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stärken). Allein je länger je weniger darf man dieser unersprießlichen Auffassung der Sanitätsfache im Lande sich hingeben, da die Gesammtlage der politischen Verhältnisse eine derartige ist, daß wir vor Kriegs- noth in absehbarer Zeit nicht gesichert sind. Darin aber sind alle Sachverständigen einig, daß ein kriegerischer Zusammenstoß sehr bedeutende Opfer an Menschenkräften erfordern und die Sanitätsarbeit in viel umfassenderem Maß als 1870/71 in Anspruch nehmen wird. Andererseits wird das Aufgebot militärischer Kräfte, welches der nächste Krieg gewärtigen läßt, fast keine Familie unberührt lassen und den Angehörigen der unter den Waffen stehenden Mannschaften so erhebliche persönliche und finanzielle Opfer auferlegen, daß Sammlungen für Sanitätszwecke während der Kriegszeit selbst manche Hilfsquellen versiegt finden werden und daher nicht annähernd auf die Erfolge im Jahr 1870 rechnen dürfen. Um so nöthiger ist es, daß wir, mag der Krieg in naher oder ferner Sicht stehen, in der Friedenszeit die Arbeit der Vereine vom Rothen Kreuz stärken und auf jegliche Vorbereitung bedacht sind.
Das wichtigste Glied dieser vorbereitenden Tätigkeit ist die Vermehrung der Zahl der Mitglieder des Württ. Sanitätsvereins vom rothen Kreuz (als Mitglied des Vereins wird nach Z 2 des Statuts betrachtet, wer sich zu einem jährlichen Beitrag von mindestens 2 ^ verbindlich macht).
Wir bitten daher alle Freunde und Freundinnen dieser Sache der christlichen Humanität in der Stadt und in den Bezirksorten, dem Württ. Sanitätsverein vom rothen Kreuz beizutreten.
Der mitunterzeichnete Oberamtmann Supper wird sich erlauben, in den nächsten Tagen die Beiträge für das Jahr 1891 einziehen zu lasten.
Calw, den 2. Juni 1891.
Oberamtmann Dekan Oberamtsarzt
Supper. Braun, vr. Müller.
Tages-Neuigkeiten.
Stuttgart, 29. Mai. Am letzten Dienstag abend wurde ein gefährlicher Dieb festgenommen. Derselbe hat sich seit ca. 4 Wochen unter falschem Namen hier aufgehalten und mittelst falscher Schlüssel die Geschäftslokale dreier Trödler zu bestehlen versucht. Er ist wegen Diebstahls schon öfters bestraft und in Württemberg mit Landesverbot belegt. — Auf der Messe wurden einige Personen wegen Diebstahls von Waren festgenommen. Auch sind 3 Taschendiebstähle, worunter einer mit 85 zur Anzeige gekommen.
Stuttgart, 31. Mai. Bei dem heute stattgehabten zweiten Frühjahrs-Meetig kam Lieutenant Landauer (Artillene-Reg. Nr. 29) beim 4. Rennen, nachdem er bereits die Führung übernommen, am oberen Ende der Bahn zu Fall, da der Steigbügel brach, und wurde bewußtlos vom Platze gefahren. Er hatte sich eine starke Kopfwunde zugezogen. Prinz Wilhelm begab sich sofort, nachdem der Unfall bekannt geworden, zu dem Verunglückten. Zu erwähnen ist noch, daß dies bereits die dritte Verletzung ist, welche sich Lieut. Landauer in verhältnismäßig kurzer Frist zugezogen hat.
Stuttgart, 1. Juni. In der heutigen Gemeinderatssitzung beantragte Gemeinderat Fischer II mit Gemeinderat Lauser „angesichts der Höhe der gegenwärtigen Getreidepreise und der ungünstigen Ernteaussichten" nach dem Vorgang anderer größerer Städte, „die K. Staatsregierung zu bitten, bei dem Bundesrat auf sofortige Suspendierung der Getreidezölle hinzuwirken." Der Gemeinderat beschloß nach dem Wunsch der Antragsteller, den Antrag der Gewerbeabteilung zur Vorberatung zu überweisen. Diese beantragt, dem „Schwäb. Merk." zufolge, Uebergang zur Tagesordnung.
