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5) Die Ortssteuerkommissionen haben das Geschäft pünktlich und unter genauer Beachtung der bestehenden gesetzlichen und instruktiven Bestimmungen zu besorgen und die Aufnahmeakten pro 1. April 1891 mit solchen des Vorjahrs nebst den Kostenverzeichnissen spätestens bis zum 15. Mai d. I. hieher vyrzulegen.
-Ferner wird:
6) darauf aufmerksam gemacht, daß Leibgedinge» einschließlich eingedingter Wohnungsrechte, Leibrenten u. s. w. der Besteuerung unterliegen und daher gleichfalls zu fatieren find.
Ebenso wird zur genauen Nachachtung von Seiten der Ortssteuerkommissionen und Steuerpflichtigen bemerkt, daß durch Art. 1 des Gesetzes vom 30. März 1872 die Steuerfreiheit der Renten und Dividenden aus — der württembergischen Gewerbesteuer unterliegenden — Aktienunternehmungen Art. 1. II Schlußsatz des Gesetzes vom 19. September 1852) und ebenso die gänzliche oder teilweise Steuerfreiheit des aus dem Auslande fließenden und im auswärtigen Staate bereits einer Steuer unterliegenden Kapital- und Renteneinkommens (Art. 3 i. des Gesetzes vom 19. September 1852) aufgehoben worden ist und in letzter Beziehung bloß die nachweisbar zum Ansatz kommende auswärtige Steuer am Jahresertrag dieser Einkünfte abgezogen werden darf.
Verzinsliche und unverzinsliche Zielforderungen (Zieler) unterliegen gleichfalls der Kapitalsteuer und sind deshalb zu fatieren. Zur Fassion verpflichtet das Recht zum Bezug; es ist z. B. eine von Martini 1890 an verzinsliche, an Martini 1891 zahlbare Ziel- sorderung auf den 1. April 1891 zu fatieren. Ebenso ist eine, von Georgii 1890 an verzinsliche, und an Georgii 1891 zahlbare Zielforderung noch auf den 1. April 1891 zu fatieren.
Das feste, ständige Berufs- und Dienst-Einkommen ist nach dem Stande vom 1. April 1891, das veränderliche, wechselnde, und hierunter fallen insbesondere vie Arbeiter (Fabrik-, Goldarbeiter), Taglöhner u. a., welche ein zum Voraus bestimmtes Einkommen in der Regel nicht beziehen, nach dem Ergebnis des der Fatierung unmittelbar vorangegangenen Jahres (12 Monate, also von der Zeit 1. April 1890 bis 31. März 1891) je im vollen Jahresbetrag zu fatieren.
Die Einlagen in die Oberamts- und Landessparkaffe brauchen nicht fatiert zu werden. Es können daher diejenigen Personen, welche keine anderen als in derartigen (in Art. 3 lit. e. des Gesetzes vom 19. September 1852 aufgeführten) Sparkassen angelegten Kapitalien besitzen, bei der Aufnahme unberücksichtigt bleiben und in den Aufnahmeprotokollen weggelaffen werden.
Die Steuerpflichtigen haben die Fassionen selbst zu uuterzeichneten. Die Bevollmächtigten der im Auslande sich aufhaltenden Steuerpflichtigen und die Privatvermögensverwalter haben den Fassionen Vollmachten in Original oder beglaubigter Abschrift unter Angabe der Gültigkeitsdauer beizuschließen.
Die gesetzlichen Stellvertreter bedürfen einer Vollmacht nicht.
Wer sein der Besteuerung unterliegen
des Einkommen ganz oder teilweise verschweigt, hat neben der verkürzten Steuer den zehnfachen Betrag derselben als Strafe zu bezahlen.
Die Steuergefährdung ist im Falle unvollständiger oder unrichtiger Fassion mit Ablage der schriftlichen oder mündlichen Erklärung an die Aufnahmebehörde, bei gänzlicher Unterlassung der Anzeige aber mit dem Ablauf des Steuerjahrs vollendet (Art. 11 Absatz 3 des Gesetzes vom 19. September 1852).
Die durch gänzliche oder teilweise Verschweigung des steuerbaren Einkommens begangene Verfehlung wird dann straffrei gelaffen, wenn von dem Steuerpflichtigen oder Fassionspflichtigen, bevor eine Anzeige der Verfehlung bei der Behörde gemacht wurde, oder ein strafrechtliches Einschreiten erfolgte, die unterlassene oder zu nieder abgegebene Erklärung (Fassion) bei einer Aufnahmebehörde oder einer dieser Vorgesetzten Steuerbehörde nachgetragen oder berichtigt und hiedurch die Nachforderung der sämtlichen nicht verjährten Steuerbeträge ermöglicht wird. (Gesetz vom 13. Juni 1883.)
