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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
66. Jahrgang.
Erschein! Di en S ta g , Donnerstag und SamStag. Die EinrückungSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.'
Donnerstag, den 28. Mai 1891.
Abonnementspreis vierteljährlich in der Stadt »0 Pfg. und 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen M?. 1. 18, sonst in ganz Württemberg Mk. 1. 88.
Tages-Neuigkeiten.
Calw, 27. Mai. In Pforzheim wird am nächsten Sonntag das 6. badische ev. Landeskirchengesangsfest gefeiert werden. Die Festpredigt hält Professor Swend aus Friedberg; Organist Jäger aus Karlsruhe wird den musikalischen Teil leiten. Die Aufführung findet nachmittags 3 Uhr in der Schloßkirche statt. Zu diesem Gesangsfest hat der ev. Kirchengesangverein Pforzheim, der voriges Jahr in der hiesigen Stadtkirche einige Lieder vorgetragen hat, eine freundliche Einladung hieher ergehen lassen.
- Altensteig, 21. Mai. Sicher allein dastehend ist bei der verhältnismäßigen Jugend unseres Volksschulwesens der Fall, daß ein und dieselbe Stelle jedesmal vom Vater auf den Sohn überging. Am 1. Mai wurde Schullehrer Schlack in Altensteig-Dorf pensioniert. Mit ihm geht die Stelle auf eine andere Linie über, da der letzte Erbe vom Hause Schlack keinen Sohn hinterläßt, der die vom Jahre 1744 stammende Tradition weiterführen könnte.
Stuttgart, 25. Mai. In der Nacht-vom letzten Samstag auf Sonntag zwischen 12—1 Uhr bekamen zwei Arbeiter in der Klosterstraße über eine Schuldforderung von 5 ^ streit, wobei der Gläubiger seinem Schuldner mit einer Schusterkneipe einen Stich ins Genick beibrachte. Der Thäter ist verhaftet. Der Verletzte wurde ins Katharinenhospital verbracht.
— lieber den Tod des Redakteurs Max Spangenberg schreibt der „Beobachter": „Der Hergang bei dem Sturz ist nicht aufgeklärt; der Tote litt so stark an Schwindelanfällen, daß, so oft er dem geöffneten Fenster nahe kam, er in Sorge geriet, das Gleichgewicht zu verlieren, auch war er vor einem Jahre schon einmal im Schwindel gestürzt. Es ist wahrscheinlich, daß er an das offene Fenster getreten ist und vom Schwindel erfaßt wurde; die Annahme
einer Anwandlung von Schwermut als Folge seiner in den letzten Wochen hervorgetretenen Nervenüberreizung ist bei der heiteren Stimmung, die er unmittelbar zuvor noch gezeigt hatte, nicht wahrscheinlich." — Die „Freisinnige Zeitung" schreibt: Max Spangen- berg, der Redakteur des „Beobachters" in Stuttgart, war ein geborener Berliner und spielte in Berliner Studentenkreisen vor zehn Jahren als Sprecher der freisinnigen Studentenschaft, die er auch eine Zeit lang im Ausschuß vertrat, eine Rolle. Wie wir hören, plant die an der Berliner Universität bestehende „Freie wissenschaftliche Vereinigung", deren Begründer und langjähriger Vorsitzender der Verstorbene war, die Veranstaltung einer Trauerfeier.
Rottenburg a. N., 26. Mai. In unmittelbarerer Nähe des bischöflichen Palais, gerade gegenüber dem k. Oberamt, sind heute Nacht wieder 4 Häuser und einige Scheuern niedergebrannt. Um 11 Uhr ist der Brand ausgebrochen. Hätten wir eine städtische Wasserleitung, so wären wieder nicht so viele Häuser abgebrannt. So aber mußten wir eben warten, bis Wasser vom Neckar heraufgepumpt war. Hätten wir aber die Wasserleitung des k. Landesgefängnisses in solchen Fällen nicht zu sofortiger Verfügung wie wir sie glücklicherweise haben, so stünde in Folge der Brandfälle des letzten Jahres von Rottenburg höchstens noch die Hälfte.
Heilbronn, 23. Mai. Während wir hier von Maikäfern fast gänzlich verschont vlieben und einzelne Exemplare zu den Seltenheiten gehören, zeigt sich dieses Ungeziefer in anderen Landesteilen, besonders in der Gegend von Leutkirch, in solch ungeheurer Anzahl, daß die Laubbäume von ihnen gänzlich kahl gefressen sind. Die dortigen Anlagen auf der Wilhelmshöhe, die eine Zierde der Stadt bilden, sind in geradezu erschreckender Weise heimgesucht. Wie Besenreis ragen die Baumzweige in die Luft und noch
immer wimmelt es in denselben von den braunen Gesellen, die heißhungrig auch den letzten Rest von Vegetation vernichten.
Heilbronn, 25. Mai. Ein 5 Jahre altes Knäblein warf in der elterlichen Küche beim Seilhüpfen einen Topf mit siedendem Wasser um und verbrühte sich derart, daß es nach kurzer Zeit den Brandwunden erlag. — Gestern fiel ein Knabe in den stark angeschwollenen Neckar und wäre ertrunken, wenn nicht Bäckermeister Gerock ihm nachgesprungen wäre und ihn mit Einsetzung des eigenen Lebens g e - rettet hätte.
Heidenheim, 24. Mai. EineArt Spielmarke, in der Größe von Zehn-Markstücken, echt vergoldet, auf der einen Seite ganz so geprägt, wie ein Zehnmarkstück, ist offenbar nur gemacht, um zu betrügen. Dieser Tage wurden hier solche fiir Zehnmarkstücke an den Mann gebracht, trotzdem auf der Rückseite „Spielmarke" steht. Es wäre zu wünschen, daß man den Leuten, die dieses unsaubere Geschäft treiben, auf die Spur käme.