Ludwigsburg, 31. Mai. Als kürzlich Prinz Wilhelm abends von Stuttgart nach seiner Villa Marienwahl in Ludwigsburg heimfuhr, trat ein Soldat bei Kornwestheim an das Gefährt, dessen Insassen er in der Dämmerung nicht erkannte, und bat, daß er aufsitzen dürfe, er komme sonst zu spät in die Kaserne und dann stehe ihm Arrest in Aussicht. „Nun, sitzen Sie hinten auf," lud ihn der Prinz ein, nachdem er ihn nach seinem Bataillon gefragt hatte. Rasch gings fort und durch die Stadt, wo in der Nähe der Kaserne angehalten wurde. Der Soldat stieg ab und eilte, „Merci" rufend, seiner Kaserne zu.
Eßlingen, 1. Juni. Letzten Samstag kam die hiesige Stadftagd wieder auf weitere 6 Jahre zur Verpachtung. Bisher war die Jagd im Gesamten an eine hiesige Jagdgesellschaft verpachtet zum Preise von 190 Mk. jährlich. Diesmal geschah die Verpachtung in fünf Teilen und wurde ein Gesamterlös von 919 Mk. pro Jahr erzielt, also Mehrerlös gegen bisher 729 Mk. Damit könnte auch mancher Wildschaden gedeckt werden.
Tübingen, 1. Juni. Mit Beginn dieses Frühjahrs hat sich hier eine rege Bauthätigkeit entfaltet. Eine Reihe von staatlichen, städtischen und privaten Gebäulichkeiten sind in Angriff genommen, so die Jrrenklinik, die evangelische Knabenvolksschule, das Schlachthaus u. a. Erstere kommt hinter die neue Frauenklinik auf die Höhe des Föhrbergs zu stehen, und ist die Ausführung des Baus einer Stuttgarter Firma übertragen worden. Die Knabenvolksschule wird auf dem freien Platze an der Kreuzung der Beltles- und Kelterstraße erstellt, während das Schlachthaus an den Fuß ves Oesterbergs, unweit der Lustnauer Straße zu stehen kommt.
Höpfigheim, 31. Mai. Heute früh fand man einen Mann auf der Straße zwischen Murr und Pleidelsheim nach hier tot liegen. In ihm erkannte man den Knecht eines hiesigen Bürgers. Der Knecht hatte Rinden noch in Gemeinschaft mit anderen Fuhrleuten nach Marbach geführt und ist allem Anschein nach während der nächtlichen Heimfahrt schlaftrunken vom Wagen gefallen und überfahren worden. Seine Mitfuhrleute merkten nichts von dessen Unfall, da die Pferde mit Wagen zu ihres Herrn Hause gelangten. Erst bei Tagesgrauen merkte man das Fehlen des Knechtes und fand den Unglücklichen tot.
Bönnigheim, 31. Mai. Nachdem die Einwohnerschaft vorgestern abend kurz vor 8 Uhr durch einen Brand, der übrigens schnell wieder gelöscht werden konnte, in Schrecken versetzt worden war, erschallten gestern abend um 7 Uhr die Feuerglocken aufs neue. Der Leichtsinn eines 10jährigen Knaben hatte das eigene elterliche Haus in Brand gesteckt. In kurzer Zeit waren in dem sehr eng gebauten Stadtteile fünf Wohn- und fünf Oekonomiegebäude von den Flammen ergriffen und brannten total nieder. Der Windstille, sowie den sofort auf dem Brandplatze erschienenen Feuerwehren von hier und den benachbarten Orten war es zu danken, daß das Feuer sich nicht noch weiter ausbreitete. — Es ist dies innerhalb zweier Jahre der dritte größere Brand in Bönnigheim, nachdem 70 Jahre lang vollkommene Ruhe und Sicherheit in dieser Beziehung geherrscht hatte.
