Zittau. Ein kürzlich durch den Abgeordneten Bebel nn Reichstag zur Sprache gebrachter Fall von Soldatenmißhandlung ist jetzt vor dem Militärgericht verhandelt worden. Ein Unteroffizier des hier gar- nisoniercnden Infanterie-Regiments, welcher einem Rekruten beim Exerzieren ein größeres Stück Eis auf den Kopf legen ließ, wurde, wie die „Zittauer Morgenzeitung" vernimmt, zur Degradation und zu neunmonatlicher Festungshaft verurteilt. Ein anderer Unteroffizier desselben Regiments, welcher das Durchdrücken der Knie beim Paradeschritt durch Stoßen mit der Fußspitze an das Bein erzwingen wollte, wurde mit 3 Monaten Festungshaft bestraft.
— In der Sitzung der Abgeordnetenkammer vom Donnerstag voriger Woche, nahm der Abgeordnete Conrad Haußmann die Gelegenheit wahr, über das Alters- und Jnvaliditätsgesetz sich in wegwerfendster Weise auszusprechen, worauf die Debatte zum Schluß nach dem Bericht des „Staatsanzeigers", folgenden Verlauf nahm:
Haffncr: Er möchte die Behauptung nicht unwidersprochen lassen, als ob eine allgemeine Unzufriedenheit im Lande über dieses Gesetz herrschte.
Er habe andere Erfahrungen gemacht, er wisse, daß ein großer Teil der Arbeiter in diesem Gesetz einen Segen erblickt. Es habe jetzt schon viele Glückliche und Zufriedene gemacht, man frage einmal einen dieser alten, abgearbeiteten Männer, welche in Bezug einer Altersrente eingesetzt worden sind! Auch davon, daß die Arbeitgeber unzufrieden wären, hat Redner nichts bemerkt. Die Arbeitgeber sind human genug, um den Arbeitern die Wohlthaten dieser Versicherung zu gönnen. Man bedenke doch auch nur, daß aller Anfang schwer ist, und vollends bei einem Gesetze, das so einzig in seiner Art! Es ist wahrlich nicht wohlgethan, in der Art, wie es geschehen, das kritische Messer anzulegen, ehe man weitergehende Erfahrungen gemacht hat. Das heißt das Kind mit dem Bade ausschütten. Es wird nicht lange Zeit vergehen und die Unzufriedenheit wird dem Gegenteil Platz gemacht haben. (Bravo.)
C. Haußmann: Haffner habe ihn mißverstanden. Von der Notwendigkeit einer Revision der neuen Versicheruugsgesetze habe zuerst der Abg. von Crailsheim gesprochen und er, Redner, habe nur auf die Aeußerungen dieses in diesen Dingen erfahrenen Mannes hingewiesen. Der Abg. Haffner möge sich also statt verdeckter Angriffe auf ihn an den Kollegen von Crailsheim halten, dem gegenüber die Unterstellungen, welche man ihm, Redner, zu machen pflege von Unerfahrenheit, Mangel an praktischer Kenntnis u. s. w. nicht angebracht werden können. Er seinerseits bleibe dabei, daß das nicht Unzufriedenheit erregen heiße, wenn man auf vorhandene Schäden und Mängel aufmerksam mache; damit mache man sich vielmehr verdient. Die Unzufriedenheit werde nicht kleiner, sondern größer, wenn man schweige und den Dingen
mein Wagen vor dem Hause Nr. 57 der Offizierstraße. Der Dwornik, der mir den Schlag öffnete, kannte mich und zog ehrerbietig den Hut.
„Ist Vera Timanoff zu Hause?" fragte ich ihn.
„Nein, Euer Wohlgeboren. Fräulein Timanoff ist verreist."
„Seit wann?"
„Seit acht Tagen etwa."
„Kannst Du iS nicht genauer angeben?"
Der Dwornik sann einen Augenblick. „Es können auch schon zehn Tage her sein."
„Wohin ist Fräulein Timanoff gereist? Weißt Du ihre Adresse?"
„Nein, Euer Wohlgeboren. Sie kam eines Tages nicht nach Hause, obwohl sie in letzterer Zeit fast jeden Abend den Thee auf ihrem Zimmer trank. Wir erwarteten sie vergeblich die ganze Nacht. Am anderen Tag kam ein Brief von ihr an meine Frau, in welchem sie schrieb, daß sie in ihre Heimat abgereist sei und vor einigen Monaten nicht zurückkehren werde. Dem Briefe lag die Miethe für den nächsten Monat bei."
„Hast Du diesen Brief vielleicht noch?"
„He, Mütterchen!" rief der Dwornik seine Frau, die im Hintergründe der Portiersloge mit Messerputzen beschäftigt war. „Hast Du den Brief der Vera Feodorowna noch?"
„Ich glaube wohl."
„Bringe ihn mir, Mütterchen," sagte ich, und Du, Iwan, öffne mir die Wohnung der Vera."