Ehingen, 21. Mai. Den Jägerburschen des Barons v. Stauffenberg in Rißtissen traf gestern ein schwerer Unfall. Derselbe ruhte im Parke aus, als plötzlich einer der hier sich aufhaltenden Schwäne ihn wüthend anfiel. Unglücklicherweise wehrte sich der Bursche mit dem Schaft des Gewehres, wobei dasselbe losging und ihm den ganzen Arm zerschmetterte, was schauerlich anzusehen war. Der Jägerbursche wurde ins Bezirkskrankenhaus hieher verbracht, wo heute die Amputation des Armes stattfindet.
Laup heim, 22. Mai. Heute mittag 12 Uhr brannte es in dem in unmittelbarer Nähe des Postgebäudes befindlichen Brauyause des Posthalters. Zweifelsohne entzündete sich das Malz auf der Dörre; nach 1stündiger harter Arbeit war die Löschmann-
6 ^ 6 1 O Nachdruckverboten.
Die Spionin.
Roman aus dem russischen Nihilistenleben.
Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibeamten.
Von Willibald Mencke.
(Fortsetzung.)
„Und dieser Herr Aljanow bietet 300000?"
„Allerdings, und unter besonders vorteilhaften Bedingungen die darauf schließen lassen, daß cs dem Käufer keineswegs darum zu thun ist, ein vorteilhaftes Geschäft zu machen."
„Ach. erzählen Sie doch!"
„Es war gestern Nachmittag, als sich ein Herr bei mir meldete, der sich mir als Kaufmann Aljanow aus Moskau vorstellte. Er fragte mich, ob die Nachricht begründet sei, daß Eure Durchlaucht gesonnen sind, das Palais zu verkaufen; er sei in diesem Falle in der Lage, mir ein sehr ansehnliches Angebot zu machen. Ich versicherte ihm, daß der Verkauf noch keine definitiv beschlossene Sache sei, und er nannte mir hierauf 300 000 Rubel als eine Summe, die er zu bieten beauftragt sei."
„Beauftragt? Von wem beauftragt?"
„Von einem Moskauer Freunde, der vorläufig nicht genannt sein will."
„Merkwürdig", murmelte der Fürst.
„Das Seltsamste kommt noch. Eine Stunde später, nachdem mich der Fremde «erlaffen hatte, erhielt ich ein Schreiben des Herrn Aljanow, das für mich bestimmt ist, das ich aber Ihnen vorzulegen mich für verpflichtet hatte."
Der Intendant überreichte dem Fürsten ein Schreiben, das mit dem Namen Aljanow unterzeichnet war und das, von den üblichen Eingangs- und Schlußformeln abgesehen, folgendermaßen lautete:
„Es mag Ihnen sonderbar erscheinen, daß ich ein Angebot auf das Hau» des Herrn Fürsten gemacht habe, ohne Ihre Forderung abzuwarten, und daß sich
unser Handel in Formen bewegt, die nicht streng geschäftlich sind. Die Erklärung finden Sie in Folgendem: Der selige Vater des Herrn Fürsten hat meinem Freunde, dessen Auftrag ich vollziehe, einst einm Dienst geleistet, der das Glück seines Lebens begründete. Durch einen Zufall hat mein Freund von den mißlichen Vermögens- Verhältnissen Kenntnis erlangt, in die der Sohn seines Wohlthäters geraten ist und die den Verkauf seines Familienpalais zur Notwendigkett gemacht haben. Sie werden es begreiflich finden, daß mein Freund, indem er als Käufer auftritt, die geschäftliche Usance des Feilschens und Handelns zu umgehen sucht, indem er aus freien Stücken eine Summe bietet, die dem Werte entspricht, den das Haus für ihn haben würde. Indem es durch Zahlung dieser Summe in seinen Besitz übergeht, erlaubt sich mein Freund zugleich, dem Herrn Fürsten in dankbarer Erinnerung an die Wohlhat, die sein in Gott ruhender Vater ihm einst erwiesen hat, das Haus zu lebenslänglicher Benutzung zu überlasten, wobei der ehemalige Besitzer und Verkäufer von der Zahlung eines Zinses, sowie von Bestreitung der Ausgaben für Rep rraturen, Steuern u. s. w. befreit ist. Falls es Ihnen, Herr Intendant, gelingt, die Sache d:m Herrn Fürsten so darzustellen, daß von einer Gefälligkeit, die der Käufer in Erinnerung an eine früher empfangene Wohlthat dem Herrn Verkäufer erweist, gar nicht die Rede ist, und daß es sich hier um ein für beide Teile vorteilhaftes Geschäft handelt, wird Ihnen hiermit von Setten meines Auftraggebers ein Honorar von 10,000 Rubeln für Ihre Bemühungen zugesichert.
Ich benachrichtige Sie zugleich, daß bei dem Bankhause Stieglitz 310,000 Rubeln deponiert sind, und daß der Advokat Stephan Milutin, Wassili-Ostrow, großer Prospekt dir. 15, beauftragt ist, für den Unterzeichneten den Kauf in den gesetzlichen Formen abzuschließen."
Der Fürst übergab den Brief seinem Intendanten, der sich erhob, um die Befehle seines Herrn entgegenzunehmen.
„Ich danke Ihnen," sagte er dann, „daß Sie mir diesen Brief mitgeteilt haben. Aber Sie haben sich dadurch um zehntausend Rubel gebracht."
„Ich habe es für meine Pflicht gehalten."
„Ein Mann wie Sie konnte nicht ander« handeln. Aber Sie begreifen, daß