Nach dem Tode eines Steuerpflichtigen, welcher infolge unterlassener oder unvollständiger Fassion keine oder zu wenig Einkommenssteuer entrichtet hat, sind dessen Erben bezw. deren gesetzliche Vertreter verpflichtet, innerhalb 6 Monaten, vom Tode des Erblassers an gerechnet, bei dem Bezirkssteueramt das nicht oder in zu geringem Betrage fatierte Einkommen, soweit die Steuer nicht am Todestage des Erblassers verjährt ist (Art. 13, Abs. 3 und 5 des Gesetzes vom 19. Sept. 1852), anzumelden. Ferner sind die Erben, insoweit sie durch die Erbschaft bereichert sind, schuldig, das Dreifache der von dem Erblasser nicht entrichteten und nicht verjährten Steuerbeträge nach dem Verhältnis ihrer Erbanteile zu ersetzen.
Unterbleibt die Anmeldung oder wird sie unvollständig abgegeben, so verfallen die Erben, beziehungsweise solche gesetzliche Vertreter derselben, welche an der Erbschaft vermögensrechtlich beteiligt sind, nach Verhältnis der Erbanteile in die Strafe des zehnfachen Betrags der zurückgebliebenen, nicht verjährten und von ihnen durch die Unterlassung oder die Unvollständigkeit der Anmeldung verkürzten Steuerbeträge; andere gesetzliche Vertreter der Erben unterliegen einer Ordnungsstrafe bis zu 300 ^ (Art. 2 des Gesetzes vom 23. Mai 1890, Regbl. S. 105).
Den 11. April 1891.
K. Kameralamt.
Kemmel.
Tages-Aeuigkeilen.
Stuttgart, 10. April. (Abgeordnetenkammer.) Heute beriet die Kammer über die Staatsschuld und deren Verzinsung, ohne aber dabei auf die wichtige Frage der Wahl des Zinsfußes für die Konversionsanleihe näher einzugehen, über die man erst bei Art. 8 des Finanzgesetzes debattieren will. Als Verzinsung der Staatsschuld, die am 1. April 427 966 756 ^ 61 betrug, werden pro 1891/92 17 170 860 ^ 30 -g, pro 1892/93 17 390 051 72 in den Etat eingestellt. Bei der Frage der
Tilgung regt der Berichterstatter Probst die Frage- der Verwendung größerer Summen aus Restmittelw für Eisenbahnzwecke, insbesondere für Vermehrung des Wagenparks, an, worauf der Minister erwidert, daß im ganzen die Staatskasse schon über 100 Millionen für Eifenbahnzwecke aufgewendet habe.
Stuttgart, 9. April. Der bekannte frühere Hauptmann Edm. Miller hat eine Publikation über Soldatenmißhandlungen vorbereitet. Die Schrift wendet sich an der Hand eines ergreifenden Materials direkt an den Kaiser und die Bundesfürsten, um namens des Heeres, der Nation und der Menschlichkeit eindringlich Abstellung von Mißständen zu fordern. — Die zwei unteren Seen in den K. Anlagen sollen gereinigt werden, da durch die immer mächtiger fortschreitende Schlammbildung der Untergrund der die Seen umgebenden riesenhaften Bäume gelockert wird und dieselben durch einen Sturm leicht gestürzt werden könnten. Die Kosten dieser Arbeiten sind auf 160000 ^ veranschlagt.
Stuttgart, 9. April. Heute nacht 3 Uhr gab in der Kronprinzstraße ein Mann aus den besseren Ständen auf den Nachtposten vor dem Stockgebäude einen Revolverschuß ab. Der Posten — ein Einjährig-Freiwilliger suchte den Angreifer zu verhaften. Alsbald knallte ein zweiter Revolver-Schuß; glücklicherweise verfehlte auch er das Ziel. Inzwischen war der Nachtwächter aus dem Gebäude zu Hilfe gekommen, siel dem Attentäter in den Arm und schlug den Revolver, welcher zum dritten Mal losging, dem Angreifer mit vieler Mühe aus der Hand. Endlich überwältigt wurde er durch die Königsstraße von drei Schutzleuten zur Polizei transportiert, rief aber laut brüllend um Hilfe, so daß die Bewohner der Straße an die Fenster eilten. Der Thäter ist ein geisteskranker früherer Offizier.
Heilbronn, 10. April. Die sozialdemokratische Partei hatte auf gestern Abend in den Sonnensaal eine öffentliche Volksversammlung einberufen, zu welcher sich eine ungewöhnlich große Teilnehmerzahl eingefunden hatte. Der Anlaß war folgender : Bei der Bismarckfeier im Harmoniesaale hatte R.-Anwalt Mögling in einer Rede die Worte gebraucht: „Die Demokratie heze und lüge wie die Sozialdemokratie". Auf dieses hin wurde er zunächst von vr. Lipp in der Heilbronuer Zeitung angegriffen, was R.-Anwalt Mögling veranlaßte, in einem offenen Briefe, welcher mit der Neckarzeitung ausgegeben wurde, seinen Standpunkt gegenüber der Demokratie und l>r. Lipp klarzustellen. Dem letztem machte er dabei eine Reihe persönlicher Vorwürfe mit der Aufforderung ihn (Mögling) dafür beim Schöffengerichte zu belangen, wenn er könne. Lipp brachte in seiner Zeitung wieder eine Entgegnung, in der er auf eine Beleidigungsklage zunächst verzichtete. Zur gestrigen Versammlung! wurde R.-Anwalt Mögling besonders einaeladen. Mögling erklärte aber, wenn Lipp da sei," der so lange bügerlich tot sei, als er ihn nicht gerichtlich belange, so werde er nicht erscheinen. Lipp war anwesend. Der Hauptredner des Abends
„Sie wünschen, Herr Polizeirat?"