Heilbronn, 1. Juni. Ein interessantes Schauspiel wurde gestern nachmittags 1'/- Uhr den Passanten der Neckarbrücke geboten. Fabrikant Andersen in Neckarsulm war mit 3 mit Daimler'schen Petroleum- Motoren betriebenen Booten hieher gefahren, um eine hiezu geladene, größtenteils aus Fachleuten nebst einigen Damen bestehende Gesellschaft von Stuttgart und Cannstatt an Bord zu nehmen unv neckarabwärts zu führen. Das erste, größere Boot, welches ca. 30 Personen faßt und das für Berlin zum Personenverkehr auf dem Havelsee bestimmt ist, wird von einem öpferdigen Motor, die beiden anderen für 6 und 10 Personen je von einem 2pferdigen Motor betrieben. Die Motoren sind in der Mitte der Boote in einem verhältnismäßig sehr kleinen Kästchen untergebracht und arbeiten mittelst der darunter befindlichen Schraube fast ganz geräuschlos und durchaus zuverlässig. Innerhalb 3 Minuten kann ein Kilometer flußabwärts zurückgelegt werden. Dabei lassen sich jegliche Wendungen so präzis durchführen, daß die Mitfahrenden das Gefühl vollkommener Sicherheit haben. Vor der Abfahrt wurden auf dem oberen Neckar zum Ergötzen der zahlreich am Ufer sich aufhaltenden Zuschauermenge verschiedene Uebungen vorgeführt und hierauf, nachdem die Boote die Schleuse passiert hatten, thalab- wärts bis Wimpfen gefahren, dort hielt die Gesellschaft im schön gelegenen Mathildenbad Einkehr und trat dann, in jeder Hinsicht hoch befriedigt, die Heimfahrt mit der Bahn an.
Welzheim, 29. Mai. Nachdem sich kaum der Schrecken des letzten Brandes gelegt hatte, ertönten heute abend st17 Uhr wiederholt die Feuer' zeichen, es brannte ein kleines einstöckiges Haus in der Gänsgasse. Es gelang jedoch der hiesigen Feuerwehr, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken. Entstehungsursache ist bis jetzt unbekannt.
Welzheim, 1. Juni. Gestern nachmittag konzertierte im Gasthaus zum Bären hier eine Musikgesellschaft aus Urbach im Remsthal. Der Rückweg führte sie abends über den 1 Stunde von Welzheim entfernten Bauschehof, wo sie von einem Hunde ange-
„Ob ich einen Herrn Aljanow kenne? Nein — das heißt ja — ich kenne einen Aljanow — aus Moskau — ich glaube — ein Kaufmann, wenn ich mich recht erinnere — man muß in meinen Büchern Nachsehen — es wild sich zeigen, ob sich der Name Aljanow dort findet."
Herr Goluboff hatte sich benommen, wie ein Schuljunge, der auf einem schlechten Streich ertappt ist. Er war über und über rot geworden, und während er diese Worte mehr stotterte als sprach, hielt er sein Taschentuch vor den Mund, hustete und wendete sich ab, um seine Verlegenheit zu verbergen.
„Herr Aljanow hat mir ein sehr ansehnliches Gebot auf mein Haus gemacht, unter sehr guten Bedingungen —"
„Ah, und Sie wollen sich erkundigen, ob der Mann Kredit verdient", fiel Herr Goluboff rasch ein, indem er aufatmete und seinen breiten Mund zu einem Lächeln verzog. ,O, ich denke wohl, dir Firm Aljanow ist gut, ein solides Haus —"
„Das will ich meinen", sagte der Fürst, „denn dieses Haus Aljanow nennt sich eigentlich Goluboff und Co.
„Wie m aller Welt kommen Sie darauf?" fragte Goluboff.
