140
Hannover, 18. März. Der Trauerzug, welcher die Leiche Windthor st S vom Bahnhof nach der Marienkirche geleitet«, wurde von einem Musik- korpS und zahlreichen Geistlichen eröffnet. Der Sarg wurde an der Marienkirche von dem Bischof von Hildesheun und der Geistlichkeit empfangen. Die KirHe war erleuchtet, mit Trauerflor und Fahnen geschmückt; Ehrenplätze waren für dir Familie Windt- borsts, den Vertreter des Kaisers General v. Bülow, den Aberpräsidenten Herrn v. Bennigsen, die Zentrumsführer u. ,.s. w. Vorbehalten. Der Bischof von Hildesheim zelebrierte das Hochamt, die Trauerrede hielt Generalvikar Hugo. Darauf folgte die Einsegnung der Leiche, die Versenkung in die Gruft und der Verschluß derselben. Der Bischof hielt an der geschloffenen Gruft eine Rede, worin er Windthorst als treuen Sohn der Kirche und als Führer der Katholiken feierte, seine Treue gegen Kaiser und Reich betonte und die Hoffnung aussprach, daß der Geist Windt- horsts fortwirken werde.
Z Mannheim, 15. März. Schon lange hat kein Winter mehr die Rheinschifffahrt so empfindlich getroffen wie der Abgelaufene, denn dieselbe lag seit Anfang Dezember bis vor wenigen Tagen allgemein darnieder. — Diese Störung verursachte eine große Reihe von Unzuträglichkeiten namentlich einen solchen Güterandrang auf den belgischen und holländischen Bahnen, daß die Güterannahme teil- und zeitweife geschloffen werden mußte. — Die Handelsin- tereffenten haben dies schwer empfunden und bekommen es noch nachträglich zu empfinden, denn die entstandenen Verwinterungskosten sind manchmal von sehr beträchtlicher Höhe. — Als sehr bemerkenswert bei diesen unerquicklichen Zuständen erscheint es, daß die Firma I. P. Lanz u. Cie., Mannheim (Schnellfahrt zwischen Antwerpen und Mannheim) noch am 13. Dezember einen ihrer direkten Schnellkähne in den Hafen nach Mannheim zu bringen wußte, zu einer Zeit, wo andere Gesellschaften schon nahezu 8 Tage die Fahrten eingestellt hatten. Die betreffenden Warenempfänger haben also nicht nur eine fehr prompte Beförderung genossen, sondern auch die teueren Verwinterungskosten gänzlich gespart. — Die Firma I. P. Lanz u. Cie. konnte während des ganzen Winters in Antwerpen alle Güter abnehmen, welche ihr angeboten wurden und erwartet schon nächster Tage eine Anzahl Schiffe in Mannheim, welche zusammen ca. 60000 Zentner geladen haben.
Permischtes.
Hafer, ein Nahrungsmittel ersten Ranges. Herr vr. Max Klein in Berlin spricht sich über Hafer in einem Aufsatze u. a. wie folgt aus: „Das beste und kräftigste Nahrungsmittel ist der Hafer, das Volksnahrungsmittel unserer Vorfahren, der alten Germanen. Alle Eltern mögen sich merken, daß Kinder, denen man Haferbrei als tägliche Speise giebt, sehr stark, schön und fleischig werden. Ich kannte eine schottische Familie, deren Kinder hauptsächlich mit Hafergrütze genährt wurden, welche zu jeder Mahlzeit genossen wurde, und muß
bezeugen, daß ich niemals so kräftige, rotbackige und blühende Kinder gesehen habe. Armen Leuten ist deshalb der Haferbrei zu empfehlen, weil er fast ebenso billig ist wie Kartoffelgericht und dabei zehnmal nahrhafter! Die Kartoffel enthält zu wenig Eiweis und zu viel Wasser, um ein gutes Volksnahrungsmittel zu sein. Unser Volksschlag kommt bei einer solchen Nahrung immer mehr herunter; das muß anders werden! Das deutsche Volk muß wieder zu seiner alten Nationalspeise, dem Haferbrei, zurückkehren und den Kartoffelgenuß einschränken. Jeder Menschenfreund sollte dazu beitragen, daß das Volk hierüber belehrt werde. Haferschleim (Hafer- grützschleim, Hafergrützsuppe, Hafermehlsuppe, Hafersuppe) ist eine Abkochung von Hafergrütze mit Wasser, kann aber auch aus Hafermehl gekocht werden, oder endlich aus rohen Haferkörnern, die aber sehr lange mit Wasser eingekocht werden müssen. Diese schleimige, leicht verdauliche Suppe besitzt einen außerordentlichen Nährwert. Haferschleim ist wohl der beste Erfatz für den edlen Kaffee, der blos zehrt und nervös macht. Kindern kann man gar keinen bessern Morgentrunk geben. Leider ist Hafergrütze nicht überall zu haben; es wird dies erst besser werden, wenn sich die Erkenntnis von dem großen Wert derselben als Nahrungsmittel allgemein Bahn gebrochen hat. Wer einen Versuch damit machen will, der wende sich an dieHohenloheschePräservenfabrikinGera- bronn, Württemberg, welch eine sehr gute Grütze zu billigem Preise erzeugt."