„Es thut mir leid. Euer Wohlgeboren, aber das Fräulein hat den Schlüssel mitgenommen und wir haben keinen zweiten Schlüssel."
„So laß den Schlosser holen."
„Sogleich, Herr, sogleich!"
Während der Dwornik den Schlosser holte, saß ich in der Loge des Dwornik und laS den Brief, den mir seine Frau gebracht hatte. Er lautete folgendermaßen:
„Liebe Anna Paulowna! Ich bin schon aus dem Wege nach dem Gouvernement Kiew, wenn Sie diese Zellen erhalten. Ein Verwandter hat mir mitge-
Abg. Leemann viele seiner nationalliberalen Parteigenossen noch viel schärfer sagen, als er, Redner, es gesagt habe. Man hätte das Gesetz leicht ändern können, wenn man nicht in dem Wahn, daß man einer Humanitären Idee diene, die Dinge überstürzt hätte.
Leemann: Die letzten Worte, daß diese humane Gesetzgebung ein Wahn sei, möge der Abg. Haußmann selbst vertreten. Wenn er, Redner, von der Opposition im Reichstag gesprochen habe, so habe er dabei nicht an die Volkspartci im Besonderen gedacht. Das wäre ja auch seltsam, denn die Volkspartei sei ja im Reichstag teils gar nicht, teils in so kleiner Zahl vertreten, daß man sie leicht übersehen könne. (Heiterkeit und Beifall.) Wenn man von der Opposition im Reichstag rede, so denke man an mächtigere Elemente. Die Kenntnisse, deren der Abg. Haußmann sich rühme über das, was in den Herzen seiner (Redners) Parteigenossen vorgehe, seien ihm überraschend; er wisse nicht, woher Haußman diese Wissenschaft habe. Richtig sei es allerdings, daß seine Partei nicht ohne Bedenken der neuen Gesetzgebung zugestimmt habe. Man habe sich bedacht, aber gegen die Mängel haben die Vorteile überwogen, und darum habe seine Partei es für ihre patriotische Pflicht gehalten, für diese Gesetze zu stimmen. Und wenn heute die gleiche Abstimmung wieder stattfände, so würde er wieder so stimmen. (Lebhafter Beifall.),
Tllges-Ueuisikeiten.
^Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Infolge der vom 17. bis 19. März abgehaltenen Vor» Prüfung sind unter andern nachstehende Aspiranten zur Vorbildung für den Volksschullehrerberuf mit Aussicht auf Staatsunterstützung ermächtigt worden: Dieterich, Wilhelm, von Oberkollwangen, Gwinner, Jakob, von Jgelsloch, Rentschler, Jakob, von Würzbach, Sattler, Albert, von Deckenpfronn,, Schwarz, Wilhelm, von Gechingen, Weiß, Heinrich,, von Gechingen.
* Calw, 8. April. Nächsten Sonntag wird in der hiesigen ev. Stadtkirche die Konfirmation stattfinden. 59 Knaben und 39 Mädchen werden aw diesem Tage ihr Glaubensbekenntnis ablegen. Möge der wichtige Tag den Neukonfirmierten immer in heiliger und ernster Erinnerung bleiben.
Stuttgart, 4. April. In letzter Zeit, wurden hier öfters teils aus dem Markt teils in den. Straßen der hiesigen Stadt den Händlerinnen Körbe mit Butter und Eiern gestohlen, einmal auch ein. Handwägelchen mit der ganzen Ladung. Der betreffende Dieb wurde gestern ermittelt; derselbe hat. die gestohlenen Waren in den Vororten von Stuttgart, namentlich in Gaisburg, im Wege des Hausierens zu billigen Preisen verkauft. Der Dieb ist von Rottenburg und wegen Diebstahls schon bestraft.
Stuttgart. (Kaiser - Wilhelm - Denkmal.)
Heute (Montag) trat das Preisgericht zusammen..
teilt, daß meine Mutter gestorben ist, und ich bin mit ihm abgereist, ohne die Zell zu finden, Ihnen Adieu zu sagen. Da ich eine weite Reise zu machen habe und voraussichtlich längere Zell brauchen werde, um meine Familienangelegenheiten zu ordnen, so werde ich noch einige Wochen, vielleicht auch Monate ausbleiben. Die Miethe für den nächsten Monat lege ich bei und grüße Sie und Iwan aufs Herzlichste. Vera."
„Ein Täubchen, die gute Vera Feodorowna, ein Täubchen, Euer Wohlge,. boren", sagte die Portiersfrau, die ihre Arbeit wieder ausgenommen hatte. „Sie ging nicht viel in die Kirche und sie hielt nicht viel von der Verehrung der Heiligen, aber sie hatte ein Herz für die armen Leute und dafür segnete sie Gott. Ich hoffe,, daß die Zell nicht lange währt, bis sie zu uns zurückkommt."