„War während meiner Abwesenheit Jemand hier in meinem Zimmer?"
„Nein, Herr Polizeirat."
„Auch in den letzten Tagen nicht?"
„Gewiß nicht. Ich habe den strengen Befehl von Ihnen, Herr Polizeirat, Niemand während Ihrer Abwesenheit in Ihr Zimmer zu lassen, und ich bin nicht einmal in Versuchung gekommen, diesem Befehle gegenüber ungehorsam zu werden."
„Haben Sie nie während meiner Abwesenheit ein verdächtiges Geräusch in meinem Zimmer bemerkt?"
„Nicht das geringste, Herr Polizeirat."
„Hat die Wache nicht etwas zur Anzeige gebracht, was mir bisher noch nicht mitgeteilt wurde?"
„Ich weiß von nichts."
„Es muß zur Nachtzeit geschehen sein. Die Kerls werden geschlafen haben. Verlasse sich Einer auf die Wachsamkeit unserer Polizisten."
„Darf ich vielleicht fragen, Herr Polizeirat, was geschehen ist?"
„Es ist weiter nichts geschehen, als daß mir ein Dokument, auf das ich den größten Wert lege, aus meinem Schreibtische gestohlen wurde."
„Ein Dokument —"
„Ein Brief, schwarz gesiegelt, ohne Aufschrift —"
„Aus Ihrem Schreibtische? Aber wie in aller Welt ist das möglich?"
„Das frage ich Sie."
„Der Herr Rat werden es verlegt haben."
„Diese Möglichkeit ist ausgeschloffen. Ich erinnere mich genau der Stelle, wohin ich es gelegt habe. Ich sehr, daß ich mich auch auf meine nächste Umgebung nicht verlassen kann."
Der Sekretär erblaßte. Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit scheinbar ruhiger Stimme, durch die doch seine innere Erregung zitterte: Wenn ich ich da» Vertrauen meines mir sonst so wohlgesinnten Chefs nicht mehr genieße, so
steht es dem Herrn Polizeirat jeden Augenblick frei, mich zu entlassen oder mich in Untersuchung zu ziehen."
„Ich habe nicht gesagt, daß ich Sie in Verdacht habe, den Brief gestohlen zu haben. Ich mache Ihnen nur den Vorwurf, daß Sie nicht wachsam genug sind."
„Wenn ich mir in diesem Punkte einen Fehler habe zu Schulden kommen lassen, obwohl ich im Augenblicke nicht davon überzeugt bin, so dürfen der Herr Polizeirat überzeugt sein, daß ich es in Zukunft an verdoppelten Anstrengungen, mich in jeder Hinsicht Ihres Wohlwollens würdig zu machen, nicht fehlen lassen werde. — Darf ich vielleicht fragen," fuhr er fort, während er unmutig im Zimmer auf und ab ging — „um welches Schriftstück es sich handelt?"
„Um einen Brief der ermordeten Vera Timanff."
Ich sah, wie er zusammenschrak. Seine dunklen Augen richteten sich mit dem Ausdrucke starren Entsetzens auf mich. „Vera Timanoff?" stieß er dann hervor.
„Die Ermordete von Jelagin ist Niemand anders als Vera Timanoff."
„Gott der Barmherzige!" rief er aus. „Das ist nicht möglich! Vera Feodorowna ist ermordet?"
Hätte ich mich wundern sollen über die Teilnahme, die ihm das Geschick der Unglücklichen einflößte? Vera Timanoff war es gewesen, die ihm seine Stelle verschafft hatte. Sie hatte längere Zeit mit ihm in demselben Hause gewohnt und so Gelegenheit gefunden, sich von der Not zu überzeugen, mit der der arme Student zu kämpfen hatte, der sich Paul Zwetajeff nannte. Sie schilderte mir eines Tages seine drückenden Verhältnisse und fragte mich, ob ich keine Anstellung für ihn habe;, und da der Mann eine ungewöhnlich schöne Handschrift hatte und ich längK daran dachte, für die Abschriften wichtiger Berichte und von Schriftstücken, dis direkt an den Polizeimeister gingen, mir einen besonderen Sekretär zu Hallen, so gab ich ihm diese Stelle. Er hatte sich mir in dieser Thätigkeit nützlich erwiesen und er genoß mein volles Vertrauen, so daß dev Bedacht, der in mir erwacht war, schnell wieder verschwand. „Sie ist dem Berufe zum Opfer gefallen, dem sie sich in unserem Interesse widmete", sagte ich. „Es ist kaum ein Zweifel daran möglich, daß sie von dm Nihilisten ermordet wurde." (Forts, folgt.)