Kolonialpolitisches. Eine neue Aufstellung über die Größe und Bevölkerungszahl der Besitzungen der europäischen Mächte m Afrika bringt folgende sehr interessante Zahlen: Frankreich hat 7,400,000 (7)Lm und 24 Millionen Einwohner, England 6,000,000 und 37 Millionen Einwohner, Deutschland 2,760,000 Uftrm und 7,» Millionen Einwohner, Portugal 2,200,000 (Zsim und 9,s Millionen Einwohner, Belgien 2,300,000 Okm und 20 Millionen Einwohner, Italien 1,250,000 (ZLw und 5,i Millionen Einwohner u. s. w. Der gesamte Flächeninhalt Afrikas wird dabei auf 30,000,000 Uslcm angegeben. Wie man sieht, haben England und Frankreich den Löwenanteil bei der Teilung des afrikanischen Kontinents davongetragen, aber wir Deutschen haben doch auch ein erhebliches Stück erhalten und da unsre Grenzen in Kamerun und Togo noch nicht ganz sicher sind, so ist Hoffnung, daß sich hier noch manches zu unfern Gunsten verschieben dürfte. Auf die Größe des Territoriums, welches uns zugefallen ist, kommt es uns aber weniger an, als darauf, daß es nun auch gehörig entwickelt werde, daß sich in Deutschland Kräfte und Mittel genug für diefen Zweck finden. Die Aussichten dafür mehren sich, wenn man bedenkt, daß in diefen Monaten Gesellschaften in der Bildung begriffen sind, deren nominelles Kapital sich annähernd auf 25 Millionen belaufen dürste.
Zeitnngslefern
bietet das täglich zweimal in einer Morgen- und Abend-Ausgabe erscheinende Berliner Hagevlatt und
Lanävls-Lviluns in der Reichgultigkeit, Mannigfaltigkeit und Gediegenheit seines Inhalts die interessanteste und anregendste Lektüre.
Die hervorragenden Leistungen des „Berliner Tageblatt" in Bezug auf rasche und zuverlässige Aachrichten über alle wichtigen Ereignisse, durch umfassende besondere Drahtberichte seiner an alben Weltplätzem angestellten eigenen Korrespondenten werden allgemein gebührcndancrkannt. In einer besonderem vollständige» Kandels-Zeitung wahrt das „Berliner Tageblatt" die Interessen des Publikums, wie diejenigen des Handels und der Industrie durch unparteiische: und unbefangene Beurteilung. Unter Mitarbeiterschaft gediegener Fachschriftsteller auf allem Hauptgebieten, als Theater, MusiZk, Litteratur, Kunst, Naturwissenschaft, Heilkunde rc. erscheinen im „Berliner Tageblatt" regelmäßige wertvolle Hriginal- Iienilletons, welche vom gebildeten Publikum besonders geschätzt werden. Das S. T. bringt ausführliche Aarlamentsverichte , bei wichtigen Sitzungen in einer Extra-Ausgabe, welche noch mit den Nachtzügen versandt wird. Ziehungslisten der Preußischen Lotterie, sowie Effekten-Verloosungen. Militärische und Sport-Nachrichten, Personal-Veränderungen derZivil- und Militär-Beamten. Ordens-Verleihungen. Reichhaltige und wohlgesichtete Tages-Neuigkeiten aus der Reichshauptstadt und den Provinzen. Interessante Gerichtsverhandlungen. — In der Monats-Ausgabe des- „Berliner Tageblatt": „Zeitgeist" geben sich die erstem Schriftsteller mit gediegenen und zeitgemäßen Beiträgen ein Stelldichein. Das illustrierte Witzblatt „VI-L" erfreut sich wegen seiner zahlreichen vorzüglichen Illustrationen, sowie seines treffend witzigen, und humorvollen Inhalts längst der ungeteilten Gunst dev deuschen Lesewelt. Die „Deutsche Lesehalle" bringt als „illustr. Familienblatt" unter sorgfältigster Auswahl des Stoffes kleine, Herz und Gemüt anregende Erzählungen, sowie Aufsätze belehrenden Inhalts. Die „Mitteilungen über Landwirtschaft, Gartenbau und Kauswirtschaft^ bringen neben selbstständigen Fachartikeln zahlreiche Ratschläge für Haus, Hof und Garten. Zm täglichen Feuilleton finden die Hriginak-Zlomane und Aovellen der ersten Autoritäten Aufnahme, so erscheint im nächsten Quartal ein neuer höchst fesselnder Roman von Kvorx Lnxvl: „Ahnen und Gnkel". — Man abonniert auf das Berliner Hagevlatt und LauävIs-LeitnnK" nebst seinen vier wertvollen Separat-Beiblättern bei allen Bostanstalten des Deutschen Reiches für 5 Mark 25 Bf- vierteljährlich. Brobe-Aummern gratis und franko.
