kopf sank wieder auf die Brust herab . . .