Ich hatte mittlerweile die Schriftzüge des Briefes einer genaueren Prüfung, unterzogen. Ich erkannte die Hand Veras wieder, von der ich oft Briefe erhallen hatte, und doch machte eS mir den Eindruck, als ob ich es hier mü einer nachgeahmten Handschrift zu thun habe. Sobald aber der Gedanke einer Fälschung in mir erwacht war, zuckte es mir auch blitzartig durch den Kopf: die Ermordete ist Niemand anders als Vera Timanoff!
Seltsam gmug, daß mir dieser Gedanke nicht schon gekommen war, als ich die Inschrift des Kreuzes vom Krestowsky-Friedhofe entziffert hatte. Ich hatte, sobald ich die Ueberzeugung gewonnen, daß ich es mit einem Verbrechen der Nihilisten zu thun hatte, nichts Eiligeres zu thun gehabt, als Vera Timanoff aufzusuchen. DaS junge Mädchen hatte mir, so oft es sich für uns darum handelte, nihilistischen. Umtrieben auf die Spur zu kommen, die wichtigsten Dienste geleistet; wir hatten erst vor einigen Wochen auf ihre Anzeige hin eine geheime Druckerei auf der Wiborger Seüe entdeckt, von der so manche Brandschrift ausgegangen war. Sie galt für eine Nihilistin, war Mitglied eines Zirkels und diente uns in dieser Eigenschaft als Spionin, wofür sie einen monatlichen Gehall von sechzig Rubeln bezog. Wahrscheinlich waren die Nihilisten ihr auf die Schliche gekommen und ein Beschluß. des Exekutivkomitees hatte sie mü dem Tode besttast!
(Fortsetzung folgt.)
freien Lauf lasse. Haffner sagt mit Recht: Aller Anfang sei schwer, aber das hätten diejenigen bedenken sollen, welche diese Gesetzgebung gemacht hatten. Sie hätten sich mit dem Anfang genügen lassen sollen, der mit den ersten Versicherungesetzen gemacht worden, und weitere Erfahrungen abwarten, statt nun auf die weitesten Kategorien den Versicherungszwang ohne ein im Volk gefühltes Bedürfnis auszudehnen. Haffner spreche von Arbeitern, die über diese Gesetze glücklich seien; er würde wohl verlegen sein, wenn man ihn um die Namen dieser Glücklichen befragen würde.
Leemann: Wenn es auf den Abg. von Balingen angekommen wäre, dann hätte man allerdings nicht bloß keine Fortschritte in der Gesetzgebung erlebt, sondern sie wäre wohl gar nicht in Angriff genommen worden. (Zustimmung). Die Genugthuung, sagen zu können, daß man nicht „schuld sei" an dem und jenem Gesetz, sei billig. Die Opposition im Reichstag habe diese Befriedigung bei vielen, vielen Gesetzen, denn sie habe gegen die allermeisten, die heute in Kraft seien, gestimmt. Ilebrigens mache er die Bemerkung, daß die Opposition teilweise schon jetzt es gar nicht mehr Wort haben wolle, daß sie der Versicherungsgesetzgebung sich in den Weg gestellt habe; wie es beim Kranken- und Unfallversicherungsgesetz gegangen sei, die anfangs ebenso wenig beliebt gewesen seien und über welche jetzt Klagen höchst selten seien, so werde es sicher mit den neuen Gesetzen auch gehen, wenn einmal die nützliche Wirkung und nicht bloß die Last derselben sich fühlbar mache. Er glaube, der Abg. Haußmann würde- in der That besser thun, diese unter der Zustimmung der Mehrheit des Reichstags zu Stande gekommenen Gesetze hier nicht in dieser Weise zu kritisieren. (Beifall).
Haffner: Er habe keinen verdeckten Angriff gemacht; er habe offen angegriffen und die tendenziöse Art getadelt, in der diese Gesetze kritisiert worden seien. Und dabei bleibe er. Wenn Haußmann sich für die Namen der von ihm angeführten Arbeiter interessiere, die an diesen Gesetzen eine Freude haben, so sei er auf Befragen bereit, ihm dieselben zu nennen.
C. Haußmann erhält mit Zustimmung des Hauses zum drittenmal das Wort. Haffner habe ihn abermals nicht verstanden (Heiterkeit). Er wolle das Gesetz nicht abschaffen, sondern nur reparieren. Dem Abg. Leemann erwidere er, daß die Volkspartei — und diese habe Leemann ja wohl mit der Opposition gemeint — für das Krankengesetz gestimmt habe. Er persönlich habe freilich Bedenken gegen diese Abstimmung gehabt, geradeso wie die Parteigenossen Leemanns schwere Bedenken gegen das Jnvaliditäts- und Altersgesetz gehabt haben. Heute würde die Partei Leemanns wohl schwerlich mehr für dieses Gesetz zu haben sein; denn der Druck, unter dem es entstanden sei, sei nicht mehr vorhanden. Was man im Volk von diesem Gesetz denke, das könnten dem