Standesamt ßakw.
Geborene:
13. März. Hans Albrecht, Sohn des Hans Fechter, Verwaltungs-Aktuars.
18. „ Christine Karoline, Tochter des Friedrich
Pfrommer, Bäckermeisters, jr. Gestorbene:
15. März. Georg Bernhard Eberhard, Kaminfeger
meister, 85 h- Jahre alt.
16. „ Emil Sänger, 7 Wochen alt, Sohn des
Emil Sänger, Kaufmanns.
17. . Friedrich Oskar Söll, 1h« Jahre alt, Sohn
des Karl Söll, Postsekretärs.
Gottesdienst
am Sonntag, den 22. März.
Palmsonntag.
Vom Turm: 137. 9H« Uhr: Beichte in der Sakristei. Vorm.-Predigt: Herr Dekan Braun. Feier des h. Abendmahls. 2 Uhr Nachm.-Pred.: Herr Helfer E y tel.
0 t t. ^ 6 1 ^ t^t. Nachdruck verboten
Die Spionin.
Roman aus dem russischen Nihilistenleben.
Nach den Aufzeichnungen eines Petersburger Polizeibeamten.
Von Willibald Mencke.
(Fortsetzung.)
Den einzigen Anhaltspunkt für meine Nachforschungen bot das Armband. Da die Juweliere die Gewohnheit haben, sich bei dem Verkaufe von kostbaren Gegenständen den Käufer zu merken, so war die Möglichkeit geboten, auf diesem Wege dm Namen der Ermordeten festzustellen. Ich nahm mir in der Frühe des nächsten Morgens, nachdem ich den Befehl gegeben hatte, dir Leiche in die Totenkammer des Krestowsky-FriedhofeS zu bringen, einen Wagen und machte allen namhafteren Juwelieren auf beiden Ufern der Newa meinm Besuch. Vergeblich, meine Nachforschungen führten zu keinem Resultate. Endlich fiel mir ein, daß ich nicht an die beiden Juweliere der Passage gedacht hatte. Ich schlug den Weg dorthin ein, und ich erinnerte mich noch deutlich, wie mich damals das ganz bestimmte Vorgefühl zur Eile anspornte, daß ich hier mehr Glück habm werde.
Ich sollte mich nicht täuschen. Gleich der erste Juwelier, auf der rechten Seite, wenn man vom Newsky-Prospekt kommt, äußerte in der bestimmtesten Weise, daß das Armband bei ihm gekauft sei. Er hotte ein Geschäftsbuch herbei und nachdem er — allzulange für meine Ungeduld — in demselben geblättert hatte, zeigte er mir folgende Stelle: Nr. 7802. Frau Baronin von Plessen. 250 Rubel.
„Kennen Sie die Frau Baronin?" fragte ich.
„Nein", antwortete der Juwelier. „Ich erinnere mich nur, daß die Käuferin eine schöne, elegante Dam» war."
„Wissen Sie ihre Adresse?"
„Auch darüber kann ich keine Auskunft geben. Doch ja!" fügte der Juwelier hinzu, indem er einen jungen Menschen anrief, der mit dem Reinigen der Schmuckgegenstände beschäftigt war. „Michael, Du hast ja damals das Armband zur Baronin- von Plessen gebracht?"
„Gewiß", gab der junge Mann zur Antwort.
„Wo wohnt die Frau Baronin?"
„In der Sergejewskajastraße Nr. 15, im eigenen Hause im oberen Stockwerke."'
Ich wußte genug und dankte dem Juwelier für seine Müteilungen, die für mich so viel Wert hatten.
Es war gegen sieben Uhr, al« mein Wagen vor dem mir bezeichnten Hause hielt, also gerade vierundzwanzig Stunden nach Entdeckung des Verbrechens — ein zweistöckiges, bescheidenes Haus, das vollständig im Dunkeln lag. Ich mußte dreimal klingeln bis der Dwornik erschien, um mir zu öffnen, ein älterer Mann von mittlerer, etwas gebückter Statur mit grauweißem Vollbart und mit einem Gesichte, dem man es anmerkte, daß er geschlafen habe.
„Zum Teufel," fuhr ich ihn an, „ist denn hier Niemand zu Hause?"
„Für Leute, die nicht höflich sind, gewiß nicht," erhielt ich zur Antwort.
„Also eine höfliche Frage, mein guter Atter, auf die ich eine höfliche Antwort erwarte: Ist die Frau Baronin zu Hause?"
„Nein."
„Wo kann ich sie treffen?"
„Nirgends."
„WaS soll das heißen?"
„Das soll heißen, daß sie verreist ist."
(Fortsetzung folgt.)