„Ich kam hierher, um mich mit ihrem Neffen Herrn Stephan Goluboff, über diesen wichtigen Punkt auszusprechen. Ich habe ihn aber nicht zu Hause getroffen —"
„Er ist auf der Börse", fiel Goluboff ein. „Sie haben Recht, es ist bester. Sie sprechen mit ihm. Stephan Michailitsch ist ein Mann, der von Geschäften mehr versteht als ich — er kann Ihnen sagen — Sie kennen ihn ja wohl persönlich?"
„Ich habe ihn erst vorgestern kennen gelernt und unter Umständen, die mir den Verdacht nahe legen, daß dieser Herr Aljanow, der mein Haus für 300 000 Rubel ankaufen und es doch in meinem Besitze lassen will. Niemand anders ist, als der mir bis dahin unbekannte junge Mann, der mir vorgestem Abend hunderttausend Rubel zur Verfügung stellen wollte. Und ich bin jetzt überzeugt, daß der Neffe dabei stets im Sinne des Onkels handelte, der eine Gelegenheit sucht, um sich für einen Dienst, den ich ihm zufällig einmal leisten konnte, erkenntlich zu zeigen. Ist dem so Herr Goluboff oder nicht?"
„Und wenn es so wäre?" gab Herr Goluboff die Frage zurück. „Wenn Stephan Michailitsch so gehandelt hat, so kann er allerdings davon überzeugt sein, daß er ganz in meinem Sinne handelte. Aber ich weiß davon nichts, Herr Fürst, nicht das Geringste weiß ich davon. Lassen wir also diese Geschickte! Haben Sie die Gnade, Alexander Nikolajitsch, von etwas Anderem zu sprechen.
„Nicht doch, Iwan Jwanitsch, wir müssen die Sache ins Reine bringen. Sie wissen rccht gut, um was es sich handelt, denn Sie waren es, der eines Tages zn Stephan Michailitsch sagte: Der Fürst hat meinem Kinde das Leben gerettet, aber wie in aller Welt soll ich mich ihm dankbar zeigen? Wenn er ein armer Student wäre, ich wollte ihn reich und glücklich machen, aber kann ich einem russischen Fürsten Geld anbieten? Nun geschieht es, daß Stephan Michailitsch mich in einer prekären Lage antrifft, die ihm Gelegenheit bietet, sich mir gefällig zu zeigen. Er zahlt 5000 Rubel für mich und erklärt sich bereit, zwanzig mal so viel mir auf beliebige Zeit vorzustrecken. Ich habe eine Unterredung mit chm, und er erfährt von mir, daß meine derangierten Verhältnisse mich zum Verkaufe meines Hauses nötigen. Am anderen Morgen spricht er mit Ihnen, man zieht einen Advokaten zu Rate und man läßt einen Vertrauensmann als Herrn Aljanow figurieren und mit meinem Intendanten in Verhandlung treten. Hab ich recht oder nicht, Herr Goluboff?"
„Ich weiß nicht," erwiederte Herr Goluboff verwirrt. „Sie thun jedenfalls besser, mit Stephan Michailitsch zu sprechen."
„Hoffentlich wird sich die Gelegenheit dazu finden," sagte der Fürst, indem er sich erhob. „Vorläufig halte ich mich an Sie, Herr Goluboff. Sie haben in dieser Angelegenheit nicht nur mit der Großmut eines reichen Mannes, sondem auch mit einer Delikatesse des Herzens gehandelt, die ich zu schätzen weiß. Wir sind quüt für den Dienst, den ich Ihnen einst geleistet habe, schon durch die Art und Weise, wie Sie mir ihn vergelten wollten. Wenn ich auch Ihr großmütiges Anerbieten nicht annehmen kann, daß Sie es mir in einer so delikaten Weise gemacht haben, verpflichtet mich Ihnen für immer und ich bitte Sie um Ihre Freundschaft, deren Wert ich erst jetzt recht schätzen gelernt Hab«!" (Forts, folgt.)